Das Wunderbare in Ludwig Tiecks 'Der Blonde Eckbert'


Seminararbeit, 2003

16 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Ludwig Tiecks Auseinandersetzung mit dem Wunderbaren in der Literatur

III. `Wundersame´ Märchenelemente im Blonden Eckbert

IV.Die Thematisierung des Wunderbaren und die Phantasie innerhalb der Erzählung

V.Verwirrung der Figuren durch die Vermischung des Wunderbaren mit der Realität

VI. Fazit

VII. Literaturverzeichnis

Das Wunderbare in Ludwig Tiecks Der blonde Eckbert

I.) Einleitung

„Keine Gattung hat die romantische Dichtung weltweit so berühmt gemacht wie das Märchen“[1], konstatiert Greif und steht damit exemplarisch für die vielen Äußerungen zur engen Verbindung von Romantik und Märchen. Doch diese Verknüpfung ist nicht erst in der Rezeption entstanden, sondern die literarischen Vertreter der Romantik selbst hatten eine starke Affinität zu dieser Gattung und sahen in ihr die höchste Form der Poesie.[2] Novalis forderte gar, daß „alles Poëtische [...] mährchenhaft seyn“ müsse.[3]

Bei der Verbindung von Märchen und Romantik ist jedoch zu beachten, daß diese für das Märchen im doppelten Sinne gilt. Zum einen meint sie die Sammlungen von Volksmärchen, wie sie exemplarisch von den Gebrüdern Grimm angelegt wurden. Zum anderen meint es aber auch den produktiven Umgang mit der Gattung des Märchens, der zu einer für die romantische Bewegung besonderen Form des Kunstmärchens führte.[4] Die beiden Märchenarten standen allerdings nicht einfach nebeneinander, sondern wurden von den Autoren auch kontrovers diskutiert, bis hin zu der Auseinandersetzung der Brüder Grimm mit Achim von Arnim. Während Jacob Grimm aus Respekt vor der Volksdichtung des Märchens eine möglichst genaue Wiedergabe derselben forderte, formte Brentano die Märchenfassungen für das Wunderhorn um.[5] Die Differenz lag also vor allem in der Auffassung der angemessenen Autorschaft von Märchen begründet, die bei den Grimms eine kollektive war, in der kunstvollen Bearbeitung aber eine durch einen benennbaren Autor. Thalmann lehnt zwar den Begriff des Kunstmärchens ab[6], aber dennoch fand der „erst in neuerer Zeit gefundene und definierte Gattungsbegriff“[7] des Kunstmärchens Eingang in aktuelle Lexika der Literaturwissenschaft und findet auch in der Forschung mittlerweile breite Anwendung. Definiert wird das Kunstmärchen als „Prosaerzählung nach dem Muster oder mit Motiven des Volksmärchens“ und ist „besonders durch Einbeziehung des Wunderbaren gekennzeichnet“[8]. Angewandt wird der Begriff im allgemeinen nur auf Erzählungen, „deren Verfasser, Entstehungszeit sowie autorisierte Textgestalt bekannt sind und die ein schon vorliegendes Gattungsmodell imitieren“[9]. Das ‚vorliegende Gattungsmodell’ meint üblicherweise die einfachere Form des Volksmärchens, das kunstvoll weitergeführt und -entwickelt wird.

Die „Einbeziehung des Wunderbaren“ meint im Gegensatz zum Volksmärchen vor allem „die durchgängige Auseinandersetzung mit dem Wunder, das anders als im Volksmärchen fast nie als selbstverständlich eingebracht ist. Wenn es nicht satirisch aufgefaßt (Hoffmann), oder zur Charakterisierung kindlicher Naivität (Brentano) verwendet wird, wirkt es oft verstörend, so daß viele Kunstmärchen tragisch enden [...]“[10]. Zur letzteren Gruppe kann man auch Ludwig Tiecks bekannteste Märchen rechnen: seine Helden enden im Wahnsinn (Der blonde Eckbert; Der getreue Eckart) oder Mord und Tod beenden die Geschichte (Der getreue Eckart; Der blonde Eckbert; Liebeszauber).

Die Romantiker orientierten sich in ihrer Konzeption des Kunstmärchens vor allem an Goethes Märchen (1795) und nahmen sich „im Blick auf diese wohl weithin undeutbare Wundererzählung […] die Lizenz zu ihren Wunder und Realität phantastisch mischenden Erzählungen“[11]. Gerade auch die für Tieck bezeichnende Kombination des Wunderbaren mit Elementen des Schreckens, die ihre Ursprünge im Schauerroman haben, wirkt stilbildend auf weitere Texte der Romantik.[12]

Nicht nur der Begriff des Kunstmärchens ist in seiner Anwendung auf Tiecks Blonden Eckbert umstritten, sondern die Literaturwissenschaft betrachtet generell „die Gattungsfrage als eines der wichtigsten literaturkritischen Probleme des Blonden Eckbert[13]. Die Vielfalt der Positionen zeigt sich in der Zusammenstellung wichtiger Thesen bei Castein.[14] Dies führt bis hin zu mehrfachen Zuschreibungen innerhalb einer Forschungsthese. So wendet Paulin zwei Gattungsbestimmungen parallel auf den Blonden Eckbert an:

Tieck [gelang] in „Der blonde Eckbert“ eine Erzählform, die für die romantische Prosa eine entscheidende Wende bedeutete: der Novelle. Zugleich hat er mit dieser Erzählung in engem Anschluß an die Stimmungsmalerei seiner eigenen Schauernovellen auch eine Gattung geschaffen, die schon vor der Übernahme romanischer Erzählmodelle um die Jahrhundertwende, als „Kanon der Poesie“ (Novalis) gefeiert wurde: das Märchen.[15]

Dennoch zählt Kremers die Märchen in Tiecks unter seinem Pseudonym herausgegebenen Volksmärchen von Peter Leberecht allesamt zu den Kunstmärchen:

Eine weitgehend psychologische Differenzierung, atmosphärische Ambivalenz und ausgeprägte selbstreflexive Momente weisen sie durchweg als Kunstmärchen aus. Schon das früheste unter ihnen, Der blonde Eckbert, spielt die Möglichkeiten des Genres beinahe vollständig aus [...].[16]

Versucht man nun die Märchenkonzeption der Romantik und speziell Ludwig Tiecks im Blonden Eckbert nachzuvollziehen, so ist auf das Postulat von Friedrich Schlegel hinzuweisen, nach dem von der Poesie nur in der Form der Poesie gesprochen werden kann[17], so daß gerade in der Romantik von einer immanenten Poetik ausgegangen werden muß.

Für das Kunstmärchen wurde als besonders konstitutiv das Element des Wunderbaren genannt, weshalb dieses im Folgenden im Mittelpunkt stehen soll. Mit der Analyse des Wunderbaren im Blonden Eckbert nicht nur auf der Figuren- und Strukturebene, sondern ebenso durch die Untersuchung des Wunderbaren als Thema innerhalb der Erzählung, wird versucht, dem doppelten Anspruch von Poesie und immanenter Poetik gerecht zu werden. Zur Kontextualisierung wird zuvor noch die Auseinandersetzung Ludwig Tiecks mit dem Wunderbaren in anderen Zusammenhängen erläutert. Mit der Untersuchung des Wunderbaren wird zugleich versucht, die umstrittene Bezeichnung des Blonden Eckberts als Kunstmärchens anhand der oben gegebenen Definition eines solchen zu überprüfen.

II.) Ludwig Tiecks Auseinandersetzung mit dem Wunderbaren in der Literatur

Die Phantasie wurde in der Aufklärung dem Verstand unterstellt, da sie nicht dem postulierten Erkenntnisgewinn dienen konnte, der letztlich eine rationale, widerspruchsfreie Wahrheit zum Ziel hatte.[18] So war auch das Element des Wunderbaren in der Literatur heftig umstritten – es sei nur an den Literaturstreit zwischen Gottsched und den Schweizern Bodmer und Breitinger erinnert. In der Romantik nun findet die zunehmende Aufwertung der Einbildungskraft in der Spätaufklärung ebenso ihre Fortsetzung wie die Phantasiekritik, so daß von einem ambivalenten Verhältnis zur Phantasie gesprochen werden kann.[19] Zugleich wird das Element des Wunderbaren in der Literatur jedoch stark aufgewertet – gerade auch von Tieck, der im Kontext der Auseinandersetzung mit dieser Frage den Aufsatz Shakespeares Behandlung des Wunderbaren (1793) verfaßt. Dies kennzeichnet ihn auch als Vertreter der romantischen Bewegung, als deren „liebstes Kind“ Moser das Wunder sogar bezeichnet.[20] Die Aufwertung erklärt sich auch dadurch, daß entgegen der aufklärerischen Ablehnung die Romantiker dem Wunderbaren durchaus Erkenntnisgewinn zusprachen. Gerade Tiecks Phantasus, in dem der Blonde Eckbert als erstes Märchen präsentiert wird, will nicht nur bereits mit dem Titel „ausdrücklich auf den Vorrang der Phantasie hinweisen“[21], sondern die Sammlung sollte auch verdeutlichen, „daß das Wunderbare, wenn es als Wesenszug des Märchens gelten solle, mit besonderen Kategorien unsere Existenz erschließen könne“[22].

[...]


[1] Stefan Greif: Märchen/Volksdichtung. In: Romantik-Handbuch. Hg. v. Helmut Schanze. Stuttgart: Kröner 1994, S. 257–275, hier S. 256.

[2] Hans-Jürgen Schmitt: Prosa vom Wunderbaren. In: Romantik II. Hg. v. Hans-Jürgen Schmitt. Stuttgart: Reclam 1990 (= Die deutsche Literatur. Ein Abriß in Text und Darstellung, Bd. 9), S. 23–25, hier S. 23.

[3] Zitiert nach Heinz Rölleke: [Artikel] Kunstmärchen. In: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Hg. v. Harald Fricke, Georg Braungart, Klaus Grubmüller u.a. Bd. II: H–O. Berlin/New York: Walter de Gruyter 2000, S. 366–368, hier S. 367.

[4] Zu den Variationen und Typen innerhalb des romantischen Kunstmärchens vgl. Schmitt, Prosa vom Wunderbaren, S. 24 oder auch Hugo Moser: Sage und Märchen in der deutschen Romantik. In: Die deutsche Romantik. Poetik, Formen und Motive. Hg. v. Hans Steffen. Vierte Auflage. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1989, S. 253–276, hier S. 269f.

[5] Vgl. dazu ausführlicher Moser, Sage und Märchen in der deutschen Romantik, S. 257–259.

[6] „Von diesem Schlagwort, das aus dem mißverstandenen Vergleich mit dem Kindermärchen kam, ist längst die Farbe abgebröckelt.“ (Marianne Thalmann: Nachwort. In: Ludwig Tieck: Werke in vier Bänden. Hg. v. Marianne Thalmann. Bd. 2: Die Märchen aus dem Phantasus; Dramen. München: Winkler 1978, S. 871–888, hier S. 873.)

[7] Rölleke, [Artikel] Kunstmärchen, S. 366. Rölleke weist dort darauf hin, daß der „fachwissenschaftliche Erstbeleg“ des Begriffs ‚Kunstmärchen’ „vorläufig im Titel der Dissertation von Hermann Todsen (‚Über die Entwicklung des romantischen Kunstmärchens’, München 1905) zu sehen ist“. (Ebd., S. 367.)

[8] Rölleke, [Artikel] Kunstmärchen, S. 366.

[9] Rölleke, [Artikel] Kunstmärchen, S. 366.

[10] Rölleke, [Artikel] Kunstmärchen, S. 368.

[11] Rölleke, [Artikel] Kunstmärchen, S. 367.

[12] Vgl. Detlef Kremer: Romantik. Stuttgart/Weimar: Verlag J. B. Metzler 2001, S. 191.

[13] Ludwig Tieck: Der blonde Eckbert. Der Runenberg. Erläuterungen und Dokumente. Von Hanne Castein. Stuttgart: Reclam 2002, S. 21.

[14] Vgl. Castein, Ludwig Tieck, S. 25–38. Zu der „fast unübersehbare[n] Zahl von Deutungsversuchen“ und den „bevorzugten Interpretationsmotiven“ vgl. Ingrid Kreuzer: Märchenform und individuelle Geschichte. Zu Text und Handlungsstrukturen in Werken Ludwig Tiecks zwischen 1790 und 1811. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1983, S. 157–162 (dort auch die Zitate, S. 157f.).

[15] Roger Paulin: Ludwig Tieck. Stuttgart: Metzler 1987, S. 32.

[16] Kremer, Romantik, S. 191.

[17] Vgl. Silvio Vietta: Der Phantasiebegriff der Frühromantik und seine Voraussetzungen in der Aufklärung. In: Die literarische Frühromantik. Hg. v. Silvio Vietta. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1983, S. 208–220, hier S. 212.

[18] Vgl. Vietta, Der Phantasiebegriff der Frühromantik, S. 208f.

[19] Vgl. Vietta, Der Phantasiebegriff der Frühromantik, S. 211f.

[20] Moser, Sage und Märchen in der deutschen Romantik, S. 253.

[21] Hans-Jürgen Schmitt: Einleitung. In: Romantik II. Hg. v. Hans-Jürgen Schmitt. Stuttgart: Reclam 1990 (= Die deutsche Literatur. Ein Abriß in Text und Darstellung, Bd. 9), S. 9–22, hier S. 15.

[22] Hans-Jürgen Schmitt: Ludwig Tieck: Der blonde Eckbert. In: Romantik II. Hg. v. Hans-Jürgen Schmitt. Stuttgart: Reclam 1990 (= Die deutsche Literatur. Ein Abriß in Text und Darstellung, Bd. 9), S. 31–32, hier S. 31.

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Das Wunderbare in Ludwig Tiecks 'Der Blonde Eckbert'
Hochschule
Universität Münster
Note
1,3
Autor
Jahr
2003
Seiten
16
Katalognummer
V59625
ISBN (eBook)
9783638535083
ISBN (Buch)
9783638791984
Dateigröße
473 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Wunderbare, Ludwig, Tiecks, Blonde, Eckbert
Arbeit zitieren
Imke Duis (Autor:in), 2003, Das Wunderbare in Ludwig Tiecks 'Der Blonde Eckbert', München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/59625

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