Betriebliche Gesundheitsförderung. Bedürfnisse und Potenziale des praktizierten Glaubens

Religion als Schutz- und Belastungsfaktor


Hausarbeit, 2019

56 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1 Thematische Einführung
1.2 Hypothesen und Fragestellungen
1.3 Kommentiertes Inhaltsverzeichnis
1.4 Methoden
1.4.1 Literatur- und Datenbankrecherche
1.4.2 Testinterview

2. Grundinformationen über die Lebensphase
2.1 Die betriebliche Gesundheitsförderung
2.2 Soziodemographische Rahmendaten
2.3 Präventionsbedarfe
2.4 Lebensphasenspezifische 6-Felder-Tafel

3. Belastete Lebenslagen
3.1 Geschlecht
3.2 Ethnische Herkunft und Hautfarbe
3.3 Religion und Weltanschauung
3.4 Gesamtauswertung der Lebenslage- Analysen

4. Forschungs-/ Erkenntnis-/ Praxislücke

5. Forschungsdesign
5.1 Hintergrundinformationen zur Forschungsfrage
5.1.1 Lebensphase
5.1.2 Lebenslage
5.1.3 Praktische Umsetzung
5.2 Fokusgruppen
5.2.1 Definition
5.2.2 Umsetzung im Forschungsprojekt
5.2.3 Hypothesen
5.3 Interviews
5.3.1 Definition
5.3.2 Umsetzung im Forschungsprojekt
5.3.3 Hypothesen
5.4. Auswertungsmethodik
5.5. Zusammenfassende Betrachtung des Studiendesigns

6. Schlussbetrachtung

7. Literatur

Anlagen

Zusammenfassung

Das Thema der Identifizierung von Bedürfnissen und Potenziale des praktizierten Glaubens im Rahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF) entstand auf der Basis intensiven Interesses an der BGF und vor dem Hintergrund der stetig wachsenden Anzahl von Personen mit Migrationshintergrund in Gesundheitsberufen. Ziel des skizzierten Projekts ist es unter Berücksichtigung spezieller Lebenslagen der Zielpopulation, spezifische Bedürfnisse herauszustellen, welche zukünftig im Rahmen der BGF gezielt angesprochen werden sollen. Gleichzeitig sollen bis dato verdeckte Potenziale hervorgehoben werden, welche der Gesundheitsförderung aller Betriebsangehörigen dienen. Als Produkt werden aus den Ergebnissen des Projekts Handlungsfelder und Empfehlungen zur adressatenspezifischen Ausrichtung von Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung abgeleitet, welche auch als Beispiel für andere Organisationen fungieren können. Die bestehenden Maßnahmen der BGF können somit sinnvoll ergänzt und auf aktuelle demografische Entwicklungen hin angepasst werden. Konkret wird dabei folgendermaßen vorgegangen: Auf Basis des Berliner Krankenhausplans werden zufallsgeneriert 5 stationäre Einrichtungen akquiriert, an welchen das Modellprojekt durchgeführt wird. In enger Kooperation mit der jeweiligen Leitung des betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM) der Einrichtung wird die Datenerhebung interviewbasiert und mittels Fokusgruppen erfolgen. Hierzu werden je Einrichtung fünf weibliche und fünf männliche Vertreter der Berufsgruppen der Pflege und der Ärzteschaft ausgewählt. Ebenfalls werden die jeweiligen Leiter des BGM zu den bereits bestehenden und zukünftig geplanten Maßnahmen interviewt. Die Bekanntmachung des Projektes erfolgt über hausinterne Kommunikationskanäle und Aushänge im Betrieb. Die Ergebnisse der Interviews sowie der Fokusgruppen werden an eine externe Stelle weitergeleitet um diese gebündelt nach dem Prinzip der Grounded Theory (Glaser et al., 1978) auszuwerten

1. Einleitung

1.1 Thematische Einführung

Dem Themengebiet Gesundheit und Unternehmen wird in Wissenschaft und Praxis wegen des Zusammenhangs zwischen Arbeitstätigkeit und Gesundheitszustand, sozialen und wirtschaftlichen Veränderungen beispielsweise durch die Globalisierung sowie bedingt durch Hinweise auf mögliche günstige ökonomische Effekte der betrieblichen Gesundheitsförderung zunehmend Interesse entgegengebracht (Nöhammer et al., 2009). Viele Betriebe haben dies bereits erkannt und als Folge die betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) ihrer Mitarbeiter zu einer zentralen Managementaufgabe gemacht. Durch zielgerichtet Maßnahmen fördern die Betriebe somit die Gesundheit ihrer Arbeitnehmer mit dem Ziel krankheitsbedingte Ausfälle zu reduzieren (Badura, 2010). Aufgrund des Stellenwertes der Wahrnehmung sowie der Bewertung von BGF durch die Mitarbeiter sollten sich die Angebote möglichst auf deren Bedürfnisse und Wünsche beziehen (Hurrelmann et al., 1998). Im bisherigen Forschungsstand wurde die Perspektive des Individuums innerhalb der BGF eher in geringem Maße aufgezeigt (Bödeker et al., 2008). Weiterhin problematisch hierbei ist jedoch, dass die Maßnahmen der Gesundheitsförderung von ohnehin gesunden Personen genutzt werden, während bestimmte Risikogruppen nur schwer oder gar nicht erreicht werden können. Dies stellt die klassische Situation eines Präventionsdilemmas dar. Dieser Begriff beschreibt im Kern das „inequality Paradox" der selektiven Inanspruchnahme. Gemeint ist, dass gerade die Zielgruppen mit höherem Vorsorge- oder Frühinterventionsbedarf eher eine herabgesetzte Akzeptanz und Nachfrage von Präventions- sowie Gesundheitsförderungsangeboten haben (Franzkowiak, 2011). Hinzu kommt, dass die Bedürfnisse bestimmter Gruppen nicht in den Maßnahmen der BGF berücksichtigt werden und somit wichtige Potenziale unausgeschöpft bleiben. Zielgruppe dieses Projektes sind Personen im Alter zwischen 35 - 45 die in Gesundheitsberufen (Ärzteschaft / Pflegepersonal) tätig sind. Dabei liegt der Fokus auf Gesundheitspersonal mit Migrationshintergrund, welches aktiv den muslimischen Glauben praktiziert. Hintergrund ist die stetig wachsende Anzahl von Gesundheitspersonal mit Migrationshintergrund und der Umstand, dass Personen mit Migrationshintergrund, welche im Gesundheitswesen tätig sind, generell in der Forschung unterrepräsentiert sind. Zwar werden in der Mikrozensuserhebung seit 2009 auch Personen mit Migrationshintergrund und Migrationserfahrung erfasst, der Forschungsstand zu deren Bedürfnislage und den daraus resultierenden Anforderungen an die BGF ist jedoch sehr lückenhaft.

Das in dieser Arbeit skizzierte Forschungsprojekt soll dabei unterstützen Bedürfnisse und Potenziale des praktizierten Glaubens für die BGF nutzbar zu machen.

1.2 Hypothesen und Fragestellungen

Mittels einer Gruppendiskussion wurden vorab mögliche Fragestellungen diskutiert, welche mit Hilfe des Forschungsprojektes beantwortet werden können. Der Fokus lag hierbei auf den Bedürfnissen der Zielgruppe, Potenzialen, welche zur Ausgestaltung der betrieblichen Gesundheitsförderung genutzt werden können sowie möglichen Gefahren welche die erfolgreiche Umsetzung von Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung bedrohen könnten.

Im Projekt sollen u.a. folgende Hypothesen untersucht werden:

- Die Bedürfnisse von Personen mit Migrationshintergrund sind in bestehenden Maßnahmen der BGF unterrepräsentiert.
- Religionsspezifische Bedürfnisse werden, in den bestehenden Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung, nicht berücksichtigt.
- Potenziale aus dem praktizierten Glauben werden im Rahmen der BGF nicht genutzt.
- Die bestehenden Maßnahmen erreichen die Zielpopulation zum Teil nicht.
-m Rahmen des Projekts sollen unter anderem folgenden Fragestellungen genauer beleuchtet werden:
- Welchen subjektiven Schwierigkeiten sehen sich Pflegekräfte gegenüber, die aktiv den muslimischen Glauben praktizieren?
- Welche Potenziale ergeben sich aus ihrem praktizierten Glauben?

Ziel ist es, (religions-)spezifische Bedürfnisse und verdeckte Potenziale herauszustellen, welche zukünftig im Rahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung berücksichtigt werden können, um diese adressatengerechter gestalten zu können.

1.3 Kommentiertes Inhaltsverzeichnis

Im ersten Teil der vorliegenden Projektskizze wird die themagebende Lebensphase, die betriebliche Gesundheitsförderung in Gesundheitsberufen, im Detail beschrieben. Dabei werden neben soziodemographischen Rahmendaten auch Präventionsbedarfe der betreffenden Berufsgruppe herausgestellt. Abschließend werden Typen und Arten der betrieblichen Gesundheitsförderung in Pflege und Ärzteschaft, in Form der lebensphasenspezifischen 6-Felder-Tafel, grafisch dargestellt.

Der zweite Teil der Hausarbeit widmet sich den spezifischen Lebenslagen bzw. (Un-) Gleichheitsdimensionen, welche auf Basis einer Literaturrecherche als besonders relevant für die Zielgruppe dieser Forschungsskizze identifiziert werden konnten. Der erste Abschnitt behandelt hierbei die Besonderheiten der Dimension Geschlecht bzw. geschlechtliche Identität. Im Abschnitt zur Dimension Ethnische Herkunft und Hautfarbe wird auf die Spezifika ethnischer Minderheit in Gesundheitsberufen eingegangen werden. Der Teil schließt mit einer kurzen Gesamtauswertung der Lebenslagenanalyse.

Der Abschnitt zum Forschungsdesign behandelt den Aufbau sowie den Ablauf der geplanten Datenerhebung des Projektes. Hierzu werden zuerst relevante Informationen zur Forschungsfrage kurz zusammengefasst. Anschließend wird die Methodik der empirischen Datenerhebung beschrieben, wobei intensiver auf den Aufbau sowie die Vor- und Nachteile von Fokusgruppen und Semistandardisierten Interviews eingegangen wird. Nach einer Beschreibung der geplanten Auswertungsmethodik werden abschließend die dem Projekt zugrunde liegenden Hypothesen zusammengefasst und die erwarteten Ergebnisse beschrieben.

Die Schlussbetrachtung dieser Arbeit resümiert abschließend alle relevanten Erkenntnisse und gibt einen Ausblick zu möglichen Gefahren, welche die praktische Umsetzung des Forschungsprojektes beeinflussen könnten.

1.4 Methoden

Für die Entwicklung der Forschungsskizze wurde sowohl eine Literaturrecherche als auch eine Datenbankrecherche durchgeführt. Nachdem die relevanten Daten zusammengetragen wurden, wurde exemplarisch ein Testinterview mit einer praktizierenden Ärztin, welche einen Migrationshintergrund besitzt geführt. Das genaue Vorgehen wird im folgenden Kapitel beschrieben.

Zur Zitation wurde das Literaturverwaltungsprogramm Zotero verwendet. Als Zitierweise kommt in dieser Arbeit die Harvard-Methode zum Einsatz.

1.4.1 Literatur- und Datenbankrecherche

Um die, zur Beschreibung der zugrunde liegenden Lebensphase sowie der relevanten Lebenslagen beziehungsweise (Un-)Gleichheitsdimensionen, relevanten Daten zusammenzutragen, wurde mithilfe von Google Scholar, dem Universitätsbibliotheksportal der Humboldt-Universität zu Berlin, der medizinischen Onlinebibliothek der Charité sowie den Datenbanken Pubmed und Web of Science eine systematische Recherche durchgeführt. Als Bezugsgruppe wurden weiße Europäer christlich abendländischer Kultur definiert. Hierbei wurden, zur Recherche der Dimension Geschlecht, die Schlagwörter Geschlecht & Gesundheitsförderung, Gesundheitsförderung Pflege Geschlecht, Gesundheitsförderung Krankenschwestern sowie BGF Geschlecht Unterschiede verwendet. Die relevante Recherche zur Dimension Ethnische Herkunft und Hautfarbe erfolgte unter Verwendung folgender Schlagwörter Diversität und Gesundheitsförderung, Migrationshintergrund in Gesundheitsberufen, Kultursensibilität in der betrieblichen Gesundheitsförderung sowie reiigion andnursing.

Die Recherche geschah vor dem Hintergrund der folgenden Arbeitshypothese:

„Personen, welche sich auf Basis der Merkmale Geschlecht, ethnische Herkunft und Hautfarbe sowie Religion und Weltanschauung von der Bezugsgruppe unterscheiden, erfahren Diskriminierung im Arbeitsalltag und benötigen daher besondere Angebote im Rahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung."

1.4.2 Testinterview

Neben der beschriebenen Literatur- und Datenbankrecherche wurde, um die Zweckmäßigkeit des Forschungsprojektes zu validieren, exemplarisch ein Interview mit einer praktizierenden Ärztin durchgeführt, welche einen Migrationshintergrund besitzt.

Es wurde ein formloses Interview mit einer Ärztin muslimischen Glaubens durchgeführt. Die Fragen bezogen sich hauptsächlich auf bestehende oder fehlende Angebote der Arbeitsstätten im Hinblick auf Räumlichkeiten für die rituelle Waschung und Angebote von „halal" (nach islamischen Recht zulässige Nahrungsmittel) zubereitetem Essen. Die Erfahrungsberichte der Schwester Liesen darauf schließen, dass es im Hinblick auf die Räumlichkeiten kaum Bedarf gibt, jedoch zeichnete sich eine Verbesserungswürdigkeit im Hinblick auf das Essen in der Betriebskantine auf. Es fehlt das „halal" Angebot der Speisen komplett. Die Wahl begrenzt sich auf vegetarisch oder Standard. Das Fazit was: wenn es kein halal gibt, essen alle Juden und Muslime vegetarisch, was durchaus auf Missgunst der konsistenten Vegetarier stößt. Die Ernährung ¡stein wichtiger Pfeilerder betrieblichen Gesundheitsförderung und es wäre sinnvoll hier die Angebote zu erweitern um somit die gesamtbetriebliche Zufriedenheit der Belegschaft zu verbessern.

2 Grundinformationen über die Lebensphase

2.1 Die betriebliche Gesundheitsförderung

Die Wahl der Lebensphase Arbeitsplatz / betriebliche Gesundheitsförderung von Personen die in Gesundheitsberufen tätig sind, entstand auf der Basis intensiven Interesses an der BGF und vor dem Hintergrund der anhaltenden Diskussion um den Mangel an Fachkräften in der stationären und ambulanten Pflege. Der Arbeitsplatz ist ein gut geeignetes Setting um Maßnahmen der Gesundheitsförderung durchzuführen, weil dort ein großer Teil der Bevölkerung, speziell in der mittleren Lebensphase im Alter zwischen 30 - 65 Jahren, erreicht werden kann.

Übergreifendes Ziel der betrieblichen Gesundheitsförderung ist es, Gesundheitsressourcen in Unternehmen aufzubauen. Gerade im Kontext von Vereinbarkeit von Privatleben und Familie mit Beruf und Work-Life-Balance wächst die Bedeutung der betrieblichen Gesundheitsförderung stetig. Gemeinsame Maßnahmen von Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Gesellschaft sollen zur Verbesserung von Gesundheit und Wohlbefinden am Arbeitsplatz beitragen. Zu solchen Maßnahmen gehören beispielsweise die Verbesserung der Arbeitsorganisation und der Arbeitsbedingungen, die Förderung einer aktiven Mitarbeiterbeteiligung und die Stärkung persönlicher Kompetenzen.

Methodisch bedient sich die BGF verschiedenen Ressourcenkonzepten und Wirkmodellen. Ein wesentliches Prinzip der Gesundheitsförderung ist dabei das Salutogenese-Modell von Aaron Antonovsky. Nach dem Salutogenese-Modell ist Gesundheit nicht als Zustand, sondern als Prozess zu verstehen.

Der Begriff der Betrieblichen Gesundheitsförderung ist in Deutschland in § 20a Abs. 1 Satz 1 des Sozialgesetzbuches rechtlich verankert. Demnach sind die Krankenkassen verpflichtet, in Betrieben den „Aufbau und die Stärkung gesundheitsförderlicher Strukturen" zu fördern. Im europäischen Raum bildet die EG Rahmenrichtlinie Arbeitsschutz (Richtlinie des Rates 89/391/ EWG) eine Grundlage für die Gesundheitsförderung. Diese hat eine Neuorientierung des traditionellen Arbeitsschutzes in Gesetzgebung und Praxis eingeleitet. Außerdem gewinnt der Betrieb als Handlungsfeld der öffentlichen Gesundheitsvorsorge (Public Health) an Bedeutung. Demnach sind qualifizierte und vor allem gesunde Mitarbeiter sowohl in sozialer als auch in ökonomischer Hinsicht eine wesentliche Voraussetzung für den zukünftigen Erfolg der EU.

2.2 Soziodemographische Rahmendaten

Zielgruppe des Projektes sind Personen, die in Gesundheitsberufen tätig sind. Im Allgemeinen werden unter dem Begriff alle Berufe zusammengefasst, die im weitesten Sinne mit der Gesundheit zu tun haben. Allerdings ist für das vorliegende Projekt eine klare Eingrenzung des Begriffs unabdingbar.

Adressat des vorliegen Projekts sind zum einen Personen, die in der stationären Pflege arbeiten - diese umfasst sowohl die vollstationäre Pflege, die teilstationäre Pflege als auch die Kurzzeitpflege. Zum anderen liegt der Fokus auf im Krankenhaus tätigen Ärztinnen und Ärzte.

Die Eingrenzung der Zielgruppe erfolgte aus mehreren Gründen. Für die Sicherung einer hochqualitativen Gesundheitsversorgung ist es von entscheidender Bedeutung, durch die Berücksichtigung der persönlichen Belange sowie der Förderung der Gesundheit von Pflegekräften und der Ärzteschaft, den notwendigen therapeutischen Freiraum zum Wohle der Patientenversorgung zu sichern. Mit dem weiter steigenden Durchschnittsalter in Deutschland wächst auch die Relevanz der stationären Versorgung. Der stetig wachsende Behandlungsbedarf ist neben der demografischen Entwicklung der Bevölkerung auch durch eine nach wie vor unterentwickelte Prävention begründet. Gleichzeitig findet sich im Gesundheitswesen ein erhebliches Wachstums- und Beschäftigungspotenzial im Sinne eines hochrelevanten Wirtschaftsbereichs wieder. Aktuell beträgt der Anteil am Bruttoinlandsprodukt knapp 11,5 Prozent und mehr als 5,5 Millionen Erwerbstätige sind im Gesundheitswesen aktiv. Mit einem Umsatzvolumen von ca. 100 Milliarden Euro und über 1,5 Million Beschäftigten stellen in diesem Zusammenhang die deutschen Kliniken einen entscheidenden Anteil des Gesundheitswesens dar. In vielen Regionen und Kommunen sind Kliniken zudem der größte regionale Arbeitgeber (Bundesärztekammer, 2019).

Bei der Eingrenzung der Zielgruppe hinsichtlich des Alters wurde sich an dem Phasenmodell der beruflichen Entwicklung von Arnold & Feldmann (1986) orientiert. Diese sieht eine Einteilung des Berufslebens in 7 Phasen vor und findet branchen- und berufsübergreifend Anwendung (siehe Anhang).

In Anlehnung an das Modell wurden im Brainstorming folgende Phasen des Berufslebens herausgearbeitet:

1 Alter 30-35: Berufseinstiegs- und Orientierungsphase
2 Alter 35-45: berufliche Weiterentwicklung und Fortbildung
3 Alter45-60: Kompetenzetablierung und -erhalt
4 Alter 60-65: Berufsabschlussphase / Nachberufliche Lebensphase

Von Bedeutung für das vorliegende Projekt ist der Zeitraum vom 30. Bis zum 45. Lebensjahr. Diese Phase ist charakterisiert durch die Wahl eines speziellen Kompetenzbereichs, der Erweiterung des Verantwortungsbereichs und einen wachsenden Beitrag zum Betriebsergebnis. Außerdem bilden sich in dieser Zeit berufliche Fähigkeiten und Talente heraus und man bereit sich darauf vor eine Mentor­Funktion für andere Mitarbeiter einzunehmen.

2.3 Präventionsbedarfe

Nach der Spezifikation der Lebensphase erfolgt im nächsten Schritt die Ausarbeitung von Präventionsbedarfen und Bewältigungsaufgaben der betreffenden Zielgruppe. In einem Brainstorming wurden dabei besondere Anforderungen bzw. Stressoren herausgearbeitet, die langfristig zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen können:

Physiologisch:

- Bewältigung körperlicher Veränderungen (besonders hinsichtlich der Schichtarbeit)
- Direkte Patientenarbeit (intensive körperliche Arbeit)
- Umgang mit eigener Erkrankung/dem eigenen körperlichen Wohlbefinden in der Arbeit mit Patienten

Psychologisch:

- Leistungsdruck/hohe Verantwortung (durch Personalmangel)
- Arbeitsroutine 0 Aufgabenverdrossenheit vs. -leichtigkeit
- Differenzen zwischen Anspruch und Realität im Arbeitsalltag
- Karrierestreben vs. Berufliche Entwicklungsmöglichkeiten
- Geringe Wertschätzung des Berufs

Sozial:

- Belastung sozialer Beziehungen durch den Schichtdienst
- Belastung der Work-Life-Balance
- Zu geringe Vergütung der Arbeit
- In einer anschließenden Literaturrecherche wurden diese Hypothesen überprüft und ausgearbeitet.

So unterliegt das Berufsfeld der Pflege laut einem Bericht der Initiative Gesundheit & Arbeit besonderen Anforderungen wie z. B. Schichtdienst, Zeitdruck, ungeregelte Pausengestaltung, hohe körperliche Anstrengung, eine hohe Arbeitsintensität/- verdichtung und hohe emotionale Belastungen. Die Folgen sind geringe Verweildauern im Beruf, steigende Fehlzeiten sowie hohe Fluktuationsraten innerhalb der Pflegebranche (IGA, 2017). Außerdem leiden Personen, die im Gesundheitswesen tätig sind vermehrt unter Stress und haben ein höheres Risiko an einem Burnout zu erkranken (Irving et al., 2009).

In Befragungen von Pflegekräften durch den Deutschen Berufsverband für Krankenpflege und der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin wurde deutlich, dass sich ein großer Unterstützungsbedarf zur Förderung der Gesundheit von Pflegekräften vor allem in folgenden Bereichen zeigt (Deutscher Berufsverband für Krankenpflege,2016):

- Optimierung der Arbeitsorganisation bei hoher Arbeitsintensität,
- Dienstplansicherheit,
- Kompetenzerwerb der Pflegekräfte zur Kompensation von hohen psychischen Arbeitsanforderungen
- Einhaltung gesetzlicher Pausen.

Einer Studie von 2018 der Universität Zürich zufolge, in der der Gesundheitszustand von Beschäftigten in Gesundheitsberufen untersucht wurde, variieren die körperlichen und psychischen Arbeitsbelastungen zwischen den verschiedenen Berufsgruppen (Ärzteschaft und Pflegepersonal) teilweise erheblich. Typischerweise berichtete Belastungen in den Gesundheitsberufen sind demnach etwa hohe körperliche Anstrengung und häufiges Stehen, aber auch Schicht- und Mehrarbeit (Überstunden), hohe Verantwortung und Konzentration sowie häufige Unterbrechungen und Störungen bei der Arbeit oder Zeitdruck und hohe Arbeitsverdichtung. Hinzu kommen Expositionen gegenüber übertragbaren Krankheiten und schädlichen Substanzen sowie Stressoren und Belastungsfaktoren wie Rollenambiguität, starre Hierarchien, Gewalterfahrungen, Patientenerwartungen, Angst vor Behandlungsfehlern, soziale Konflikte und Mangel an sozialer Unterstützung bei der Arbeit. Der weiter zunehmende Fachkräftemangel sowie Personalengpässe (understaffing) infolge von Berufsausstiegen und Nachwuchsproblemen, vor allem in den Pflegeberufen verschärfen die genannten Probleme zusätzlich und sind zentrale Ursache zunehmender Belastungen (Universität Zürich, 2018).

Durch wirksame Angebote der betriebliche Gesundheitsförderung können körperliche Anstrengungen und seelische Belastungen verringert werden. Außerdem können Krankenstände verringert werden und der tägliche Arbeitsablauf in Kliniken und Pflegeeinrichtungen kann aufrechterhalten werden. Dabei lassen sich vor allem dann gute Ergebnisse erzielen, wenn gesundheitsorientierte Arbeitsbedingungen geschaffen werden und die Beschäftigten für einen gesundheitsbewussten Lebensstil begeistert werden können. Betriebliche Gesundheitsprogramme sind wirksam und nachhaltig, wenn alle wichtigen Beteiligten einbezogen sind.

2.4 Lebensphasenspezifische 6-Felder-Tafel

Abschließend werden im Folgenden Typen und Arten der betrieblichen Gesundheitsförderung in Gesundheitsberufen in Form der 6 Felder Tafel grafisch dargestellt. Das Modell ist angelehnt an Rosenbrock und Gerlinger. Demnach lassen sich primärpräventive, d.h. Belastungen senkende und Ressourcen vermehrende Aktivitäten und Strategien drei Interventionsebenen zuordnen: dem Individuum, dem Setting und der Bevölkerung. Je nachdem, ob die Intervention sich auf Information, Aufklärung und Beratung beschränkt oder ob sie auch Interventionen zur Veränderung gesundheitsbelastender bzw. ressourcenhemmender Faktoren der jeweiligen Umwelt/des jeweiligen Kontexts einschließt, ergeben sich sechs Strategietypen:

Tabelle: Typen und Arten der betrieblichen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

3 Belastete Lebenslagen

In Anlehnung an das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) (Bauer & Krieger, 2015) werden verschiedene Dimensionen von Vielfalt unterschieden. Dabei ist hervorzuheben, dass keine dieser Dimensionen ein stärkeres Gewicht als die andere besitzt. Vielmehr sollten diese als gleichwertig nebeneinander existent betrachtet werden. In Abhängigkeit des gewählten Fokus dieser Projektskizze wird im folgenden Kapitel vertieft auf drei der Dimensionen eingegangen werden. Auf Basis der in Abschnitt 1.4 beschriebenen Recherche, konnten die Dimensionen Geschlecht beziehungsweise (bzw.) geschlechtliche Identität, Ethnische Herkunft und Hautfarbe sowie Religion und Weltanschauung als besonders relevant für die Zielgruppe des Forschungsprojekts identifiziert werden. Entlang dieser drei Diversity-Dimensionen werden im Folgenden Präventionsbedarfe- und potenziale der betreffenden Lebensphase vertieft.

3.1 Geschlecht

Eine dieser Dimensionen stellt das Geschlecht beziehungsweise die geschlechtliche Identität dar. Es sei angemerkt, dass in der deutschen Sprache lediglich der Begriff „Geschlecht" verwendet wird. In der englischen Literatur dagegen bezieht sich der Begriff „sex" auf das biologische Geschlecht wohingegen mit dem Begriff „gender" die sozialen Rollen, Lebenslagen und Lebensweisen, Rechte und Pflichten, zugeschriebene Eigenschaften von Frauen und Männern sowie die Selbstwahrnehmung von Personen als männlich oder weiblich (Gender-Identität) bezeichnet werden.

[...]

Ende der Leseprobe aus 56 Seiten

Details

Titel
Betriebliche Gesundheitsförderung. Bedürfnisse und Potenziale des praktizierten Glaubens
Untertitel
Religion als Schutz- und Belastungsfaktor
Hochschule
Charité - Universitätsmedizin Berlin  (Public Health)
Veranstaltung
Handlungsansätze. der. Gesundheitsförderung
Note
1,3
Autor
Jahr
2019
Seiten
56
Katalognummer
V594700
ISBN (eBook)
9783346181848
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Gesundheitsförderung, Prävention, Religion, Glauben, Public Health
Arbeit zitieren
Philip Thrun (Autor:in), 2019, Betriebliche Gesundheitsförderung. Bedürfnisse und Potenziale des praktizierten Glaubens, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/594700

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