Fotorealismus - Begriff, Problem und Beispiele


Hausarbeit (Hauptseminar), 2006

33 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Begriffserklärungen und Geschichte
2.1. Realität
2.2. Realismus allgemein
2.3. Realismus in der Kunstgeschichte
2.3.1 Kennzeichen
2.3.2 Geschichte
2.4. Fotorealismus

3. Die Idee des Fotorealismus

4. Künstlerbeispiele
4.1. Ralf Goings
4.2. Richard McLean
4.3. Cuck Close
4.4. Richard Estes
4.5. Franz Gertsch
4.6. Malcolm Morley

5. Problem Objektivität

6. Problem Realität

7. Schluss

8. Abbildungen

9. Abbildungsverzeichnis

10. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„Befragung der Realität - Bilderwelten heute“, unter diesem Motto stand die fünfte Documenta im Jahre 1972 und war gleichzeitig der erste große Auftritt der Fotorealisten. Mitte der 60er Jahre entbrannte mit der zunehmenden Medialisierung eine Diskussion um Realität und Wirklichkeit. Somit wurde auch der Bildbegriff auf den Prüfstand gestellt und auf der Documenta V sah man die Fotorealisten im Kontrast zur sog. Nicht-Kunst wie dem Kitsch, der Werbung, politischer Propaganda und Science-Fiction. Dem offensichtlich Unwirklichen wurde die Realität des Fotorealismus gegenübergestellt.1

In dieser Abhandlung soll nun geklärt werden, in wie fern der Fotorealismus zur Diskussion um die Realität beigetragen hat, welche Ziele er verfolgte und ob diese erreicht wurden. Dazu werden im 2. Kapitel zunächst wichtige Begriffe erläutert und der geschichtliche Kontext dargestellt. Dies soll später als Werkzeug dienen, um Zusammenhänge besser zu verstehen. Anschließend werden die gemeinsame Grundidee und die Zielsetzungen des Fotorealismus formuliert. Kapitel 4 stellt beispielhaft sechs Künstler und deren Arbeitsweise vor. Dabei habe ich auf eine ausführliche Biographie verzichtet, um mich mehr auf die künstlerischen Inhalte und technischen Besonderheiten zu konzentrieren. Beim Vergleich der Künstler ergeben sich Probleme, welche die Einhaltung bzw. Erfüllung der gemeinsamen Idee betreffen. Formale Probleme werden im 5. Kapitel und inhaltliche Probleme werden im 6. Kapitel diskutiert. Zum Schluss lässt sich aber trotz des vermeintlichen Scheiterns ein gemeinsamer Nenner finden, der die Realitätsdiskussion dieser Jahre und die Documenta V bereichert hat.

2. Begriffserklärungen und Geschichte

2.1 Realität

„Als Realität oder Wirklichkeit wird allgemein die Gesamtheit des Realen bezeichnet. Real ist dabei das, was außerhalb unseres Denkens [...]“2, als mit den Sinnen wahrnehmbarer Gegenstand existiert, „[...] das heißt unabhängig vom nur Gedacht-Sein: Vorstellungen, Gefühle, Wünsche, Wahrnehmungen u.ä. gelten im Alltagsverständnis zunächst einmal als nicht der Realität zugehörig.“3

2.2. Realismus allgemein

„[...] der Wirklichkeitssinn, der sich im Gegensatz zum Möglichkeitssinn an den Tatsachen [...] oder Fakten orientiert. Zugehörig ist die Bezeichnung realistisch, die allerdings auch mit der Ansicht der Mehrheit und nicht immer mit der ‚ Wirklichkeit ’ zusammenhängt oder einen bildungspolitischen Nebensinn hat.“4

2.3. Realismus in der Kunstgeschichte

„Realismus, ist im weiteren Sinn eine im Verlauf der Kunstgeschichte mehrfach auftretende, die Wirklichkeit nachahmende künstlerische Darstellungsweise, die gegen stilisierende und idealisierende Tendenzen gerichtet ist.

Im engeren Sinne eine von Frankreich ausgehende Strömung der Malerei des 19. Jahrhunderts. Unter dem oft synonym gebrauchten Begriff Naturalismus versteht man heute eher eine detailgetreue Wiedergabe des Vorbildes ohne seine Interpretation.“5

2.3.1 Kennzeichen

Dem verklärenden Klassizismus und der emotional gefärbten Romantik folgt im 19. Jh. mit dem Realismus eine Annährung von Kunst und Lebens-wirklichkeit. Die Realisten wollen die Wirklichkeit nicht idealisiert oder vorformuliert darstellen, sondern suchen nach Wahrheit und Natürlichkeit.

Ihre Werke beruhen auf sachlicher Beobachtung der materiellen Wirklichkeit und entsprechen damit der zeitgenössischen Philosophie des Positivismus, welche nur das mit den Sinnen Wahrnehmbare als real betrachtete. Der Realismus erwächst aus dem Materialismus, dem Vernunftsglauben und der Rationalität der bürgerlichen Gesellschaft.

Es gibt keinen einheitlichen Stil innerhalb des Realismus. Die verschiedenen Facetten reichen von detailgenauen und penibel konstruierten bis hin zu stark vereinfachten, atmosphärischen Darstellungen.

In der Weiterentwicklung, ist es nicht mehr das Anliegen Realität im Bild zu verdoppeln, sondern die wahrnehmbare Realität zu verstärken und zu vertiefen, um die hinter den Dingen liegende, verborgene Wirklichkeit zu enthüllen. Das führt oft zu einer Vereinfachung oder Konstruktion von Realität.

Viele Künstler sehen in der realistischen Kunst eine gesellschaftliche Funktion. Es wird mit alltäglichen Motiven und einer einfachen Formensprache eine Demokratisierung von Kunst angestrebt. Themen aus der Bibel, der Mythologie und der Literatur werden gemieden, statt dessen malt man ländliche, städtische und industrielle Alltagsszenen und spricht damit eine neue, breitere Publikumsschicht an.6

2.3.2. Geschichte des Realismus

Auf Naturbeobachtung basierende, lebensnahe Darstellungen gab es schon in früheren Kunstepochen, z.B. in der Renaissance oder bei den Niederländern des 17.Jh.. Der auf die heimische Natur und Alltagsszenen konzentrierte Realismus entwickelt sich zwischen 1830 und 1870 fast überall in Europa und Nordamerika und wird von einer anfänglichen Unterströmung, im Revolutionsjahr 1848 (Februarrevolution in Frankreich, Märzrevolutionen in Deutschland und weiteren europäischen Staaten) zu einer internationalen Bewegung.

Durch bürgerliche und industrielle Revolutionen ausgelöste soziale Veränderungen, durch die Verstädterung sowie durch Demokratisierungs- und Einheitsbestrebungen entsteht das Bedürfnis „Das Gesicht der eigenen Epoche“ festzuhalten.

Der Begriff Realismus für diese Stilrichtung der Malerei wird 1855 von Gustave Courbet geprägt, als er vor den Toren der Pariser Weltausstellung, von der Ausstellungsjury abgelehnte Bilder in seinem Pavillon du R é alisme zeigt.

Im 20.Jh. entstehen, meist als Reaktion auf abstrakte und expressionistische Tendenzen, neue Formen des Realismus, zu denen u.a. der Magische Realismus und die Neue Sachlichkeit gehört.

Um 1960 erlebt der Realismus wieder einen neuen Aufschwung bei dem jedoch die Diskussion um die sekundäre Wirklichkeit der Medien in den Vordergrund tritt. Es entwickelt sich die Pop-Art und der Fotorealismus.7

2.4. Fotorealismus

Viele amerikanische und auch westeuropäische Künstler beschäftigen sich Mitte der 60er Jahre mit einer neuen gesteigerten Darstellung des Realen.

Mit verschiedenen Techniken übertragen sie Fotos auf Leinwand. Diese Bilder werden durch Experimentieren mit extremen Perspektiven, Weitwinkeleffekten und überscharfer Figuration, komplizierten Spiegelungen und einer gesteigerten Sichtbarkeit (also penible Details) manipuliert.8 Dargestellt werden meist banale und urbane Themen aus dem Alltagsleben der Künstler.

Es tauchen neue Begriffe, wie Super Real, Magic Real, Sharp Focus, Radical Real und Romantic Real auf, um diese spezielle Richtungen des Realismus zu differenzieren, sie sind jedoch zweideutig und austauschbar. Louis K. Meisel prägt, auf Grund des Erscheinungsbildes und der Methode den Begriff des Fotorealismus in Amerika. Er nennt den Begriff Fotorealismus erstmals 1970 im Vorwort des Ausstellungskataloges zur Ausstellung „22 Realisten“ im Whitney Museum. Dies ist gleichzeitig der erste Versuch eines New Yorker Museums, den neuen Fotorealismus zu präsentieren.9

In Europa wird der Begriff des Fotografischen Realismus durch die Dokumenta V 1972 geprägt, in deren Ausstellungskatalog auch allgemeinverbindliche Kriterien für den Fotorealismus aufgestellt werden:

a) Die Vorlage bildet „[...] fast immer ein Foto oder ein Diapositiv.
b) Durch die Wahl der fotografischen, auf die Bildunterlage projizierte Vorlage, wird die traditionelle Komposition ersetzt.
c) Das handschriftliche Merkmal tritt völlig zurück.
d) Der Bildgegenstand wird entsprechend der Vorlage präzise wiedergegeben.
e) Die Motive entstammen prinzipiell dem Alltag des Künstlers und seiner Umgebung.
f) Die fotografische Unterlage ist nicht ein Hilfsmittel, sondern die bewusste Ausgangssituation für das Bild eines Bildes [...].“10

Wenn man die Charakteristika und Schwerpunkte der Documenta V untersucht, fällt auf, dass man durchaus Parallelen zwischen der Entwicklung der Epoche des Realismus, um 1830 in Frankreich und der Entwicklung des Neuen Realismus der 60er Jahre finden kann.

Der künstlerische Leiter Szeemann der Documenta V beschreibt die Kunst primär als Ausdruck sozialer Phänomene und fragt nach der gesellschaftlichen Verantwortung von Kunst.11 Nun muss man sich bewusst machen, in welche Zeit die fünfte Documenta fällt. Man denke an die 68er-Revolution, Studentenbewegung und die Entspannungspolitik des Kalten Krieges, eine Zeit in der sich die Welt politisch und sozial neu definierte. Eine Bildungsreform wird angestrebt und auch die Kunst soll nicht nur von einer kleinen Elite bewahrt oder verstanden werden, wie das noch häufig in der modernen Kunst der Fall war.

Szeemann zeigt Werke aus den Grenzbereichen der Kunst, wie z.B. Werbung, politische Propaganda, Science-Fiction, Trivialkunst oder Kitsch und trägt damit zu der in den 70er Jahren geführten Diskussionen zu Abbild und Wirklichkeit bei.

So fordert die politische und soziale Neuordnung der Gesellschaft im 20.Jh., gleich dem vorangegangenen Jahrhundert, eine Neustrukturierung und Neudefinierung des Begriffes der Realität, zu der auch der Fotorealismus beiträgt.

Die Hochphase des Fotorealismus beginnt schon Mitte der 60 Jahre. Es stellt sich also die Frage, wieso der Fotorealismus nicht schon auf der Documenta IV 1968 vorgestellt wurde. Das lässt sich damit begründen, dass die Documenta nur gefestigte und etablierte Positionen vorstellt und sich nicht als Experimentierbühne sieht. So reagiert die Documenta zeitlich immer etwas verzögert auf aktuelle Kunstströmungen.

3. Die Idee des Fotorealismus

„Mit der Abbildung gesellschaftlicher Realitäten wurde immer wieder ein politischer Anspruch verbunden, bis hin zur Instrumentalisierung der Kunst durch politische Systeme.“12 Ein weiterer Vorwurf ist auch, dass figurative realistische Kunst dem Massengeschmack nahe stehe und vom Interesse der Konsumgesellschaft beherrscht werde.13

Um 1960 ist die Kamera noch immer kein allgemein anerkanntes künstlerisches Medium, sondern ihr dokumentarischer Charakter steht nach wie vor im Vordergrund. Diesen Aspekt, machen sich die Fotorealisten mit dem Ziel zu nutze, völlig objektive, nicht interpretierte, wertfreie und unpolitische Bilder zu malen. Wie auch die Presse Fotos benutzt, um angeblich wertfrei Bericht zu erstatten und zu dokumentieren. Es soll keine Wirklichkeit mehr konstruiert werden wie im bisherigen Realismus, keine Ikonen sollen angepriesen werden, wie in der Pop-Art, es soll nur noch abgebildet werden um die einzig wahre Realität aufzuzeigen. Die eigentliche Idee ist quasi ein „Fotonaturalismus“14, mit deren Hilfe man die Realität befragen will.

Doch wieso malen Fotorealisten nicht nach der Natur, sondern verlassen sich auf die sekundäre Wirklichkeit der Fotografie? Die Fotorealisten nehmen diesen Umweg in kauf, da das malen nach der Natur deren gewünschte Objektivität nicht erlaubt. Es werden praktische Vorteile wie der Verzicht auf die Skizze und die Komposition, die Statik des Models und der Zeit, sowie die ständige Verfügbarkeit genannt. Die Skizze entspricht nämlich schon wieder einer subjektiven Verarbeitung und damit Verfälschung der Realität, dazu gehört auch die Komposition. Mit der Kamera wählen die Fotorealisten einfach nur Ausschnitte aus, es entstehen spontane Schnappschüsse.

Tom Blackwell beispielsweise könnte seine Motorräder (als Beispiel Abb.1) nicht nach der Natur malen. Auch wenn das Motorrad an sich ein dankbar stillstehendes Model ist, würden sich in der Umgebung das Gras oder die Bäume im Wind bewegen, das Licht würde sich im Tagesverlauf ständig ändern und damit die Farben und der Schatten. Wenn sich der Künstler selbst bewegt, würden sich die Spiegelungen auf Chrom und Lack verändern. Man muss bedenken, dass je nach

Künstler bei einem Bild im üblichen großen Format, mit einer Arbeitszeit von ca. einem Monat bis einem Jahr zu rechnen ist. So ist es unmöglich Stadtansichten oder gar Menschen nach der Natur, in vergleichbarer Art zu malen.

Doch werden die Fotorealisten ihrem Ziel gerecht? Funktioniert die wertfreie Übertragung der Realität ins Bild? Wenn ja, warum malen sie dann überhaupt und ersetzen das Gemälde nicht durch ein großes Foto?

Und welche Realität ist eigentlich gemeint? Die Realität dessen, was auf dem Foto zu sehen ist, oder die Realität des Fotos selbst - oder gar die neu entstandene Realität des Gemäldes?

Um diese Fragen zu klären, werden zunächst sechs Fotorealisten und deren Arbeitsweise vorgestellt.

[...]


1 Goethe-Institut Magazin Kubus (Hrsg.), Kubus 7 - 40 Jahre documenta, 1997. http://www.goethe.de/wis/pre/kub/kub/kwa/997/de155704.htm, Stand: 20.04.2006.

2 Wikipedia, Stichwort: Realit ä t, http://de.wikipedia.org/wiki/Realit%C3%A4t, Stand: 09.04.2006.

3 Wikipedia, Stichwort: Realit ä t, (wie Anm. 2).

4 Wikipedia, Stichwort: Realismus, http://de.wikipedia.org/wiki/Realismus, Stand: 09.04.2006.

5 F.A. Brockhaus GmbH (Hrsg.), Der Brockhaus. Kunst. K ü nstler, Epochen, Sachbegriffe, Leipzig/Mannheim: F.A. Brockhaus 2001, S.939ff.

6 Vgl. F.A. Brockhaus 2001 (wie Anm.5), S.939f.

7 Vgl. F.A. Brockhaus 2001 (wie Anm.5), S.940ff.

8 E. A. Seemann Kunstverlagsgesellschaft mbH (Hrsg.), Lexikon der Kunst. Architektur. Bildenden Kunst. Angewandte Kunst. Industrieformgestaltung. Kunsttheorie (Bd.5 Mosb-Q), Leipzig: E. A. Seemann Verlag GmbH 1993, S.585.

9 S.12. Louis K. Meisel, Fotorealismus - Malerei des Augenblicks, Luzern: Atlantis Verlag AG 1989

10 Documenta GmbH (Hrsg.), Documenta 5. Berfagung der Realit ä t. Bilderwelten heute, Kassel: Paul Dierichs KG & Co Druck + Verlag 1972, Punkt 15.1f.

11 Hessischer Rundfunk Online (Hrsg.), Reales im Zeichen von Micky Mouse (ncr), Stand: 28.05.2005, http://www.hr-online.de/website/rubriken/kultur/index.jsp?rubrik=12144

12 Reinhard Spieler, Samuel Vitali (Hrsg.), Franz Gertsch. Die Retrospektive, Ostfildern-Ruit: Hatje Cantz Verlag 2005, S.29.

13 Vgl. Reinhard Spieler, Samuel Vitali 2005 (wie Anm.12), S.29.

14 Vgl. Reinhard Spieler, Samuel Vitali 2005 (wie Anm.12), S.31.

Ende der Leseprobe aus 33 Seiten

Details

Titel
Fotorealismus - Begriff, Problem und Beispiele
Hochschule
Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart
Veranstaltung
Hauptseminar: Kunst und Illusion - optische Themen in der Malerei
Note
2,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
33
Katalognummer
V59434
ISBN (eBook)
9783638533751
Dateigröße
2012 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Umfangreicher Anhang enthalten
Schlagworte
Fotorealismus, Begriff, Problem, Beispiele, Hauptseminar, Kunst, Illusion, Themen, Malerei
Arbeit zitieren
Benjamin Thaler (Autor:in), 2006, Fotorealismus - Begriff, Problem und Beispiele, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/59434

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