Das Unheimliche in "Der Sandmann" von E.T.A Hoffmann


Hausarbeit (Hauptseminar), 2015

18 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einführung

2. Epochentypische Unheimlichkeit und die Strukturelle Ambivalenzen im Textaufbau

3. Inhaltliche Verunsicherung: Das Unheimliche im Text und zwischen den Zeilen

4. Schluss

5. Literaturverzeichnis

1. Einführung

„Das in den Erzählungen mehrfach bezeichnete Gefühl des Unheimlichen tritt in unterschiedlichen Ausprägungen auf. Es dominiert eiheimlichen tritt in unterschiedlichen Ausprägungen auf. Es dominiert einerseits die Unentscheidbarkeit zwischen Lebendem und Totem, die im Sandmann und im Öden Haus aus dem visionären Blick der Protagonisten entsteht. Die Totenlarve Hermenegildas im Gelübde spielt mit der Erinnerung daran. Andererseits ist es die Wiederholung traumatischer Urszenen oder Bilder, deren Unheimlichkeit sich als nicht zu bannender Effekt und Erzählanreiz einstellt“1

Was macht den „Sandmann“ E.T.A. Hoffmanns dunkel2 und unheimlich? Wodurch wird Unwohlsein und Unbehagen verursacht? Um dieser Frage im Folgenden auf den Grund zu gehen, betrachten wir zunächst die Begrifflichkeit selbst. Die Bedeutung von „heimlich“, erhält nach Freud3 folgende Bedeutungen:

1. Auch Heimelich, heimelig, zu Hause gehörig, Vertrautes, nicht fremd, etc.
2. Versteckt, verborgen gehalten, so dass man Andere nicht davon oder darum wissen lassen, es ihnen verbergen will, etc.

Also, das Vertraute und das Versteckte, Verborgen gehaltene. Ein Aspekt dieses Ausdrucks mag somit sicherlich das Fremde bewirken. Dinge, die uns nicht vertraut sind, die ‚anders‘ sind, können den Eindruck etwas Unheimlichen vermitteln. Nach Jentsch4 entstünde dieses Unheimliche Gefühl durch ‚intellektuelle Unsicherheit‘, etwas, worin man sich nicht auskennt; Man fürchtet also das Unbekannte, womit wir wieder beim ‚Fremden‘ sind. Dies ist jedoch kein chronischer Zustand, sondern kann in der Tat überwunden werden5, zeitgen ö ssischer Kinder- und Jugendb ü cher. Juventa wenn man sich genauer mit der Materie auseinander zusetzen wagt. ‚Unheimlich‘ beinhaltet ‚heimlich‘6, also etwas, dass uns vertraut ist, dessen Herkunft wir wahrscheinlich kennen und bei dem man sich ‚heimatlich‘ fühlen kann.

Unheimlich spricht somit das Gegenteil aus, etwas nicht vertrautes, mit anderen Worten; fremdes. Hierbei gilt es jedoch zwischen verschiedenen Arten der Fremdheit zu unterscheiden; zum einen jene Fremdheit, die überwunden werden kann, und zum anderen eine Art strukturelle Fremdheit. ‚Fremd‘ und ‚anders‘ können hierbei Hand in Hand gehen, denn das ‚Andere‘ ist immer jenes, welche nicht das ‚Eigene‘ ist, mir somit also durchaus ‚fremd’ sein kann. Während die Fremdheit jedoch vergänglich sein kann, in dem Ich mir das Unbekannte vertraut mache, wird das ‚Andere‘ niemals aber das Eigene sein, und somit unverändert bleiben, man kann lediglich eine geeignete Umgangsform mit diesem ‚Anderen’ finden, sodass es nicht mehr ‚unheimlich‘ wirken mag. Ist es also eine Frage der Unmöglichkeit, den Sandmann als Heimlich zu betrachten und die Fremdheit gar zu überwinden?

Freud beschreibt den Begriff ‚Unheimlich‘ mit den Worten; das Unheimliche sei jene Art des Schreckhaften, welche auf das Altbekannte, Längst vertraute zurückgeht. Somit sei das Unheimliche nicht als Gegenteil des Heimlichen zu sehen, doch soll auch diese Möglichkeit erläutert werden, denn offensichtlich spiegelt das Wort „Unheimlich“, mit dem Wort ‚Heimlich‘, neben dem Aspekt des ‚Heimlichen‘, im Sinne des heimatlichen, auch etwas ‚Geheimes‘ wider. Dieses ‚Heimliche‘ finden wir auch im „Sandmann“ wieder, da der Vater ‚geheime‘ Versuche mit dem Advokat Coppelius unternimmt, aber auch insofern, als dass das Phänomen des Sandmanns als solches eine Art Geheimnis darstellt, denn es wird dem Kindlichen Nathanael lediglich eine Geschichte über ein solches Wesen erzählt, da es heißt:

„Das ist ein böser Man, der kommt zu den Kindern, wenn sie nicht zu Bett gehen wollen und wirft ihnen Händevoll Sand in die Augen, dass sie blutig zum Kopf herausspringen, die wirft er dann in den Sack und trägt sie in den Halbmond zur Atzung für seine Kinderchen; die sitzen dort im Nest und haben krumme Schnäbel, wie die Eulen, damit picken Sie der unartigen Menschenkindlein Augen auf.“7

Dessen wahre Identität, soweit man von einer solchen sprechen mag, bleibt durchgehend ‚geheim‘ und erhält lediglich vom Protagonisten selbst eine Verkörperung. Diese Figur des ‚Sandmanns‘, den Nathanael also quasi selbst erschaffen hat, bringt zudem das ‚Heimliche‘, im Sinne des ‚Geheimen‘ mit, als auch die Zerstörung des ‚Heimlichen‘, im Sinne des ‚Heimatlichen‘, da er im Kindheitshaus erscheint und dieses ‚Unheimlich‘ macht, er löst Unbehagen aus und nimmt den Kindern die Freude an den Dingen im eigenen Haus, in dem er diese berührt8.

2. Epochentypische Unheimlichkeit und die Strukturelle Ambivalenzen im Textaufbau

E.T.A Hofmanns „Der Sandmann“ wird heute in die Epoche der Romantik eingeordnet, genauer betrachtet in dessen ‚unheimliche‘ Seite; die dunkle Romantik9. Typisch für diese, deren Name allein Grund genug Begründung für etwas ‚Unheimliches‘ bietet, sind Merkmale wie Irrationalität, Melancholie und Wahnsinn. Betrachten wir einmal diese Worte für sich; irrational, mit diesem Begriffsbezeichnung drücken wir bereits aus, dass etwas nicht ‚rational‘ geschieht, das heißt also, der Verstand und das sogenannte ‚Logische Denken‘ versagen in der Umsetzung der Handlung. Es ist nicht ‚rational‘, sondern ‚irrational‘, ein „Irrtum“ also? Man könnte diesen Begriff durch aus im Metaphorischen, wie sprachlichem Sinne auf einen ‚Irrtum‘ hinführen, eine Art ‚Irrtum‘ der Denkweise, des Versandes, die sich durchaus auch im „Sandmann“ immer wieder finden lässt. So scheint es zunächst eine Verwechslung, ein sogenannter ‚Irrtum’ zu sein, als Nathanael den Wetterglashändler für den Sandmann hält.

Im Laufe der dramatischen Geschehnisse wird sich dieser anscheinliche ‚Irrtum‘, dessen Wahrheitsgehalt auf verschlüsselter und beinahe ‚unheimliche‘ Weise zu einer absoluten Irrationalität der Ereignisse an sich führen wird, in einen ‚Wahnsinn‘ verwandeln, der das ‚Böse‘, als Ausdruck der Epoche vollkommen macht. Um die Begrifflichkeiten zu veranschaulichen, sollte man nun an Hand der Literarischen Ebene auf diese Merkmale der ‚unheimlichen Schauerromantik’ eingehen und unter das eigene ‚Auge‘ nehmen, das ebenfalls für die Geschichte von Bedeutung sein wird, und ein Bildnis selbst für das ‚Unheimliche‘ dieser Dramatischen Geschichte darstellt, auf welche Ich jedoch erst später noch einmal zu sprechen kommen möchte.

Das Epochentypische betreffend, wird uns in „Der Sandmann“, zur Unterstreichung des ‚Dunklen‘ und ‚Bösen‘, noch ein Gegenbeispiel geboten, denn wie könnte man das Negative besser hervor zeichnen, als durch einen Vergleich mit dem offensichtlichen „Gutem“, das in Hoffmanns Werk durch die Aufklärerische Clara dargestellt wird. Nicht nur, dass Aufklärung und Romantik ohnehin einen Epochenwiderspruch bieten, da sich die Aufklärung auf die Rationalität, im Gegensatz zur Irrationalität beruft, sondern auch durch die Verkörperung dieser Typischen Merkmale, in den beiden Protagonisten. Clara und Nathanael könnten im Grunde verschiedener nicht sein, es sprechen durch ihre Münder Versand gegen Irrsinn, Glaubhaftigkeit gegen Wahnsinn. Auch dies sei erläutert; so beschreibt Erzähler Nathanael mit dem passenden Beispiel „Er versank in düsteren Träumereien“10. Das nicht als ‚rational‘ zusehende „Träumen“ wird zugleich mit der Eigenschaft des ‚Düsteren‘ beschrieben, welches im Hinblick auf die Dunkle Romantik für sich zu sprechen scheint.

Clara dagegen, deren Versand im Gegenbild zu solcher Irrationalität steht „war diese mystische Schwärmerei im höchsten Grad zuwider“.11 Sie sieht die Dinge rationaler und spricht dieses Nathanael gegenüber auch offen.

„Gerade heraus will ich es dir gestehen, dass, wie ich meine, alles Entsetzliche und Schreckliche, wovon du sprichst, nur in deinem Inneren vorging, die wahre wirkliche Außenwelt aber daran wohl wenig teilhatte“12.

Es scheint als würde die „gute“ Clara den Versuch unternehmen, den Geliebten von dem scheinbar ‚Bösen‘ abzubringen, und durch überzeugende Argumente umzustimmen, dass er vom Wahnsinn ablasse. Dieser Versuch scheitert jedoch, denn Aufklärung und Dunkle Romantik wollen nicht gemischt werden, und so sind bereits zu Beginn der Geschichte die Schicksale Beider festgeschrieben, und entsprechen somit ironischer Weise doch einer Art chronologischen Reihe von Geschehnissen, der Anachronie in der Chronologie, nämlich eben so, als dass das Ende des Buches an solcher Stelle stehen muss.

Auf diese Begrifflichkeit der Anachronie möchte Ich nun im Hinblick auf die Struktur des Werkes näher eingehen.

So kann man durchaus davon sprechen, dass die uneinheitliche Erzählweise im „Sandmann“ durchaus zu einer Art ‚unheimlichen‘ Verwirrung sorgen kann. Es fällt auf, dass der Sandmann nicht in chronologischer Reihenfolge verfasst ist, im Gegenteil kann man gar von einem Auf- und Ab der Zeit sprechen. Die zu Beginn auftauchenden Briefe von Nathanael an seinen Freund und Bruder der Verlobten, Lothar, sowie die Antwort von der Verlobten Clara selbst, scheinen zunächst eine Art Einleitung zum Verlauf des Buches darzustellen, doch selbst diese stehen nicht direkt vor dem Geschehenen, sondern sind zum einen Teil dessen, zum anderen gleichermaßen Rückblickend wie Zukunftsbezogen.

Die Vorstellung, die Briefe als Einleitung zu betrachten entsteht deswegen lediglich durch ihre Position am Buchanfang, von der wir fälschlicherweise meist glauben, sie müsse zwangsläufig der Beginn sein, was aber auf Grund der Verwendung von anachronischer Erzählstruktur verworfen werden müsste, sowie durch die Meldung des Erzählers, der seinen Anfang in den folgenden Seiten zu erklären versucht und uns alternative Einleitungen nennt, sodass die Briefe dadurch als eine solche betitelt werden13. Doch was macht die Anachronie im „Sandmann“ aus? Von Anachronie ist zu sprechen, wenn etwas nicht der chronologischen Reihenfolge entspricht. Beim ersten Lesen geht selbst der Leser meist davon aus, dass ihm die Geschichte in der ‚richtigen‘ Reihenfolge, also von Vorne bis Hinten, Anfang bis Ende, erzählt würde, meist entdecken wir dann erst bei einem weiteren Leseversuch, dass uns bisher unverständliche Dinge viel klarer erscheinen, verwerfen wir einmal die erste, naive Annahme, man liefere uns die Ereignisse chronologisch. Dies geschieht auch beim „Sandmann“, betrachten wir einmal die Prolepsen in der Geschichte. Ironischerweise lassen sich Vorausdeutung meist erst rückwirkend erkennen. Eine solche Proplepse, oder Vorausdeutung, wird manchmal schneller, manchmal langsamer und damit später aufgelöst. Ein Beispiel für eine solche schnelle Auflösung erkennen wir, als „der Sandmann“ erneut das Haus Nathanaels Kindheit betreten soll und der Vater spricht „Zum letzten Male kommt er zu mir, ich verspreche es dir“.14

Anmerkung: Auf den folgenden Seiten, wird der Erzähler zusätzliche Informationen zu Nathanel, Clara und Lothar anmerken, diese sind eine Art Rückblick, die in die scheinbar gegenwärtige Erzählung eingebettet werden. Der Erzähler scheint in diesem Moment gegenwärtig, grundsätzlich allgegenwärtig, denn er kennt die ganze Geschichte, am Ende weiß er sogar von Claras Zukunft. Er scheint eine Art auktorialer Erzähler zu sein, was seine Einordnung in ein Chronologisches- bzw. ein Zeitschema an sich unmöglich zu machen scheint.

[...]


1 Kremer, Detlef (Hrsg.). E.T.A. Hoffmann: Leben - Werk -Wirkung. 2. erw. Auflage. De-Gruyter-Lexikon. Berlin, 2010

2 E.T.A. Hoffmanns Werk wird dem dunklen Teil der Romantik zugeschrieben, der sog. schwarzen Romantik.

3 Vgl. Freud, Sigmund: Das Unheimliche. In: Psychologische Schriften. Studienzugabe. Bd. 4, Hrsg. von Alexander Mitscherlich. Frankfurt a.M. 1970. S.241-274

4 Jentsch, Ernst Anton. Zur Psychologie des Unheimlichen. Psychiatrisch-neurologische Wochenschrift 8 (1906), 22, S. 195-198, 203-205

5 Diese Ideen basieren auf das Wissen anderer Arbeiten zum Thema „ Das Fremde und das Andere “ Vgl. B ü ker, Petra. Kammler, Clemens (Hrsg.): Das Fremde und das Andere, Interpretationen und didaktische Analysen

6 Freud, Sigmund: Das Unheimliche. In: Psychologische Schriften. Studienzugabe. Bd. 4, Hrsg. von Alexander Mitscherlich. Frankfurt a.M. 1970. S.241-274.

7 Hoffmann, E.T.A: Der Sandmann. Hrsg. von Rudolf Drux. Stuttgart: Reclam, 2004 - Nach dieser Ausgabe wird zitiert. S.5 Z. 13-20.

8 Hoffmann, E.T.A: Der Sandmann. Reclam. S. 8 Z. 3-9

9 Vgl. Literatur zur „schwarzen Romantik“: Praz, Mario: Liebe , Tod und Teufel: d. schwarze Romantik. Übers. aus dem Ital. von Lisa Rüdiger. 3.Auflage, Dt. Taschenbuch-Verlag. München, 1988. Vieregge, André. Nachtseiten: die Literatur der Schwarzen Romantik. Peter Lang Verlag. Frankfurt a.M., 2008

10 Hoffmann, E.T.A.: Der Sandmann, Reclam. S.21, Z.23

11 ebd. S. 21, Z. 36f.

12 S. 13, Z. 23ff

13 Vgl. Hoffmann, E.T.A.: Der Sandmann. S. 17. Z.32 ff.

14 S. 11. Z.5f.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Das Unheimliche in "Der Sandmann" von E.T.A Hoffmann
Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main
Note
2,0
Autor
Jahr
2015
Seiten
18
Katalognummer
V591399
ISBN (eBook)
9783346200822
ISBN (Buch)
9783346200839
Sprache
Deutsch
Schlagworte
hoffmann, sandmann, unheimliche
Arbeit zitieren
Maike Egidi (Autor:in), 2015, Das Unheimliche in "Der Sandmann" von E.T.A Hoffmann, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/591399

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Das Unheimliche in "Der Sandmann" von E.T.A Hoffmann



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden