Das Gänslein - Versuch einer Dramatisierung der mittelhochdeutschen Versnovelle


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

23 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Überlieferung

Literarhistorische Einordnung

Motivgeschichte

Zum Gänslein und dessen immanenter Motivik

Dispositionsschema

Dramenschema nach Gustav Freytag

Überführung des Märe in eine dramatische Struktur

Schlussfolgerung

Literaturverzeichnis

Im Anhang: Das Gänslein. Ein moralisierender Schwank in drei Akten.

Bei der Lektüre des Märe des „Gänslein“ und der vorausgegangenen Überlegung, dramatische Strukturen und dramatisierende Elemente dieser mittelalterlichen Versnovelle, mit dem Hintergrund einer dem Satz als solches immanenten Dramatik herauszuarbeiten, wurden zunächst dramentypische Züge erkennbar, indem eine szenische Unterteilung des Märe bereits in diesem angelegt waren. Durch die, einem jeden Märe eigene, Instanz des Erzählers und durch eine mehr oder weniger dichte Dialogizität der handelnden Personen, wäre eine weitere Grundlage der Theatralität geschaffen.

In dieser Arbeit stelle ich mir die Aufgabe, das Märe des „Gänslein“ in eine dramatische Struktur, bis hin zu einem dramatischen Text mitsamt Regieanweisungen, Bühnengestaltung und Dialogen der Akteure zu überführen, wobei sich mir die Frage einer tatsächlichen Aufführbarkeit dieser Versnovelle stellt. Neben der Überlieferungsgeschichte, der literarhistorischen Einordnung des Märe und seiner Motivgeschichte, werde ich das Hauptaugenmerk auf die Theatralität dessen richten und vor allem auf eine dramatische Umsetzung, welche im Anhang dieser Arbeit ausgeführt ist.

Überlieferung

Entstanden in der Umgebung bekannter deutscher Märendichter des 13. Jahrhunderts, verbleibt der Autor der Versnovelle „Das Gänslein“ anonym. Dennoch ist „das Märe in sechs der großen Märenhandschriften überliefert“[1]. Während sich die Versionen der Heidelberger und der Münchner Handschrift „mit unterschiedlichem Versbestand und zahlreichen Formulierungsvarianten gegenüber“[2] stehen, ordnet sich die Genf-Kalocsaer Handschrift „relativ unabhängig zwischen diesen beiden Versionen“[3] ein. In der Karlsruher Handschrift lassen sich eigene Hinzufügungen finden, doch ist eine größere Anzahl von Veränderungen und Umdichtungen in der Wiener Handschrift befindlich. Die um 1320/30 einsetzende Überlieferung ist „in der Handschrift des Michael de Leone eng mit einer wohl frühen Teilsammlung von Stricker-Kleindichtungen verbunden“, welches für die „Entstehung in der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts spricht“[4]. Dass sich diese „in alemannischem Gebiet“ vollzog, wird aufgrund der Nennung von „Swâben“ angenommen.

Literarhistorische Einordnung

Die mittelalterliche epische Kleindichtung erlebte im 13. Jahrhundert eine wahre Blütezeit und weite Verbreitung. Nicht nur im deutschen Sprachraum, auch im englischen, italienischen und französischen findet die Schwankliteratur als autonome Gattung der mittelalterlichen Novellistik ein breites Publikum[5]. Vornehmlich dienten ihr die französischen Fabliaux als Vorbilder. Der „Inhalt bewegt sich fast durchgängig in der sexuellen Sphäre; es ist die „Minne“ in ihrer vorweg geschlechtlichen Bedeutung, die hier in verschiedenen Schattierungen bis zum widerlich Obszönen auftritt.“[6] Doch nicht nur aus dem Französischen, auch „aus dem 9.Jh. sind uns Schwänke in lateinischer Sprache erhalten, die uns dann im 13. Jh. im Deutschen als versifizierte Schwänke wiederbegegnen“[7].

Langsam löste sich das soziale Gefüge, die Ständeordnung gegen Ende des 13. Jahrhunderts auf. Zu dieser Zeit entstand die Versnovelle „Meier Helmbrecht“ um ein bäuerliches Familienschicksal. Zum ersten Mal stand der niedere Stand im Blickfeld des literarischen Interesses. Nicht nur das bäuerliche und bürgerliche Leben, auch der geistige Stand wurde von nun an schärfer beleuchtet. Um sich kritisch nicht nur mit dem Klerus auseinander zusetzen, bediente man sich satirischer Verschriftlichung. Nicht mehr wurde gesagt, was recht, sondern schonungslos dargestellt, was falsch und unrecht sei. Dadurch, dass keine Idealtypen mehr aufgestellt wurden, sondern typische Antiideale, fand der unterhaltende komische Schwank seinen Platz in der frühen deutschen Dichtung.[8]

Auch in niedergeschriebenen Predigten lassen sich schwankhafte Formen erkennen. Hans-Joachim Schiewer stellt anhand einer Predigt, die um 1200 schriftlich fixiert wurde und als Märe Bezeichnung findet, fest, dass „das Exemplum – anders als biblischer Text – in der Predigt nicht allegorisch ausgelegt, sondern nur illustrativ, und bestätigend für biblische Aussagen genutzt“ wird. Also „wird eine Geschichte erzählt, um eine Lehre zu geben.“[9] In den Predigtmärlein wird der Versuch unternommen, einen Bezug zwischen dem Erzählten und der Lebenswirklichkeit der Zuhörer herzustellen. Hier finden sich Parallelen zum Schwank, der durch die Darstellung überspitzter Charaktertypen in bekanntem Umfeld aufzuzeigen versucht, wie gesellschaftliche, ständische und moralische Übertretungen nunmehr in Unglück, Verlust des Ansehens, oder im schlimmsten Falle in Tod und Verdammnis enden.

Heinz Rupp betont eine weitere Gemeinsamkeit von Predigt und Schwank, denn „auch in lateinischen Predigtsammlungen tauchen Schwankmotive auf, die die Prediger als Warnung oder zur Abschreckung in ihre Predigten eingebaut haben.“[10] Die Themen der Schwankdichtung kreisen stets um die Themen der Liebe, der Sünde, der menschlichen Triebe allgemein und möchten nicht selten das Publikum zum Lachen auffordern.

Motivgeschichte

Da sich die deutsche Schwankliteratur von ihren Themen kaum unterscheidet, lassen sich in einigen Mären Erzählungen finden, die sich mit dem Motiv der Verführung und der erotischen Naivität auseinandersetzen. Das Motiv des unerfahrenen jungen Mannes, im Märe des „Gänslein“ ein junger Mönch, erscheint im 11. Jahrhundert erstmals schriftlich belegt in griechischer Sprache, im 12. Jahrhundert in lateinischer Sprache. Rudolf von Ems bearbeitete den ehemals indischen Stoff „Barlaam und Josaphat“ um 1220/30. In der Erzählung wird dem heidnischen König geweissagt, dass sein Sohn Josaphat einst Christ werden würde und um ihn davon abzuhalten, lässt der Vater den Prinzen fern von der Welt aufziehen. Josaphat lernt durch die Begegnung mit einem Aussätzigen, einem Blinden und einem Greis doch Alter, Krankheit und Tod kennen. Der Einsiedler Barlaam kann den jungen Josaphat von der christlichen Lehre überzeugen. Schließlich bekehrt der Christ Josaphat seinen Vater und sein Volk, verzichtet auf die Herrschaft und wird Einsiedler.

Bereits in der ersten schriftlichen Überlieferung des Stoffes wird die Motivik klar erkennbar. Ein Jüngling wird weitab des wirklichen Lebens erzogen und erfährt dennoch all die Dinge, vor welchen er geschützt werden sollte. Eine weitere Überlieferungsvariante des Motivs der erotischen Naivität findet sich in der Legenda Aurea, welche vor 1267 datiert ist. Hier möchte der Königssohn den Namen der Weiber erfahren. Aber des Königs Schwertträger sprach scherzhaft, dass das böse Teufel seien, die die Männer verführten. Auf die Frage seines Vaters, was ihm am liebsten wäre von den Dingen, die er gesehen hatte, antwortete der Sohn: „Was anderes, Vater, als jene Teufel, die die Menschen verführen; denn von keinem Ding ist meine Seele entbrannt, denn von ihnen.“[11] Was in der Version von Barlaam und Josaphat noch die Furcht vor dem Christentum bedeutete, findet nun eine genaue Begrifflichkeit. Es sind die Frauen, welche verführen, die Seele einnehmen und Sünde begünstigen. Die scherzhafte Fehlbenennung der weiblichen Personen durch den Schwertträger findet sich im „Gänslein“ wieder.

[...]


[1] Grubmüller, Klaus (Hrg.). Novellistik des Mittelalters, Märendichtung. In: Haug, Walter (Hrg.). Bibliothek des Mittelalters. Frankfurt am Main, 1996. Seite 1237

[2] ebda. Seite 1237

[3] Grubmüller, Klaus (Hrg.). Novellistik des Mittelalters, Märendichtung. In: Haug, Walter (Hrg.). Bibliothek des Mittelalters. Frankfurt am Main, 1996. Seite 1238

[4] ebda. Seite 1239

[5] Rupp, Heinz. Schwank und Schwankdichtung in der deutschen Literatur des Mittelalters. In: Schirmer, Karl-Heinz (Hrg.). Das Märe. Die mittelhochdeutsche Versnovelle des späteren Mittelalters. Wege der Forschung. Band 558. Darmstadt, 1983. Seite 34 ff.

[6] ebda. Seite 35

[7] ebda. Seite 41

[8] nach: Fricke, Gerhard; Schreiber, Mathias. Geschichte der deutschen Literatur. Paderborn, 1974.

[9] Schiewer, Hans-Jochen. Ein maere ist daz. Narrative Exempla in der frühen deutschen Predigt. In: Haferland, Harald; Mecklenburg, Michael (Hrsg.). Erzählungen in Erzählungen. Phänomene der Narration in Mittelalter und Früher Neuzeit. München, 1996. Seite 202

[10] Rupp, Heinz. Schwank und Schwankdichtung in der deutschen Literatur des Mittelalters. In: Schirmer, Karl-Heinz (Hrg.). Das Märe. Die mittelhochdeutsche Versnovelle des späteren Mittelalters. Wege der Forschung. Band 558. Darmstadt, 1983. Seite 41

[11] Theisen, Joachim. „Sie heißen Gänse?“. Zum Programm des Decameron. In: Brinkmann, Richard; von Graevenitz, Gerhart; Haug, Walter (Hrsg.). Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte. Band 66. Weimar, 1992. Seite 614

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Details

Titel
Das Gänslein - Versuch einer Dramatisierung der mittelhochdeutschen Versnovelle
Hochschule
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Veranstaltung
Hauptseminar
Note
1,5
Autor
Jahr
2005
Seiten
23
Katalognummer
V58927
ISBN (eBook)
9783638529907
ISBN (Buch)
9783656796510
Dateigröße
514 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Der mittelhochdeutsche Schwank "Das Gänslein" ist anonym überliefert. In dieser Arbeit unternahm ich den Versuch, die Versnovelle mit dem Dramenschema Gustav Freytags darzustellen. Doppelter Zeilenabstand
Schlagworte
Gänslein, Versuch, Dramatisierung, Versnovelle, Hauptseminar
Arbeit zitieren
Jessica Draper (Autor:in), 2005, Das Gänslein - Versuch einer Dramatisierung der mittelhochdeutschen Versnovelle, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/58927

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