Elke, Johanna und Laura. Lernprozessanalyse dreier Schülerinnen im Lehrstück "Dorfgründung"


Hausarbeit (Hauptseminar), 2011

30 Seiten, Note: 2,3

N. H. (Autor:in)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1.Einleitung

2. Forschungsziel und –Methode

3. Interpretation: Politisierungstypen / Lerngruppenprofile
3.1 Kurzer Überblick über den Fall
3.2 Schlüsselstellen im Lehrstück
3.2.1 Elke
3.2.2 Laura
3.2.3 Johanna
3.3 Analyse der Lernwege

4. Auswertung
4.1 Welche Möglichkeiten oder Gefahren ergeben sich aus der Methode Dorfgründung für Elke, Laura und Johanna?
4.2 Konsequenzen für Lehrerhandeln und Didaktik
4.3 Selbstreflexion

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Der Unterricht von Politik, im Sinne der Bedeutung von Gesetzen und Wirtschaft, tritt in Schulen unter vielen Namen auf. Teilweise als Sozialkunde, schlicht als Politikunterricht oder auch als Gemeinschafts- und Staatsbürgerkunde tituliert, zielt das Fach aber in die gleiche Richtung ab: Schülerinnen und Schülern soll aufgezeigt werden, was Politik ist und wie sie funktioniert, welche Akteure beteiligt sind und wie politisches Handeln im „Alltag“ anzutreffen ist.

Ein wichtiges Kriterium, noch vor der eigentlichen Stundenplanung angesiedelt, ist nach Hilbert Meyer die Untersuchung, ob die Schüler überhaupt die notwendigen Lernvoraussetzungen für die zu planenden Unterrichtsstunden besitzen. Meyer beschreibt diese wie folgt: „Lernvoraussetzungen sind körperliche und geistige Personenmerkmale sowie materielle Faktoren, durch die die Lernfähigkeit und –bereitschaft der Schülerinnen und Schüler hergestellt und gesichert wird.“ (Meyer 2009: 141). Gemeint sind damit Überlegungen wie zum Beispiel:“ Welche inhaltlichen Vorkenntnisse und Erfahrungen Schülerinnen und Schüler vorhanden? Welche Methoden wurden bereits angewandt?“

Eine weitere Herausforderung besteht für den Pädagogen nicht nur in der extrinsischen Motivation der Schüler zu einem bestimmten Thema, sondern auch darin zu verdeutlichen, dass politisches Engagement zu greif- und fassbaren Veränderungen führen kann. Lehrerinnen und Lehrer werden jedoch an ihre Grenzen stoßen, wenn sie versuchen, dieses Ziel allein durch konventionellen Frontalunterricht zu erreichen. Aus diesem Umstand lässt sich die Frage ableiten, wie moderner Unterricht aussehen soll beziehungsweise gestaltet werden muss, um den Anforderungen der heutigen Zeit gerecht zu werden, dies bedarf moderner Methoden. Ein Ansatz ist zum Beispiel die Implementierung von handlungsorientierten Unterrichtsmethoden wie Gruppenarbeiten, Rollenspielen, Streitgesprächen oder Planspielen.

Infolge des aktiven Mitwirkens der Klasse am Unterricht wird ihnen nicht nur Wissen über politische und damit auch gesellschaftliche Zusammenhänge sinnbildend verknüpft dargelegt. Darüber hinaus sollen sie zur Erwerbung ebenjener Kompetenzen (Sach-, Methoden-, Urteils- und Handlungskompetenzen) angeregt werden, welche die Schülerinnen und Schüler in ihrer Entwicklung zu politisch mündigen Bürgern benötigen (Vgl. Reinhardt 2009: 21-26). Infolgedessen entwickeln nach Petrik die Schülerinnen und Schüler jene demokratischen Kernkompetenzen, welche sie für fundierte demokratische Meinungsbildung benötigen, um 1 daraus folgend innerhalb des politischen Willensbildungsprozesses von Wahlen fundierte Entscheidungen treffen zu können (Vgl. Petrik 2007: 38 f.).

Politische Mündigkeit ist jedoch kein operationalisierendes Unterrichtsziel, welches lediglich durch Frontalunterricht vermittelt werden könnte. Politische Mündigkeit lässt sich nicht durch das Auswendiglernen von Schlüsselparagraphen des Grundgesetzes herstellen, sondern durch Austausch von Meinungen und des kritischen Hinterfragens der eigenen Position über ebenjene hier beispielhaft angeführten Paragraphen seitens der Schüler. Eine Möglichkeit die eigene Position kennenzulernen, die eigenen Standpunkte zu vergleichen und zu kritisieren, bietet das von Petrik entworfene Lehrstück „Dorfgründung“ (Vgl. Ebenda 2007). Die vorliegende Seminararbeit soll ausgehend von einem in der Schule durchgeführten Lehrstück zunächst die theoretischen Grundlagen klären, um dann am Beispiel dreier Schülerinnen deren persönliche Lernprozesse zu beschreiben, zu analysieren und zu interpretieren.

2. Forschungsziel – und Methode

Ziel der vorliegenden Hausarbeit ist es, die Entwicklungen der Urteils- und Konfliktkompetenzen der Schülerinnen Elke, Johanna und Laura formal als Argumentation und inhaltlich als politische Orientierung innerhalb des Lehrstücks Dorfgründung nachzuvollziehen und dabei ihre individuellen Lernwege zu rekonstruieren.

Petrik verbindet in seiner Best-Practice-Forschung die traditionellen Methoden zur Unterrichtsforschung von Karl Mannheims genetischer Methode und Ulrich Oevermanns objektiver Hermeneutik (Vgl. Bohnsack 2000: 97ff.). Dies geschieht „mit dem Ziel, Lernprozesse in einer genetischen Lernumgebung qualitativ zu interpretieren, um das didaktische Setting und seine Hintergrundtheorie auf ihre Tauglichkeit zu prüfen“ (Petrik 2007: 320). Nach der Best-Practice-Methode soll das Lehrstück Dorfgründung abgeklopft, sprich optimiert, sowie Kriterien für neue Konzeptionen entwickelt werden. Gemessen werden diese Veränderungen durch den „hermeneutischen Dreischritt“, der im Folgenden nähere Betrachtung finden wird. Ausgelöst wird der Lern- und Politisierungsprozess der Schülerinnen und Schüler durch das genetische Prinzip im Bezug auf das Lehrstück. Die Jugendlichen werden mit realistischen Problemstellungen konfrontiert, müssen sich mit den unterschiedlichen Vorstellungen und Meinungen ihrer Klassenkameraden auseinandersetzen. Darüber hinaus einen Sinn für demokratisch-gesellschaftliche Willensbildung entwickeln, sowie die Kompetenz, ihr erworbenes Wissen von der Mikroebene des Dorfes, auf die Makroebene des gesamtgesellschaftlichen Handelns zu exportieren. Durch die Simulation von gesellschaftlichem Handeln werden sie auf alltagspolitische Situationen, in denen sie ihr Wissen praktisch anwenden müssen, vorbereitet (Vgl. Spranger 1963: 60). Nach Wagenschein führt die Lösung politisch-gesellschaftlicher Probleme zu aktivem Handeln bei der die Schülerinnen und Schüler persönliche Vorstellungen kritisch überprüfen und gegebenenfalls erweitern (Vgl. Wagenschein 1991: 45).

Analysen von Lernprozessen sind ebenso sinnvoll wie notwendig: Zum Einen führt es zu einem Informationsgewinn über den Lernweg der Schüler. Zum Anderen ermöglicht es eine Reflexion, inwieweit Methoden und Verfahren im Unterricht Einfluss auf das Lernen der Schülerinnen und Schüler nehmen (Vgl. Petrik 2007: 319-322). „Lernprozesse werden idealtypisch als Konzeptwechsel beschrieben, als Erweiterung, Veränderung und Ablösung individueller Alltags-Konzepte durch curricular gewünschte, zumeist wissenschaftlich gefasste Konzepte“ (Ebenda: 327).

Den Ausgangspunkt für die Systematisierung von politischen Alltagsvorstellungen zeigt sich wie folgt: Jeder Schüler trägt gewisse Vorstellungen, Grundüberzeugungen ebenso wie Erfahrungen und Werte in den Unterricht, didaktisch als Alltagsvorstellung tituliert. Um das Ziel einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit diesen Wert- und Alltagsvorstellungen zu erreichen, muss zur Erreichung politischen Lernens seitens der Schülerinnen und Schüler ein Konzeptwechsel erreicht werden. Im weiteren Sinne ist dieser Konzeptwechsel die Aufgabe des Politikunterrichts. Geiger formuliert dies wie folgt: „Die Lernerfahrungen, die der politische Unterricht ermöglichen sollte, müssten daraus hervorgehen, dass sich die Schüler die behandelten politischen und gesellschaftlichen Inhalte in ihrer Bedeutung für ihre eigene gesellschaftliche Existenz erschließen; erst durch die Reflexion dieser Beziehung kann aus einem Lernen über Politik politisches Lernen werden“ (Geiger 1992: 235).

Lange sagt aus, dass es zu einem Wandel im Politikunterricht kam. Dieser sei begründet durch die Wichtigkeit von Lernprozessanalysen und daraus folgend der Untersuchung der politischen Kompetenzentwicklung von Jugendlichen (Vgl. Lange 2007b: 58f). Dieser veränderte Unterricht konzentriert sich darauf, individuelle Lernprozesse in den Vordergrund zu stellen. Dies geht über die kategoriale Bildung Giesickes hinaus, der ja bereits von dem einseitig lehrstoffzentrierten Unterricht abweicht, jedoch den individuellen Lernprozess noch nicht in den Mittelpunkt stellte (Vgl. Giesicke 1976).

In den Rahmenrichtlinien werden für den Unterricht nicht nur Leitvorstellungen wie Mündigkeit, sondern ebenfalls Ziele des Lernens beschrieben. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich ein Wandel der Benennungen und Konzepte vollzogen, der auch den Wandel bildungspolitischer Schwerpunkte spiegelt. Aktueller sind nach Reinhardt Kompetenzen eben auch als Ergebnis der Lernprozesse zu erfassen. Es fand eine Bewegung von der Input-Orientierung zur Output-Orientierung des Unterrichts statt, wie oben bereits bei Lange beschrieben (Vgl. Reinhardt 2009: 18 f.).

Lange schlägt die Konzeption eines Politikbewusstseins vor, welches er auch als Bürgerbewusstsein bezeichnet, um somit Lernprozesse erfassen und beschreiben zu können (Lange 2007b: 58ff.). Dies beschreibt er wie folgt: „Ein Teil der Planung Politischer Bildung sollte in der Diagnose des bei Schülerinnen und Schülern tatsächlich vorhandenen Bürgerbewusstseins liegen. Als fachliche Lernvoraussetzung determiniert es den weiteren Bildungsprozess. Wichtig ist dabei, dass nicht nur die Einstellungen und die Kenntnisse, sondern auch die Sinnbildungskompetenzen von Lernenden zur Kenntnis genommen werden. Es interessieren die Vorstellungen, die Lernende über Gesellschaft, Politik und Wirtschaft aufgebaut haben. In der output- orientierten Bildungslandschaft wird die Fähigkeit zur Diagnose von Lernkompetenzen auch in der Politischen Bildung an Bedeutung gewinnen. Dabei sollten die Vorstellungen, die Schülerinnen und Schüler in den Lernprozess einbringen, nicht als mentale Fehlbildungen interpretiert werden, die vernachlässigt werden können. Wir sollten anerkennen, dass das vorhandene Bürgerbewusstsein der Alltagsbewältigung dienlich ist“ (Lange 2007a: 9). Für dieses Konzept stellt der Autor Subkategorien auf: Politikbewusstsein, politisch-soziales Bewusstsein, politisch-ökonomisches Bewusstsein, historisch-politisches Bewusstsein sowie das politisch-moralische Bewusstsein (Vgl. Ebenda: 8). Folgernd aus dem Terminus des Bürgerbewusstseins als „Gesamtheit der mentalen Vorstellungen über die politisch gesellschaftliche Wirklichkeit“, das „den Sinn [erzeugt], der es dem Menschen ermöglicht, vorgefundene Phänomene zu beurteilen und handeln zu beeinflussen“ (Ebenda: 8), führt er Sinnbildungstypologien ein. Diese Typologien sollen dabei helfen zu entscheiden, mit welchen Kompetenzen Schülerinnen und Schüler die eben genannten Kategorien erfassen, schlussendlich das postulierte Bürgerbewusstsein erlangen. Ergo, wie die Schülerinnen und Schüler ein Verständnis für politisches Handeln entwickeln können.

Im Gegensatz zu Lange, der den Fokus auf die Entwicklung der oben genannten Sinnbildungstypen als Aufgabe der politischen Bildung richtet, konzentriert sich Petrik eher auf den didaktischen Ansatz der Politisierungstypen. Diese sind das Ergebnis einer offenen Typisierung nach der Fallbeschreibung von Bildungsgängen, die der Autor als „Hypothesen über den Zusammenhang zwischen einer latenten politischen Orientierung und bestimmten Lernschwierigkeiten“ beschreibt (Petrik 2007: 373). Petrik fokussiert die Herausbildung von Konflikt- und Urteilskompetenzen in der politischen Bildung. Auf der einen Seite handelt es sich um das Argumentationsniveau der Schülerinnen und Schüler, auf der anderen Seite um politische und inhaltliche Orientierungen, sprich die Urteilskompetenzen. Zur Bestimmung bzw. Messung der Konfliktkompetenz des Schülers wird dessen Argumentationsstruktur analysiert. Bezogen auf das Lehrstück Dorfgründung von Petrik kann die politisch-inhaltliche Orientierung eines Schülers durch die Zuordnung zu den vier politischen Grundströmungen Anarchismus, Liberalismus, Sozialismus und Konservatismus ermittelt werden. Aufbauend darauf kann die Urteilskompetenz beurteilt werden, wenn der Schüler sich einer der vier Grundströmungen zuordnet und diese argumentativ vertreten kann.

Bezogen auf die Urteilsbildung wird an dieser Stelle angemerkt, dass Didaktiker wie Ackermann auf die von Weber aufgeworfene Unterscheidung zwischen Zweck- und Wertrationalität verweisen (Vgl. Ackermann 1994: 83 ff.). Massing stützt sich bei seinen Überlegungen ebenfalls auf diese Unterscheidung, erweitert sie aber dahingehend, dass die Rationalität die beiden Kategorien Effizienz und Legitimität untrennbar miteinander verbindet. Zur Perspektive der Beurteilung politisch Handelnder macht Massing einerseits den Blickwinkel der von der Politik Betroffenen, andererseits die Perspektive des demokratischen Systems, aus. Dabei charakterisiert sich jede Perspektive durch unterschiedliche Aspekte, die sich gegenseitig ergänzen. Bezogen auf die zu entwickelnde Fähigkeit der politischen Urteilsbildung gelangt Massing zu dem Schluss: “Je nach dem, auf welcher Dimension der politisch-gesellschaftlichen Rationalität Schülerinnen und Schüler ihren Schwerpunkt setzen oder welche Perspektive der Betrachtung sie einnehmen, werden sie auch bei der Berücksichtigung der anderen Dimensionen und anderer Perspektiven zu unterschiedlichen Urteilen gelangen“ (Massing 1994: 223 f.). Dieser Aussage zufolge stellt Massing folgende Definition des Terminus „Politisches Urteil“ auf: „Ein politisches Urteil ist die wertende Stellungnahme eines Individuums über einen politischen Akteur oder einen politischen Sachverhalt unter Berücksichtigung der Kategorien Effizienz und Legitimität mit der Bereitschaft sich dafür öffentlich zu rechtfertigen“ (Massing 2003: 94).

Die oben genannten Kompetenzen sind Bestandteil des Kompetenzmodells der Fachgruppe Sozialwissenschaften (Vgl. Behrmann, Grammes, Reinhardt 2004: 336 ff.). Dabei ist zu beachten, dass es Abstufungen gibt, die sich wie folgt darstellen lassen: persönlich (privat), institutionell und sozialwissenschaftlich. Petrik erweitert diese Abstufung um eine vierte Ebene, die öffentliche Stufe. Diese siedelt er zwischen der persönlichen und institutionellen Ebene an (Vgl. Ebenda: 342 ff.).

Daran ist abzusehen, dass die Politisierungstypen aus der Analyse der Entwicklung der Urteils- und Konfliktkompetenzen resultieren. Petriks Kompetenzmodell folgend, aufbauend dem der der Fachgruppe Sozialwissenschaften, in dem er vier Niveaus der politischen Auseinandersetzung formuliert und das Erreichen dieser Niveaus für fünf verschiedene Kompetenzen im Handlungskontext (Perspektivenübernahme, Konfliktfähigkeit, Analyse- und Urteilsfähigkeit, Partizipation und Politische Identität) nachvollzieht. (Vgl. Ebenda 2007: 342-347). Resultierend daraus beschreibt Petrik Kompetenzen wie folgt: „Unter Kompetenzen werden praktisch verfügbare Dispositionen zur Lösung spezifischer Probleme verstanden. Sie bilden, im Gegensatz zur wahrnehmbaren Performanz, die kognitive Tiefenstruktur, den ‚Ideengenerator’ eines Menschen, der Wahrnehmung, Denken und Handeln steuert“ (Ebenda: 327).

Die Ermittlung von Politisierungstypen und damit einhergehend die Analyse individueller Lernprozesse soll am Beispiel des Lehrstücks Dorfgründung erfolgen. „Die SchülerInnen [werden] zu AkteurInnen innerhalb einer simulierten Möglichkeitswelt“ (Ebenda 2007: 300), aufgrund der genetischen, innerhalb der Dorfgemeinschaft aufgeworfenen Fragen, sowie deren notwendigen Beantwortung. „Der handlungsauslösende Verfremdungseffekt besteht aus einer Mischung von vertrauten individuellen Vorstellungen und einem unbekannten, problemhaltigen Kontext, der neuartige kollektive Lösungen verlangt“ (Ebenda 2007: 300). Genetik bedeutet an dieser Stelle, dass die Schülerinnen und Schüler vor politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Grundkonflikte gestellt werden, deren Bewältigung einen wichtigen Aspekt des Lehrstücks darstellen. Dewey hat sich bereits 1993 zu diesem Ansatz geäußert, in dem er sagte: „Die Schüler finden durch den Rückgriff auf die Urzustände die Grundbestandteile, oder vielleicht besser die Grundbausteine, der gegenwärtigen Situation wieder und zwar in ursprünglicher als auch vereinfachter Form“ (Dewey 1993: 284).

Das Lehrstück ist in drei Akte gegliedert. Der erste Akt Entdecken stellt die unterschiedlichen Gesellschaftsbilder heraus und verlangt intensive Beschäftigung und Auseinandersetzung mit diesen. Dies erfolgt durch Dorfversammlungen und die einleitende Phantasiereise. Die Versammlungen dienen als Forum für alle Themenbereiche, die die Schülerinnen und Schüler für wichtig halten. Dabei sollen auch kontroverse Haltungen eingenommen werden (Vgl. Petrik 2007: 300-306).

Der zweite Akt Systematisierung stellt Möglichkeitserörterungen dar. Die Schüler arbeiten mit den bis hier erworbenen Erfahrungen und Eindrücken der verschiedenen Gesellschaftsbilder, die sie mit theoretischen oder praktischen Gesellschaftsbildern verglichen werden sollen. Hierbei lernen die Schüler ihre Gemeinschaft oder Kommune näher kennen. Weiterhin werden die vier politischen Grundströmungen vorgestellt, mit denen in der Folge operiert werden soll. Im Zuge der Bearbeitung der Grundströmungen wählen die Schüler jenes Modell, unter das sie das Dorf stellen wollen (Vgl. Ebenda: 300-312).

Schlussendlich mit dem dritten Akt Anwendung sollen die Schülerinnen und Schüler die politischen Ordnungskonzepte für politische und gesellschaftliche Fragen benutzen. Die erworbenen Kenntnisse sowie die erarbeiteten Ordnungsmodelle sollen den Schülerinnen und Schülern zu einem Ebenenwechsel von der Mikro- zur Makroebene verhelfen. Den Ansatzpunkt dazu stellt eine Fishbowl-Diskussion dar, in der verschiedene konkrete Fälle behandelt werden. Des Weiteren dient der Akt der politischen Positionierung der Schülerinnen und Schüler (Vgl. Ebenda: 300-316).

Das Lehrstück Dorfgründung eignet sich für die Analyse individueller Lernprozesse, wie sie in den folgenden Abschnitten dargelegt werden sollen, aus mehreren Gründen. Zum Ersten ist die Dramaturgie der Dorfgründung durch die aufeinander aufbauenden Akte geeignet, um eine Steigerung des Kompetenzniveaus zu erreichen. Zum Zweiten ermöglicht eine präzise Argumentation von Auswanderungsmotiven und Zukunftswünschen im Prolog eine sehr detaillierte Einordnung der Schülerinnen und Schüler in die Kompetenzniveaus. Im Verlauf der Dorfgründung sind die Schülerinnen und Schüler dazu angehalten, ein persönliches Tagebuch zu führen, welches zur Reflexion ihrer Lernprozesse dient. Des Weiteren dienen aufgezeichnete Videosequenzen zur Reflexion der Prozesse (Vgl. Ebenda: 295-316). Von enormer Wichtigkeit sieht Henkenborg die Methoden der Datenerhebung und der anschließenden Interpretation an. Denn „Politikdidaktiker/innen brauchen, um in kontrollierter Form interpretieren zu können, ‚mehr als nur flüchtige Daten‘. Sie brauchen ‚geronnene, fixierte, hin-und herwendbare, immer wieder in objektivierbarer Form vergegenwärtigbare Daten‘“ (Henkenborg 2002: 93). Das Lehrstück stellt eine Alternative zum traditionellen Sozialkundeunterricht dar, da eigenständige Lernprozesse im Vordergrund stehen, statt der schlichten Wiedergabe von Wissen und politischen Grundorientierungen. Es geht vielmehr darum, eigene Erfahrungen herauszustellen, im Bezug zu politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zusammenhängen, sowie diese auch zu reflektieren. Noch einmal bezugnehmend auf die Lernprozessanalysen lässt sich feststellen, dass das Lehrstück Dorfgründung gut geeignet ist, um Selbstfindungsprozesse für politische Zusammenhänge darzulegen. Die Schüler befassen sich mit elementaren Konflikten auf gesellschaftlicher und politischer Ebene und können dabei ihre eigenen Positionen kritisch hinterfragen. Weiterhin werden mit Hilfe der Konfliktlösekompetenz die Argumentationen der Schüler analysiert. Untersucht werden hierbei aufgestellte Thesen der Lernenden, die daraus gezogene Schlussregel auf Schlüssigkeit überprüft sowie die zugrunde gelegten Grundüberzeugungen (Prämissen) analysiert. Diese muss inhaltlich überzeugend sein, damit die Argumentation erfolgreich ist (Vgl. Petrik 2007: 344-347).

3. Interpretation: Politisierungstypen / Lerngruppenprofile

Im Folgenden soll der Fokus von der Theorie auf die Praxis hingelenkt werden. Anhand von drei konkreten Beispielen sollen Lernprozesse dargelegt und analysiert werden. Dabei wird auf die individuellen Bildungsgänge der drei Schülerinnen Elke, Johanna und Laura eingegangen. Die angewandte Analyse folgt dem hermeneutischen Dreischritt aus Verstehen, Auslegen und Anwenden (Vgl. Kuhn 1999: 196 ff.; Bohnsack 2000: 149 ff.). Im Abschnitt Verstehen erfolgt eine Beschreibung der Lernprozesse der drei Schülerinnen. Dies geschieht mittels Darstellung des Lehrstücks Dorfgründung und in den jeweilig einzelnen Situationen der drei Schülerinnen. Der zweite Schritt soll der Analyse der Äußerungen der Schülerinnen dienen. Dazu soll eine Untersuchung ausgewählter Aussagen der Schülerinnen im Verlauf des Lehrstücks angefertigt werden. Die Äußerungen sollen ausführlich anhand der ihnen zugrunde liegenden Argumentationsmuster analysiert werden. Im dritten Schritt schließlich folgen eine nähere Betrachtung der visualisierten Lernwege und eine Veränderung der Urteils- und Konfliktkompetenz der drei Schülerinnen (Vgl. Petrik 2007: 371 ff.).

3.1 Kurzer Überblick über den Fall

Die näher zu betrachtenden Schülerinnen Elke, Johanna und Laura sind passiv innerhalb des Lehrstückes. Ihre Redeanteile sind verglichen mit den engagierteren Mitschülern eher gering. Sie beschränken sich tendenziell auf unterstützende oder nachfragende und klärende Redeanteile, denn auf eigenständig-inhaltliche Bekundungen. In der zu betrachtenden Dreier- Gruppe sticht Johanna als besonders passiv hervor, in Bezug sowohl auf die Redeanteile als auch deren Qualität.

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Ende der Leseprobe aus 30 Seiten

Details

Titel
Elke, Johanna und Laura. Lernprozessanalyse dreier Schülerinnen im Lehrstück "Dorfgründung"
Note
2,3
Autor
Jahr
2011
Seiten
30
Katalognummer
V588101
ISBN (eBook)
9783346175120
ISBN (Buch)
9783346175137
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Es handelt sich hierbei um eine Hausarbeit für den Bereich Politikdidaktik zur Dorfgründung
Schlagworte
genetisches prinzip, Dorfgründung, Politikunterricht, Lernprozessanalyse
Arbeit zitieren
N. H. (Autor:in), 2011, Elke, Johanna und Laura. Lernprozessanalyse dreier Schülerinnen im Lehrstück "Dorfgründung", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/588101

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