Autorität und Informalität im deutschen Bundestag


Seminararbeit, 2002

19 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Haupteil

1. Autoritätsstrukturen im Deutschen Bundestag
1.1. Autorität als soziologische Kategorie
1.2. Autoritätsformen in Organisationen
1.2.1. Amtsautorität
1.2.2. Sachautorität
1.2.3. Organisationsautorität
1.2.4. Funktionsautorität
1.2.5. Charismatische Autorität
1.3. Aufbau, Reproduktion und Zerfall von Autorität
1.3.1. Aufbau von Autorität
1.3.2. Reproduktion von Autorität
1.3.3. Zerfall von Autorität

2. Informalitätsaspekte im Deutschen Bundestag
2.1. Informalität als Bestandteil parlamentarischer Praxis

3. Zusammenhänge von Autoritätsstrukturen und Informalität
3.1. Gemeinsamkeiten von Autorität und Informalität
3.2. Wirkungszusammenhänge von Autorität und Informalität

Schlussteil

Literaturverzeichnis

Einleitung

Politikwissenschaft hat Freunde und Feinde. Freunde dieser Wissenschaft sind unter anderem Teilbereiche wie Öffentlichkeit, Gesetzgebung, Rationalität. Feindlich zu Ihr stehen hingegen Teilbereiche wie Geheimbünde, Informalität, Emotionalität. Während erstere Formen von Vergesellschaftung dem Wissenschaftler bereitwillig harte empirische Fakten zu Analysezwecken bereitstellen, behindern und täuschen zweitere Formen den wahrheitssuchenden Politikwissenschaftler hartnäckig. Vielleicht erklärt dieser Umstand auch das starke Ungleichheitsgefälle in der Anzahl der politikwissenschaftlichen Studien zugunsten dem der Wissenschaft freundlich gesinnten Teil der Realität. Glücklicherweise rücken schwer zugängliche Gebiete der Politikwissenschaft aber mehr und mehr in den Blickpunkt aktueller Theorieansätze. Es setzt sich die Erkenntnis durch, dass die Realität eben nicht immer so strukturiert ist, wie es in den Gesetzbüchern geschrieben steht.[1]

Diese Hausarbeit möchte sich hier einreihen: Eine Untersuchung über die Beziehung von Autoritätsstrukturen und Informalitätsaspekten im Deutschen Bundestag. Methodologisch soll mit einem parlamentssoziologisch fundierten Ansatz operiert werden. Zuerst sollen die Bereiche Autorität und Informalität bezüglich dem System Bundestag kurz vorgestellt werden. Im Abschnitt „Autoritätsstrukturen im Deutschen Bundestag“ wird als theoretische Grundlage die Studie von Sofsky und Paris über „Figurationen sozialer Macht“ dienen, wozu sie sich qualifiziert durch ihre Ausrichtung auf Autoritätsstrukturen in sozialen Organisationen, wie es der Deutsche Bundestag beispielhaft ist. Die theoretischen Grundpositionen sollen mit empirischen Begebenheiten des parlamentarischen Alltags in Verbindung gebracht und dadurch veranschaulicht werden. Der Abschnitt „Informalitätsaspekte im Deutschen Bundestag“ möchte eine komprimierte Einführung in die Wirkungsmechanismen informaler Strukturen in der parlamentarischen Praxis leisten. Im dritten Abschnitt sollen die beiden vorherigen synthetisiert und gemeinsam weitergeführt werden. Gefragt wird nach dem Zusammenhang von Autoritätsstrukturen und Informalität im Kontext des Deutschen Bundestages. Hauptaugenmerk wird auf den verknüpfenden Wirkungsmechanismen zwischen den beiden Teilbereichen liegen. (Gibt es wechselseitige Begünstigungsmechanismen? Wo behindern sie sich gegenseitig?)

Hauptteil

1. Autoritätsstrukturen im Deutschen Bundestag

1.1. Autorität als soziologische Kategorie

Die Fachliteratur über Autorität als eine Grundfunktion sozialen Handelns lässt viele Streitfragen offen. Einig ist man sich allerdings darüber, dass man es hier mit einer Form von Macht zu tun hat, so definiert Popitz zum Beispiel Autorität als „autoritative Macht“.[3] In Verbindung mit Luhmanns Theorem, dass es im Subsystem Politik hauptsächlich um Machtfragen geht, wird die politikwissenschaftliche Relevanz von Autorität als handlungstheoretische Kategorie deutlich.[2]

Organisationen sollen im folgenden nicht als starre Gebilde, sondern als dynamische Produkte sozialen Handelns betrachtet werden. Diese Herangehensweise soll den Blick für sämtliche Strukturmerkmale der herrschenden Machtkonfigurationen schärfen und nicht bei den rein formal festgelegten Regeln stehen bleiben. In Organisationen wie zum Beispiel dem Deutschen Bundestag findet eine Organisation der Macht statt. Offensichtlich und von Außen leicht erkennbar ist die Machtver-teilung im Parlament. Schwieriger und von Außen häufig gar nicht zu verstehen sind hingegen die teils versteckt operierenden Strukturen und Dynamiken der verschie-denen Machtkonfigurationen. Was genau versteht man unter einer Machtkonfigura-tion? Zur Erläuterung ein Zitat von Sofsky/Paris: „Das soziale Feld, in dem Macht erworben, gesichert oder eingebüßt wird, umfasst in der Regel mehr als zwei Instanzen. Es gibt nicht nur den Mächtigen, den Mindermächtigen oder Ohnmächti-gen, sondern auch Dritte oder Vierte, die am Machtspiel beteiligt sind. ... Eine Machtfiguration ist ein komplexes Geflecht asymmetrischer und wechselseitiger Beziehungen, in dem mehrere Personen, Gruppen oder Parteien miteinander verknüpft sind...“[4] Von den drei elementaren Machtkonfigurationen Autorität, Stellvertretung und Koalition muss für unsere Zwecke Erstere genauer untersucht werden.

Konträr zum allgemeinen Sprachgebrauch (jemand „hat“ oder „ist“ eine Autorität) beschreiben Sofsky/Paris Autorität als grundsätzlich vom Anderen zugeschrieben. In demokratisch organisierten Systemen ist oder hat Autorität nur der, dem diese auch von anderen zu- und anerkannt wird. Die existierende Autoritätsgläubigkeit ist ein symbolisches Kapital, das genutzt, ausgenutzt und wieder verfallen kann. Aufgrund der Notwendigkeit einer Zuschreibung seitens des Autoritätsgläubigen liegt eine dyadische Formation vor. Gleichzeitig ist Autorität immer in figurativen Konstruktio-nen verortet.[5] Wenn nach oben hin Autorität zugeschrieben wird, bildet sich ein Relationsgefüge heraus, dass andere wiederum nicht als Autoritäten anerkennt. Dieser Umstand kann an politischen Streitfragen veranschaulicht werden: Im Falle einer Entscheidung für oder wieder einen politischen Entwurf wertet jeder Abgeordnete denjenigen auf, dem er seine Stimme gibt. Gleichzeitig stimmt er gegen die andere Seite, und sollte diese Position zum Beispiel von seiner eigenen Fraktion vertreten worden sein, hätte er seinem Fraktionsvorsitzenden ein erhebliches Maß an Autorität entzogen.

Die Macht der Autorität ist eine waffenlose Macht. Da sie auf Anerkennung basiert, kann der Autoritätsinhaber in der Regel auf grobe Machtmittel, Drohungen oder Sanktionen verzichten. Besonders deutlich wird dieser Umstand in der Person des Bundeskanzlers: Obwohl er sich in der Autoritätshierarchie in der Regel sehr weit oben befindet, verhält er sich vorwiegend staatsmännisch gelassen. Sein symbolisches Kapital reicht für die alltäglichen Konfliktsituationen aus, und sollte es doch einer Machtdemonstration bedürfen setzt er zuerst seine Zwischenautoritäten in Gang. Sollte es soweit kommen, dass er sich dem Problem persönlich stellen muss, kommt es zumeist zur Entscheidung. Löst er die Situation ohne sein Gesicht zu verlieren, kommt er gestärkt aus dem Konflikt heraus, muss er aber zu unangemes-senen Machtmitteln greifen, kann es im Extremfall zum Sturz der Autorität kommen.

Wenn Autorität auf Anerkennung basiert, muss man nach der Handlungsmotivation der Zuschreibenden von Autorität fragen. Hauptgrund freiwilliger Autoritätsanerken-nung dürfte der Wunsch des scheinbar Unterlegenen sein, auch selbst anerkannt zu werden. In der Politik findet sich die Figur des Parteisoldaten, der Ansehen durch grundsätzliche, treu ergebene Unterordnung erlangt. Anerkennungsströme laufen also nicht nur von unten nach oben, sondern auch umgekehrt von oben nach unten.[6]

Horkheimer beschreibt Autoritätsanerkennung als bejahte Abhängigkeit.[7] Warum aber und was wird hier anerkannt? Anerkennung von Autorität ist die Anerkennung der Werte, für die sie steht. Autoritäten verkörpern Werte und nehmen selber Bewertungen vor. Besonders starke Persönlichkeiten entwickeln eine geradezu suggestive Autoritätswirkung, da man ihre persönlichen Fähigkeiten und Eigenschaften schätzt. (Man denke nur an Adenauer oder auch zur Zeit der deutschen Einheit an Kohl.)

Als letztes Strukturmerkmal von Autorität ist die Ordnungsfunktion zu nennen. Autoritätsfigurationen sind gemeinsam mit anderen Faktoren Garanten für einen geordneten Ablauf in sozialen Organisationen. Wenn relative Unordnung herrscht, wächst der Autoritätsbedarf. Durch starke Autoritäten werden Gruppen entlastet und emotional homogenisiert, die Gruppenmoral wird neu definiert und fixiert. Ist Normalität wieder eingekehrt, wacht die Autorität über die Einhaltung der Regeln.[8] Veranschaulichen lässt sich die Ordnungsfunktion von Autoritäten an dem Beispiel „Fischer und Die Grünen“. Denn wie sonst lässt sich erklären, dass die Partei „Bündnis 90/Die Grünen“ sich trotzt jahrelanger Grabenkämpfe verfeindeter Lager nach Außen hin immer noch halbwegs homogen präsentieren kann? Es bedurfte immer wieder des charismatischen Führers Fischer, der Kraft seiner Autorität die verfeindeten Lager noch einmal auf ein gemeinsames Ziel einschwören konnte und „den Laden zusammen hielt“.

1.2. Autoritätsformen in Organisationen

Der folgende Abschnitt nimmt eine Klassifizierung von Autoritätstypen in fünf Grundformen vor: Amtsautorität, Sachautorität, Organisationsautorität, Funktions-autorität und charismatische Autorität. Keine dieser Autoritätstypen liegt jemals in reiner Form vor, vielmehr sind in der Praxis verschiedenste Mischungen mehrer Autoritätsformen anzutreffen. Die Klassifikation dient primär dem besseren Funktionsverständnis von Autoritätsprozessen. „Die einzelnen Typen der Autorität sind für sich genommen gewissermaßen nur das Rohmaterial, die Bausteine, aus denen Autoritäten zusammengesetzt sind. Die Autorität kumuliert und verzahnt in der Regel mehrere Typen, wobei die Dominanz einer Autoritätsquelle freilich eine gewisse Nachrangigkeit der anderen bedingt.“[9] Autoritäten zeichnen sich dementsprechend durch ein unverwechselbares Profil aus, das verschiedene Autoritätstypen in einer Person integriert.

1.2.1. Amtsautorität

Jedem politischen Amtsinhaber steht automatisch ein gewisses Maß an Autorität zur Verfügung, seine Amtsautorität. Das jeweilige Amt verleiht automatisch Rechte, Machtbereiche und Gestaltungsmöglichkeiten. Je höher der Rang des Amtes, desto größer das Autoritätskapital seines Inhabers. Da es sich hier um die Autoritäts-wirkung eines Amtes und nicht einer Person zu handeln scheint, sind Amtsinhaber demnach auch wahllos austauschbar. Die Tatsache, dass dies in der Praxis oft nicht der Fall ist, macht deutlich, dass Ämter gleichzeitig immer auch in Persönlichkeits-profilen wahrgenommen werden. Ämter verlangen es, angemessen ausgefüllt zu werden, man spricht von einer Idealbesetzung wenn Amt und Person gut korrespondieren. Wer sich auf „nackte Amtsautorität“ verlässt, könnte schon bald ein Autoritätsproblem bekommen.[10] Die Notwendigkeit einer Korrespondenz zwischen Amt und Person lässt sich in der parlamentarischen Praxis an der Person des Bundestagspräsidenten veranschaulichen. Qua Amtsrang kommt dem amtierenden Präsidenten eines hohes Maß an Autorität zu, allein schon das Protokoll sichert ihm einen gewichtigen Stellenwert ein. Gleichzeitig lässt sich aber immer wieder beobachten, wie der Amtsinhaber bemüht ist, auch als Person seinem Rang angemessen zu erscheinen. Beginnend bei Äußerlichkeiten (siehe Thierses Frisur und Kleidungsstil) werden nun auch verbale Äußerungen gewählter und staatstragender kommuniziert, das gesamte Auftreten bekommt einen anderen Anstrich. Jedoch kommt für ein solches Amt auch nur in Betracht, wer sich in der Beurteilung der Anderen angemessen qualifiziert und gut bewährt hat. Hier sind bereits Elemente des zweiten Autoritätstypen (Sachautorität) zu erkennen, die zur Erlangung des hohen Amtes wahrscheinlich mit entscheidend waren.

1.2.2. Sachautorität

Die Kompetenzen einer Person schlagen sich nieder in der ihr zur Verfügung stehenden Sachautorität. Grundlage für die Autoritätszuschreibung in diesem Falle sind die im praktischen Vollzug erworbenen Kompetenznachweise. Daher existiert Sachautorität immer nur auf Bewährung, bei Fehlern schwindet sie rasch und nachhaltig. Der optimale Zustand zur Aufrechterhaltung von Sachautorität ist erreicht, wenn Erfolge dem Führenden zugeschrieben werden, Misserfolge ihn aber nicht weiter belasten. Die demonstrierten persönlichen Fähigkeiten einer Sachautorität werden außerdem an den Anforderungen der bekleideten Position bemessen, formale Position und fachliches Können werden normativ zusammengedacht.[11] Sachautoritätsaufbau bedarf einer gewissen Zeitspanne. Speziell in der Politik muss man sich erst einmal einarbeiten und bewähren, um als Experte auf einem gewissen Gebiet zu gelten. Nur wer über längere Zeiträume seine unschlagbare Kompetenz beweisen kann wird Sachautorität attestiert. Folglich hat die Aussage eines Rentenexperten beispielsweise dann einen hohen Stellenwert, wenn es um Rentenfragen geht. Das Wechselverhältnis zwischen persönlicher Fähigkeit und bekleideter Position zeigt sich in der Politik dort besonders deutlich, wenn Ex-Ministern auf Grund ihrer zuvor ausgeführten Funktion auch nachträglich immer noch Sachautorität in dem jeweiligen Fachgebiet genießen. Sachautorität zeichnet sich allerdings durch ein schwer zu vermeidendes Grunddilemma aus. Sie kann sich nur dann beweisen, wenn sie sich tendenziell selber aufhebt. Indem ein Amtsinhaber Sachautorität durch zum Beispiel überlegenes Fachwissen demonstriert, läuft er gleichzeitig Gefahr, seine Machtquelle (sein Wissen in der Sache) tendenziell aus der Hand zu geben.[12] Auch deshalb ist in der politischen Praxis Sachautorität vielleicht nicht der beste Karrierehelfer. Häufig ist zu beobachten wie fachlich brillante Abgeordnete auf Grund anderer Defizite nur als Zuarbeiter oder „Mann im Hintergrund“ agieren.

[...]


[1] Als beispielhaft kann der Konflikt zwischen klassischer Regierungslehre und der Parlaments-soziologie gesehen werden. Hier kommen zwei wissenschaftliche Forschungsfelder, die einen identischen Forschungsgegenstand (parlamentarische Organisationen) bearbeiten, regelmäßig zu völlig konträren Ergebnissen.

[2] Die folgende Darstellung stützt sich auf die Autoritätskonzeption der Autoren Sofsky und Paris, da sie sich explizit mit Machtstrukturen in Organisationen beschäftigt haben.

[3] vgl. Popitz (1981) S. 78

[4] Sofsky/Paris (1994) S. 12

[5] vgl. Sofsky/Paris (1994) S. 20/22

[6] vgl. Sofsky/Paris (1994) S. 30

[7] vgl. Horkheimer (1992) S. 270

[8] vgl. Sofsky/Paris (1994) S. 32

[9] Sofsky/Paris (1994) S. 73

[10] vgl. Sofsky/Paris (1994) S. 35ff.

[11] vgl. Sofsky/Paris (1994) S. 41ff.

[12] vgl. Sofsky/Paris (1994) S. 51

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Autorität und Informalität im deutschen Bundestag
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Institut für Politik)
Veranstaltung
PS Parlamentssoziologie
Note
2,0
Autor
Jahr
2002
Seiten
19
Katalognummer
V5868
ISBN (eBook)
9783638136006
ISBN (Buch)
9783638801652
Dateigröße
515 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Deutscher Bundestag, Informalität, Autorität, Machtstrukturen, Parlamentssoziologie
Arbeit zitieren
Caspar Borkowsky (Autor:in), 2002, Autorität und Informalität im deutschen Bundestag, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/5868

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