Ästhetische demokratisierte Anatomie am Beispiel von Gunther von Hagens Austellung "Körperwelten"


Hausarbeit (Hauptseminar), 2006

18 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Kleine Geschichte der Anatomie

3. Demokratisierung der Anatomie

4. Ästhetische Anatomie?

5. Fazit

6. Quellenverzeichnis

Anhang

1. Einleitung

Nichts ist und war für den Menschen so faszinierend wie der Mensch selbst, wie seine körperliche und seelische Beschaffenheit, seine physischen und psychischen Qualitäten. Die Kulturgeschichte der Menschheit ist überreich an Zeugnissen für das lebhafte Interesse des Menschen an seiner eigenen Spezies.[1]

Zu erfahren, wie der menschliche Körper funktioniert und wie er beschaffen ist gehört somit zu den wesentlichsten Fragen des Menschen, die Mediziner und auch Künstler von jeher aufzudecken suchten. Aber „um den lebenden Menschen verstehen zu können, muss man wissen, was der tote Mensch ist. Aus dieser Neugier heraus ist die Anatomie entstanden.“[2] Genauso alt wie die Faszination an der Anatomie ist ein anderes mit ihr einhergehendes, ihr gegenüberstehendes Gefühl, nämlich die Scheu, und womöglich auch der Ekel, den von Gott geschaffenen Körper aufzuschneiden, und damit in einen Teil der Schöpfung einzudringen.

Dieser Zwiespalt hat sich bis heute bewahrt und findet seine aktuellste Manifestation in der Diskussion um die Ausstellung „Körperwelten“, die dank einer neuen Technik, dem sogenannten Plastinationsverfahrens, „echte“ Leichen zur Schau stellen kann. Der Initiator dieser Leichenschau fordert eine „Demokratisierung der Anatomie“, um dem Menschen seinen eigenen Körper verständlicher zu machen und näher zu bringen. Gleichzeitig behauptet er mit seinen Plastinaten eine „Ästhetische Anatomie“ geschaffen zu haben. Die meisten Menschen reagieren auf solche Aussagen jedoch mit Ekel und Unverständnis, da ihnen die Darstellung des Toten moralisch, als auch ästhetisch wenig erstrebenswert scheint.

Die vorliegende Arbeit soll die in der Öffentlichkeit bereits heftig diskutierten ethisch - moralischen Hintergründe und Problematiken einer solche Ausstellung nur am Rande betrachten. Vielmehr soll hier festgestellt werden, inwiefern eine „Demokratisierung der Anatomie“ und eine „Ästhetische Anatomie“ im Rahmen der Ausstellung überhaupt möglich sind, und was es heißt einen solchen wissenschaftlichen Prozess aus dem Seziersaal zu einer für die breite Masse zugänglichen Kunst zu machen.

2. Kleine Geschichte der Anatomie

Um verstehen zu können, was eine „Demokratisierung der Anatomie“ heissen würde, ist es wichtig zunächst zu betrachten, wie bisher in den verschiedenen Epochen damit umgegangen worden ist:

„Die ältesten systematischen anatomischen Untersuchungen, die man kennt, sind in einem ägyptischen Papyrus aufgezeichnet, der etwa aus dem Jahr 1600 v. Chr. stammt.“[3] Jedoch beschränkten sich damalige Kenntnisse auf die Hauptorgane, und auch dort eher auf die grobe Darstellung.

„Die ersten belegten wissenschaftlichen Sektionen des menschlichen Körpers wurden im 3. Jahrhundert v. Chr. durch Herophilos und Erasistratos in Alexandria durchgeführt.“[4]

Einer der ersten bedeutenden Anatome war Galen von Pergamon, dessen umfangreiche Arbeiten aus dem 2. Jahrhundert n. Chr. die Anatomie bis in die frühe Neuzeit beeinflussten.[5] Im gesamten Mittelalter dienten Galens Arbeiten als Maßstab.

In der Renaissance jedoch veränderte sich die Denkweise des Menschen und somit wurden auch neue Ansprüche an die Anatomie gestellt:

The period of European history known as Renaissance inspired a new way of critical thinking, free of scholastic precepts and theories, which increased man`s awareness of himself. It placed him at the epicenter of the universe. During the Renaissance classical scholary manuscripts that were scattered, especially works of Greek antiguity, were rediscovered, translated and published. This revival of classical learning lead to changing ideas of man and nature. It was believed that nature and experience were the real source of truth.[6]

Eine wichtige Rolle bei dieser Entwicklung spielten dabei die Künstler dieser Zeit, denn „Medizin und Kunst bedingen einander. Künstler haben die Sektion zwar nicht erfunden, aber doch entscheidend dazu beigetragen, dass aus der Buchwissenschaft der Anatomie eine empirische Methode werden konnte.“[7]

Als „frühester Popularisator der Anatomie“[8] gilt heute Leonardo da Vinci (1452 – 1519). Anatomische Studien unter Künstlern waren zur Zeit der Renaissance durchaus üblich und gehörten sogar zu deren Grundausbildung. Um den Körper möglichst detailgetreu darstellen zu können widmeten Künstler wie Michelangelo, Raffael und Dürer einen Großteil ihres Interesses der Anatomie. Jedoch lag es in da Vincis Interesse den Körper als Mechanismus darzustellen und seine Funktionalität zu beschreiben.[9] Seine zahlreichen Zeichnungen, die diverse Körperteile unter Ausübung ihrer Funktionen abbilden, sind dabei auf die Untersuchung mindestens zweier Dutzend Leichen[10] zurückzuführen.

Mit seinen anatomischen Skizzen [siehe Abb. 1/ 2] eröffnet Leonardo einen didaktischen Blick auf die lebendige Anatomie einer konkreten, prinzipiell als Individuum identifizierbaren Person. Obgleich wir aber mit diesen Motiven heute wohl vertraut sind, markieren sie mitnichten den Startschuss einer öffentlichen Anverwandlung der Anatomie. Zu seinen Lebzeiten und noch gut 250 Jahre nach seinem Tode bleiben die Studien da Vincis unter Verschluss und damit der Wahrnehmung sowohl der medizinischen als auch der allgemeinen Öffentlichkeit entzogen.[11]

Leonardos Zeichnungen blieben aber aus heutiger wissenschaftlicher Sicht weitgehend ohne Bedeutung.

Einen größeren und für die Anatomie entscheidenden Einfluss hatten die Arbeiten des Belgiers Andreas Vesalius (1514-1564). Mit seinem Werk De humani corporis fabrica gelingt es Vesalius die anatomischen Texte aus der Antike zu verdrängen und an ihre Stelle eine neue, forschende Anatomie zu setzen, bei der es in erster Linie darum geht durch „Schneiden, Tasten und Beobachten am Leichnam“[12] neue Erkenntnisse zu gewinnen. Dieser „Paradigmenwechsel weg von der Übermacht antiker Autoritäten hin zum Erkenntnisgewinn durch eigene Anschauung und Forschung bezeichnet den Anfangspunkt der weiteren Entwicklung und Blüte der Anatomie“[13] Von da an wurde die Lehre der Anatomie stetig ausgebaut.

Im gewissen Sinne darf man vom 16. Jahrhundert als goldenes Zeitalter der Anatomie sprechen. An allen wichtigen europäischen Universitäten wie Paris, Bologna, Padua, Pisa, Löwen und Basel lehrten Professoren Anatomie und machten durch ihre Sektionen wichtige Entdeckungen.[14]

Zu dieser Zeit entstehen auch die anatomischen Theater, an denen in erster Linie Sektionen für Studenten abgehalten werden, an denen aber auch erstmals Präparate ausgestellt werden.

In der weiteren Forschung rückten schließlich die Funktionen des Körpers und seiner einzelnen Bestandteile in den Vordergrund, außerdem trieben weitere Entwicklungen und Forschungsmethoden die Anatomie voran und ermöglichten es den Medizinern somit immer tiefer in den Körper einzudringen. „Um die Mitte des 17. Jahrhunderts schließlich begannen die Anatomen und Physiologen dem menschlichen Körper durch die Mikroskopie immer mehr Geheimnisse zu entlocken.“[15]

Zunehmendes Interesse gilt mit der Zeit dem „Haltbar Machen“ von Leichenteilen zu lehrreichen Zwecken. Schrumpfköpfe oder mumifizierte Leichen sprechen dafür, dass dieses Thema aus verschiedenen Gründen schon immer ein Anliegen der Menschen war. Um Körperteile auszustellen, war es bereits seit der Renaissance üblich z.B. Knochen aufzubewahren, um sie in anatomischen Theatern vorzuführen. In der weiteren Entwicklung fand man diverse Stoffe um auch innere Organe haltbar zumachen, indem man sie in konservierende Flüssigkeiten einlegte, und somit die sogenannten Feuchtpräparate erstellte. Eine bis heute verwandte Methode zur Erhaltung von Körperteilen ist das Einbetten von Präparaten in Kunststoffe.[16] Dieses Methode verlief jedoch nicht immer problemlos, was den Anatom Gunther von Hagens veranlasste nach Verbesserungsmöglichkeiten zu forschen. Aus diesem antrieb entstand das chemische Verfahren zur Plastination von Leichen. Dabei wird dem Körper zunächst das Gewebswasser entzogen, welches durch Azeton ersetzt wird. Dieses wiederum wird durch verschiedene Harze oder Kautschuk ausgetauscht, um den Körper zu konservieren. So fertigt von Hagens seine Ausstellungsstücke, eine realitätsnahe Erhaltung der Leichenteile zu ermöglichen.[17]

[...]


[1] Landesmuseum für Technik und Arbeit, Mannheim/ Institut für Plastination, Heidelberg (Hrsg.): Körperwelten – Einblicke in den menschlichen Körper. Heidelberg, 1997. Seite 7.

[2] Ebd. Seite 11.

[3] http://www.urbanfischer.de/Sobotta/frame_template.htm?/Sobotta/seite4.html (eingesehen am 13. März, 2006)

[4] Ebd.

[5] Vollmuth, Ralf: Das Anatomische Zeitalter. München: Neuer Merkur Verlag, 2004. Seite 210.

[6] Persaud, T. V. N.: A History of Anatomy. Springfield, USA: Charles C.Thomas, 1997. Seite 3.

[7] Bredekamp, Horst: Grenzfragen von Kunst und Medizin. In: Bogusch, Gottfried/ Graf, Renate/ Schnalke, Thomas (Hrsg.): Auf Leben und Tod – Beiträge zur Diskussion um die Ausstellung „Körperwelten“. Darmstadt: Steinkopf Verlag, 2003. Seite 83.

[8] Schnalke, Thomas: Demokratisierte Körperwelten. In: Bogusch, Gottfried/ Graf, Renate/ Schnalke, Thomas (Hrsg.): Auf Leben und Tod – Beiträge zur Diskussion um die Ausstellung „Körperwelten“. Darmstadt: Steinkopf Verlag, 2003. Seite 4.

[9] Keele, Kenneth: Leonardo Da Vinci`s Elements of the Science of Man. New York: Academic Press, 1983. Seite 195.

[10] Landesmuseum für Technik und Arbeit, Mannheim/ Institut für Plastination, Heidelberg (Hrsg.): Körperwelten – Einblicke in den menschlichen Körper. Heidelberg, 1997. Seite 13.

[11] Schnalke, Thomas: Demokratisierte Körperwelten. In: Bogusch, Gottfried/ Graf, Renate/ Schnalke, Thomas (Hrsg.): Auf Leben und Tod – Beiträge zur Diskussion um die Ausstellung „Körperwelten“. Darmstadt: Steinkopf Verlag, 2003. Seite 6.

12http://www.urbanfischer.de/Sobotta/frame_template.htm?/Sobotta/seite4.html (eingesehen am 13. März, 2006)

[13] Vollmuth, Ralf: Das Anatomische Zeitalter. München: Neuer Merkur Verlag, 2004. Seite 137.

[14] Landesmuseum für Technik und Arbeit, Mannheim/ Institut für Plastination, Heidelberg (Hrsg.): Körperwelten – Einblicke in den menschlichen Körper. Heidelberg, 1997. Seite 23.

[15] Vollmuth, Ralf: Das Anatomische Zeitalter. München: Neuer Merkur Verlag, 2004. Seite 139.

[16] Hagens, Gunther: Der plastinierte Mensch. In: Landesmuseum für Technik und Arbeit, Mannheim/ Institut für Plastination, Heidelberg (Hrsg.): Körperwelten – Einblicke in den menschlichen Körper. Heidelberg, 1997. Seite 220f.

[17] Krüger-Fürhoff, Irmela Marei: Der versehrte Körper – Revisionen des klassizistischen Schönheitsideals. Göttingen: Wallstein Verlag, 2001. Seite 103.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Ästhetische demokratisierte Anatomie am Beispiel von Gunther von Hagens Austellung "Körperwelten"
Hochschule
Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald
Note
2,3
Autor
Jahr
2006
Seiten
18
Katalognummer
V58561
ISBN (eBook)
9783638527170
ISBN (Buch)
9783656792123
Dateigröße
728 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Anatomie, Beispiel, Gunther, Hagens, Austellung, Körperwelten
Arbeit zitieren
Vanessa Lengert (Autor:in), 2006, Ästhetische demokratisierte Anatomie am Beispiel von Gunther von Hagens Austellung "Körperwelten", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/58561

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