Rolle und Funktion der Maria Magdalena des Donaueschinger Passionsspiels im Fokus symbolischer Wirkmächte


Hausarbeit (Hauptseminar), 2016

20 Seiten, Note: 1,7

Anonym


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Das Rollenprofil der Maria Magdalena

3. Aufführung und Wirkung
3.1 Das Passionsspiel im Kontext seiner Zeit
3.2 Funktion der Maria Magdalena

4. Der Spieltext und seine Symbole

5. Resümee

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Für das Jahr 2017 ist eine Hollywood Verfilmung der biblischen Figur Maria Magdalena von den Universal Studios geplant.1 Fast 2000 Jahre nach der Erwähnung einer Frau namens Maria aus dem Orte Magdala in den Evangelien2 herrscht offensichtlich immer noch großes Interesse, diese Frauengestalt medial darzustellen.

Schon vor 1000 Jahren wurden in Deutschland ursprünglich liturgische Gesänge und neutestamentaliche Begebenheiten spielerisch nachvollzogen, sodass sich allmählich ein Kirchentheater mit dramatischen Rollen nach Bibelvorlage entwickelte. Vom 13. Jahrhundert an traten sog. Passionsspiele - als eine Form der geistlichen Spiele - innerhalb städtischer Festkultur in Erscheinung und erreichten mit Zunehmen der Expressivität im weltlich-künstlerischen Leben in den folgenden drei Jahrhunderten ihren Verbreitungshöhepunkt. Parallel mit der kultischen Handlung einer gottesdienstlichen Predigt können geistliche Spiele als größtes Massenmedium des späten Mittelalters genannt werden.3 Ziel der Spiele war es, durch ihre wiederholte Aufführung die Heilsgeschichte immer wieder zu aktualisieren und so für Zuschauer wie Spieler ein kollektives Heilserleben erfahrbar zu machen.4 Die für die Zeit typische Erwartung einer weltlichen Endzeit mit jüngstem Gericht und anschließendem Aufenthalt in der Hölle schürte Angst. Der Besuch der Spiele sollte die Hoffnung auf Erlösung wecken, um dieser Angst entgegenzuwirken. Die Menschen ersehnten die Vergebung ihrer Sünden, um statt Greuel am Weltende Heil erlangen zu dürfen. Die Figur der Maria Magdalena als sündiger Mensch, der zur Reue bekehrt wird, bot hier eine perfekte Identifikationsfläche für das Publikum.5 Darin begründete sich die Intension für eine dramatische Darstellung der Maria Magdalena.

Das VL verweist in Bezug auf das Weltleben und die Bekehrung der Maria Magdalena auf eine besonders „eigenwillige Darstellung“6 im Donaueschinger Passionsspiel, sodass diese, die Verse 83-392 betreffende, Sequenz einer Untersuchung wert ist. Am Beispiel der Konversionsszene des Donaueschinger Passionsspiels (DEP) wird diese Arbeit untersuchen, worin das Interesse bestand, die Figur der Maria Magdalena (MM) als Theaterrolle anzulegen, und welche Funktion die Darstellung ihrer Buße hatte. Besonderes Augenmerk ist hierbei auf die Wirkmacht der Symbolik gelegt, sowohl in Bezug auf die Figur MMs, als auch den Spieltext der Bekehrungsszene betreffend.

Hierfür macht es Sinn, zunächst ein Rollenprofil MMs zu erarbeiten. Das meint, aus den beschriebenen Lebensumständen und Handlungsweisen Rückschlüsse auf die Persönlichkeit der Figur zu ziehen. Ferner wird mit Hilfe ihrer optischen und ikonographischen Merkmale, sowie ihrer ausgeprägten Eigenschaften ein charakteristisches Erscheinungsbild in einer Gesamtheit geformt. Dazu wird die Hybridität ihres Mythos’ beschrieben, wobei weniger die Überlegung, warum es zur Vermischung mehrer biblischer Mariae kam, im Vordergrund stehen soll, als vielmehr der daraus resultierende Mehrwert für die Plastizität des Bühnencharakters MM.

Anschließend wird auf die Aufführungsabsichten und das Wirken des Passionsspiels im Kontext seiner Zeit eingegangen, um Erkenntnisse darüber zu gewinnen, welche Funktion die Verkörperung der MM innehatte. Es geht nicht darum, eine fixierte Aussage über die Tatsächlichkeit der Darstellung MMs im DEP zu treffen. Vielmehr wird eine Ausschau auf die Darstellungsfunktion und ihre Wirkung skizziert. Hierbei fließen auch gesellschaftliche und kommunikative, sowie kulturelle Voraussetzungen des Mittelalters in Bezug auf das kirchliche Theater mit ein.

Eine genauere Analyse der Verse 83-392 des DEP,7 des Textes der Konversionssequenz, untersucht die Aussagekraft der Symbolik in Spielanleitung und Sprechtext für die Figur MM. Es soll nachvollzogen werden, welche Ideen auf Grundlage des Textes zur Verkörperung MMs gegeben waren. Die Fülle ihres Rollenprofils und der damit verbundenen szenischen Darstellung soll sichtbar gemacht werden. Dadurch wird die Intention offengelegt, die hinter einer medialen Darstellung der Figur MM lag und gezeigt, welchen Einfluss die Bekehrungsszene um MM für das Konversionsverständnis des Zuschauers im Mittelalter hatte.

2. Das Rollenprofil der Maria Magdalena

Unter allen Heiligen, deren Leben durch Konversion seinen entscheidenden Wandel erreichte, ist MM bis heute eine der populärsten Figuren. Die Faszination für diese Frau ist sicher in der Ambivalenz ihres Charakters begründet.8 Im Mittelalter zählte sie zu den bekanntesten Gestalten und war der Prototyp der Büßerin.9 Als Heilige diente sie als Medium zwischen dem Menschen und Gott und wurde so zur Legende. Diese Gattung der Legende unterliegt einer Erzähltradition, in welcher die Figur der MM stets neu montiert und mit anderen biblischen Frauengestalten verflochten wurde.10 Durch die Verschmelzung verschiedener Charaktere kam es zur Hybridität der Magdalenenfigur. Im Fokus der Konversionsszene des DEPs stand das Motiv der Reue und Bekehrung, welches mit der Salbung Christi einhergeht. Die Buße und die Salbung sind auch markante Stellen in den biblischen Erzählungen um die drei Mariengestalten, aus welchen die Figur der MM in der mittelalterlichen Tradition komponiert wurde. Da ist zunächst Maria aus Magdala, eine herausragende Frauengestalt des NT, der als wichtigste Jüngerin11 eine bedeutende Rolle bei der Passion und Auferstehung Jesu zukam.12 Ihr Charakter vermischte sich mit dem der Maria von Bethanien, Schwester von Martha und Lazarus, die Jesu Füße wusch,13 und dem einer namenlose Büßerin aus dem Evangelium des Lukas.14 Letztere salbte Jesu Füße. Durch die Magdalenenhomilien Gregors des Großen wurde diese Verwebung der Frauenfiguren zum Ende des sechsten Jahrhunderts für die Westkirche geltend. Er machte mit dieser Verschmelzung MM zum Bild für die Kirche des Mittelalters.15 Es entstand ein verbindliches Einheitsbild der MM. Dieses auch als „Magdalenensynkretismus“16 bezeichnete Phänomen bediente sich verschiedener Merkmale der unterschiedlichen Frauengestalten und setzte sie - gleich einem Puzzle - zu einem neuen, erweiterten Bild einer Frau namens MM zusammen. Bei diesem Vorgang wurden bestimmte Ecken und Kanten des jeweils ursprünglichen Charakters abgeschliffen, damit er mit den Puzzleteilen der anderen Charaktere zusammenpasste.

Wie schon erwähnt, lag der Fokus der Magdalenen-Szene im DEP auf dem Wandel der Hure zur Heiligen. Daher war die Anreicherung der Figur MM durch die Frau, die in Lk 7,37 als Sünderin tituliert wird,17 von großer Bedeutung. Keiner der beiden Mariae ist auf Bibelgrundlage ein sündiges Leben nachzuweisen. Zwar war Maria aus Magdala von sieben Dämonen besessen, von denen sie geheilt wurde, bevor sie sich der Gruppe der Jünger Jesu anschloss,18 nichts lässt jedoch darauf schließen, dass die Dämonen mit einem sündigen Leben, gar als Prostituierte, in Verbindung gebracht werden konnten.19 Zweifelsohne war der Aspekt der Besessenheit dennoch für das Rollenprofil der MM von großer Wichtigkeit. Im Neuen Testament wurde die dämonische Besessenheit grundsätzlich negativ bewertet.20 Die notizhafte Erwähnung von Maria aus Magdala im Lukasevangelium kann als Exorzierung Mariae durch Jesu gelesen werden. Im Markusevangelium wird ein exorzistisches Wirken Jesu an MM direkt benannt.21 Auch nachdem die Dämonen aus Maria aus Magdala herausgefahren waren, wird dieses Schicksal sie in nachwirkender Weise geprägt haben und haftete ihr an. Zur Plastizität der Figur MMs trägt das Motiv der Besessenheit insofern viel bei, als dass der Außenstehende nicht über diese lebenseinschneidende Störung Marias aus Magdala hinwegsehen konnte. Das Phänomen der Besessenheit benennt die Beeinflussung eines menschlichen Wesens durch externe Energien, die stärker sind als dieses selbst. Erkennbar wird dieser Zustand durch Verhaltensformen und Bewusstseinszustände der Betroffenen, welche von ihrer Umgebung als abnormal wahrgenommen werden. Die Besessene scheint physisch und geistig mit der einwirkenden Kraft verbunden. Die Dämonen ergreifen die Kontrolle über das Individuum und missbrauchen seinen Körper, um sich der herrschenden Moral entgegen zu stellen.22 Rückt man das Motiv der Besessenheit in den Fokus des magdalenischen Rollenprofils, könnte die Bekehrungsszene im DEP mit einer Geisteraustreibung gleichgesetzt werden. MM lässt durch Wirken Jesu von ihren unkonventionellen Handlungsweisen ab. Die Dämonen haben nicht mehr die Macht, durch MM zu agieren.

Von einer anderen Seite beleuchtet lässt sich das, die gängigen Moral missachtende, Leben der MM auch als Selbständigkeit und Selbstbewusstsein auslegen. Der Herkunftsort Magdala war bekannt für seine Fischindustrie. Maria war vermutliche eine unverheiratete Geschäftsfrau, die es gewohnt war, zu reisen.23 Als erste Jüngerin erhielt sie von Jesus den Auftrag, seine Auferstehung zu verkünden.24 Dadurch wurde sie zur konkret handelnden Person und zur Verkünderin und Lehrerin.25 Durch dieses besondere Vertrauensbekenntnis Jesu machte er Maria zur Jüngerin der Jünger. In der Logik der Konvergenzszene des DEP konnte die „Einheitsgestalt“26 der MM die Ehre der apostola apostolorum erst nach ihrer Bekehrung erhalten und der Vorgang wurde hier auch nicht explizit geschildert, jedoch setzte er eine Selbständigkeit und Klugheit voraus, die man ihrem Charakter nicht absprechen konnte.

Klugheit wiederum ist bezeichnend für die dritte Figur, die als Vorlage der Magdalenenlegende galt, Maria aus Bethanien. Bezeichnend ist grundsätzlich, dass Jesus Maria und ihre Schwester Martha lehrte, obwohl Rabbis traditionell keine Frauen unterweisen durften.27 Im Gegensatz zu ihrer Schwester ließ Maria ihre Rolle als Hausfrau außer Acht, um sich dem Evangelium zu widmen und wurde so als weise und lehrsam gezeigt.28 Diese Bibelsequenz machte Maria zum Symbol der vita contemplativa.29 Die konzentrierte Betrachtung eines geistigen Objekts setzt innere Ruhe und geistige Tiefe voraus. Verknüpft man diese Eigenschaften nun noch mit dem Bild der hingebungsvollen Frau, die auch auf emotionaler Ebene Intelligenz beweist, erklären sich die prophetischen Züge ihres Wesens. Im Johannesevangelium salbte Maria die Füße ihres Messias mit kostbarstem Nardenöl und nam so die Salbung seines Leichnams vorweg.30 Sie wußte um die Soteriologie seines Todes.31

Mit der Salbung schließt sich nun der Kreis zur anonymen Büßerin aus dem Lukasevangelium. Sie salbte Jesus die Füße und trocknete sie mit ihren Haaren, um die Vergebung ihrer Sünden zu erbitten.32 Ihr Handeln war sehr direkt. Als Unbekannte wagte sie es, Jesus zu berühren.33 Dieses zeugte einerseits von großer Not, andererseits aber auch von Spontanität, Impulsivität und Selbstbestimmtheit.

Zusammenfassend ist zu sagen, dass die Anreicherung der Person Marias aus Magdala mit den Zügen der beiden anderen Frauengestalten zur Formung einer Magdalenengestalt führte, die ihre bis heute anhaltende Popularität in der westlichen Kultur erst ermöglichte. Es war notwendig, dass MMs Charakter sie zu einem lasterhaften Leben trieb, damit die Spannung gegenüber dem Leben als gelehrte Jüngerin größtmöglich gehalten war.34 Erst die Mischgestalt MM konnte sich innerhalb der Extreme wandeln.35 Durch die Stellung in ein reiches Beziehungsgeflecht gewann das Rollenprofil MMs an Plastizität. Die Oberfläche Ihres Charakters vergrößerte sich und wurde dadurch, gleich einer Seifenblase, schillernder und farbenreicher. Gleichzeitig duplizierten sich die Darstellungsmöglichkeiten dieser Figur. MM wirkte über die historische Gestalt zur Zeit des neuen Testaments, die sie war, hinaus als Repräsentantin der Heilsgeschichte.36 Die Rezipienten erfuhren durch MMs Darstellung die Spannung der persönlichen Schuld, der die disruptive Wirkung der göttlichen Gnade entgegen gesetzt wurde. MM wurde zum Symbol für Bussfertigkeit schlechthin.

Als prägendes kulturelles Phänomen erfuhr die Gestalt MM große Aufmerksamkeit innerhalb der Kunstgeschichte. Ab dem 12. Jahrhundert wurde sie zusehens zur selbständigen, von christologischen Szenen unabhängig dargestellten Figur.37 Im Fokus ihrer Abbildung stand auch hier die Buße, häufig gekoppelt an den Salbungsvorgang. Daher war der Salbentiegel ihr markantestes ikonographisches Attribut, welches gleichzeitig das Moment der Konversion unterstrich. Dem entgegengesetzt stand das offen getragene, wallende, oft rote Haar als Zeichen des unmoralischen Lebenswandels.38 Die Haare symbolisierten in der mittelalterlichen Auslegung der Bibel auch die Demut,39 schlugen also durch ihre weiche, flexible Textur bildlich die Brücke von der Dirne zur knieenden Büßerin, die Jesu Füße trocknete. Auffällig ist, dass die Haare eine Blicklenkung vom Kopf der MM nach unten verursachten. Sie zeichneten den Weg der Buße vom Sitz des Verstandes bis zu den Füßen nach. In Hinblick auf MMs ikonographische Erscheinung und der vorausgegangenen Untersuchung ihres Rollenprofils kristallisieren sich die drei entscheidenden Momente heraus, die sich in der Darstellung ihrer Figur im geistlichen Spiel in einen Dreischritt einteilen lassen:40 Das Moment der Sünde, aufgebaut aus der Erzählung um die namenlose Büßerin aus Lukas 7,37, das Moment des Wandels, wiederzufinden in der ehemals dämonenbesessenen Maria aus Magdala, sowie das Moment der Heilserfahrenen, repräsentiert durch die kontemplative Maria aus Bethanien, die Jesu Jüngerin und Freundin war.

3. Aufführung und Wirkung

3.1 Das Passionsspiel im Kontext seiner Zeit

Nachdem andere Formen des geistlichen Dramas längst etabliert waren, entstand im 13. Jahrhundert, einhergehend mit einer neuen Frömmigkeitshaltung, der Spieltypus Passionsspiel. Das Frömmigkeitsleben nahm zu dieser Zeit individualisierende Züge an, weshalb das persönliche Einfühlen in die Ereignisse des Leben Jesu an Bedeutung gewann.41 Der Wunsch nach Teilnahme an heilsbringenden Handlungen wollte befriedigt werden. Im Gegensatz zum Kult des Gottesdienstes, welcher eine heilsvermittelnde Zeremonie war, in der allein der Priester sakramentale Handlungen vollzog, bot die Performation der Spielhandlungen einen Grad an Anteilnahme, der über das bloße Beiwohnen hinaus ging. Das Ritual Gottesdienst wurde im geistlichen Spiel durch körperliche und verbale Darstellung von Figuren aus der Bibel und die daraus resultierende sichtbare Vergegenwärtigung Gottes angereichert. Die Inszenierung der Heilsgeschichte bot im Gegensatz zur Predigt oder zur Bibellektüre eine mediale Zusatzwirkung, die eine Identifikation mit den Figuren bis hin zur persönlichen Heilserfahrung möglich machten. Dadurch, dass die Figuren mimetisch, scheinbar real vor den Augen der Zuschauer agierten, wurde das Heilserlebnis gegenwärtig und real.42 Im Vordergrund stand die Aufführung, nicht der biblische Text, das Ereignis, nicht die Inszenierung, die körperliche Anwesenheit der Darsteller, nicht das Rollenspiel, damit eine Realerfahrung erreicht werden konnte.43 Die Darstellung der MM im DEP ist daher eher als performative Umsetzung der Konversion, denn als schauspielerische Darstellung einer Figur innerhalb einer theatralen Inszenierung eines dramatischen Textes zu begreifen. Eine konkrete Aussage über die Darstellungsform zu treffen, ist nicht möglich. Eine Orientierung in Bezug auf die Aufführungswirklichkeit bietet Johannes Janotas Arbeit über die Wirkung mittelalterlicher Passionsspiele anhand von Zeitzeugenaussagen. Der Autor stellt fest, dass die Rekonstruktion des Agierens der Schauspieler bzw. die tatsächliche Wirkung ihrer Performanz beim Publikum nicht mehr dingfest gemacht werden kann. Dennoch lassen sich Imaginationen in Bezug auf die Darstellung bestimmter Szenen dadurch rechtfertigen, dass hinter jeder denkbaren Fiktion ein möglicher Realitätsbezug steht.44

Die Spieler im DEP waren Rollenträger, welche mit epischer Distanz das Wort der Bibel bildhaft umsetzten.45 Wesentliche Bedingung war die Akzeptanz des Publikums, das reale Personen zeichenhaft biblische Figuren abbildeten und so Szenarien ähnlich der biblischen Vorlage veranschaulichten. Dieser sogenannte Fiktionalitätskontrakt wurde im Vorspiel des DEP von einem Proclamator besonders betont.46 Der Ausschreier verdeutlichte den Theatervertrag, indem er hervorhob, dass es Menschen waren, die Bilder zum Zwecke der Andacht nachzeichneten. Die Zuschauer wurden sofort mental stimuliert, da der Ausrufer sie direkt als „arme Sünder“ ansprach.47 Der psychologisierenden Belehrungsabsicht wurde direkt zu Spielbeginn ein Nährboden bereitet, auf welchem sich die Glaubensvermittlung ausbreiten konnte.

Um die Grenze vom Erzählten zum Erlebten zu überwinden, musste das Handeln zwischen Zuschauern und Spielern erspürbar gewesen sein. Die Verbindung zwischen der Kirche als Vermittlerin des Heils und dem Volk als dessen Empfänger erneuerte sich im Medium des Passionsspiels besonders sichtbar. Daher ist sicher, dass in Bezug auf das Dargestellte von den Zuschauern eine bestimmte affirmative Reaktion erwartet wurde. Die Szenen appellierten an das Publikum, sie hatten eine Kommunikationsabsicht und waren daher in ihrer Spielweise direkt ans Volk gerichtet.48 Diese Metakommunikation machte das Theater des Mittelalters zu einer Institution sozialen Handelns innerhalb einer bestimmten Gemeinschaft. Durch das Passionsspiel wurden öffentliche Diskussionen über die bestehende Werteordnung und die mit ihr einhergehenden Wertekonflikte entfacht. Die Spiele hatten die Funktion eines religiösen Persuasionsinstruments und leisteten zugleich Hilfestellung bei der Werteorientierung, zumal sie in die städtische Festkultur eingebunden waren.49 Sie waren Teil der urbanen Kulturpolitik.

[...]


1 Vgl. Pro - Christliches Medienmagazin, Film über Maria Magdalena kommt 2017. (WWW-Dokument, http://www.pro-medienmagazin.de/film/detailansicht/aktuell/film-ueber-maria-magdalena-kommt-2017-94827/), abgerufen am 09.09.2016.

2 Vgl. Elberfelder Bibel, SCM R. Brockhaus (Hg.), Witten 2015: Lk 8, 1-3; Ma 15, 40-47; Joh 19, 25; 20, 1-18. Erwähnung: Synoptiker ca. 70-90 n. Chr., Joh. ca. 100 n. Chr.

3 Vgl. Schulze, Ursula: Geistliches Spiel im Mittelalter und der frühen Neuzeit. Von der liturgischen Feier zum Schauspiel; eine Einführung, Berlin 2012, S. 16-18.

4 Vgl. Weitbrecht, Julia: Die Performanz von Weltleben und Konversion: Maria Magdalena im geistlichen Spiel, in: Zeitsprünge 15,4 (2011), S. 493f.

5 Vgl. Virzens, Lucie: Das dramatische Tempo als Spannungselement am Beispiel von Weltleben und Bekehrung der Maria Magdalena in deutschsprachigen geistlichen Spielen des Mittelalters, in: Mediavistik 5 (1992), S. 160.

6 Vgl. Neumann, Bernd: Art. Donaueschinger Passionsspiel, in: VL, begr. v. Wolfgang Stammler, fortgeführt v. Karl Langosch, hg. v. Kurt Ruh, Bd. 2, Berlin/New York 1980, Sp. 201.

7 Das Donaueschinger Passionsspiel. Nach der Handschrift mit Einleitung und Kommentar neu hg. v. Anthonius H. Touber. Stuttgart 1985 (Reclams Universal Bibliothek 8046).

8 Vgl. Weitbrecht, Julia: Die Performanz von Weltleben und Konversion, S. 484.

9 Vgl. Krems, Eva-Bettina: Art. Maria Magdalena, in: LThK, 3., völlig neu bearb. Aufl. hg. v. Walter Kasper u. a., Bd. 6, Freiburg u. a. 1997, Sp. 1342.

10 Vgl. Weitbrecht, Julia: Die Performanz von Weltleben und Konversion, S. 485.

11 Vgl. Hartenstein, Judith: Art. Maria Magdalena, in RGG. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft, 4., völlig neu bearb. Aufl., hg. v. Hans Dieter Betz u. a., Bd 5, 2008, Sp. 801.

12 Vgl. Elberfelder Bibel, Lk 8, 1-3; Ma 15, 40-47; Joh 19, 25; 20, 1-18.

13 Vgl. Ebd. Lk 10,38-42; Mat 26,6-13; Mk 14,3-9; Joh 12,1-8.

14 Vgl. Elberfelder Bibel, Lk 7,37.

15 Vgl. Radlbeck-Ossmann, Regina: Art. Maria Magdalena, in: LThK, Sp. 1340.

16 Vgl. Polaschegg, Andrea, Literarisches Bibelwissen als Herausforderung für die Intertextualitätstheorie. Zum Beispiel: Maria Magdalena, in: Scientia Poetica II (2007), S. 216.

17 Vgl. Eberfelder Bibel.

18 Vgl. Ebd., Lk 8,2.

19 Vgl. Adam, Eva-Maria, Maria Magdalena in geistlichen Spielen des Mittelalters, Diss. Zürich 1996, S. 7.

20 Vgl. Strecker, Christian, Besessenheit, 2009 (WWW-Dokument, http://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/59545/) abgerufen am 12.09.2016.

21 Vgl. Eberfelder Bibel, Mk 16,9.

22 Vgl. Strecker, Christian, Besessenheit.

23 Vgl. Kitzberger, Ingrid Rosa: Art. Maria Magdalena, in RGG. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft, 4., völlig neu bearb. Aufl., hg. v. Hans Dieter Betz u. a., Bd 5, 2008, Sp. 800.

24 Vgl. Eberfelder Bibel, Joh 20,16-18.

25 Vgl. Maisch, Ingrid: Art. Maria Magdalena, in: LThK, Sp 1341.

26 Hier als Begriff für den Hybrid MM. Siehe dazu Adam, Eva-Maria, Maria Magdalena in geistlichen Spielen des Mittelalters, Diss. Zürich 1996, S. 46.

27 Vgl. Galan, Benjamin, Frauen der Bibel. Düsseldorf 2012, S.5.

28 Vgl. Eberfelder Bibel, Lk 10, 38-40.

29 Vgl. Radlbeck-Ossmann, Regina: Art. Maria v. Bat(h)anien, in: LThK, 3., völlig neu bearb. Auflage., hg. v. Walter Kasper u. a., Bd. 6, Freiburg u. a. 1997, Sp 1343.

30 Vgl. Eberfelder Bibel, Lk 12, 1-8.

31 Vgl. Haskins, Susan, Die Jüngerinnen. Maria Magdalena und die Unterdrückung der Frau in der Kirche. Bergisch Gladbach 1994, S. 36.

32 Vgl. Elberfelder Bibel, Lk 7,37.

33 Vgl. Adam, Eva-Maria, Maria Magdalena in geistlichen Spielen des Mittelalters, S. 32.

34 Vgl. Weitbrecht, Julia: Die Performanz von Weltleben und Konversion, S. 487.

35 Vgl. Adam, Eva-Maria, Maria Magdalena in geistlichen Spielen des Mittelalters, S. 47.

36 Vgl. Ebd., S. 40.

37 Vgl. Radlbeck-Ossmann, Regina: Art. Maria v. Bat(h)anien, in: LThK, Sp 1342.

38 Vgl. Hartenstein, Judith: Art. Maria Magdalena, in RGG, Sp. 801.

39 Vgl. Adam, Eva-Maria, Maria Magdalena in geistlichen Spielen des Mittelalters, S. 55.

40 Vgl. Weitbrecht, Julia: Die Performanz von Weltleben und Konversion, S. 486.

41 Vgl. Adam, Eva-Maria, Maria Magdalena in geistlichen Spielen des Mittelalters, S. 217.

42 Vgl. Schulze, Ursula: Geistliches Spiel im Mittelalter und der frühen Neuzeit, S. 14-16.

43 Vgl. Meier, Christel: Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Werte im vormodernen Theater. Eine Einführung, in: Meyer, Claudia et al. (Hgg.), Das Theater des Mittelalters und der frühen Neuzeit als Ort und Medium sozialer und symbolischer Kommunikation, Münster 2004 (Symbolische Kommunikation und gesellschaftlicher Wertewandel 4) S. 8.

44 Vgl. Janota, Johannes: Repraesentatio peccatorum. Zur Absicht und Wirkung der spätmittelalterlichen Passionsspielaufführungen, in: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 137 (2008), S. 454.

45 Vgl. Schmidt, R. H.: Raum, Zeit und Publikum des geistlichen Spiels. Aussage und Absicht eines mittelalterlichen Massenmediums, München 1975, S. 83.

46 Vgl. Schulze, Ursula: Geistliches Spiel im Mittelalter und der frühen Neuzeit, S. 200-201.

47 Vgl. Das Donaueschinger Passionsspiel, V. 44-47.

48 Vgl. Schmidt, R. H.: Raum, Zeit und Publikum des geistlichen Spiels, S. 125.

49 Vgl. Meier, Christel: Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Werte im vormodernen Theater, S. 9-12.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Rolle und Funktion der Maria Magdalena des Donaueschinger Passionsspiels im Fokus symbolischer Wirkmächte
Hochschule
Christian-Albrechts-Universität Kiel  (Germanistik)
Veranstaltung
Theater im Mittelalter: Das geistliche Spiel
Note
1,7
Jahr
2016
Seiten
20
Katalognummer
V585289
ISBN (eBook)
9783346189028
ISBN (Buch)
9783346189035
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Geistliches Spiel, Mittelalter, Theater, Maria Magdalena, Ältere Deutsche Literatur, DOnaueschingen, Passionsspiel, Symbolik
Arbeit zitieren
Anonym, 2016, Rolle und Funktion der Maria Magdalena des Donaueschinger Passionsspiels im Fokus symbolischer Wirkmächte, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/585289

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