Saudi-Arabien im Jemenkrieg. (Rück-)Gewinn struktureller Macht?

Die Kontrolle des Bab Al-Mandab und seine Bedeutung für den internationalen Ölhandel und die Maritime Silk Road


Hausarbeit, 2019

23 Seiten, Note: 1,9


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1 Tematische Einleitung
2 Methodik, Aufbau und Ziele dieser Arbeit

2. Die Theorie Struktureller Macht

2. Der sunnitisch-shiitische Glaubenskonflikt - Ein erklärungsträchtiges Narrativ?

3. Der Jemenkrieg

3. Der Huthi-Angriff auf die saudische Ölraffenerie in Abqaiq

4. Die geopolitische Bedeutung des Jemen

5. Die Maritime Silk Road

6. Weitere Ziele und Interessen Saudi-Arabiens im Jemenkrieg

7. Ausblick und Fazit

8. Literaturverzeichnis

Einleitung

Als im Zuge der sogenannten „Operation Decisive Storm“ am 26. März 2015 erstmals sau-dische Bomben auf jemenitische Stützpunkte abgeworfen werden (Vgl. Zeit 2015), markiert das den Beginn eines bis heute andauernden Krieges zwischen der von Saudi-Arabien ange-führten Militärallianz und den jemenitischen Huthi-Rebellen. Der Konflikt im mit Abstand ärmsten Golfstaat wurde seitdem unter mannigfaltigen Gesichtspunkten betrachtet und in die traurige Sammlung repetitiver Kriege im Nahen Osten integriert. Tatsächlich lassen sich bei genauerer Betrachtung des Jemenkrieges, neben einigen Gemeinsamkeiten, jedoch grundsätz-lich divergierende Motive, Kontexte und strukturbestimmende Faktoren erkennen, die ihn von anderen Konflikten wie in Afghanistan oder Irak unterscheiden.

Das übergeordnete Ziel dieser Arbeit ist es zu beurteilen, inwiefern der Jemenkrieg als Rück- und/oder Zugewinn struktureller Macht Saudi-Arabiens betrachtet werden kann. Die Notwendigkeit der Trennung von Rückgewinn und Zugewinn wird sich im Verlauf dieses Textes präzipitieren. Um die Forschungsfrage angemessen zu untersuchen und im Schlussteil zu beantworten, sind drei grundlegende Vorarbeiten nötig.

Zum Ersten wird das von Susan Strange entwickelte Konzept struktureller Macht kurz erläutert; nicht allein, um diese Form des Machtverständnisses zu begreifen, sondern auch, um den, der Teorie innewohnenden narrativ-selektiven Blickwinkel zu schärfen, der für die zielgerichtete Betrachtung eines hochkomplexen internationalen Konfliktes notwendig ist. Durch diese Vorgehensweise soll eine zu hohe Ausweitung des Temenfokus in irrele-vante Teilphänomene vermieden werden, die den Umfang dieser Arbeit sprengen würden.

Anschließend nimmt sich die Arbeit kurz der traditionellen Erzählung des sunnitisch-shi-itischen Glaubenkonfliktes an, um seine Bedeutung für die rekurrenten gewaltsamen Konlikte im Nahen Osten zu bewerten.

Als dritte und letzte Vorarbeit dient eine kurze Darstellung der Umstände des Jemenkrieges selbst, doch allein betrachtet als situativ-interaktive Kulisse mehrerer im Präferenzkonflikt ste-hender Regime. Die strukturelle Aufstellung der Konfliktparteien wird vielmehr mittels eines sehr konkreten und hochaktuellen Fallbeispieles untersucht: Dem Angriff auf die saudischen Ölraffinerien in Abqaiq und Churais.

Der Haupteil widmet sich der Bedeutung des Jemen für die Interessen Saudi-Arabiens und sowie anderer Konfliktparteien, zunächst unter geopolitischen Gesichtspunkten. Gleichzei-tig beginnt ab diesem Abschnitt die Einflechtung eigener auf die Forschungsfrage ausgerichtete Analysen. In diesem wie im folgenden Kapitel wird die Relevanz des Landes für die Sicherheits-architektur des internationalen (Öl-)Handels insbesondere über den Seeweg der Maritime Silk Road herausgearbeitet werden, welche später zu den potentiellen strukturellen Machtgewinnen überleiten, die sich daraus für ein siegreiches saudisches Königreich ergäben.

Im Schlussteil werden dann die gewonnen Erkenntnisse subsummiert und zur Bildung eines Fazits sowie eines kurzen Ausblickes herangezogen.

Die Theorie struktureller Macht

Das von Susan Strange (1988, 1996, 1997) entwickelte Konzept struktureller Macht ist ein viel-schichtiges und komplexes Modell, dass stellenweise Überschneidungen zu Galtungs (1998: 341 ff.) Begriff »struktureller Gewalt« aufweist. Es beruht auf der Beobachtung einer zunehmenden Entkopplung internationaler Durchsetzungsfähigkeit, also der Tatsache, dass der Ausgang inter-nationaler Konflikte immer seltener durch den Verweis auf Kapazitäten von soft und hard power erklärt werden kann (Vgl. Gu 2012: 259). Baldwin (1979: 164) hat diesem Phänomen den Na-men „paradox of unrealized power“ gegeben. So gibt es zahlreiche Beispiele von Staaten, die über beeindruckende Kapazitäten an hard und soft power verfügen und trotzdem bei der Durchset-zung ihrer Präferenzen scheitern. Auf der anderen Seite gehen Staaten, trotz mangelnder Verfü-gung über die beiden Machtdimensionen, bei der Durchsetzung ihrer Präferenzen oder der Un-terminierung von Fremdpräferenzen immer öfter siegreich vom Platz. Historische Beispiele von Konflikten mit hoher Machtasymmetrie der Konfliktparteien, innerhalb derer der vermeintlich unterlegene Staat den überlegenen erfolgreich an der Durchsetzung seiner Ziele hindern kann finden sich unter anderem im Vietnam- und Afghanistankrieg sowie der Tese des Niedergangs der US-Hegemonie, die spätestens seit der Jahrtausendwende vermehrt diskutiert wird (Vgl. Gu 2012: 264). Dies wirft die Frage nach Mechanismen und Strukturen auf, die zwar „nicht unmittel-bar sichtbar sind, aber effektiv bewirken, dass Machtkapazitäten nicht politisch geltend gemacht bzw. apolitische Faktoren zur politischen Macht umgewandelt werden können“ (ebd.: 262).

Nach Strange (2000: 22 ff.) konstituiere sich Macht von Staaten, also das Vermögen, die eigenen Präferenzen im Präferenzkonflikt mit anderen durchzusetzen, neben der dichotomischen Annahme von soft und hard power auch aus der Struktur, in der die Staaten eingebettet sind und innerhalb derer sie interagieren. Akteure sind demnach mächtig, wenn sie Macht über Strukturen wie Wis-senschaft, Produktion oder Sicherheit inne haben, sie zu ihrem Vorteil umstrukturieren und andere Akteure zwingen können, sich dem anzupassen. Macht wohnt also sowohl den Strukturen inne als auch den Akteuren, die Macht über sie besitzen. Somit ergebe sich staatliches Durchsetzungsver-mögen aus Zwangsmacht (hard power) (Waltz 1979), Anziehungskraft (soft power) (Gilpin 1981) und Hebelkraft (structural power) (Vgl. Gu 2012: 260). Die Beschreibung struktureller Macht als „Hebelkraft“ beruft sich auf das Hebelgesetz, demnach größere Kraftwirkungen in Abhängigkeit zur Position bzw. der Länge des Hebelarms auch mit geringeren Kraftwirkungen möglich sind.

Aufgrund ihres frühen Todes konnte Strange ihre Teorie selbst nicht wesentlich weiter-entwickeln und geht so kaum über Deduktion und Deutung hinaus (Vgl. ebd. 263), was vor allem bei konstruktivistischen Denkern auf Kritik stößt (Vgl. Guzzini 2005: 507): So sei ihr Machtbegriff tautologisch behaftet und durch einen unauflösbaren Akteur-Struktur-Knoten be-stimmt, die eine einheitliche und operationalisierbare Konzeptualisierung von Macht verhindere (Vgl. Gu 2012: 263). Weiterhin führe Strange ihre konzipierte strukturbestimmende Fähigkeit als dritte Machtquelle auf konventionelle Machtquellen zurück, beispielsweise innerhalb ihrer Analyse der US-Hegemonie, die durch die Dominanz in den globalen Schlüsselstrukturen Sicher-heit, Produktion, Finanzen und Wissenschaft begründet liege.

Die Theorie struktureller Macht

Die Kritik am Begriff „struktureller Macht“ hat jedoch nicht dazu geführt, eine dritte Machtquelle prinzipiell und in Gänze auszuschließen. Steven Lukes (Shapiro 2006, 146) Ansatz des „Drittgesichts“ von Macht, der neben der „Gestaltung des Verhaltens von anderen“ und „Agenda-Setting“ nunmehr auch die „Manipulation fremder Interessenpräferenzen“ umfasst, stellt eine alternative tripolare Struktur des Machtbegriffs vor. Dieses „Dritte Gesicht“ trete in einem Konflikt zweier Akteure zu Tage, innerhalb dessen es ein dritter Akteur vermag, die Inte-ressenpräferenzen eines Akteurs zu seinen eigenen Gunsten zu verschieben. Tatsächlich stellt aber auch dieses Konzept keine unabhängige Variable gegenüber bekannten Machtressourcen vor.

Erkenntnistheoretisches Potential habe der Begriff struktureller Macht dennoch insbeson-dere im Angesicht der transnationalisierten und interdependenten Anarchie einer globalisierten Welt (Vgl. Gu 2010: 139 ff.). Bestimmend für die „Chance, (...) den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen“ (Weber: 1925: 28) sei das verstrickte globale Beziehungsgeflecht der Nationalstaaten, durch welche Fremd- und Eigeninteressenpräferenzen in Abhängigkeit zu den verfügbaren konventionellen Machtressourcen begünstigt oder behindert werden können (Vgl. Gu 2012: 265). Gleichzeitig schwäche die Globalisierung die Bedeutung von hard power ab, weil sie ihre Wirkungen im Hinblick auf interdependente Staatenverflechtungen immer häu-figer verfehlen. Daraus ergebe sich die Notwendigkeit einer strukturellen Hebelkraft für Staaten, welche auf der Beschaffenheit ihrer Interaktionen beruhe.

Um die Beschaffenheit von struktureller Macht und ihr Verhältnis zu soft und hard power durch künftige Untersuchungen zu erschließen, stellt Xuewu Gu (ebd.: 267 ff.) zunächst fol-gende Hypothesen auf:

So wird angenommen, dass es sich bei struktureller Macht weder um eine materielle noch um eine ideelle Wirkkraft handelt. Vielmehr sei sie statisch-mechanischer Natur, in ihrem Ur-sprung und ihrer Entfaltung also unabhängig von hard und soft power und folge ihrer eigenen Logik. Aus dieser Hypothese speist sich die dringend notwendige Trennung der drei Machtvaria-blen hard, soft und structural power, um die ursprüngliche tautologische Verirrung struktureller Macht aufzulösen. Die Quelle struktureller Macht liege in den Interaktionen der Staaten; sie ist also stets kontext- und akteursabhängig. So sind Konfliktfälle mehrerer Staaten möglich, inner-halb derer ein Staat, schwach an hard und soft power, seine Interessenpräferenzen allein durch eine günstigere räumliche, temporale und interaktive Positionierung durchzusetzen vermag. Es ist aber nicht möglich, das strukturelle Machtniveau eines Staates unabhängig von Kontext und Akteuren zu beurteilen.

Aus den bisherigen Hypothesen darf jedoch nicht geschlossen werden, dass es sich bei struk-tureller Macht um eine rein positionelle Wirkkraft handelt. Vielmehr ist sie das Produkt der auf-und ineinandernder verzahnten Positionen aller beteiligten Akteure und somit im Gegenteil eine Form dispositioneller Macht, welche sich ergibt aus „Wechselwirkungen von Positionen, welche die Staaten in den einzelnen relevanten Teilstrukturen in verschiedenen Hinsichten innehaben, die den gesamten Kontext einer gegebenen internationalen Angelegenheit ausmachen“ (ebd.: 268).

Der sunnitisch-shiitische Glaubenskonflikt - ein erklärungsträchtiges Narrativ?

Wer die Konflikte im Nahen Osten wirklich begreifen will, sei es in Jemen, Irak, oder anderswo, der kommt an einem bestimmenden Narrativ niemals vorbei: Dem konfessionellen Unterschied zwischen sunnitischen und schiitischen Muslimen. Die Bedeutung dieses Glaubenkonflikts für die repetitiven Auseinandersetzungen in der Region ist wissenschaftlich umstritten. Für die ei-nen ist es ein bestimmendes Motiv (Vgl. Schulte von Drach: 2017), für die anderen lediglich ein nützliches Instrument der Herrschenden zur Durchsetzung nationaler Interessen und harter Machtpolitik (Vgl. Hermann 2019). Die Untersuchung eines beliebigen Konfliktes im Nahen Osten unter völligen Verzicht der Betrachtung dieser spirituellen Differenzen wäre aber auch deshalb gewagt, weil die traditionell dominante Islamauslegung in den jeweiligen Ländern histo-risch schon immer über die Konzeption ihrer intergouvernmentalen Beziehungen als kooperativ oder verfeindet mitentscheidet.

In den meisten islamischen Staaten stellen Sunniten die Mehrheit, so auch in Saudi-Arabien. 93 Prozent der Bevölkerung sind Muslime, 85 - 90 Prozent Sunniten, 10-15 Prozent Shiiten (Vgl. Pew Research Center 2015). Die Staatsreligion des Königreichs ist jedoch der Wahabismus, eine radikal-fundamentalistische Auslegung der sunnitischen Glaubenskultur. Aus Perspektive gläubiger Wahabisten sind selbst fromme Sunniten nicht viel mehr als fehlgeleitete Ungläubige; zu Menschen shiitischen Glaubens existiert gar eine reglerechte Hasskultur (Vgl. Kruse 2016). Die öffentliche Ausübung von nicht-wahabistischen Glaubenspraktiken ist verboten, die negative Religionsfreiheit stark eingeschränkt, nicht selten droht die Todesstrafe. Dabei stellt der Waha-bismus, zusammen mit der Herrscherdynastie der Sauds und den reichen nationalen Erdölvor-kommen eine der drei Grundfesten dar, auf denen das Königreich 1744 von Muhammad Ibn Saūd errichtet wurde, was für sich genommen bereits wenig Hoffnung auf eine spirituelle Trans­formation ähnlich der im 18. Jahrhundert einsetzenden Aufklärung zulässt, weil Konfession und Herrschaftslegitimität untrennbar verbunden scheinen (Vgl. Matthiesen 2014: 5).

Der Iran versteht sich als shiitischer Gottesstaat. Seine Bevölkerung ist zu 99,5 Prozent mus-limischen Glaubens, 92,5 Prozent sind Shiiten, 7,5 Sunniten (Vgl. Pew Research Center 2015). Ähnlich der systematischen Diskriminierung der shiitischen Minderheit in Saudi-Arabien leidet auch die sunnitische Minderheit zusammen mit anderen abweichenden Glaubensgruppen im Iran unter schweren Repressionen (Vgl. Gabel 2006). Die argwöhnische Betrachtung des Iran durch seine arabischen Nachbarn geht mitunter auf den von Ajatollah Chomeini proklamierten Revolutionsexport zurück, der neben dem allgemeinen Streben nach wachsendem Einfluss in Nahost auch als Absicht interpretiert wird, die sunnitischen Staaten langfristig in durch Shiiten beherrschte Islamische Republiken zu transformieren (Vgl. ebd.).

Der Glaubenskonflikt geht in seinem Ursprung bereits auf das Jahr 632 zurück (Vgl. Schulte von Drach: 2017): Nach dem Tod Mohammeds bricht ein Streit darüber aus, wer seine Nach-folge antritt. Die Mehrheit der Gläubigen setzt durch, dass seine Nachfolger künftig aus den Anführern seines Stammes, den Quraisch, gewählt werden. Aus dieser Gruppe gehen die Sunni-ten hervor. Die Shiiten hingegen befinden, nur ein direkter Verwandter Mohammeds könne sein Der sunnitisch-shiitische Glaubenskonflikt - ein erklärungsträchtiges Narrativ?

Erbe antreten. Seit dem stehen sich beide Gruppen nahezu unversöhnlich gegenüber (Vgl. ebd.).

Der Blick auf die so konstituierte innere Verfasstheit der zwei zentralen Akteure, Saudi-Arabien und Iran, als jeweilige Vertreter religiöser Gegenentwürfe, kommt innerhalb der wis-senschaftlichen Diskussion wohl auch deshalb immer wieder auf, weil sie beim Heranziehen des neoliberalen Institutionalismus als Teorie der Internationalen Beziehungen ein hohes Erklä-rungspotential besitzt. Gemäß der Grundannahmen des Neoliberalen Institutionalismus sind als Akteure internationaler Politik sowohl die Staaten, als auch die innerstaatlichen gesellschaft-lichen Gruppen von zentraler Bedeutung (Vgl. Riemer 2006: 58f.). Auch wenn das internati­onale Staatsverhalten nicht allein auf den Einfluss gesellschaftlicher Gruppen reduziert werden kann, so haben sie doch erheblichen Einfluss auf die eigene Innen- und Außenpolitik. In diesem Sinne stellt die Spannung zwischen dem mehrheitlich wahabistischen saudische Königreich und der mehrheitlich shiitischen Islamischen Republik Iran ein Musterbeispiel zweier Staaten dar, deren dominierende gesellschaftliche Gruppen ihre feindselige Haltung auf das jeweilige Staats-verhalten übertragen.

Tatsächlich gilt Jemen bis zum Ausbruch des Krieges jedoch als Land mit abwesenden Religionskonflikten (Vgl. Bloomberg 2015), da sich die Bevölkerung eher über die Stammeszu-gehörigkeit als über die Konfession definiert (Vgl. Transfeld 2015) und in der Folge ein nahezu reibungsloses Zusammenleben der Gläubigen ermöglicht. Das Narrativ eines Glaubenskon-fliktes setzt erst mit der Unterstützung der südjemenitischen Sunniten durch Saudi-Arabien ein, welche alsbald beginnen, den Konflikt unter religiösen Gesichtspunkten wahrzunehmen (Vgl. Steinberg 2015). Bis dahin ist der Konflikt maßgeblich durch die mitunter historische Spaltung in Nord- und Südjemen bestimmt.

Die Herausarbeitung grundsätzlicher Unterschiede in Kultur, Lebens- oder Glaubensfüh-rung ist für Akteure im Präferenzkonflikt immer ein nützliches, wenn nicht gar notwendiges Instrument, um den eigenen Handlungsanspruch zu legitimieren und eine breite Masse an Un-terstützern, sei es inner- oder zwischenstaatlich, hinter sich zu vereinen. Alle Konflikte im Nahen und Mittleren Osten werden zwar durch das tradierte Narrativ der »Shia–Sunni Relations« (Vgl. BBC News 2016) mitbestimmt und überlagert, doch zeigt ein Blick auf den Vorkriegsjemen deut-lich, dass ein friedliches Zusammenleben von Sunniten und Shiiten grundsätzlich möglich und vielmehr, wenn nicht allein, durch die harten Präferenzkonflikte der beiden Regionalmächte Sau-di-Arabien und Iran bedroht ist, die sich auch über das Bestehen der einzelnen Konflikte hinaus selbst rekonstruiert, vertieft und weiterentwickelt. Es wird mindestens solange bestehen, wie sich die strukturelle Sicherheitsarchitektur der Region nicht grundsätzlich durch eine Stabilisierung der Macht im Sinne der „Balance of Power“ sowie einem Ausbau des regionalen Multilateralismus und (neoliberalen) Institutionalismus entwickelt. Diese theoretische und konstruktivistisch be-stimmte Analyse hat sich in der Praxis allerdings bis heute als beinah unmöglich zu realisieren ent-puppt, da jeder Annäherung zwei Rückschritte und erneute Konfrontationen zu folgen scheinen.

Der Jemenkrieg

Der Jemenkrieg ist eine hochkomplexe militärische Auseinandersetzung, die durch ein bewährtes, aber umstrittenes Narrativ vereinfacht wird, demnach auf der einen Seite die shiitischen Huthi-Re-bellen als Stellvertreter des Iran und unter Unterstützung des ehemaligen jemenitischen Präsidenten Salihs gegen die jemenitischen Sunniten und regierungstreuen Truppen des entmachteten Präsidenten Hadi stehen (Vgl. Nazemroaya: 2015). Letztere erfahren militärischen Beistand durch die Mitglieder des Golfkooperationsrates (mit Ausnahme des Oman) unter Führung des saudischen Königreichs sowie durch Ägypten, Jordanien, Marokko, Sudan und Senegal (Vgl. Turm 2015); logistische Un-terstützung kommt aus den USA, Großbritannien und Frankreich (Vgl. Bischoff 2015). Pakistan setzt eine Seeblockade Jemens um (Vgl. Hussain 2015). Ziel ist es, den entmachteten Hadi erneut als Präsidenten einzusetzen. Neben den genannten Akteuren spielen auch südjemenitische Separatisten und Terrororganisationen wie al-Quaida eine Nebenrolle. Tatsächlich weist vieles innerhalb des Kon-fliktes auf einen klassischen Stellvertreterkrieg hin, seine tatsächlichen Umstände sind jedoch we-sentlich komplizierter und die Folge einer jahrzentelangen Vorgeschichte inklusive einer historisch bedingten gesellschaftlichen Spaltung zwischen Nord- und Südjemen. Im Zuge dieser Arbeit wird der Jemenkrieg lediglich als situativ-relevante Kulisse eines, um strukturelle Machtgewinne bemüh-ten Saudi-Arabiens betrachtet, weshalb seine Umstände im Folgenden nur kurz angerissen werden.

Der jemenitische Präsident Abed Rabbo Mansur Hadi, der vom saudischen Königreich wie den USA unterstützt wird, ist bereits seit 2011 gezwungen, seine Macht mit den Huthis und einer Koa-lition von Stämmen aus Nordjemen zu teilen, sowie sich zur Verhandlung über eine nationale Ein-heitsregierung bereitzuerklären (Vgl. Nazemroaya: 2015). Zwei Jahre zuvor eskaliert eine Offensive des jemenitisches Heeres gegen shiitische Rebellen, denen sie Umsturzpläne vorwirft, in Auseinan-dersetzungen zwischen Huthis und saudischen Sicherheitskräften (Vgl. Press TV). Die Huthis stellen entgegen abweichender Berichte einen relativ repräsentativen Querschnitt durch die jemenitische Gesellschaft und die darin herrschenden Mehrheitsverhältnisse dar; sie beziehen tatsächlich sogar Sunniten mit ein, auch wenn die überwiegende Mehrheit schiitisch ist (Vgl. Heibach 2017). Aus ih-rer Sicht werden die verabredeten Maßnahmen zur Beteiligung der Huthis an der Macht durch Hadi jahrelang verschleppt, der insgeheim ihre Revision verfolge, um das Land wieder autoritär regieren zu können. Daraufhin stürmen die Huthis im September 2014 die Hauptstadt Sanaa; am 20. Januar greifen sie den Präsidentenpalast an und nehmen Hadi in Gewahrsam (Vgl. Nazemroaya 2015).

Nach der Bildung einer Huthi-Übergangsregierung gelingt dem entmachteten Hadi am 21. Februar die Flucht in das rund 380 Kilometer entfernte Aden, das er nach dem Widerruf seines Rücktrittes am 7. März zur neuen provisorischen Hauptstadt erklärt. Hadis Außenminister Yaseen bittet das saudische Königreich und die arabischen Ölscheichtümer bereits am 23. Februar um militärischen Beistand und kündigt Bombenangriffe sowie eine Flugsverbotszone an (Vgl. ebd.).

Als Reaktion auf den drohenden Angriff versuchen die Huthis und ihre Verbündeten im je-menitischen Militär, schnellstmöglichst viele Flugplätze zu besetzen. Am 25. März nehmen sie auch Aden ein, Hadi ist allerdings bereits geflohen und taucht einen Tag später in Saudi-Arabien auf. Die von Saudi-Arabien geführte Militärkoalition beginnt wenige Tage später das Bombardement militä-rischer Ziele im Jemen (Vgl. Klos/Guyon: 2015). Der Krieg dauert bis heute an.

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Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Saudi-Arabien im Jemenkrieg. (Rück-)Gewinn struktureller Macht?
Untertitel
Die Kontrolle des Bab Al-Mandab und seine Bedeutung für den internationalen Ölhandel und die Maritime Silk Road
Hochschule
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn  (Philosophische Fakultät)
Veranstaltung
Strukturelle Macht in den Internationalen Beziehungen
Note
1,9
Autor
Jahr
2019
Seiten
23
Katalognummer
V584927
ISBN (eBook)
9783346189684
ISBN (Buch)
9783346189691
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Strukturelle Macht, Saudi-Arabien, Jemen, Jemenkrieg, Internationale Politik, Bab Al-Mandab, Neue Seidenstraße, Silk Road, Öl, Sunniten, Shiiten
Arbeit zitieren
Julian Faber (Autor:in), 2019, Saudi-Arabien im Jemenkrieg. (Rück-)Gewinn struktureller Macht?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/584927

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