Entwicklung eines Ernährungskonzeptes für Patienten mit Multiple Sklerose


Diplomarbeit, 2003

176 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Gliederung

0. Einleitung

Teil 1: Die Multiple Sklerose
1. Anatomie und Physiologie des Nervensystems
1.1. Das Nervensystem
1.2. Das Nervengewebe
1.3. Das Myelin
1.4. Das Prinzip der Erregungsleitung
1.5. Die Demyelinisierung
1.6. Aspekte der gestörten Erregungsleitung
1.7. Auswirkungen der Demyelinisierung
2. Darstellung der Erkenntnisse über die Multiple Sklerose
2.1. Epidemiologische Erkenntnisse
2.1.1. Geographische Verteilung
2.1.2. Demographische Verteilung
2.2. Pathogenese
2.2.1. Genetische Faktoren
2.2.2. Virale Faktoren
2.2.3. Stoffwechseltheorie
3. Neuropathologische Veränderungen
3.1. Entmarkungszonen (Plaques)
3.2. Makroskopische Charakteristika
3.3. Mikroskopische Charakteristika
3.4. Die Antigene des ZNS
3.5. Liquorveränderungen
3.6. Befunde von Liquoruntersuchungen
4. Klinische Symptomatik
4.1. Verlaufsformen
4.2. Motorik
4.3. Koordination 48 4.4. Sensorik
4.5. Erschöpfung und Schmerzen
4.6. Vegetative Störungen
4.7. Ophtalmologische Störungen
4.8. Weitere auftretende Veränderung
4.9. Auslöser für Schub und Remission

Teil 2: Darstellung von Ernährungsempfehlungen für die Multiple Sklerose und anderer Erkrankungen
5. Kritische Bezugnahme auf bisher angewandte Ernährungstherapien
5.1. Die Evers – Diät
5.2. Die Swank – Diät
5.3. Die Allergenfreie Diät
5.4. Die Fettarme Diät
5.5. Die Fruchzuckerarme Diät
5.6. Die Glutenfreie Diät
6. Vergleichende Darstellung anderer neuronaler bzw. autoimmuninduzierter Erkrankungen mit der MS unter Berücksichtigung der Ernährungsempfehlungen
6.1. Epilepsie
6.2. Morbus Parkinson
6.3. Morbus Alzheimer
6.4. Rheumatische Gelenkerkrankungen

Teil 3: Das Ernährungskonzept für Patienten mit Multiple Sklerose
7. Ernährung und Multiple Sklerose
7.1. Das soziale Umfeld und die ökonomische Situation
7.2. Feststellung des Ernährungszustandes
7.3. Einflussfaktoren auf den Energieverbrauch
7.4. Der Energie- und Nährstoffbedarf
8. Die Nahrungsbestandteile und die Nährstoffgruppen
8.1. Kohlenhydrate
8.2. Ballaststoffe
8.3. Fette
8.4. Proteine
8.5. Vitamine
8.5.1. Vitamin A
8.5.2. Vitamin D
8.5.3. Vitamin E
8.5.4. Vitamin K
8.5.5. Vitamin B1
8.5.6. Vitamin B2
8.5.7. Vitamin B6
8.5.8. Vitamin B12 und Folsäure
8.5.9. Vitamin C
8.6. Mineralstoffe
8.6.1. Natrium
8.6.2. Kalium
8.6.3. Calcium
8.6.4. Magnesium
8.7. Spurenelemente
8.7.1. Eisen
8.7.2. Zink und Kupfer
8.7.3. Selen
9. Ernährung in speziellen Lebenssituationen
9.1. Schwangerschaft bei Multiple Sklerose-Patientinnen
9.2. Multiple Sklerose und Sport
9.3. Multiple Sklerose und Genussmittel
10. Ernährung bei Folgeerkrankungen der Multiple Sklerose
10.1. Kardiovaskulöse Störungen
10.2. Niereninsuffiziens
10.3. Osteoporose
10.4. Chronische Obstipation
11. Protokoll zur Ermittlung eines persönlichen Ernährungskonzeptes
11.1. Erklärung der Handhabung des Protokolls
11.2. Das Protokoll
12. Schlusswort
13. Literaturverzeichnis

0. Einleitung

Gold/ Rieckmann (2000, S. 12) geben an, dass ca. 1,2 Millionen Menschen weltweit an Multiple Sklerose erkranken und sie zu den häufigsten neurologischen Erkrankungen des jungen Erwachsenenalters gehört. Die Ätiologie der Krankheit ist unbekannt und auch bezüglich der Prognose und des Verlaufs existiert eine große Spielbreite. Die zunehmende Gewebezerstörung im Nervensystem tritt unvorhersehbar, meist anfangs in Schüben mit Remissionen auf, kann über Jahre hinweg anhalten und dann in eine chronisch-fortschreitende Verlaufsform übergehen, welche bleibende Behinderungen mit sich bringt und sogar zur Bettlägerigkeit und zum frühen Tod führen kann.

Die Krankheit bedeutet für den Betroffenen und seine Angehörigen einen schweren Einschnitt ins Leben, da zunächst oft die starre Vorstellung eines schicksalhaften Verlaufs Angst macht. Desweiteren müssen gegebenenfalls Hilfemaßnahmen getroffen werden, wodurch nicht nur das tägliche Leben in seinen Abläufen verändert wird, sondern auch psychische, soziale und finanzielle Belastungen entstehen können.

Verschiedene Untersuchungen (z.B. Zhang et al., 2001; Cantorna, 2000; Sandyk/ Awerbuch, 1993; Niino et al., 2002) haben sich mit der Fragestellung befasst, ob ein Zusammenhang zwischen Ernährungsfaktoren und der Multiplen Sklerose existiert.

Die SMSG (1986, S. 57) nennt als mögliche im Zusammenhang mit der Multiplen Sklerose stehende Faktoren: „Mangelzustände, direkte toxische Auswirkungen, Überempfindlichkeitsreaktionen und Infektionserreger in der Nahrung.“ Dennoch konnte bis jetzt noch nicht nachgewiesen werden, dass es einen spezifischen Ernährungsfaktor gibt, der einen Einfluss auf den Krankheitsprozess hat. Insofern sollte die Ernährungsweise von Multiple Sklerose-Kranken sich nach den Empfehlungen für eine vollwertige, ausgewogene Kostform richten.

Die vorliegende Diplomarbeit, in der ein Ernährungskonzept für Patienten mit Multiple Sklerose erstellt worden ist, verfolgt mehrere Aufgaben:

- Der erste Teil behandelt die Krankheit Multiple Sklerose. Es wird erklärt, welche Veränderungen die Krankheit im Körper veranlasst und zu welchen Ergebnissen epidemiologische und neuropathologische Untersuchungen gekommen sind. Eine Darstellung der klinischen Diagnostik dient dem Verständnis um die durch die Multiple Sklerose entstehenden körperlichen Symptome.
- Der zweite Teil dient der Information und Aufklärung über das Prinzip und die Wirksamkeit von bekannten „Multiple Sklerose-Diäten“. Desweiteren werden andere neuronale bzw. autoimmuninduzierte Krankheiten und die jeweiligen Ernährungsmaßnahmen vorgestellt.
- Innerhalb des dritten Teils werden Möglichkeiten aufgezeigt, die Lebens- qualität und das Wohlbefinden mittels einer bewußten Ernährungsweise zu verbessern. Da die Lebensumstände und Krankheitsverläufe der Patienten unterschiedlich sind, kann auf Basis eines Fragebogens die individuelle Situation ermittelt werden und daraufhin, durch den Verweis auf relevante Kapitel dieser Diplomarbeit, eine persönliche Strategie gefunden werden. Es werden in diesem dritten Teil nicht nur wichtige Nahrungsinhaltsstoffe, deren Bedeutung für die Gesundheit, Forschungsergebnisse, Zufuhrempfehlungen und Lebensmittel vorgestellt, sondern es wird zudem darauf hingewiesen, welche Rolle die Ernährung in speziellen Situationen und bei der Prävention von Nebenerkrankungen spielt.

Diese Arbeit verfolgt die Aufgabe eine umfassende Informationszusammen- stellung der aktuellen Erkenntnisse über die Multiple Sklerose und den Zusammenhang zu der Ernährung darzustellen. Das Konzept ist so aufgebaut, dass es vor allem auch ein Leitfaden für die Ernährungsberatung von Multiple Sklerose-Patienten sein kann.

Teil 1: Die Multiple Sklerose

1. Anatomie und Physiologie des Nervensystems

Das erste Kapitel ist eine Einführung in die Anatomie und Physiologie des Nervensystems, zum besseren Verständnis der Erkrankung an Multiple Sklerose. Es wird zunächst auf den Aufbau des Nervensystems, der Nervenfaser und des Myelins eingegangen und dann Bezug auf die Funktionen und physiologischen Vorgänge des Nervengewebes genommen. Es sollen die Charakteristika der Krankheit Multiple Sklerose verständlich werden.

1.1. Das Nervensystem

Da es sich bei der Multiplen Sklerose, wie Krämer/ Besser (1988, S. 12) angeben, um "...eine ursächlich noch nicht geklärte, sehr unterschiedlich verlaufende chronische Erkrankung des Nervensystems,..." handelt, wird zunächst auf die Thematik der Anatomie eingegangen, um sich die Veränderungen, die sich durch die Erkrankung an Multiple Sklerose ergeben, besser vergegenwärtigen zu können. Es soll hierbei zunächst das Gesamtsystem des Nervenapparates betrachtet werden, um dann sogleich die von der Erkrankung betroffenen morphologischen Partimente abzuhandeln.

Pschyrembel (1994, S. 1050) definiert das Nervensystem als die Gesamtheit des Nervengewebes als funktionelle und morphologische Einheit. Die Befähigung des Systems besteht in der Reizaufnahme und Erregungsbildung in den Rezeptoren, der Übermittlung der Erregung und deren Verarbeitung im Zentralnervensystem sowie der darauf folgenden Reizbeantwortung in den Effektoren. Moll/ Moll (1995, S. 105) nennen als eine wichtige Aufgabe des Nervensystems, die Funktionen und Tätigkeiten der einzelnen Organe zu kontrollieren, zu regulieren und zu koordinieren. Bewegungen müssen ausgelöst werden und Reize über Sinnesorgane wahrgenommen, verarbeitet und weitergeleitet werden können.

Die Autoren Moll/ Moll (1995, S. 105) treffen eine topographische Unter- scheidung zwischen dem zentralem Nervensystem (ZNS) und dem peripherem Nervensystem. Hinsichtlich der Funktion wird zwischen dem animalen Nerven- system und dem vegetativen Nervensystem differenziert.

Als Erstes soll die topographische Einteilung des Nervensystems erklärt werden:

Zum zentralen Nervensystem zählt das innerhalb der Schädelhöhle liegende Gehirn und das innerhalb des Wirbelkanals liegende Rückenmark. Gehirn und Rückenmark sind beide aus dem Neuralrohr entstanden und stehen durch das Foramen magnum miteinander in Verbindung.

Während das Rückenmark aus der innen liegenden schmetterlingsförmigen grauen Substanz und der außen liegenden, weißen Substanz gebildet wird, zeigen sich beim Gehirn drei Schichten.

- Außen liegt die graue Substanz, welche als Rinde (Kortex) bezeichnet wird.
- Die innere, graue Substanz besteht aus einer verstreuten Ansammlung von Perikaryen (Nuclei).
- Die weiße Substanz wird als Medulla (Mark) bezeichnet und besteht vorwiegend aus markscheidenhaltigen Zellen, Gliazellen und Blutgefäßen.

Beim ZNS sind die Nervenfasern weitesgehend zu Bündeln zusammengefasst, wobei manche Nervenfaserbündel als Tractus (Bahn) andere als Fasciculus (Strang) bezeichnet werden. Ausgefüllt wird das Gewebe zwischen den Perikaryen der grauen Substanz durch Glia und Nervenzellfortsätzen.

Moll/ Moll (1995, S. 106) unterscheiden beim ZNS das periphere Nervensystem, welches im Folgenden beschrieben wird. Zum peripheren Nervensystem zählen sämtliche sich leitungsnetzartig durch den Körper ziehenden Nervenfasern.

Demnach sind die Bestandteile des peripheren Nervensystems, Rezeptoren, Nervenfasern und Nervenzellen samt ihrer Perikaryen, die häufig in Ganglien zusammengefasst sind. Unterteilt werden die peripheren Nerven in 12 Hirnnerven und 31 Rückenmarksnerven (Spinalnerven). Ihren Ursprung haben die Hirnnerven in der grauen Substanz des Gehirns und die Spinalnerven in der grauen Substanz des Rückenmarks.

Als Zweites wird nun der funktionelle Unterschied zwischen dem animalen und dem vegetativen Nervensystem geklärt:

Pschyrembel (1994, S. 1050-1051) definiert das animale Nervensystem als den Anteil, der die willkürlichen Funktionen des Organismus regelt und im Unterschied zum vegetativen Nervensystem für die Wahrnehmung und Integration von Reizen zur Steuerung der Motorik zuständig ist. Da das vegetative Nervensystem die wichtige Aufgabe hat, Vitalfunktionen, wie z.B. die Atmung, den Stoffwechsel, die Sekretion, die Verdauung und den Wasserhaushalt, zu regulieren, gilt es im Folgenden grundlegende Kennzeichen aufzuführen.

Das vegetative Nervensystem wird in drei Einheiten unterteilt: dem Sympathikus, dem Parasympathikus und dem intramuralem System. Schmidt (1995, S. 127) erklärt die anatomischen Unterschiede dieser wichtigen Einheiten.

Er beschreibt, dass die präganglionären Neuronen des Sympathikus alle im Brust- und oberen Lendenmark liegen, während die präganglionären Axone entweder in den paravertebralen Ganglien der Grenzstränge oder in den unpaaren Bauchganglien enden. An den Effektororganen enden die langen postganglionären Axone. Pschyrembel (1995, S. 1051) kennzeichnet die Funktion des Sympathikus dahin gehend, dass seine Wirksamkeit vorwiegend in Bezug auf Energieentladung (ergotrope Wirkung) und abbauende Stoffwechselprozesse besteht.

Auch der Parasympathikus wird von Schmidt (1995, S. 127) in anatomischer Hinsicht beschrieben. So befinden sich die präganglionären Neurone des Parasympathikus im Kreuzmark und im Hirnstamm, während die präganglionären Axone in den parasympathischen Ganglien in der Nähe der Effektororgane anschließen, an welche auch die kurzen postganglionären Axone anknüpfen. Pschyrembel (1995, S. 1051) erklärt, dass sich die Funktionen des Parasympathikus auf die Energiespeicherung, die Erholung des Körpers und die aufbauenden Stoffwechselprozesse beziehen. Somit kann man dem Parasympathikus eine trophotrope Wirkung zuschreiben.

Als letzten Punkt soll das intramurale System kurz angeführt werden, wobei die Ausführungen von Moll/ Moll (1995, S. 108-109) berücksichtigt wurden. Das intramurale Nervensystem liegt an oder in der Wand von Hohlorganen und stellt ein Geflecht von Nerven dar, das viele Ganglienzellen besitzt und mit dem Sympathikus und dem Parasympathikus in Verbindung steht. Vorzufinden ist es z.B. im Magen-Darm-Kanal, im Uterus und der Harnblase.

1.2. Das Nervengewebe

Im Folgenden soll nun die kleine Einheit des Nervensystems, das Nervengewebe, dargestellt werden, um sich die Vorgänge, die durch die Multiple Sklerose im Körper hervorgerufen werden, vorstellen zu können.

Die Vorläuferzellen des Nervengewebes entstehen im zweiten Entwicklungs- monat aus den Zellen des Ektoderms und unterteilen sich in Neuroblasten und Glioblasten. Während sich aus den Neuroblasten die Nervenzellen mit ihren Fortsätzen entwickeln, entstehen aus den Glioblasten die Gliazellen. (vgl. Pschyrembel 1994, S. 1050; Moll/ Moll 1995, S. 67)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die folgende Abbildung 1 stellt den Aufbau eines Neurons dar

( Quelle: Moll/ Moll 1995, S. 68)

Die Nervenzellen werden mit all ihren Fortsätzen auch als Neuron bezeichnet. Das Neuron ist aufgebaut aus dem Perikaryon (Zelleib), ein bis vielen Dendriten (afferente Bahn) und dem Axon (efferente Bahn). Die Dendriten dienen der Reizaufnahme und leiten die Information zum Perikaryon weiter. Das Axon dient der Reizweiterleitung, da es die Erregung über Synapsen zu einem Erfolgsorgan oder zu anderen Neuronen weiterleitet. Die Nervenzellen sind zumeist in einer Kette hintereinander geschaltet und leiten die elektrischen Erregungen weiter zur nächsten Nervenzelle, wobei auch ein Teil der Nervenzellen die Fähigkeit der Erregungsbildung besitzt. Man kann Nervenfasern mit elektrischen Leitungen vergleichen, da die Impulse von dem innerhalb des Axons liegenden Axoplasma geleitet wird. (vgl. Moll/ Moll 1995, S. 68 f)

Die Gliazellen sind als zweite Gewebsart am Aufbau des zentralen und peripheren Nervensystems beteiligt. Sie haben eine Stützfunktion, dienen dem Stofftransport, der elektrischen Isolierung der Nervenzelle, der Kompartimentierung, der Narbenbildung und der Abwehr. Außerdem ist vor allem eine Art der Gliazellen, die Oligodendrozyten, an der Markscheidenbildung beteiligt (vgl. Pschyrembel 1994, S. 1063; Moll/ Moll 1995, S. 69 f.). Kesselring (1993, S. 29) gibt an, dass diese Zellen, bei der Multiple Sklerose zerstört werden. Pschyrembel (1994, S. 1063) und Moll/ Moll (1995, S. 69 f.) merken an, dass die Oligodendrozyten, die für die Markscheidenbildung um die Axone verantwortlich sind, in der weißen Substanz des Gehirns als Myelisierungszellen vorkommen.

Schmidt, R. F. (1995, S. 15) und Moll/ Moll (1995, S. 71) verweisen darauf, dass man zwischen markhaltigen, markarmen und marklosen Nervenfasern unter- scheiden kann:

- Bei den markhaltigen Nervenfasern bildet die Gliascheide um jedes Axon eine Markscheide.
- Bei den markarmen Nervenfasern umhüllt die Gliascheide gleichzeitig mehrere Axone, wobei die Markscheide eine geringe Ausprägung hat.
- Auch bei den marklosen Nervenzellen werden mehrere Axone durch eine Gliazelle umfasst, wobei hier jedoch keine Markscheide ausgebildet wird.

Eine wichtige Funktion hat hierbei die Schwann´sche Zelle, die ab Beginn des vierten Entwicklungsmonats jeweils die Axone der peripheren Nerven umhüllt und das aus Proteinen und Lipiden zusammengesetzte Myelin bildet. Während also die Markscheiden des ZNS von den Oligodendrozyten aufgebaut wird, werden die peripheren Nervenfaserscheiden von den Schwann´schen Zellen umhüllt.

Die Nervenfasern sind jedoch nicht durchgehend mit Myelinscheiden bedeckt, sondern die mit einem Myelinmantel ausgestatteten Markscheiden sind in ganz bestimmten Abständen von 0,2-1mm unterbrochen.

Die Kontinuität des Axons wird durch diese als Ranvier´schen Schnürringe bezeichneten myelinlosen Stellen nicht unterbrochen, da sich diese Einkerbung nur in dem von der Schwann´schen Zelle gebildeten Bereich der Markscheide befindet. Bei der Erregung der Nerven kommt es in diesen Ranvier`schen Schnürringen zu einem Aktionspotential, das wegen der Isolierung des nachfolgenden Internodiums erst am folgenden Ranvier`schen Schnürring ein Aktionspotential auslösen kann. Bei diesem als saltatorische Erregungsleitung bezeichneten Phänomen wandert die Erregung von einem Schnürring zum Nächsten.

1.3. Das Myelin

Das Myelin, so bemerken Poser/ Ritter (1980, S. 41) gilt als Sonderfall der biologischen Membran. Die Entstehung des Myelins vollzieht sich durch ein spiraliges Umwickeln der Oligodendrogliazellfortsätze um eine Vielzahl von Achsenzylindern.

Über den Aufbau des Myelins berichten u.a. Poser (1986, S. 8), Poser/ Ritter (1980, S. 41 f.) und Pschyrembel (1994, S. 1017):

Myelin ist der Oberbegriff für verschiedene Lipoproteide zu denen die Kephaline, die Sphingomyeline und die Zerebroside gehören. Es ist aus fettartigen Lamellen aufgebaut, die in mehreren Lagen aufgerollt sind und zwischen denen eine feine Membran aus Proteinen liegt. Die Struktur des Myelins ähnelt dem Bau von Zellmembranen, in denen eine doppelte Lipidschicht zwischen einer inneren und einer äußeren Proteinschicht liegt. Das Myelin enthält jedoch im Vergleich mit anderen Membranen einen höheren Anteil an Lipiden als Proteinen.

Bei der Zusammensetzung der Lipidlamellen spielen die ungesättigten Fettsäuren, vor allem die Linolsäure (C:18, zwei Doppelbindungen) und die Linolensäure (C:18, drei Doppelbindungen) eine Rolle. Auch die Lipidzusammensetzung des Myelins unterscheidet sich durch den hohe Anteil an Cerebrosiden und Sulfatiden, welche man nur in den Markscheiden der weißen Substanz findet.

Die Proteinfraktionen weisen ebenso Besonderheiten auf, da im Myelin etwa 30% basisches Myelinprotein neben 50% Proteolipiden und 20% Wolfgramprotein vorliegt.

Heckl (1994, S. 136) erklärt, dass eines der Myelinproteine (Myelin basic protein [MBP]) bei Versuchstieren eine dem Krankheitsbild der Multiplen Sklerose ähnlichen allergischen Enzephalitis (EAE) ausgelöst hat. Man findet dieses basische Myelinprotein auch im Liquor von Patienten mit Multipler Sklerose, wobei es im akuten Stadium deutlich erhöht (über 8 ng/ ml) ist und bei hohen Corticoiddosen stark absinkt. Das MBP ist aufgebaut aus einer Kette von 170 Aminosäuren, wobei die Aminosäuresequenz von 114 bis 122 den enzephalitogenen Abschnitt darstellt, der beim Meerschweinchen die experimentell ausgelöste allergische Enzephalitis verursacht. Hierzu muss jedoch angemerkt werden, dass beim Menschen auch bei anderen zelebralen Prozessen mit Gewebsuntergang das basische Myelinprotein im Liquor nachzuweisen ist und dass ein Fehlen einer Erhöhung des MBP im Liquor nicht unbedingt gegen einen akuten Prozess spricht. Heckl (1994, S. 138) postuliert, dass das MBP weiterhin in der wissenschaftlichen Forschung Beachtung finden wird.

1.4. Das Prinzip der Erregungsleitung

Nervenzellen haben die Eigenschaft, einen Reiz mit elektrischen Veränderungen des Membranpotentials zu beantworten. Die Reizaufnahme führt ganz unabhängig von der Art des Reizes zu einer Permeabilitätsänderung der Zellmembran. Dieses bewirkt eine Aktivität des Ionenstroms, der eine Depolarisation des Membran- potentials verursacht.

Diese durch den Reiz verursachte Potentialänderung bezeichnet man als Rezeptorpotential, welches an den freien dendritischen Endigungen oder ciliären Strukturen der Rezeptorzelle entsteht. Diese Veränderungen der elektrischen Potentialdifferenz ist der universelle Signalcode der Nervenzelle.

Das Aktionspotential (Nervenimpuls) mit einer Potentialänderung von ca. 0,1 V Amplitude/ms dient der schnellen Informationsübermittlung über lange Strecken und der Steuerung von Leistungen an Effektororganen. Das Aktionspotential ist die Antwort einer erregbaren Zelle auf einen Reiz mit Änderung der Ionenleitfähigkeit und des Membranpotentials. In der Depolarisationsphase steigt das Aktionspotential innerhalb von 0,1 ms durch schnellen NA+ -Einstrom auf bis zu 60 mV. In der Repolarisationsphase nimmt die Ka+ Leitfähigkeit zu, bis das Ruhepotential erreicht ist.

Bei der unmyelisierten Nervenfaser erfolgt der Fluss des Stromes immer in die unmittelbare Nachbarschaft, was eine langsame Erregungsleitung zur Folge hat. Bei der myelinisierten Nervenfaser hingegen findet eine schnelle saltatorische Erregungsleitung statt, da der Stromfluss nur zwischen den Ranvier´schen Schnürringen abläuft. Ist der Axonquerschnitt dicker, so erfolgt die Erregungsleitung schneller, da bei einer dickeren Nervenfaser durch den niedrigeren Innenwiderstand der elektrische Stromfluss von erregtem zu unerregtem Faserabschnitt schneller erfolgen kann.

(vgl. Pschyrembel 1994, S. 32; Czihak/Langer Ziegler 1990, S. 463 f.; Schmidt 1995, S. 15)

1.5. Die Demyelinisierung

Um die Krankheit der Multiplen Sklerose besser zu verstehen und die Ursache der körperlichen Behinderungen zu vergegenwärtigen, wird im Folgenden der Prozess der Demyelinisierung dargestellt.

Von der Demyelinisierung betroffen sind die Markscheide und die Oligodendro- zyten. Abgrenzen von der Demyelinisierung muss man die Demyelinisation, da es sich hier um einen genetisch induzierten Markscheidenuntergang handelt, während die Demyelinisierung eine unspezifische Reaktion der weißen Substanz auf verschiedene Schäden darstellt. (vgl. Heckl 1994, S. 25)

Gold/ Rieckmann (2000, S. 25) unterscheiden zwischen den frühaktiven Läsionen und den späten aktiven Läsionen :

- Bei den frühaktiven Läsionen findet man alle Hauptbestandteile des Myelins vor, wobei die Axone wieder von dünnen Myelinscheiden umgeben waren, was auf eine Remyelisierung schließen lässt.
- Später remyelinisierte Läsionen weisen nur wenige Makrophagen auf und werden als sogenannte Schattenherde (Plaques) bezeichnet.

1.6. Die gestörte neuronale Erregungsleitung

Kesselring (1993, S. 29) bemerkt, dass bei der Multiplen Sklerose in chronisch inaktiven Herden ein großer Teil der Oligodendrogliazellen und der Myelin- scheiden zerstört sind. Wenn die Herde in der grauen Substanz lokalisiert sind, bleiben die Axone und auch die Nervenzellen erhalten. Kesselring (1993, S. 89) erläutert, dass die Veränderungen der Multiplen Sklerose nicht nur durch das Aufkommen der Plaques, sondern auch in der gestörten Signalleitung und Signalübertragung besteht.

Wichtig für die Erregungsleitung ist, dass die Nervenfaser myelinisiert ist. Durch die äußere Umhüllung des Axons mit einer schlauchförmigen Membran, wird ein Ruhemembranpotential aufrecht erhalten, wobei das Innere des Axons gegenüber dem äußeren elektrisch negativ geladen ist. Nur an den freien Abschnitten der Ranvier`schen Schnürringe findet der durch die Erregung abgegebene Natrium- einstrom durch vorübergehend geöffnete Natriumkanäle an der Membran statt. Das Myelin wirkt also zwischen den Schnürringen als elektrischer Isolator, so dass der Aktionsstrom eines Schnürrings erst am nächsten Schnürring austreten kann, um dort eine Depolarisation zu verursachen. Somit ist die Geschwindigkeit der Impulsübertragung in der myelinisierten Nervenfaser um ein vielfaches höher.

Die Leitgeschwindigkeit der Aktionspotentiale beträgt in der unbemarkten Nervenfaser nur 1 m/ s, während sie in der bemarkten Faser mit einer Faserdicke von 10-20 mm ca. 50-120 m/ s bzw. bei einer Faserdicke von 5 mm etwa 25m/ s beträgt. Unterliegt die Nervenfaser wie bei der Multiple Sklerose einer Demyelinisierung so entstehen Leckströme und damit einhergehende kapazitative Verluste.

Die Erregung kann sich also nicht mehr wie bisher von einem Schnürring zum anderen fortpflanzen, sondern erlebt durch die zerstörten Myelinscheiden einen Spannungsverlust, wodurch es zu einer Übertragungsstörung kommt. Ist die Nervenzelle vollständig entmarkt, so bleibt die Impulsübertragung aus, wobei es jedoch innerhalb von wenigen Tagen zu einer Remyelinisierung kommen kann, bei der die Nervenzelle durch Ausbildung von Natriumkanälen ihre alten Fähigkeiten wiederherstellt.

Bezüglich der Vorläufe der Remyelinisierung beim Menschen, so merkt Kesselring (1993, S. 91) an, hat man keine gesicherten Kenntnisse, geht aber davon aus, dass auch die vollständig entmarkten Nervenzellen von Multiple Sklerose-Kranken die Fähigkeit besitzen, eine Form der Erregungsleitung wiederherzustellen. Die Aufgabe der Remyelinisierung übernehmen entweder die Oligodendrozyten oder aus dem peripheren Nervengewebe eingewanderte Schwann-Zellen. Es ist bei einer remyelinisierten Nervenzelle jedoch zu erwarten, dass die Dicke der Myelinschicht nicht mehr den ursprünglichen Durchmesser erreicht, sondern etwas dünner ist. Das hat zur Folge, dass die Reizübertragung etwas langsamer abläuft als ursprünglich. Ein weiterer Mechanismus die gestörte Erregungsleitung wiederherzustellen ist die Ausbildung eines reversiblen Leitungsblockes, welcher den typischen Mechanismus der Neurapraxie auslösen kann.

Pschyrembel (1994, S. 1061) beschreibt die Neurapraxie als die "...leichteste Form einer Nervenschädigung inf. umschriebener Veränderungen an den Mark- scheiden mit spontaner Rückbildung innerh. von Std. bis Wochen.".

Anhand der beschriebenen Vorgänge kann man sich vorstellen, welche Einbußen die Körperfunktionen erfahren, wenn die Reizübertragung im Nerven gestört ist.

1.7. Auswirkungen der Demyelinisierung und Beeinflussung der mpulsübertragung

Poser/ Ritter (1980, S. 43) geben an, dass sich das Fehlen der Markscheiden bei der Informationsübermittlung von Reizen unterschiedlich auswirken kann: Während bei gänzlicher Demyelinisierung überhaupt keine Erregung mehr weitergeleitet werden kann, wird das Aktionspotential bei einem nur teilweise entmarkten Achsenzylinder mit großen Verzögerungen weitergeleitet. Dieses macht sich vor allem bei Reizen mit hoher Impulszahl bemerkbar.

Heckl (1994, S. 25) merkt an, dass die Demyelinisierung eine unspezifische Reaktion der weißen Substanz ist und verweist (1994, S. 1) darauf, dass durch die unterschiedliche Lokalisation der entzündlichen Herde, von denen die weiße Substanz befallen ist, es bei der Multiplen Sklerose zu verschiedenartigen Symptomen kommt.

Eine besondere Sensibilität der demyelinisierten Nervenzelle besteht gegenüber der Temperatur und der Elektrolytverschiebung. Kesselring (1994, S. 89 f.) gibt an, dass das Myelin als elektrischer Isolator um die erregbare Membran wirkt, so dass ein Aktionspotential eines Schnürrings erst am nächsten Schnürring austreten kann und dort eine erneute Depolarisation bis zur kritischen Erregungsschwelle verursachen kann. Bei einer Schädigung der Myelinscheide beeinträchtigen Leckströme und kapazitive Verluste die Depolarisierung über das entsprechende Internodium hinweg.

Der Autor Kesselring (1994, S. 92) erklärt die erhöhte Thermolabilität der demyelinisierten Nervenzelle damit, dass bei einer kritischen Temperatur von 50 °C schon die Erregungsleitung der normalen Nervenzelle blockiert ist, da die Aktionsströme so schnell ablaufen, dass das Aktionspotential zu kurz für eine Erregungsausbildung am nächsten Schnürring wird. Die entmarkte Nervenzelle zeigt demgegenüber eine noch größere Empfindlichkeit, da die Blockierungstemperatur bereits bei einem Drittel der normalen Myelindicke auf ca. 40°C gesenkt ist. So kann eine Erhöhung von bereits 0.5°C genügen, um die Erregungsleitung zu blockieren.

Poser/Ritter (1980, S. 43) führen darauf die Verschlimmerungen der Symptome von MS-Kranken durch eine Erhöhung der Körpertemperatur zurück. Tageszeitliche Schwankungen der Befindlichkeit sind bei systematischer Beobachtung auf Temperaturveränderungen zurückzuführen.

Eine weitere Abhängigkeit zur Impulsübertragung besteht durch die Elektrolytenkonzentration am Nerven. So bewirkt eine Verminderung der Kalziumkonzentration am Nerven eine Verbesserung der Erregungsleitung. Kesselring (1994, S. 93) führt weiter aus, dass bei einer Senkung der die Nervenfaser umgebene Kalziumionenkonzentration die gestörte Erregungs- leitung durch Temperaturerhöhung verbessert wird.

Dieses konnte auch beobachtet werden, da sich die Symptome von Multiple Sklerose-Kranken bei Infusion von Natriumbicarbonat bzw. EDTA und bei Hyperventilation verbesserten.

2. Darstellung der Erkenntnisse über die Multiple Sklerose

Im folgenden Kapitel werden verschiedene Aspekte der Erkrankung an Multiple Sklerose behandelt, um ein weiteres Verständnis der physiologischen Vorgänge und deren Folgen zu ermöglichen. Zunächst werden epidemiologische Erkenntnisse aufgeführt, welche einen Ansatz zur Erklärung der Pathogenese der Krankheit zu ergründen versuchen. Mittels der Darstellung der klinischen Symptomatik soll veranschaulicht werden, welche körperlichen Einschränkungen der Multiple Sklerose-Patient erfährt. Die Kenntnisse der Symptomatik sind für eine gezielte Ernährungsberatung wichtig, da so die Lebensumstände des Patienten berücksichtigt werden können.

2.1. Epidemiologische Erkenntnisse

Eine Epidemiologische Untersuchung wird zur Klärung der Frage durchgeführt, inwieweit genetische oder Umweltfaktoren an der Erkrankung ursächlich beteiligt sind.

Desweiteren versucht man mittels der Epidemiologie die Ausbreitung der Krankheit zu ermitteln, um Hinweise für die Prävention, die Bekämpfung und die Ätiologie zu erhalten. (vgl. Heckl 1994, S. 5)

Heckl (1994, S. 5) beschreibt die Multiple Sklerose als eine für die epidemiolog- ische Forschung schwer zugängliche Krankheit, da sie verglichen mit der koronaren Herzkrankheit relativ selten vorkommt und eine genaue Diagnose oft nur schwer zu stellen ist. Auch innerhalb des Landes unterliegt die Häufigkeit oft hohen Schwankungen, wodurch Hochrechnungen nur ungenau die Prävalenz wiedergeben.

Als eine Pionierleistung der epidemiologischen Forschung wird von Kesselring (1993, S. 70) die Untersuchung der MS-Prävalenz in der Schweiz durch Bing und Mitarbeiter (zit. nach Bing und Reese 1926; Ackermann 1931) dargestellt: Es wurden vor allem für zwei Bereiche Methoden im Zusammenhang mit der Multiplen Sklerose angewandt.

Zum ersten Bereich zählen die zahlreichen Studien, die durchgeführt wurden, um die Prävalenz und Inzidenz der Krankheit in den verschiedenen geographischen Gebieten möglichst exakt zu erfassen, um daraus eventuell ein Muster der Krankheitsverteilung ableiten zu können. Im zweiten Bereich wurden die Unterschiede der an Multiple Sklerose-Erkrankten mit der Normalbevölkerung versucht herauszuarbeiten, um durch diesen Vergleich der Ursache für die Erkrankung auf die Spur zu kommen.

2.1.1. Geographische Verteilung

Krämer/ Besser (1988, S. 18-19) schreiben, dass geographische Unterschiede für die Erkrankungshäufigkeit der Multiplen Sklerose gibt. So erkranken mehr Menschen an Multiple Sklerose, die in den gemäßigten Klimazonen in der Höhe des 40- bis 60- Breitengrades leben. In tropischen und subtropischen Regionen tritt die Krankheit sehr selten auf.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die folgende Abbildung 2 zeigt das Erkrankungsrisiko an Multipler Sklerose in Abhängigkeit von der geographischen Lage

(Quelle: Maida 1997, S. 221)

Die Abbildung zeigt, dass sich eine steigende MS-Prävalenz mit einer Zunahme des geographischen Abstands vom Äquator ergibt. Kesselring (1993, S. 72) präzisiert die geographischen Angaben: Zwischen dem 44. und 64. Breitengrad ist hauptsächlich eine hohe Prävalenzrate von mehr als 30 Erkrankten pro 100 000 Einwohnern vorzufinden. Zwischen dem 32. und 47. Breitengrad liegt eine Zone der mittleren Prävalenz mit 4-30 Erkrankungen pro 100 000 Einwohnern. Auch dieser Autor kommt zu dem Schluss, dass das geringe Vorkommen von MS in Äquatornähe auffällig ist.

Heckl (1994, S. 6) gibt an, dass die Häufigkeit der Multiplen Sklerose in den gemäßigteren, etwas kälteren Zonen zwar größer erscheint, als in der Mittelmeerregion, die hierzu durchgeführten Studien aber als unzureichend angesehen werden müssen. Er schließt die Möglichkeit nicht aus, dass man in künftigen Untersuchungen zu anderen Ergebnissen kommen wird und dass das Nord-Süd Gefälle nicht einheitlich vorherrscht.

So findet man in der Schweiz, als dem Tor zum Süden, eine ungewöhnlich hohe Prävalenz von 100-200 Erkrankungen pro 100.000 Einwohner vor. Im Kanton Bern liegt sie höher als in Deutschland und annähernd so hoch wie in Schweden.

Betrachtet man Europa hinsichtlich der Häufigkeit der Erkrankungen an Multiple Sklerose, so stellt man fest, dass die höchste Prävalenz der Krankheit in Nordostschottland vorliegt, mit einer Höhe von 155 Erkrankungen pro 100.000 Einwohner und die niedrigste Prävalenz auf Malta mit 4 Erkrankungen pro 100.000 Einwohner und auf den Kanarischen Inseln mit 1 Erkrankung pro 100.000 Einwohnern.

In Deutschland haben epidemiologische Untersuchungen, die in den Jahren 1977-1985 bei verschiedenen Autoren veröffentlicht wurden, gezeigt, dass in Südnieder- sachsen mit einer Anzahl von 85,7 Erkrankungen pro 100 000 Einwohner die höchste Prävalenz vorherrscht. In Halle ist der Wert mit 44,9 (53,8) Erkrankungen pro 100 000 Einwohner am niedrigsten. In Südhessen liegt der Wert bei 68 Erkrankungen/ 100 000 und in Rostock bei 60,4 Erkrankungen/ 100 000. (vgl. Heckl 1994, S. 7)

Um die Daten einer geographischen Verteilung bewerten zu können, unterscheidet man anhand der Anzahl der festgestellten Erkrankungen an Multiple Sklerose zwischen einer geringen, mittleren und einer hohen Prävalenz daran zu erkranken. Heckl (1994, S. 6) führt an, dass man von einer geringen Prävalenz der multiplen Sklerose spricht, wenn die Zahl der Erkrankungen unter 10 von 100.000 Ein- wohnern liegt, eine mittlere Prävalenz bei 10-29 von 100.000 Einwohnern und von einer hohen Prävalenz bei mehr als 30 Erkrankungen pro 100.000 Einwohnern.

Kesselring (1993, S. 72) weißt darauf hin, dass noch ungeklärt ist, ob es Gebiete gibt, in welchen sich die Dichtedifferenz der Erkrankungen weniger scharf voneinander abgrenzen lässt. Das heißt, die kontinuierliche Zunahme der Prävalenz in Polrichtung ist noch nicht hinreichend bewiesen.

Vergegenwärtigt man sich die Erkenntnis, dass die Multiple Sklerose eine unterschiedliche geographische Verteilung aufweist, so stellt sich die Frage, was sich wohl für Folgerungen ergeben, wenn Menschen aus einer Gegend mit hoher Prävalenz in eine Gegend mit niedriger Prävalenz migrieren.

Gold/ Rieckmann (2000, S. 41) führen Ergebnisse von Untersuchungen auf, welche ergeben haben, dass bei einer Übersiedlung von einer Region mit einem hohen Erkrankungsrisiko in eine Region mit einem niedrigen Erkrankungsrisiko, die Wahrscheinlichkeit an Multiple Sklerose zu erkranken in der neuen Wohnregion abnahm. Für den umgekehrten Fall hat man beobachtet, dass mit der Einwanderung aus Gebieten niedriger Prävalenz, wie z.B. vom asiatischen Raum nach Großbritannien das Risiko der Erkrankung ansteigt, was sich vor allem in der zweiten Generation zeigt. Auch das Lebensalter der Migration spielt eine Rolle und so wird das Erkrankungsrisiko des Ausgangslandes beibehalten, wenn die Übersiedlung nach dem 15. Lebensjahr geschieht. Desweiteren ist zu bemerken, dass Regionen mit deutlich unterschiedlichen Prävalenzrate die gleiche Altersverteilung für eine MS-Inzidenz aufweisen. (vgl. Gold/ Rieckmann 2000, S. 41-42)

Kesselring (1993, S. 74) verweist auf die Ergebnisse von Untersuchungen (zit. nach Ritter und Poser 1982), die gezeigt haben, dass ein höheres Erkrankungsrisiko für die Landbevölkerung nachweisen.

Es gibt jedoch auch Studien, die zu einem gegenteiligen Schluss kommen, so dass hierzu keine klare Aussage gemacht werden kann. Die von ihm durchgeführte Studie sagt aus, dass die MS-Prävalenz in den Gemeinden, die über 1000 m.ü.M. gelegen sind, mit 128,4 Fällen pro 100 000 Einwohnern deutlich höher als im übrigen Kanton ausfällt.

Perkin/ Wolinsky (2000, S. 7) sind der Ansicht, dass mit der Häufung der Erkrankungsfälle an Multiple Sklerose, die an den nördlichen Breiten von Europa, Nord Amerika und in den südlichen Breiten von Neuseeland ausgemacht wurden, ein Hinweis besteht, dass an der Pathogenese der Krankheit auch Umwelteinflüsse beteiligt sind.

Gold/ Rieckmann (2000, S. 41) sind der Ansicht, dass für die Entstehung einer Multiplen Sklerose außer den lokal unterschiedlichen Umwelteinflüssen und der Einfluss von verschiedenartigen viralen Erregern, mit denen das Immunsystem sich wahrend seiner Reifung auseinandersetzten muss, noch andere Faktoren eine Bedeutung zukommt.

Hierzu gibt eine Untersuchung den Anstoß, in welcher sich gezeigt hat, dass schwarze US-Amerikaner, unabhängig von der Lebensregion nur ein Erkrankungsrisiko von 50% haben, vergleicht man diese Gruppe mit der der weißen Amerikaner. Diese und andere Untersuchungen legen die Vermutung nach einem genetischen Mitauslöser nahe. So erkrankt insgesamt vor allem die europäische Bevölkerung, sowie aus Europa stammende Nordamerikaner. Asiaten und schwarze Afrikaner werden von dieser Krankheit in viel geringerem Maße befallen.

2.1.2. Demographische Verteilung

Krämer/ Besser (1988, S. 3) bezeichnen die Multiple Sklerose als die "...häufigste neurologische Krankheit, die im frühen und mittleren Erwachsenenalter zu Störungen führt.". Die Autoren Krämer/ Besser (1988, S. 4) geben an, dass die Zahl der Neuerkrankungen in der Bundesrepublik Deutschland auf 2 bis 3 Patienten pro 100 000 Einwohner geschätzt wird. Dieser Wert ergab eine Anzahl von 1200 bis 1800 Neuerkrankungen pro Jahr.

Bezüglich des Geschlechterverhältnisses der Erkrankung haben Untersuchungen folgendes gezeigt: Kesselring (1993, S. 75) hat zur demographischen Verteilung der Erkrankung eine repräsentative Studie mit 1016 MS-Erkrankten durchgeführt. Von den 1016 Patienten waren 63,9 % weiblich und 36,1 % männlich, was einem Geschlechtsverhältnis von 1,8:1 (W:M) entspricht. Der Autor Kesselring (1993, S. 76) kommt zu der Schlussfolgerung, dass eine geschlechtsspezifische Prävalenz für das weibliche Geschlecht vorliegt, mit 137,3 Fällen pro 100.000 Einwohner im Gegensatz zu 82,0 Fällen pro 100 000 Einwohner des männlichen Geschlechts. Auch Gold/ Rieckmann (2000, S. 40) verweisen auf den Umstand, dass mehr Frauen an Multipler Sklerose erkranken als Männer. Gold/ Rieckmann (2000, S. 40) geben an, dass viele große Studien ein Geschlechtsverhältnis von 1,9 bis zu 3,1:1 (W:M) für die Erkrankung ergeben haben.

Zu Beginn der Erkrankung besteht jedoch kein grundsätzlicher Unterschied für den Verlauf der Krankheit bei Männern und Frauen, so dass diese Daten nicht durch unterschiedliche Krankheitsdauer oder Mortalität zu erklären sind. Die erhöhte Suszeptibilität von Frauen, so meinen Gold/ Rieckmann (2000, S. 40), könnte auf einen hormonellen Faktor zurückzuführen sein. Auch Bauer/ Kesselring (1995, S. 5) räumen die Möglichkeit ein, dass hormonelle Einflüsse eine Wirkung auf die Erkrankung an Multiple Sklerose haben.

Ein weiterer demographischer Faktor, der von Kesselring (1993, S. 75) aufgeführt wird, ist die Altersspanne, in der die Multiple Sklerose gehäuft auftritt. Eine Untersuchung von Kesselring (1993, S. 75) hat ergeben, dass das Durchschnittsalter aller Patienten 50,7 (+ 14,7) Jahre betrug. Bezüglich des Geschlechts bestand hierbei keine Differenz. Die Dauer der Erkrankung betrugt durchschnittlich 17,4 (+ 12,1) Jahre. Weiterhin hat sich gezeigt, dass nur 1% der an der Untersuchung teilgenommenen Patienten über 80 Jahre alt und dass nur 0,7% unter 20jährig waren. Den höchsten Wert erreichte die Altersklasse der 40-60jährigen mit einer prozentualen Häufigkeit von 47,6%.

Die folgende Abbildung 3 veranschaulicht die Altersverteilung auf die verschiedenen Altersklassen, wobei das Geschlecht berücksichtigt wurde:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(Quelle: Bauer/ Kesselring 1995, S. 34)

Krämer/ Besser (1988, S. 5) unterscheiden bei der Festlegung des Krank- heitsbeginns zwischen dem Zeitpunkt des erstmaligen Auftretens von Beschwerden und der Diagnosestellung. Sie führen auf, dass das Durchschnitts- alter für den Beschwerdebeginn bei Anfang 30 liegt und das die Krankheits- diagnose 5 bis 10 Jahre später gestellt wird.

Eine wichtige Fragestellung, die seit der Kenntnis um die Multiple Sklerose in vielen Untersuchungen behandelt worden ist, so führt Heckl (1994, S. 11) an, handelt darüber, ob mehr erbliche oder Umweltfaktoren an der Genese der Krankheit beteiligt sind. Er weist darauf hin, dass sich im engeren und weiteren Familienkreis der MS-Kranken 15% weitere Erkrankungen auffinden.

Heckl (1994, S. 11) verweist auf folgende Untersuchungen: Es fanden sich im Kreis der Verwandtschaft nach Elbers (1983) bei 12% von 1000 und nach Sadovnick/ McLeod (1981) bei 17,5% der Patienten mindestens noch einen oder sogar mehrere MS-Erkrankungen.

Kesselring (1993, S. 77) bemerkt, dass familiäre Häufungen von gesicherten MS-Fällen auch über mehrere Generationen bekannt sind, wobei man bei der Vererbung nicht vom Mendelschen Erbgang ausgehen darf. Der Autor Kesselring (1993, S. 78) gibt an, dass genetische Untersuchungen betroffener Familien eine ungewöhnliche Kombination genetischer Faktoren ergeben haben, durch welche eine Prädisposition der Empfindlichkeit verschiedener Umweltreize und immunologischer Reaktionen gegenüber bestimmt wird. So liegt das Risiko für Verwandte ersten Grades an Multiple Sklerose zu erkranken 30-40 mal höher als das Durchschnittsrisiko von 0,1% in der Bevölkerung.

Limmroth/ Kastrup (2001, S. 3) schreiben, dass sich in Zwillingsstudien ein um den Faktor 10 erhöhtes Erkrankungsrisiko für eineiige Zwillinge im Vergleich zu den zweieiigen Zwillingen ergeben hat. Eine nicht zum Ausbruch kommende, subklinische Krankheitsaktivität findet sich im Zuge einer sorgfältigen klinischen und neurophysiologischen Untersuchung selbst bei nicht erkrankten eineiigen Zwillingen.

Die folgende Tabelle (Abbildung 4) zeigt das familiäre Erkrankungsrisiko bei angeglichenen Alters:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(Quelle: Perkin/ Wolinsky 2000, S. 8; nach Sadovnick et al. 1988)

Schmidt (1992, S. 27) weist darauf hin, dass genetische Faktoren allein jedoch nicht ausreichen, um eine MS zu verursachen, da 50-80% der eineiigen Zwillinge diskordant sind.

2.2. Pathogenese

In den vorangegangenen Abschnitten wurden die Erkenntnisse zusammengefasst, welche man in epidemiologischer Hinsicht über die Multiple Sklerose gewonnen hat. Im Folgenden werden die Forschungsergebnisse dargestellt, welche sich mit der Krankheitsentstehung befassen. Es muss darauf hingewiesen werden, dass es sich hierbei um Hypothesen und Modelle handelt, die die Pathogenese, welche bis heute letztlich nicht vollständig bekannt ist, zu erklären versuchen.

Bei den experimentell an Tieren untersuchten Erkrankungen, aus welchen Schlüsse auf humane Krankheitsmodelle geschlossen wurden, hat sich für die Multiple Sklerose vor allem das Autoimmunmodell und das Virale Modell durchgesetzt. Das Immunsystem spielt bei beiden Modellen eine pathogene Rolle. (vgl. Kesselring 1993, S. 66-69)

2.2.1. Genetische Faktoren

Die unter Kapitel 2.1.2. dargestellten Zusammenhänge haben sehr deutliche Hinweise darauf ergeben, dass man für die Genese der Multiplen Sklerose u.a. einen Erbfaktor verantwortlich machen kann, wobei jedoch darauf hingewiesen werden muss, dass man diesen nicht scharf gegen Umweltfaktoren abtrennen kann.

Poser/ Ritter (1980, S. 20) schreiben, dass bereits im Jahr 1896 die Vermutung von Eichhorst, der Familienstudien zur Multiple Sklerose durchgeführt hatte, geäußert wurde, die MS sei eine übertragbare und genetisch determinierte Krankheit. In der folgenden Zeit vertraten viele Autoren aufgrund der Ergebnisse weiterer Studien die Ansicht, dass es Familien gibt, in denen die Erkrankung an MS aufgrund einer genetischen Disposition geschieht, und dass exogene Faktoren in diesen Familien ein eher kleines Einflussvermögen auf die Entstehung der Krankheit haben.

Trotzdem gab es auch Fälle, wo sporadische MS-Erkrankungen in Familien auftraten, wo eher anzunehmen war, dass hier die exogenen Faktoren eine übergeordnete Rolle spielen.

Die genetische Forschung erhielt in den folgenden Jahren neue Impulse durch die Entdeckung der sogenannten Transplantations-Antigene, welche sich im Serum von Patienten nach mehreren Bluttransfusionen vorfanden, bzw. bei Frauen nach mehreren Schwangerschaften.

Kesselring (1993, S. 46) erklärt, dass es Rezeptoren gibt, die für die Immunantwort verantwortlich sind. Es gibt mindestens sechs verschiedene Arten von Rezeptoren, zu denen der Antigen-Rezeptor der B-Lymphozyten, der Antigen-Rezeptor der T-Lymphozyten, die Histokompatibilitäts-Antigene der Klasse I und II sowie die Marker der T-Zell-Subpopulationen T4 (CD4) und T8 (CD8) zählen.

Poser/ Ritter (1980, S. 20) bemerken, dass die entdeckten Histokompatibili- tätsantigene die Eigenschaft haben, Leukozyten anderer Individuen zu agglutinieren und der Gewebstypisierung bei Organtransplantationen dienen. Man bezeichnet die Histokompatibilitätsantigene als HLA-System, was für Human Leucocyte Antigen steht.

Pschyrembel (1994, S. 650) beschreibt das HLA-System als "...ein komplexes, autosomal-kodominant erbl. System von Gewebeantigenen (membranassoziierte Glykoproteine) des Menschen, die auf den Zellen fast aller Gewebe mit quant. Unterschieden vorkommen u. sich besonders gut auf Leukozyten (v.a. Blut-lymphozyten) nachweisen lassen;..."

Schmidt (1992, S. 138) schreibt, es ist davon auszugehen, dass einige Allele des Haupthistokompatibilitätskomplexes (MHC), der beim Menschen durch das HLA-System repräsentiert wird, mit einer Neigung zur Erlangung der Krankheit behaftet zu sein scheint.

Poser/ Ritter (1980, S. 21) geben an, dass die Histokompatibilitätsantigene auf Chromosom 6 lokalisiert sind und dass man zwischen den serologisch bestimmbaren HLA-A-, HLA-B- und HLA-C-Faktoren und den an Lymphozyten bestimmbaren HLA-D-(LD-)Antigenen unterscheidet. Tierexperimente haben ergeben, dass Mäuse und Meerschweinchen eine den genannten Genmustern benachbarte Region besitzen, welche bei der Steuerung der zellulären Immunabwehr eine Rolle spielen.

Kesselring (1993, S. 50) merkt an, dass der epidemiologische Zusammenhang zwischen HLA-Typen und dem Krankheitsrisiko in den verschiedenen ethnischen Gruppen uneinheitlich ist.

Bei der kaukasischen Bevölkerungsgruppe besteht eine hohe Empfänglichkeits- neigung für die MS, welche wahrscheinlich durch das vierfach erhöhte Risiko besteht, wenn ein positives HLA-DR2-Allel vorliegt im Gegensatz zu einem negativen HLA-DR2-Allel.

Poser/ Ritter (1980, S. 21) deuten darauf hin, dass MS-Patienten eine Häufung von HLA-A3 und HLA-B7 aufweisen, im Vergleich mit Kontrollpersonen. Kesselring (1993, S. 50) meint hierzu, dass zwar Beziehungen zwischen Klasse-I-HLA-Allelen und den HLA-A3 und HLA-B7 Allelen gefunden wurden, diese aber schwächer und in nicht allen Studien belegt sind.

Die Klasse II der HLA-Moleküle hat eine Schlüsselfunktion für die Subpopulation von T-Lymphozyten, die den Oberflächenmarker CD4 (T4) tragen. Sie haben meistens eine Helferfunktion indem sie zusammen mit der Hormongruppe der Lymphokine eine aktivierende Wirkung sowie eine Effektorfunktion auf andere Immunzellen, wie Makrophagen, B-Lyphozyten und zytotoxische Lymphozyten ausüben.

Gold/Rieckmann (2000, S. 31-32) bemerken, dass die Regulation der HLA-Antigene im Zentralnervensystem durch ganz unterschiedliche Stimulanzien, wie elektrische Reizung, Trauma und Läsion peripherer Nerven erfolgen kann. Ein Entzündungsherd wird im Nervensystem durch aktivierte T-Zellen ausgelöst, welche die Fähigkeit haben, im Gegensatz zu den Immunglobulinen, den Entzündungsmediatoren u.a. Zellen des Immunsystems die Blut-Hirn-Schranke zu überwinden und dort zu patrouillieren. Ein Entzündungsherd kann durch die T-Zellen jedoch nur ausgelöst werden, wenn ein spezifisches Antigen und wenn entsprechende Histokompatibilitäts-Antigene vor Ort aufzufinden sind. Die Histokompatibilitäts-Antigene kann man in verschiedenen Gliazell-Populationen, perivaskulär lokalisierten Monozyten und in vereinzelten Astrozyten nachweisen. Da MS-Läsionen vor allem in Regionen auftreten, in denen sich traumatischer Stress äußert, wie z.B. in dem Zervikalmark, kann dieses wohl damit in Zusammenhang gebracht werden, dass die gesteigerte Aussendung der HLA-Moleküle durch unspezifische Gewebsschädigung erfolgt.

Gold/Rieckmann (2000, S. 32) beschreiben die Modellvorstellung zur Entstehung entzündlicher Läsionen folgendermaßen: Der Vorgang beginnt zum Beispiel mit einer Infektion wodurch T-Lymphozyten aktiviert werden und über die Blut-Hirn-Schranke ins periphere Nervensystem wandern. Dort lösen sie eine Entzündungsreaktion aus, wenn sie dort ein geeignetes Antigen vorfinden. Im Zuge der Entzündungsreaktion haben die Zytokine (Interleukin-2, Interferon-g und Tumor-Nekrose-Faktor-a die Aufgabe, als Botenstoffe zu agieren.

Es erfolgt durch den Einfluss der Zytokine eine Exprimation von Molekülen, die das Anheften hämatogener Zellen an die Endothelien der Gehirngefäße vereinfachen. Desweiteren finden sich typischerweise auch Makrophagen, Microglia und B-Lymphozyten in der lädierten Region. Die lokal produzierten Zytokine sind es aber schließlich, die unspezifische Schädigungen auslösen und zu funktionellen Ausfällen führen, worauf der sogenannte programmierte Zelltod (Apoptose) folgt.

Der genaue Mechanismus der Apoptose ist bisher noch nicht ausreichend bekannt, und so schreibt Kesselring (1993, S. 51), dass die gegenwärtige Analyse des HLA-Komplexes noch unvollständig ist.

2.2.2. Virale Faktoren

Gold/Rieckmann (2000, S. 29) berichten, dass erstmals durch die Hypothese von Pierre Marie, dass die Krankheit aufgrund eines infektiösen Erregers ausgelöst wird, eine virale Pathogenese der MS im Jahr 1884 diskutiert wurde. Da es auch bei einer Virusinfektion zu demyelinisierenden Prozessen kommen kann, hat man verschiedene Modelle hierzu entwickelt:

Eine Modellvorstellung besagt, dass eine Virusinfektion die nachfolgende sekundäre Entzündungsreaktion der Multiplen Sklerose auslöst.

Eine andere Hypothese besagt, dass die rezividierende Virusinfektion mit der Zerstörung des Myelins als sogenannte unspezifische Begleitreaktion einhergeht.

Das dritte Modell geht davon aus, dass die Viruspersistenz in den Gliazellen stattfindet.

Die Modelle basieren auf Virushypothesen, welche an Tiermodellen untersucht wurden. Hierzu zählt die Infektion und direkte Lyse von Oligodendrozyten durch den JC-Virus, die durch den Theiler-Virus ausgelöste Enzephalomyelitis, die Infektion von Levis-Ratten durch den Maushepatitisvirus und die durch den Lenti-Virus induzierte Leucoenzephalomyelitis bei Schafen. (vgl. Gold/ Rieckmann 2000, S. 29)

Bei den viralen Modellen der Multiplen Sklerose hat sich in den letzten Jahren gezeigt, so merkt Kesselring (1993, S. 69) an, dass das Immunsystem eine wesentliche Rolle bei den pathogenen Vorgängen im Körper spielt. Es gibt verschiedene Erklärungsmöglichkeiten, wie durch einen viralen Infekt eine Autoimmunreaktion ausgelöst werden kann. Eine durch die Erkenntnisse der Computeranalyse und der Molekularbiologie wieder aktuell gewordene Hypothese besagt, dass aufgrund der Ähnlichkeit der Aminosäure-Sequenzen in gewissen viralen Proteinen und den Proteinen des ZNS immunologische Kreuzreaktionen entstehen können.

Schmidt (Hrsg.) (1992, S. 81) schreibt, dass virologische Untersuchungen bei Tier und Mensch gezeigt haben, dass Viren in der Lage sind, "...über komplexe pathogenetische Mechanismen nach langer Inkubationszeit chronisch-entzündliche Entmarkungsprozesse des Zentralnervensystems (ZNS) hervorzurufen."

So hat man häufig den Masernvirus in Zusammenhang mit der Multiplen Sklerose gebracht, da er in der Lage ist eine chronisch-progrediente entzündliche Erkrankung des ZNS hervorzurufen, die unter dem Namen subakute sklerosierende Panenzephalitis (SSPE) bekannt ist. SSPE ist eine seltene Krankheit, die in allen ethnischen Gruppen vorkommt, das durchschnittliche Erkrankungsalter 8-11 Jahre mit einer Inkubationszeit zwischen 1-30 Jahre besteht. Die SSPE weist einen typischen Krankheitsverlauf mit drei Stadien auf:

- Fortschreitende psychische und intellektuelle Veränderung
- Neurologische Ausfallsymptome, epileptische Anfälle und Myklonien
- Zunehmende Dezerebrationsstarre und Tod durch terminale Infektion.

Eine weitere virale Infektion, die mit der Multiplen Sklerose in Zusammenhang gebracht wird, ist die progressive multifunktionale Leukoenzephalopathie (PLM).

Diese Erkrankung tritt bei Personen auf, deren immunologisches Reaktions- vermögen aufgrund chronischer Erkrankung oder immunsuppressiver Therapie gestört ist und hat eine demyelinisierende Wirkung. Auch die Progressive Röteln-Panenzephalitis weißt klinische, neuropathologische und immunologische Ähnlichkeiten mit der SSPE auf.

Es handelt sich hierbei um eine chronische ZNS-Erkrankung, die bei Kindern und jungen Erwachsenen auftritt und Krampfanfälle, Myoklonien und zerebelläre Ataxien auslöst. (vgl. Schmidt (Hrsg.) 1992, S. 81)

Gold/ Rieckmann (2000, S. 30) berichten, dass in der letzten Zeit ein bakterien- ähnliches Agens namens Chlamydia pneumonia in der Pathogenese der Multiplen Sklerose diskutiert wird, da bei der Mehrzahl der untersuchten MS-Patienten ein erhöhter Antikörper-Titer gegen Chlamydia pneumonia nachgewiesen werden konnte. Es konnte bisher jedoch kein kausaler Zusammenhang der Infektion mit der Entstehung der Multiplen Sklerose hergestellt werden.

Es ist jedoch nach den heute vorliegenden Daten nicht möglich, so schreiben Gold/ Rieckmann (2000. S. 30), "...dass es für eine direkte infektiöse Auslösung der MS durch ein Virus keinen sicheren Anhalt gibt.". Es konnte jedoch festgestellt werden, dass die Multiple Sklerose nicht direkt infektiös übertragbar ist.

2.2.3. Stoffwechseltheorie

Zu den älteren Modellen gehört die Vorstellung, die Multiple Sklerose sei begründet durch eine Stoffwechselerkrankung.

Poser (1986, S. 46) gibt hierzu an, dass viele Hypothesen, die eine Stoffwechseltheorie als Ursache für die Erkrankung an Multiple Sklerose angesehen haben, sich als nicht wahrscheinlich erwiesen haben. Eine Theorie jedoch, welche von einer möglichen Störung im Myelinmethabolismus ausgeht, steht noch zur Diskussion. In früheren Untersuchungen wurde oft der Linolsäurespiegel gemessen und dann eine erniedrigte Konzentration festgestellt. Spätere Überprüfungen konnten diese Aussage jedoch nicht untermauern. Bekannt war, dass eine Mangelernährung in welcher Linol- und Linolensäure ausgeschlossen wurde, eine Synthese eines chemisch normalen Myelins vermindert.

Ein dadurch verursachter Stoffwechseldefekt ist jedoch umstritten. Das Interesse hat sich daraufhin auf die immunregulatorischen Fähigkeiten der ungesättigten Fettsäuren gelegt. Man geht heute davon aus, dass die ungesättigten Fettsäuren eine immunsupressiven Wirkung aufweisen. (vgl. Poser 1986, S. 46f.)

Wie die aufgeführten Ergebnisse gezeigt haben, ist in den letzten Jahren zwar ein großer Wissenszuwachs bezüglich der Multiplen Sklerose entstanden, es bedarf aber noch einiger Forschungsarbeit, um die Krankheit weiter zu enträtseln. Das folgende Kapitel behandelt die neuropathologischen Veränderungen im Körper, durch die dargelegt werden kann, welche Veränderungen sich ergeben.

3. Neuropathologische Veränderungen

Nachdem bereits Chargot im Jahr 1869 eine Erstbeschreibung der histopathologischen Besonderheiten der Multiplen Sklerose angefertigt hatte, erfolgte daraufhin für fast 100 Jahre eine völlige Stagnation der histopathologisch orientierten Forschung und es wurden erst in den letzten zwei Jahrzehnten durch die Entwicklung neuer Technologien und neuer Untersuchungsmethoden ein Wissenszuwachs auf diesem Gebiet erzielt. Es wurde durch die Weiterentwicklung hochauflösender morphologischer Untersuchungstechniken, die neu entwickelten immunohistochemischen Färbemethoden und die molekularbiologischen Ansätze (z.B. Insitu-Hybridisierung) möglich, die molekularen Pathomechanismen direkt am fixierten Gewebe zu untersuchen, um dann neue Erkenntnisse daraus gewinnen zu können. So hat sich u.a. durch die Kernspintomographie gezeigt, dass an Multiple Sklerose-Erkrankte zwar demyelinisierende Läsionen aufweisen, dass aber auch eine ausgeprägter axonaler Schaden hinzukommt. (vgl. Gold/ Rieckmann 2000, S. 24; Schmidt (Hrsg.) 1992, S. 248)

3.1. Entmarkungszonen

Zu den typischen pathologischen Merkmalen der Multiplen Sklerose gehören die periventrikulären Entmarkungsherde, die sich radial nach außen angeordneten Läsionen und kleine kortikale Läsionen. Diese Entmarkungsherde werden auch als Plaques bezeichnet und können aufgrund der gliösen Narbenbildung in den Herden, durch welche die Konsistenz des Gewebes gegenüber den umgebenen Gewebe erhöht ist, lokalisiert werden. Durch diese Besonderheit der Sklerosierung des Gewebes stammt die französische Bezeichnung "sclérose en plaques".

Die Entstehung der Herde erfolgt durch den Untergang der Myelinscheiden der Nervenzellen, wobei noch nicht geklärt ist, ob primär die Oligodendrozyten, die Myelinscheide oder beide betroffen sind. Die Entmarkungsherde haben keine typische Gestalt, sind meistens etwas rundlich, unregelmäßig begrenzt und weisen in einigen Fällen eine typische Dreiecksform auf. Sie haben meistens einen Durchmesser von 2-10 mm, wobei die Größe grundsätzlich sehr verschieden ist. In einigen Fällen können sie so groß werden, dass ganze Anteile des Marklagers oder des Rückenmarks davon befallen sind, in anderen Fällen sind sie mit dem Auge kaum sichtbar. Die größeren Herde entstehen entweder durch die Vereinigung mehrerer kleinerer Herde oder durch einen Prozess des langsamen Wachstums. Es ist auch möglich, dass das gesamte zentrale Nervensystem von Hunderten von Entmarkungsherden übersät ist.

(vgl. Heckl 1994, S. 15; Gold/ Rieckmann 2000, S. 24-25; Kesselring 1993, S. 20)

3.2. Makroskopische Charakteristika

Durch eine Myelinfärbung der Hirnschnitte sind die Plaques besonders gut auszumachen, da die Entmarkungszonen keinen Farbstoff aufnehmen und sich somit durch ihre weiße Farbe von den myelingefärbten Hintergrund absetzen. Man kann bei der Myelinfärbung zwei unterschiedlich aussehende Herde unterscheiden:

Es gibt Herde, die eine dumpf-gräuliche Färbung aufweisen und an anderen Stellen findet man helle Herde mit einem dumpf-gräulichen Saum ohne scharfen Übergang zur gesunden Marksubstanz.

Diese Areale, bei denen die Myelinfärbung abgeschwächt, aber nicht aufgehoben ist, bezeichnet man als Markschattenherde (shadow plaques). Die Ursache dieser in abgeschwächter Färbung erscheinenden Areale beruht auf einer unvoll- ständigen Demyelinisierung oder einer Remyelinisierung. Diese Art der Entmark- ungsherde findet man vor allem bei einer durch Schüben charakterisierten Verlaufsform vor.

Verfolgt man die Verteilung der Plaques im Nervensystem so ist erkennbar, dass es gewisse Prädilektionsorte gibt. Überdurchschnittlich häufig ist der Nervus opticus befallen, wobei selbst im Verlauf des Nerves noch ein gewisses Verteilungsmuster erkennbar ist, da 34% des recht kurzen intrakanalikulären Nervenabschnittes von der Demyelinisierung befallen sind, was einem relativ hohen Anteil entspricht.

Beim Rückenmark ist das Zervikalmark der von der Erkrankung am meisten betroffene Teil. Ein Zusammenhang zum verstärkten Befall des intrakanalikulären Abschnitts des Nervus opticus und des Zervikalmarks besteht darin, dass die mechanischen Verhältnisse im intrakanalikulären Abschnitt des N. opticus denen des Zervikalmarks entsprechen.

Betrachtet man das Gehirn, so stellt sich heraus, dass der Hirnstamm am häufigsten befallen ist und dass die Entmarkungsherde gerade am Anfang der Erkrankung sich vermehrt in den peripheren Regionen der Hirnwindungen und der Rinden-Mark-Grenze befinden. In der grauen Substanz (Hirnrinde) des Gehirns sind auch Herde zu finden, welche jedoch bei der dunkelgrauen Einfärbung nicht so gut sichtbar werden. Sie sind verantwortlich für die Folgeerkrankung der Hirnrindenattrophie. (vgl. Heckl 1994, S. 16-18).

Hopf et al. (Hrsg.) (1981, Kapitel 5.5.) erläutern, dass direkt unter der Pia vor allem im Bereich der Sulci schmale Herde liegen, die zu Spekulationen Anlass gegeben haben, dass der Prozess der Demyelinisierung durch eine im Liquor sich befindende Substanz in Gang gesetzt wird.

3.3. Mikroskopische Charakteristika

Bei einer histologischen Betrachtung der Entmarkungsherde stellt sich heraus, dass es sich um einen kompletten Verlust der Markscheiden handelt. Die Axone der Nervenzellen sind in den Herden weitgehend gut erhalten; die Oligodendroglia-Zellpopulation ist deutlich reduziert. Die Markscheiden der in die Plaques eintretenden Fasern an der Grenze zur umliegenden weißen Substanz des Gehirns enden mit einem Ranvier-Schnürring, durch welchen die Abschnitte der Myelinhüllen getrennt sind.

Die gliöse Narbenbildung wird hervorgerufen durch die dichte Reihung von Astrogliafasern, deren Astrozytenfortsätze mit ihren Gliafibrillen ein dichtes Netzwerk bilden.

Erkennen kann man einen frischen MS-Herd an seinem Zellsaum am Rand und an der vermehrten Einlagerung von Gefäßen. Aktive Herde sind makroskopisch nicht so scharf begrenzt, und die Konsistenz ist deutlich geringer als die chronischer Herde und der umliegenden weißen Substanz. Am Rande kann man Makrophagen vorfinden, die Myelinbruchstücke inkorpiert haben. Fließen mehrere dieser kleinen perivaskulären Herde zusammen, so kann man sie mit bloßem Auge erkennen.

Bei einer ganz frischen Läsion kann ein interstitielles Ödem entstehen. Das Myelinsegment entsteht im peripheren Nerv aus einer Schwann-Zelle, während im Zentralnervensystem gleich mehrere Myelinhüllen gleichzeitig von einem Oligodendrozyten mit seinen vielen Fortsätzen gebildet wird. An den Enden der Fortsätze entsteht jeweils wieder ein Myelinsegment. Bei der Multiplen Sklerose gehen die Myelinscheiden über die Oligodendrozyten zugrunde, wobei das Axon erhalten bleibt. Durch die mehrfache Bindung eines Oligodendrozyten an mehrere Axone, gehen auch gleichzeitig immer mehrere Myelinscheiden zugrunde.

Die Glianarben schädigen die Axone noch zusätzlich und verhindern elektrische Kurzschlussverbindungen (Cross Talk) oder parbiotische Areale, in denen eine elektrische Impulsgeneration entstehen kann. (vgl. Kesselring 1993, S. 20; Hopf et al. (Hrsg.) 1981, Kapitel 5.6; Heckl 1994, S. 20-21)

3.4. Die Antigene des ZNS

Schmidt (Hrsg.) (1992, S. 111) gibt an, dass das ZNS bei der Immunologie des Demyelinisierungsprozesses eine wichtige Rolle spielt. Bestimmte morpholog- ische und physiologische Besonderheiten des ZNS haben eine Wirkung gegen schädliche Stoffe und koordinieren die Homöostase der zerebralen Funktionen.

Die Lipide des ZNS, zu denen die Galaktozerebroside, die Sphingolipide und Ganglioside gehören, sind in der Lage durch Bakterien, Proteine und Fremdseren Viren zu Vollantigenen zu vervollständigen. Sie bilden Komplexe mit Proteinen. Durch Proteolipide können Antikörper gegen Lipide gebildet werden. (vgl. Schmidt (Hrsg.) 1992, S. 111-112)

Von den Proteinen des ZNS ist ein Teil intrazellulär gelegen, wobei die meisten jedoch eine Funktion als Oberflächenantigene haben. (vgl. Schmidt (Hrsg.) 1992, S. 112, zit. n. Weiner und Hauser 1982)

3.5. Entstehung von Liquorveränderungen

Eine wichtige Rolle für die Diagnose von entzündlichen Erkrankungen des ZNS, so meint Schmidt (Hrsg.) (1992, S. 188f.), spielt die Analyse der Zell- und Eiweißstoffe im Liquor. Charakteristisch für das Anfangsstadium entzündlicher Prozesse sind relativ spezifische Zellbefunde (Pleozytose, Granulozytose und Lymphozytose) und unspezifische Eiweißbefunde (Gesamteiweißerhöhung und erhöhter Albuminquotient). Schlieper (1998, S. 427) gibt an, dass bei einer Allergie, bei Kontakt mit dem Allergen, Antikörper des Typs IgG oder des Typs Immunglobulin E (IgE) gebildet werden. Bei der Multiplen Sklerose lässt sich keine strenge Korrelation zwischen den Zell- und Eiweißbefunden nachweisen, es befinden sich jedoch aufgrund der chronischen Demyelinisation vermehrte Eiweißbefunde im Liquor.

Heckl (1994, S. 130) weißt darauf hin, dass die Gesamteiweißerhöhung meist nur gering und überwiegend durch eine Erhöhung des Immunglobulin G bedingt ist. Eine Erhöhung des Gesamteiweißes im Liquor kann jedoch durch eine aufgrund der Multiplen Sklerose (oder auch durch andere neurolog. Erkrankungen) ausgelöste Schrankenstörung kommen. Bei dieser Schrankenstörung, die bei 14-20% der MS-Erkrankten vorkommt, tritt das Eiweiß aus dem Blut in den Liquorraum über, so dass das erhöhte Eiweißvorkommen in diesem Falle nicht auf einer Eiweißproduktion innerhalb der Blut-Hirn-Schranke beruht, sondern auf der Einwanderung von Albumin und Globulin im gleichen Verhältnis wie im Serum. Da das Globulin, das hauptsächlich aus IgG besteht, innerhalb der Blut-Hirn-Schranke synthetisiert werden kann, Albumine, da sie aus der Leber stammen, jedoch nicht, spricht die Erhöhung des Albuminwertes im Liquor immer für eine Schrankenstörung. In dem Falle, dass der IgG-Wert im Liquor, entgegen dem erwarteten Albumin-Globulin-Verhältnis erhöht ist, kann man zusätzlich zu der Schrankenstörung auf eine IgG-Produktion innerhalb der Blut-Hirn-Schranke schließen. Diese IgG-Erhöhung lässt sich bei 90-97% der Multiple Sklerose-Patienten nachweisen, wogegen eine IgG-Erhöhung gekoppelt mit einer Schrankenstörung nur bei 7% der Erkrankten auftritt.

Es stellt sich hierbei die Frage, ob es auch andere Ursachen für die Eiweißbefunde des Liquuors gibt, als eine Schrankenstörung. Schlieper (1998, S. 427) verweist darauf, dass bei einer Allergie, bei Kontakt mit dem Allergen, Antikörper des Typs IgG oder des Typs Immunglobulin E (IgE) gebildet werden. In wie weit es Zusammenhänge zwischen einer Allergie und einer Autoimmunerkrankung, wie der Multiplen Sklerose gibt, wird weiterhin zur Diskussion stehen.

3.6. Befunde von Liquoruntersuchungen

Die pathologische Anatomie der Multiplen Sklerose wird von Schmidt (Hrsg.) (1992, S. 118 f.) in folgenden vier Punkten beschrieben:

"1. Entzündliche Veränderungen, 2. Entmarkung, 3. Markscheidenabbau und 4. Gliöse Organisation und Narbenbildung".

Es finden sich in allen akuten Stadien und bei den initialen Veränderungen perivaskuläre Infiltrate.

Wie bereits erwähnt, treten durch die humoralen Immunreaktionen im ZNS entsprechende Veränderungen im Liquor auf. Durch eine besondere Technik mit antigenbeschichteten Zielzellen konnte eine antikörperabhängige Zytotoxizität von Lymphozyten nachgewiesen werden. Untersuchungen des Liquors basierend auf dieser Technik ergaben, dass Antikörper vom Typ IgG vorzufinden sind, die normale Lymphozyten dazu befähigen, eine zytotoxische Reaktion gegen Galaktozerebroside, MBP sowie dessen enzephalitogenes Peptid, und Ganglioside hervorzurufen.

[...]

Ende der Leseprobe aus 176 Seiten

Details

Titel
Entwicklung eines Ernährungskonzeptes für Patienten mit Multiple Sklerose
Hochschule
Fachhochschule Münster
Note
2,3
Autor
Jahr
2003
Seiten
176
Katalognummer
V58478
ISBN (eBook)
9783638526586
ISBN (Buch)
9783638719742
Dateigröße
1114 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Entwicklung, Ernährungskonzeptes, Patienten, Multiple, Sklerose
Arbeit zitieren
Birgit Brenncke (Autor:in), 2003, Entwicklung eines Ernährungskonzeptes für Patienten mit Multiple Sklerose, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/58478

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