Kinder kriegen oder nicht? Theoretische Entscheidungsdeterminanten im Kontext moderner Gesellschaftsformen (Deutschland)


Hausarbeit, 2005

23 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

EINLEITUNG

1. DIE GRUNDLAGEN DER THEORIENENTWICKLUNG
1.1 Die Entwicklung des Phänomens „Fertilität“
1.2 Statistische Größen und die daraus resultierenden Tendenzen der Fertilität
1.2.1 Statistisch-demographische Größen und Begriffe zur Untersuchung der Fertilität und ihrer Entwicklungen
1.2.2 Tendenzen der Fertilität
1.3 Entscheidungsfreiheit

2. THEORETISCHE MODELLE ZUM FERTILITÄTSVERHALTEN
2.1 Theoriegeschichtliche Entwicklung
2.2 Weiterführende Theorien
2.2.1 Die Theorie der biographischen Festlegung bzw. die biographische Theorie der demographischen Reproduktion
2.2.2 Die ökonomische Theorie der Fertilität: ausgewählte Ansätze im Überblick

3. DIE HANDLUNGSTHEORETISCHE NEUKONZEPTUALISIERUNG DES VOC-ANSATZES VON BERNHARD NAUCK (2001)

4. ZUSAMMENFASSUNG

LITERATURVERZEICHNIS

EINLEITUNG

Wo sind die Kinder? — Im Land der Egoisten: Kein Nachwuchs, keine Rente! („DIE ZEIT“)[1]

Derartige Schlagzeilen finden sich heute immer häufiger in diversen Presseerzeugnissen. Sie haben auf den ersten Blick sogar einen motivierenden Charakter. Schließlich stellt man sich als ehrbarer – aber kinderloser Bürger (bzw. Bürgerin) – daraufhin sofort die Frage: Bin ich Schuld am finanziellen Desaster meines Landes? Betrachtet man die Tatsache jedoch genauer und erkennt, dass das Kinderkriegen hier als Aufgabe der Mitglieder eines Staates zur Unterstützung eines Altersfinanzierungskonzeptes deklariert wird, kommt sehr rasch der Begriff der „Gebärmaschine“ wieder auf, dessen ohnehin schon negative Konnotation zu einer anderen Zeit ihre höchste Ausprägung fand.[2] So gesehen wird der Sache mit dem Kinderkriegen ein gewisser Missbrauchscharakter verliehen, so dass man sich als freies Individuum nahezu dazu genötigt fühlt, sein `eigenes Ding´ zu machen und kinderlos zu bleiben.

Ganz so einfach lässt sich die Abnahme der Geburtenzahlen bzw. die Veränderungen des generativen Verhaltens natürlich nicht erklären. Dem entsprechend gibt es auch eine Vielzahl von theoretischen Modellen zur Fertilität und den damit einhergehenden Entwicklungen. In dieser Arbeit soll die Frage nach individuellen Entscheidungsdeterminanten bezüglich der Frage „Kinder- ja oder nein?“ anhand einiger Ansätze näher beleuchtet werden. Fertilität versteht sich dabei als das Geburtenverhalten insgesamt, ist also nicht beschränkt auf den Begriff der Fruchtbarkeit, für dessen Bezeichnung das Lexem Fertilität nicht selten verwendet wird.

1. DIE GRUNDLAGEN DER THEORIENENTWICKLUNG

1.1 Die Entwicklung des Phänomens „Fertilität“

Das Geburtenverhalten und dessen Entwicklungen spielten in der Geschichte der Menschheit nicht immer eine so bedeutende Rolle wie heute. Man kann im Blick auf die historische Beschäftigung mit dieser Thematik vielmehr von einer Bevölkerungsregulierung sprechen, welche sich darauf bezog, bestimmte `Menschensorten´ anderen vorzuziehen. In diesem Zusammenhang sei insbesondere auf das Mittelalter verwiesen, zu dessen Zeit beispielsweise behinderte Menschen der Vernichtung freigegeben waren.[3]

Resultierend aus dem fehlenden Interesse ergab sich, dass eine organisierte statistische Erfassung demographischer Daten keine Relevanz besaß. Erst mit dem Beginn des 19. Jahrhunderts entwickelten sich diese Daten dokumentierende Strukturen in den Bürokratien fortschrittlicher Länder wie Deutschland (statistische Ämter, Zollvereinsstatistik, Reichsstatistik; Kopp 2002). Diesen Entwicklungen zur Folge lassen sich ab der Mitte des 19. Jahrhunderts Aussagen über das Geburtenverhalten in Deutschland treffen.

Bereits um die Wende des 20. Jahrhunderts konnte mit den erhobenen Daten der Einsatz eines massiven Geburtenrückgangs verzeichnet werden, was das öffentliche Interesse um das Thema Fertilität bzw. Fertilitätsentwicklung enorm ansteigen ließ. Damit einher ging die Zunahme der Forschungsaktivität hinsichtlich dieses Themas sowie die Entwicklung umfassenderer statistischer Befunde. Die Ergebnisse waren zunächst erschreckend, so dass sich durch die dramatischen Prognosen eine reglerechte Hysterie, insbesondere um die Fertilität der Industrienationen, entwickelte. Eine Verstärkung dieses Effektes erfolgte durch die noch recht unzureichende Datenlage sowie die falsche Interpretation bzw. Überbewertung der statistischen Befunde. Zwar haben sich die Techniken der Datenermittlung bis zur heutigen Zeit entscheidend verbessert, so dass treffendere Erklärungen und Prognosen hinsichtlich der Entwicklung der Fertilität formuliert werden können. Dennoch bleibt die reißerische Komponente der Thematik, nicht zuletzt aufgrund der nicht zu verachtenden Vermarktungspotenz für die Medien, erhalten.[4] Fortschrittliche Erkenntnisse, die der Abschwächung des Glaubens, Deutschland würde aussterben[5], entschärfen könnten, finden verwunderlicher Weise in der Öffentlichkeit kaum Gehör.

Doch welche Tendenzen lassen sich anhand der Datenlage wirklich ermitteln?

1.2 Statistische Größen und die daraus resultierenden Tendenzen der Fertilität

1.2.1 Statistisch-demographische Größen und Begriffe zur Untersuchung der Fertilität und ihrer Entwicklungen

Indikatoren[7]

Die Grundlage für die im Folgenden genannten Maßzahlen bzw. Indikatoren ist die amtliche Registrierung der Geburten. Demnach ergibt sich, dass diese Indikatoren im zeitlichen Rahmen eines Kalenderjahres (üblicherweise) ermittelt werden und somit zunächst einen Blick aus der periodenbezogenen Perspektive gewähren. Der erste, aus der einfachen Geburtenzahl abzuleitende Indikator, ist die Geborenenrate (auch Geborenenziffer), welche die Zahl der Lebendgeborenen je 1.000 Einwohner erfasst. Das in dieser Maßzahl ausgedrückte Verhältnis zur durchschnittlichen Bevölkerung (eines Landes), ermöglicht bereits einfache Vergleiche, so dass sich der Informationsgehalt nicht ausschließlich auf das Geburtenniveau beschränkt (im Gegensatz zur reinen Geburtenzahl)[6]. Dieser Indikator ist jedoch aufgrund seiner Undifferenziertheit nicht sehr aussagekräftig. Daraus resultierend lässt sich eine weitere Kenngröße nennen: die allgemeine Geburtenrate. Sie erfasst die Geburten, die in einem Jahr je 1.000 Frauen zwischen 15 und 44 Jahren (wobei letztere Zahl nicht eindeutig definiert ist) zu zählen sind. Damit berücksichtigt dieser Indikator den Altersaufbau und die Geschlechterproportion[8].

Ein nächster relevanter Indikator ist die alterspezifische Geburtenrate. Sie errechnet sich aus der Zahl der Geburten je 1.000 Frauen eines bestimmten Alters bzw. eines bestimmten Altersintervalls. Diese Maßzahl kann dazu genutzt werden, Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Fertilität und des Timings der Geburten zu untersuchen. Dazu werden beispielsweise die Verteilungen der alterspezifischen Geburtenraten zwischen zwei Zeitpunkten verglichen. Graphisch dargestellt weisen alterspezifische Geburtenraten üblicherweise eine Glockenform auf. Auf diese Weise lassen sich eine Vielzahl von Informationen erschließen, wobei jedoch immer mehrere alterspezifische Geburtenraten vonnöten sind.

Diese Tatsache macht einen weiteren Indikator sinnvoll – die sogenannte totale Fruchtbarkeitsziffer. Diese ergibt sich aus den summierten alterspezifischen Geburtenraten. Genauer definiert bedeutet das: „Die Summe der alterspezifischen Geburtenraten ergibt die Zahl der Kinder, die 1.000 Frauen im Laufe ihres Lebens gebären...“ (Kopp 2002: 28, zit. Statistisches Bundesamt 1997: 44). Dieser Indikator unterscheidet sich von den vorhergehenden insofern, als dass er nicht das Geburtenverhalten bezogen auf ein bestimmtes Jahr wiedergibt. Er zeigt vielmehr an, ob die Fertilität zur Bestandserhaltung einer Bevölkerung ausreicht oder nicht und wird deshalb auch zu den Reproduktionsindikatoren gezählt. Dazu sind ebenso die Bruttoreproduktionsrate, sowie die Nettoreproduktionsrate zu zählen. Erstere errechnet sich wie die totale Fruchtbarkeitsziffer, wobei jedoch nur lebendgeborene Mädchen berücksichtigt werden. Letztere ergibt sich eben aus dieser, indem die Sterblichkeit der Frauen unter 45 Jahren mit einberechnet wird. Daraus ergibt sich eine Maßzahl, die wie folgt zu interpretieren ist: eine Zahl größer als 1 bedeutet ein Bevölkerungswachstum, eine Zahl kleiner als 1 eine Bevölkerungsabnahme, so dass der Wert 1 eine gleichbleibende Bevölkerung verheißt.[9]

Die bisher genannten Indikatoren sind, wie bereits erwähnt, periodenspezifisch. Sie sind also einer bestimmten kalendarischen Periode, nicht aber einer Kohorte zuzuschreiben. Da jedoch in der Forschung zunehmend die Kohorte als geeignetes Instrument zu Erfassung der Fertilitätsentwicklung angenommen wird – worauf noch einmal zurück zu kommen sein wird – ist es notwendig, die Indikatoren dem anzupassen. So werden beispielsweise für eine Geburtskohorte (Personen eines Geburtsjahrganges) die alterspezifischen Geburtenraten zwischen 15 und 45 addiert, woraus sich die kumulierte altersspezifische Geburtenrate ergibt. Um eine gute Annäherung[10] an die von einer Kohorte geborenen Kinder zu erhalten, ist es notwendig, dass diese bereits ein Lebensalter von über 45 Jahren erreicht und damit das Ende der fertilen Periode erreicht hat[11].

Ein weiterer wichtiger Indikator hinsichtlich der Familienbildung ist die Parität der Geburten. Darin spiegelt sich die Ordnungsnummer einer Geburt bzw. die Geburtenfolge wider. Die Betrachtung der Geburtenfolge ist, wie die meisten anderen Indikatoren auch, am sinnvollsten aus der kohortenbezogenen Perspektive. Es lassen sich damit die sehr bedeutsamen Wandlungen der Familienstrukturen nachvollziehen, die unabhängig von der durchschnittlichen Geburtenzahl sein können – sich also nur auf die Verteilung (sozialstrukturell) niederschlagen.

Die hier genannten Indikatoren beruhen auf den Daten, die durch statistische Ämter erhoben werden. Diese stoßen jedoch bezüglich ihrer Abbildungsmöglichkeiten dann an ihre Grenzen, wenn das Interesse über die einfache Abbildung der Fertilität und Fertilitätsentwicklung hinaus geht. Gerade bei der Suche nach einer empirisch überprüfbaren Erklärung für die stattfindenden Prozesse sind eigene sozialwissenschaftliche Erhebung auf Individualbasis nicht mehr zu umgehen. Hinsichtlich des zunehmenden Forschungsinteresses werden somit immer häufiger Umfragedaten zur theoretischen Erklärungsfindung einbezogen. Aufgrund der Komplexität dieses Themas soll jedoch an dieser Stelle lediglich die Erwähnung genügen.

Begriffe

Die oben genannten Indikatoren zur Widerspiegelung der Fertilität und Fertilitätsentwicklung sind verschiedenen Effekten ausgeliefert. Dies können sowohl Alters-, wie auch Perioden- und Kohorteneffekte sein. Sie ergeben sich aus der jeweiligen Perspektive, woraus sehr verschiedene Interpretationsmöglichkeiten entstehen. Doch zunächst zu den einzelnen Effekten: „Bei Alterseffekten (auch: Lebenszykluseffekte) geht man davon aus, dass die Variation eines bestimmten Risikos – wie etwa der Übergang aus dem Status `ledig´ in den Familienstand `verheiratet´ oder eben die Wahrscheinlichkeit, ein erstes Kind zu bekommen – eine Funktion des (Lebens-) Alters oder eines bestimmten Lebenszyklus sei.“ (Kopp 2002: 31). Diese Risikofunktionen verlaufen aber nicht immer bei allen Kohorten gleich. Sie können durch unterschiedliche Sozialisationserfahrungen, Wertvorstellungen und anderen Aspekten, die die Handlungsoptionen verändern, beeinflusst werden. In diesen Fällen spricht man von Kohorteneffekten. Im Gegensatz dazu sind Periodeneffekte (auch: historische Effekte) durch ein Ereignis gekennzeichnet, das für alle Kohorten zu einem bestimmten Zeitpunkt eintritt und den Lebenslauf beeinflusst. Das Ereignis steht dabei in keinem Zusammenhag mit den Alterseffekten, da es die einzelnen Kohorten zu einen jeweils anderen Zeitpunkt im Lebenszyklus beeinflusst. Aus diesem Grund „können sich die langfristigen Konsequenzen der historischen Effekte für die einzelnen Kohorten jedoch deutlich unterscheiden“ (Kopp 2002: 31).

[...]


[1] DIE ZEIT: Artikel von Susanne Gaschke, am 14.08.2003.

[2] Erinnert sei hier an die Belohnung der deutschen Frauen im NS-Regime durch das Mutterverdienstkreuz für eine möglichst hohe Zahl von Kindern (Gebärmaschinen) ideologisch richtiger genetischer Kombination.

[3] Die Darstellungen dieser Arbeit beziehen sich ausschließlich auf die Theorien zur Erklärung der Fertilität und deren Entwicklungen in modernen Gesellschaftsformen, wie es der Titel der Arbeit auch bezeichnet. Aus diesem Grund soll im gesamten Text auf Verweise bezüglich dieser Orientierung verzichtet werden.

[4] Andeutungsweise lässt sich dies ein dem einführenden Zitat aus der ZEIT erkennen.

[5] eine besonders beliebte Aussage für Headlines verschiedenster Presseerzeugnisse

[6] Einzelne Details der Maßzahlen werden außer Acht gelassen.

[7] Es werden hier die Begriffe aus Kopp (2002) verwendet.

[8] Dem ist hinzuzufügen, dass es unüblich ist die Indikatoren anhand der Männer zu berechnen, wobei generell davon ausgegangen wird, dass gleiche Ergebnisse erzielt würden. (Kopp 2002)

[9] Der jeweilige Wert bezieht sich auf das für des relevante Jahr erhobene Geburtenverhalten und Sterberisiko, wobei Wanderungen nicht berücksichtigt werden.

[10] Es handelt sich nicht um die genaue Zahl der Geburten dieser Kohorte. Es werden weder Migrationsprozesse noch die Sterblichkeit einbezogen.

[11] Für Kohorten deren Mitglieder noch nicht das 45 Lebensjahr erreicht hat, werden - sofern notwendig -Schätzungen vorgenommen.

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Kinder kriegen oder nicht? Theoretische Entscheidungsdeterminanten im Kontext moderner Gesellschaftsformen (Deutschland)
Hochschule
Friedrich-Schiller-Universität Jena
Note
1,3
Autor
Jahr
2005
Seiten
23
Katalognummer
V58389
ISBN (eBook)
9783638525985
ISBN (Buch)
9783656799269
Dateigröße
540 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kinder, Theoretische, Entscheidungsdeterminanten, Kontext, Gesellschaftsformen
Arbeit zitieren
Astrid Schäfer (Autor:in), 2005, Kinder kriegen oder nicht? Theoretische Entscheidungsdeterminanten im Kontext moderner Gesellschaftsformen (Deutschland), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/58389

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