Täterin Frau - Gewaltverhalten von Frauen im gesellschaftlichen und institutionellen Bewusstsein


Diplomarbeit, 2006

167 Seiten, Note: sehr gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Vorwort

I. Theoretischer Teil
1. Einleitung
2. Definitionen von Gewalt
2.1. Allgemeine Definition
2.2. Psychologischer Gewaltbegriff
2.3. Soziologischer Gewaltbegriff
2.4. Pädagogischer Gewaltbegriff
2.5. Der dieser Diplomarbeit zugrunde liegende Gewaltbegriff
3. Gewalttätige Frauen - ein Tabu
3.1. Das Tabu
3.2. Die weibliche Geschlechterrolle und ihre soziologische Bedeutung
3.3. Gewalttätige Frau im Zusammenhang von sozialer Rolle und Hierarchie
3.4. Faktoren zur Aufrechterhaltung des Tabus
3.5. Über die Sinnhaftigkeit des Tabubruchs
4. Historischer Abriss des Gewaltverständnisses
5. Theorien zur Ursache von Gewalt
5.1. Aggressionstriebmodelle
5.2. Frustrations-Aggressions-Hypothese
5.3. Katharsishypothese
5.4. Die Lerntheorien und ihre familiensoziologischen Erweiterungen
5.5. Stresstheoretischer Ansatz
5.6. Konflikttheorie
5.7. Theorie der Subkultur von Gewalt
5.8. Ressourcentheoretischer Ansätze
5.9. Austausch und Kontrolltheorie
5.10. Symbolisch-interaktionistische Ansätze
5.11. Soziostrukturelle Ansätze
6. Formen personaler Gewalt
6.1. Physische Gewalt
6.2. Psychische Gewalt
6.3. Sexuelle Gewalt
7. Forschungen zum Thema Gewalt in der Familie betrachtet unter dem Aspekt der Frau als Täterin
7.1. Gewalt von Frauen gegen Minderjährig
7.1.1. Physische Gewalt von Frauen gegen Minderjährige
7.1.2. Psychische Gewalt von Frauen gegen Minderjährige
7.1.3. Sexuelle Gewalt von Frauen gegen Minderjährige
7.1.4. Zusammenfassung
7.2. Gewalt von Frauen gegen Intimpartner
7.2.1. Physische Gewalt von Frauen gegen Männer
7.2.2. Psychische Gewalt von Frauen gegen Männer
7.2.3. Sexuelle Gewalt von Frauen gegen Männer
7.3. Gewalt gegen alte Menschen im sozialen Nahraum
7.4. Gewalt von Frauen im öffentlichen Raum
7.4.1. Frauenkriminalität
7.4.2. Gewaltausübung am Arbeitsplatz
7.4.2.2. Mobbing
7.4.3. Menschenhandel
7.4.4. Gewalttätige Mädchen und junger Erwachsene
8. Gewaltverhalten von Frauen
8.1. Erkenntnisse zu frauenspezifischen Gewaltverhalten
8.2. Eigener Ansatz zur weiblichen Gewalt
9. Gewalttätige Frauen, eine Aufgabe für die Sozialarbeit?
9.2. Sozialarbeiterische Hilfsangebot
9.3. Mögliche Interventionsangebote
10. Zusammenfassung

II. Empirischer Teil
1. Die Methode des Fragebogens
2. Thesen und Hypothesen
2.1. Hypothesen zum allgemeinen Fragebogen
2.1.1. Hypothesen zum Zusatzfragebogen für Frauen
2.2. Hypothesen zum Expertenfragebogen
3. Auswertung
3.1. Allgemeiner Fragebogen
3.1.1. Konstruktion
3.1.2. Kritik des Fragebogens
3.1.3. Stichprobe
3.1.4. Befragung zu Gewaltverhalten
3.1.5. Gewalthandlungen gegen Minderjährige
3.1.7. Gewalthandlungen gegen Erwachsene
3.1.8. Interpretation des Unterschiedes der Erfahrungen von Gewalthandlungen als Minderjährige(r) und Erwachsne(r)
3.1.9. Häufigkeiten von Gewalterfahrungen als Minderjährige
3.1.10. Häufigkeiten von Gewalterfahrungen als Erwachsener
3.1.11. Intensität der Auswirkung von Gewalthandlungen als Minderjährige(r)
3.1.12. Intensität der Auswirkung als Erwachsene(r)
3.1.13.Vergleich der Beurteilung der Intensität der Auswirkung von Gewalthandlungen als Minderjähriger und im Erwachsenenalter
3.1.14. Gewaltverhalten von Frauen
3.1.15. Gewalthandlungen von Frauen
3.1.16. Häufigkeit von Gewalthandlungen von Frauen
3.1.17. Opfer von Gewalthandlungen von Frauen
3.1.18. Ursachen der Gewaltausübung von Frauen
3.1.19. Hypothesenprüfung und Zusammenfassung
Hypothesenprüfung des Zusatzfragebogens für Frauen
3.2. Expertenfragebogen
3.2.1. Konstruktion
3.2.2. Kritik des Fragebogens
3.2.3. Schwierigkeiten bei der Fragebogenerhebung
3.2.4. Stichprobe
3.2.5. Befragung zur Ausübung von Gewalt
3.2.6. Einschätzung der Häufigkeit der Ausübung von physischer Gewalt
3.2.7. Einschätzung der Häufigkeit der Ausübung von psychischer Gewalt
3.2.8. Einschätzung der Häufigkeit der Ausübung von sexueller Gewalt
3.2.9. Konfrontation
3.2.10. Einstellungen
3.2.11. Ursachen der Gewaltausübung
3.3. Gegenüberstellung der Auswertungen
3.3.2. Hypothesenprüfung und Zusammenfassung

III. Resümee

IV. Anhang
Fragebogen zum Thema Gewaltverhalten von Frauen
Fragebogen zum Thema Gewalt von Frauen
Empirische Daten: Expertenfragebogen
Korrespondenz

Abstract-deutsch

Abstract-english

Literaturverzeichnis

Vorwort

Die Idee zu dieser Diplomarbeit entstand auf Grund vieler Diskussionsprozesse im Zuge meiner Ausbildung an dem FH-Campus Wien, Studiengang Sozialarbeit im städtischen Raum.

Die Betrachtung der Frau als Täterin und Aggressorin von Gewalt, soll in keiner Weise Opfererfahrungen von Frauen bagatellisieren.

Ich möchte diese Diplomarbeit als Beitrag zur Gleichbehandlung verstanden wissen, als Beitrag (meiner Idealvorstellung einer Gesellschaft) eines Prozesses einer Gesellschaft, in der in erster Priorität der Mensch gesehen wird und erst in zweiter Linie das Geschlecht.

Dem gesellschaftlichen Konsens der Gewaltfreiheit, untermauert durch die Strafgesetzgebung soll Rechnung getragen werden. Gewaltopfer sind unabhängig ihres Geschlechts als solche wahrzunehmen, ebenso wie Täterin und Täter.

Die soziale Gleichstellung der Frau wird nicht durch ein Aufwiegen von Ungleichheiten erreicht. Es ist an den Frauen sich ihres Handlungspotentials abseits von Klischees bewusst zu werden. Nur wenn Frau kompromisslos weibliches Fehlverhalten wahrnimmt, kann sie diesem entgegnen und so ihren Beitrag zu einer friedvolleren Gesellschaft leisten.

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Häufigkeit einzelner Gewaltformen unter Intimpartnern nach der Untersuchung vo

Tabelle 2 Häufigkeit von Gewalt in kanadischen Partnerschaften Brinkerhoff/ Lupri 1988

Tabelle 3: Häufigkeit von Gewalt in Partnerschaften nach LUPRI ( 1990)

Tabelle 4: Verwandtschaftsverhältnis von TäterInnen und Opfern

Tabelle 5: Daten der Stichprobe

Tabelle 6: Gewaltausübung

Tabelle 7:Gewaltverhalten

Tabelle 8: Gewalthandlungen gegen Minderjährige

Tabelle 9: Geschlechtervergleich von Gewalthandlungen gegen Minderjährige

Tabelle 10: Täterinnen bei Minderjährigen

Tabelle 11: Geschlechtervergleich Täterinnen Mj

Tabelle 12: Gewalthandlungen gegen Erwachsene

Tabelle 13 Geschlechtervergleich Gewalthandlungen Erwachsene

Tabelle 14 Täterinnen Erwachsene

Tabelle 15: Geschlechtervergleich Täterinnen Ew

Tabelle 16: Häufigkeiten von Gewalterfahrungen als Minderjährige(r)

Tabelle 17: Geschlechtervergleich Häufigkeiten Minderjährige

Tabelle 18: Häufigkeiten von Gewalterfahrungen als Erwachsener

Tabelle 19: Geschlechtervergleich Häufigkeiten Erwachsener

Tabelle 20: Intensität der Auswirkung Minderjährige

Tabelle 21: Geschlechtervergleich Intensität der Auswirkung Minderjährige

Tabelle 22: Intensität der Auswirkung Erwachsenen

Tabelle 23 Geschlechtervergleich Intensität Erwachsene

Tabelle 24 Stichprobe Frauen

Tabelle 25: Gewalthandlungen von Frauen

Tabelle 26: Häufigkeiten der Gewalthandlungen von Frauen

Tabelle 27: Opfer von Frauengewalt

Tabelle 28: Stichprobe Experten

Tabelle 29: Einschätzung Prozentsatz von Frauen - physische Gewaltausüben

Tabelle 30: Einschätzung Prozentsatz von Frauen - psychische Gewaltausüben

Tabelle 31: Einschätzung Prozentsatz von Frauen - sexuelle Gewaltausüben

Tabelle 32: Einschätzung – Häufigkeiten von physischen Gewalthandlungen

Tabelle 33: Einschätzung – Häufigkeiten von psychischen Gewalthandlungen

Tabelle 34: Einschätzung – Häufigkeiten von sexuelle Gewalthandlungen

Tabelle 35: Einstellung - Aufmerksamkeit

Tabelle 36: Einstellung - Forschung

Tabelle 37: Einstellung - Wissen

Tabelle 38: Einstellung - Interventionsprogramme

Tabelle 39: Gründe der Gewaltausübung

Tabelle 40: Vergleich Allgemein - ExpertInnen

Tabelle 41: Vergleich Frauen - ExpertInnen

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1 : Gewaltverhalten und Gewaltausübung

Abbildung 2 : Intensität Minderjährige

Abbildung 3 : Intensität Erwachsene

Abbildung 4 :Ursachen für Gewalthundlungen

Abbildung 5 : Prozentsatz physische Gewalt - Experten

Abbildung 6 : Prozentsatz psychische Gewalt – Experten

Abbildung 7 : Prozentsatz sexuelle Gewalt – Experten

I. Theoretischer Teil

1. Einleitung

Die Worte Gewalt und Frauen lösen in erster Linie die Assoziation der Frau als Gewaltopfer aus. Die Frau als Täterin ist meist nur im Zusammenhang mit Tötungsdelikten in den Chronikteilen der Zeitungen zu finden, und auch hier neigt die Berichterstattung tendenziell dazu, diese Taten als außerordentliche Einzelphänomene darzustellen oder diese dem Bereich der Pathologie zu zuordnen. Gewalt von Frauen ist auch noch im 21. Jahrhundert ein Tabu, es scheint als wolle die Gesellschaft am Bild der Frau als fürsorgendes und sanftes Wesen festhalten, selbst feministische Gruppierungen verweigern den Blick auf Aggressionsverhalten von Frauen und ziehen es vor die Frau in ihrer Rolle als Opfer patriarchaler Gewalt und Systeme zu determinieren. Gewalt wird vorwiegend vom männlichen Aspekt betrachtet. Dies wird dahingehend argumentiert, dass Männer häufiger gewalttätig sind und durch ihren höheren Status in der Gesellschaft über mehr Macht verfügen. Durch die Kombination von Gewalt und Machtungleichgewicht ist der männliche Bedrohungsaspekt ein höherer und daher Gewalt von Frauen mit Gewalt von Männern nicht zu vergleichen. Dieser Ansatz verknüpft Gewalt mit Gesellschaftsstrukturen und setzt durch diese Verknüpfung, meines Erachtens, auf einer zu hohen Ebene des Gewaltphänomens an. In dieser Diplomarbeit soll Gewalt, auf der Grundlage des Gewaltverbots betrachtet werden. Gewalt als ein Verhalten, das den gesellschaftlichen Regeln widerstrebt. Das Gewaltverbot besteht in seiner Gültigkeit für beide Geschlechter im gleichen Maße und muss für seinen Bestand von beiden Geschlechtern als gesellschaftlicher Wert getragen werden. Um die Einhaltung dieses Verbots zu gewährleisten oder dahingehend zu intervenieren, müssen beide Geschlechter in gleicher Weise beobachtet und ihr Gewaltverhalten erhoben werden. Daher werden am Beginn die unterschiedlichen Definitionen aus allgemeiner, psychologischer, soziologischer und pädagogischer Sicht vorgestellt, sowie eine Klärung des Gewaltbegriffs, der dieser Arbeit zu Grunde liegt, vorgenommen. Anschließend soll geklärt werden, warum von Frauen verübte Gewalt nicht bis kaum wahrgenommen wird. Dafür wird der Begriff des Tabus herangezogen und erläutert wie es zum Bestehen dieses Tabus kommt. Der Bestand des Tabus wird von den soziologischen Geschlechterrollen abgeleitet. Es wird der Frage nachgegangen, wie es zur Bewertung von Gewaltverhalten kommt. In diesem Zusammenhang wurde die Theorie des stärkenden Motivs aufgestellt. Ob bzw. warum es als erachtenswert erscheint dieses Tabu zu brechen, wird im Abschnitt 3.5., über die Sinnhaftigkeit des Tabubruchs, geklärt. Das Kapitel 4 beschreibt den Wandel des Gewaltbegriffes, vom legitimen Machtmittel zur gesetzlich strafbaren Handlung, ausgehend vom Ende des 18. Jahrhunderts. Wie es zu Gewalt kommt, wird durch die vorliegenden Theorien und Erklärungsansätze zur Ursache von Gewalt erläutert. Anschließend werden Ergebnisse von Gewaltforschungen vorgestellt und diese unter dem Aspekt der Frau als Täterin betrachtet. Die vorliegenden Untersuchungen und Forschungen zum Thema häusliche Gewalt, werden in Opfergruppen unterteilt, erläutert. Die Unterteilung erfolgt in Gewalt von Frauen gegen Minderjährige, gegen den Intimpartner und gegen alte Menschen im sozialen Nahraum. Darauf folgt die Darstellung der spärlichen Informationen, die über Gewalt von Frauen im öffentlichen Raum, existieren. Im Kapitel 8 wird auf frauenspezifisches Gewaltverhalten eingegangen und ein eigener Ansatz zu weiblicher Gewalt formuliert. Am Ende des theoretischen Teils wird anhand der Definition und Ziele der Sozialarbeit eruiert, ob gewalttätige Frauen eine Aufgabe für die soziale Arbeit darstellen. Zum Abschluss folgt eine Zusammenfassung des theoretischen Teils.

Der empirische Teil dieser Arbeit soll Aufschlüsse, über das Bewusstsein von weiblichen Gewaltverhalten in Gesellschaft und Institution liefern. Es wird davon ausgegangen, dass die Gewalteinschätzung und Gewalterfahrung von Gewalt von Frauen in der Bevölkerung höher ist als diese von MitarbeiterInnen von sozialen Einrichtungen eingeschätzt wird. Der empirische Teil dieser Arbeit soll einen Einblick über Gewalteinschätzung und Gewalterfahrung geben. Als Erhebungsinstrument wurde der Fragebogen gewählt, da er einen größeren Stichprobenumfang zulässt und die quantitativen Daten einen Datenvergleich ermöglichen. Die Fragebogenerhebung erfolgte mittels zweier Fragebögen, die sich dem Thema Gewalt von Frauen widmen. Einem allgemeinen Fragebogen, der sich an eine zufällig aus der Bevölkerung gezogene Stichprobe richtet und einem Expertenfragebogen, der sich an MitarbeiterInnen von sozialen Einrichtungen wendet. Der allgemeine Fragebogen fragt nach der Einschätzung des Prozentsatzes von Frauen die Gewalt ausüben und nach dem Gewaltverhalten. Anschließend wird die Gewalterfahrung der Befragten als Minderjährige im Erziehungskontext und als Erwachsene erhoben. Zur Erhebung der Gewalterfahrung wurden physische, psychische und sexuelle Gewalthandlungen angeführt, erfragt ob diese erlebt wurden und wenn ja, die Häufigkeit und Intensität der Auswirkung erhoben. Der allgemeine Fragebogen enthielt einen Zusatzfragebogen für Frauen. Dieser fragte nach der Einschätzung des eigenen Gewaltverhaltens und nach der Ausübung der verschiedenen Gewalthandlungen und deren Opfer, wie auch nach der Ursache der Gewalthandlungen.

Der Expertenfragebogen erhebt die Einschätzung des Prozentsatzes von Frauen die Gewalt ausüben. Die Einschätzung wurde in Gewaltformen getrennt und nach den jeweiligen Opfern erhoben. Es wurde nach physischer, psychischer und sexueller Gewalt gegen IntimpartnerInnen, Minderjährige, Frauen und Männer gefragt. Anschließend wurde nach der Einschätzung der Häufigkeit der Gewalthandlungen gefragt, dazu stand zur jeweiligen Gewalthandlung eine Skala von 0 bis 100 zur Verfügung. Der Expertenfragbogen enthielt Items zur Konfrontation mit Gewalttäterinnen und zur Einstellung zum Thema Gewalt von Frauen. Die Fragen zur Einstellung widmeten sich der Aufmerksamkeit, dem Bedarf an Forschung und Untersuchung, dem Wissensstand und dem Bedarf an Interventionsprogrammen. Der Expertenfragebogen erhob auch die Meinung der ExpertInnen über die Gründe der Gewaltausübung.

Die Auswertung des Fragebogens stellt die Ergebnisse im Einzelnen dar und interpretiert diese. Es folgt eine Zusammenfassung der Auswertung des allgemeinen Fragebogens und des Expertenfragebogens, anschließend werden die Ergebnisse im Vergleich dargestellt.

Der dritte Teil dieser Diplomarbeit ist das Resümee. In diesem werden die wichtigsten Erkenntnisse nochmals hervorgehoben und im Bezug zur sozialen Arbeit gesetzt.

2. Definitionen von Gewalt

Gewalt ist ein weit umfassender Begriff, geteilt in Potestas, das Durchsetzungs-

vermögen in Macht- und Herrschaftsbeziehungen und violentia, die rohe gegen Sitten und Rechte verstoßende Einwirkung auf Menschen. Im folgenden Abschnitt wird auf verschiedene Gewaltdefinitionen eingegangen und diese aus allgemeiner, psychologischer, soziologischer und pädagogischer Sicht erklärt.

2.1. Allgemeine Definition

Das Wort Gewalt leitet sich aus dem althochdeutschen Verb walten bzw. waltan ab, was soviel bedeutet wie stark sein, etwas beherrschen. Die etymologische Bedeutung ist das verfügen Können über innerweltliches Sein.

Der Begriff drückt rein die Fähigkeit der Durchführung einer Handlung aus, ohne diese zu werten oder nach ihrer Rechtmäßigkeit zu beurteilen. In diesem Sinn heißt es noch bei Sophokles im Oidipus tyrannos: Viel Gewaltiges Lebt, nichts aber ist gewaltiger als der Mensch.

Der Begriff Gewalt wird im heutigen Sprachgebrauch stark wertend verwendet. Er ist nicht spezifisch definiert und umfasst ein breites Spektrum an Bedeutungen. Die Bedeutungen variieren entsprechend der Erkenntnisinteressen. Der Gewaltbegriff kann in struktureller und personaler Gewalt unterschieden werden, wobei strukturelle Gewalt Individuen daran hindert, ihre Möglichkeiten und Potentiale frei zu entfalten. Der Begriff wurde vom norwegischen Friedensforscher Johan GALTUNG wie folgt formuliert.

„Strukturelle Gewalt ist die vermeidbare Beeinträchtigung grundlegender menschlicher Bedürfnisse oder, allgemeiner ausgedrückt, des Lebens, die den realen Grad der Bedürfnisbefriedigung unter das herabsetzt, was potentiell möglich ist.“ (GALTUNG 1971)[1]

Personale Gewalt stellt ein von sichtbaren Akteuren durchgeführtes aktives, zielgerichtetes Verhalten dar, dass sich gegen Lebewesen und Dinge richtet. Gewalt ist in diesem Sinne definiert als Einwirkung auf einen anderen, der dadurch geschädigt wird. Mit personaler Gewalt werden vor allem Termini, wie Aggression, Machtmissbrauch, Körperkraft oder Zwang assoziiert. Als Gewaltformen werden psychische oder physische, personale oder strukturelle, statische oder dynamische sowie direkte oder indirekte unterschieden. Ein enger, auch als "materialistisch" bezeichneter Gewaltbegriff beschränkt sich auf die zielgerichtete, direkte physische Schädigung einer Person, der weiter gefasste Gewaltbegriff bezeichnet zusätzlich die psychische bzw. verbale Gewalt.

Die umfassende Bedeutung des Gewaltbegriffs erschwert die Erhebung von Gewaltphänomenen und die Gewaltforschung. Die Begrifflichkeit muss nach ihrem Erkenntnisinteresse im Vorfeld spezifisch eingegrenzt werden.

2.2. Psychologischer Gewaltbegriff

Die Psychologie verwendet an Stelle von Gewalt den Begriff der Aggression. Das Wort Aggression leitet sich vom lateinischen Wort aggredi, angreifen ab. Da eine Vielzahl von Definitionen des Aggressionsbegriffes existieren, wobei keine dieser Definitionen allgemein anerkannt ist, seien zwei Definitionen vorgestellt.

„[Als] Aggression [können] viele verschiedene Verhaltensweisen, die mit der Absicht ausgeführt werden ein Individuum direkt oder indirekt zu schädigen [verstanden werden].“ ( MERZ 1965,S 13)[2]

„Aggression ist eine Verhaltenssequenz, deren Zielreaktion die Verletzung einer Person ist, gegen die sie gerichtet ist. […] Eine instrumentelle Aggression stellt ein schädigendes Verhalten dar, das durch den Wunsch nach Bereicherung motiviert ist, im Gegensatz zur „ impulsiven Aggression“, die durch Ärger und Frustration ausgelöst wird.“ (BIERHOFF 1998, S 5)[3]

Beide Definitionen beschreiben Aggression als destruktive, zielgerichtete Verhaltensweisen, mit dem Ziel Verletzungen zu verursachen. Diese Verhaltensweisen sind primär gegen andere Personen gerichtet und können in physischer, verbaler und emotionaler Form auftreten. Aggression kann nach ihrer Art in offene, direkte, indirekte und konstruktive Aggression unterschieden werden. Offene Aggression ist körperliche und verbale Aggression, direkte Aggression ist ein Aggressionsverhalten das sich unmittelbar gegen das Aggressionsobjekt richtet im Gegensatz zur indirekten, die über einen Umweg das Aggressionsobjekt trifft. Unter konstruktiver Aggression versteht man Verhaltensweisen, die dazu dienen sich zu behaupten und Grenzen zu ziehen. Aggressionen haben das Ziel, eigene Wünsche und Interessen, die mit dem Interesse anderer in Konflikt stehen durchzusetzen, Machtgewinn zu erreichen oder drohenden Machtverlust abzuwehren.

Über den Ursprung der Aggression verfügt die Psychologie über drei Theorien. Dies sind die Trieb- oder Instinkttheorie im engeren Sinne der Psychoanalyse und Ethologie, die Frustrations-Aggressions-Hypothese und die Aggressionstheorie des sozialen Lernens. Diese Theorien werden neben anderen im Kapitel 5, Theorien zur Ursache von Gewalt, detailliert vorgestellt.

2.3. Soziologischer Gewaltbegriff

Die soziologische Definition von Gewalt ist der Maßen abstrahiert, dass sie sowohl auf die Gewaltausübung von Individuen, als auch auf gesamt gesellschaftliche System anzuwenden ist. Soziologie definiert Gewalt wie folgt:

„Gewalt bezeichnet destruktiv intendierte Operationen als ultimatives Mittel der Machtausübung im Rahmen einseitiger Über- bzw. Unter- ordnungsverhältnisse beruhend auf äußerlicher Überlegenheit ohne Anerkennung durch die Unterlegenen(violentia). ... Dabei kann eher der interpersonale (vgl. z.B. Werbik) oder eher der gesamt gesellschaftliche Bereich betrachtet werden. ... (WÖRTERBUCH DER SOZIOLOGIE 1989,S 252)[4]

Gewalt sind beabsichtigte, zerstörende Handlungen. Sie werden als letztes und stärkstes Mittel zur Machtausübung eingesetzt. Diese Machtausübung erfolgt bei ungleichen, einseitigen Machtverhältnissen, das heißt dass das Unterordnungsverhältnis vom Unterlegenen nicht akzeptiert wird. Der Überlegene übt Gewalt gegen den Unterlegen aus. Im Vergleich zum psychologischen Begriff der Aggression, der die Zielgerichtetheit und zerstörerische Absicht hervor streicht, wird in der Soziologie die Korrelation von Macht und Gewalt betont und der Aspekt des Willens hinzugefügt. Gewaltausübung ist immer mit einer Missachtung des Willens des Gewaltopfers verbunden.

„Gewalt ist ein Moment von Macht: es wird Zwang eingesetzt, um den eigenen Willen gegen den Willen eines anderen durchzusetzen. Dies kann sowohl ein Einzel- als auch ein Gruppenwillen sein, der versucht bestimmte Ziele zu verwirklichen, Dabei entsteht eine Asymmetrie in der Beziehung zwischen Akteur und dem Betroffenem, der keine Möglichkeit hat, die Zwangsanwendung zu verhindern.“(WIKIPEDIA)[5]

Die Soziologie begreift Gewalt als ein fundamentales Moment einer Gesellschaft und sieht sie in der Verletzungsmächtigkeit und Verletzungsoffenheit ihrer Mitglieder begründet. Verletzungsmächtigkeit beschreibt die Fähigkeit des Menschen zu verletzen, Verletzungsoffenheit die Fähigkeit verletzt zu werden. Jeder Mensch und somit jedes Mitglied einer Gesellschaft verfügt über diese Fähigkeiten, sie sind dem Menschen immanent. Durch diese Immanenz ist Gewalt ein fixer Bestandteil der Gesellschaft.

Gewalt kann in der Soziologie nach ihrer Verwendung in rationale, instrumentelle Gewalt, in irrationale und kommunikative Gewalt unterschieden werden. Ihre Ausübung kann spontan und organisiert, individuell und kollektiv sein, eine psychische und physische, wie auch eine latente bzw. manifeste, direkte und indirekte Wirkung haben. Gewalt kann als legal oder illegal, als normal oder pathologisch gewertet werden. Nach ZIMMERMANN können Gewalttypologien nach Aspekten von Beteiligten, Zielen, Objekten, Mittel, Strukturen, Verbreitung und Intensität gebildet werden. (Vgl. WÖRTERBUCH DER SOZIOLOGIE 1989)[6]

In der Soziologie bestehen ihrer Disziplin nach eine Vielzahl an Theorien und Kritiken die sich mit dem erweiterten strukturellen Gewaltbegriff befassen. Da dieser Gewaltbegriff nicht Grundlage der Gewaltdefinition dieser Diplomarbeit ist, wird im Folgenden nur kurz auf die Existenz dieser Theorien verwiesen. Als Beispiel sei der Grundlagentext für moderne Gewaltkritiken von WALTER BENJAMIN, 1921 angeführt. In seiner Schrift „ Zur Kritik der Gewalt“ entsteht, nach seiner Auffassung, Gewalt, wenn eine wirksame Ursache in Verhältnisse eingreift, die als sittlich verstanden werden und durch Begriffe wie Recht und Gerechtigkeit markiert werden. Die Kritik der Gewalt liegt in Darstellung von Gewalt im Verhältnis zu den Begriffen Recht und Gerechtigkeit.

2.4. Pädagogischer Gewaltbegriff

Im Gewaltbericht des Bundesministeriums für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz wird Heinz Bach´s Definition und dessen Merkmale herangezogen.

„ Bach definiert Gewalt in seinen pädagogischen Betrachtungen als ‚eine bestimmte Art der Durchsetzung eines Willens gegenüber anderen Personen, Sachen und Situationen.’“(GEWALTBERICHT, 1993,S 16)[7]

Bach geht davon aus, Gewalt durch Merkmale der Durchsetzungsart zu beschreiben. Als Merkmale definiert er, das Fehlen rationaler Ordnungen, die Nichtzustimmung des Betroffenen, die Umgehung des Rechts, die Inkaufnahme der Beschädigung des Betroffenen, den unangemessenen Umgang mit den betreffenden Personen, Situationen, Sachen und die Feindseligkeit oder Blindheit gegenüber den Betroffenen. Das Merkmal, des Fehlens rationaler Ordnung, drückt Gewalt als Mittel aus, dass zum Sturz von bestehenden Ordnungen führt oder diese bedroht. Die Nicht-Zustimmung, der durch die Einflussnahme Betroffenen, bedeutet das Gewalt vorliegt, wenn wider dem Willen des Betroffenen gehandelt wird, sie kann auch durch den Terminus Zwang ausgedrückt werden. Umgehung von Recht, das heißt Handlungen die entgegen allgemeinen Verabredungen gesetzt werden, können als Gewalt bezeichnet werden. Ebenso, wenn der Akteur eine Beschädigung des Betroffenen durch seine Handlungen in Kauf nimmt. Gewalt äußert sich auch als unangemessener Umgang mit Personen, Situationen, Sachen, als ein nicht der Norm entsprechendes Verhalten und sie ist gegeben wenn Handlungen durch die Komponenten der Feindseligkeit oder Blindheit gegenüber Betroffenen motiviert sind.

2.5. Der dieser Diplomarbeit zugrunde liegende Gewaltbegriff

Wie in den Abschnitten 2.1. bis 2.4. erläutert liegt weder eine allgemein anerkannte, noch eine spezifische Definition von Gewalt vor. Daher bedarf es einer Eingrenzung des Begriffes.

Gewalt kann in dieser Diplomarbeit als personale, illegale, legitime, wie auch illegitime Gewalt verstanden werden. Da sich diese Arbeit mit der Frau als Täterin auseinandersetzt, kann von einem personalen Gewaltbegriff ausgegangen werden. Das heißt, Gewalt als ein Verhalten das die physische und/oder psychische Schädigung einer Person beabsichtigt. Sie schließt legitime als auch illegitime Gewalt mit ein. Der Begriff der Legitimität ist weit reichender als der der Legalität. Der Legitimitätsbegriff orientiert sich am Begriff der Moral des Einzelnen und einer sozialer Gruppen. Durch die jeweilige Auslegung der Moral definieren Individuen und soziale Gruppen ihren eigenen Gewaltbegriff. Da die Konformität der illegitimen Definitionen mit dem illegalen Gewaltbegriff nicht gewährleistet ist, muss auch der legitime Gewaltbegriff mit einbezogen werden. Illegale Gewalt lässt sich durch das Gesetzbuch ziemlich klar abgrenzen und steht für Verhaltensweisen, die nicht durch das Gesetz legitimiert sind.

Im Weiteren muss darauf hingewiesen werden, dass der Ausdruck der „ gewalttätigen Frau oder Mutter“ über physische, das heißt körperliche Gewaltanwendung hinausgeht. Gewalttätigkeit schließt hier auch die Ausübung psychischer und sexueller Gewalt mit ein. Sexuelle Gewalt kann als Form physischer und psychischer Gewalt ausgelegt werden, ist aber meines Erachtens durch ihre sexuelle Komponente als eigene Gewaltform zu betrachten und wird daher auch explizit genannt.

3. Gewalttätige Frauen - ein Tabu

Dieser Abschnitt definiert den Begriff Tabu und geht anschließend auf die soziale Rolle der Frau und die Geschlechterordnung ein. Die Begriffe Norm, Devianz und soziale Kontrolle werden erläutert. Es wird dargestellt, worin, die Verletzungen der sozialen Rolle der gewalttätigen Frauen bestehen und am Ende soll geklärt werden, welche soziologischen Mechanismen dazu beitragen, das Tabu aufrecht zu erhalten.

3.1. Das Tabu

Im Allgemeinen ist unter einem Tabu ein ungeschriebenes Gesetz zu verstehen, dass aufgrund bestimmter Anschauungen innerhalb einer Gesellschaft, verbietet, bestimmte Dinge zu tun. Man kann es auch als konventionelle, sittliche Schranke betrachten.

(Vgl. DUDEN, DAS GROSSE FREMDWÖRTERBUCH, S 1317)[8]

In der Soziologie wird der Begriff vom öffentlichen Focus ausgehend betrachtet und wie folgt definiert:

„Der Begriff Tabu ist aus soziologischer und sozialpsychologischer Sicht von besonderer Bedeutung. Tabus schützen ein Thema vor dem Diskurs in einer Gruppe, Gemeinschaft oder Gesellschaft („Darüber spricht man nicht!“). Dem Thema wird kein Platz, kein „Ort“ im öffentlichen „Raum“ des Bezugssystems gewährt.

Je mehr Mitglieder des Bezugssystems sich an dieser Form der Ausgrenzung eines Themas beteiligen, desto mehr „Macht“ hat das Tabu über den Einzelnen. Kollektive Verdrängungsmechanismen werden wirksam („Das darfst du noch nicht einmal denken!“). Diese starke emotionale Aufladung ist der Grund dafür, dass „die direkte Erwähnung eines Tabus eine Spannung im Zuhörer erzeugt“.“ (WIKIPEDIA)[9]

Betrachtet man Gesellschaft aus systemtheoretischer Sicht, so kann man sie als größte soziale Einheit begreifen. Diese Einheit birgt in sich eine Ordnung die sich auf gemeinsame Normen und Werte stützt. Tabus sind ein Mittel um Themen zu Verdrängen, welche die bestehende Ordnung gefährden könnten. Gemeinsame Tabus stabilisieren somit Bezugssystemen von Menschen. Das Tabu unterstützt die Aufrecherhaltung sozialer Normen. Soziale Normen definieren legitime und erwünschte Verhaltensweisen. Ein Tabubruch führt zu einem öffentlichen Diskurs eines „unerwünschten Themas“. Im Zuge des Diskurses wird das Tabuthema in ein Verhältnis zur Norm gesetzt, das heißt, dass eine Befassung mit einem Tabuthema, die kritische Auseinandersetzung mit dem bisher bestehenden Normbegriff bedingt. Diese kritische Auseinandersetzung kann zu einer Wandlung des Normbegriffes führen. Dieser Wandlungsprozess kann sich als Veränderung sozialer Ordnungen auswirken. Veränderungen werden nicht nur positiv assoziiert, sie bedeuten auch das „ Alte“, das Bekannte und Vertraute durch etwas „Neues“, Unbekanntes, Fremdes zu ersetzen, Veränderung bedeutet auch Verunsicherung. Tabus hemmen Wandlungsprozesse und unterstützen so die Aufrechterhaltung sozialer Ordnungen.

Das Thema Gewalt von Frauen ist ein Tabu. Es widerspricht den Geschlechterrollen. Das sind die Verhaltensweisen, die in einer Kultur für ein bestimmtes Geschlecht als typisch oder akzeptabel gelten. Eine Auseinandersetzung mit diesem Tabuthema führt zu einer kritischen Hinterfragung der Geschlechterrollen. Das Geschlecht ist eng mit der Geschlechterrolle verknüpft und eines von vielen sozialen Merkmalen, die wiederum den sozialen Status definieren. Der soziale Status ist Ausdruck der Sozialstruktur, das heißt der sozialen Ordnung. Ein Tabubruch bedeutet also, diese Ordnung in Frage zu stellen, die Geschlechterrollen neu zu überdenken und eventuell eine neue Positionierung der Geschlechter zueinander zuzulassen.

3.2. Die weibliche Geschlechterrolle und ihre soziologische Bedeutung

„Die Rolle ist … die Summe aller Erwartungen der verschiedenen Gruppen und Personen, die Menschen in einer bestimmten sozialen Position beeinflussen.“ ( DECHMANN/ RYFFEL, S 96 )[10]

Die soziale Rolle wird stark durch das Geschlecht bestimmt. Es bestehen Geschlechterrollen, die von einem kulturellen und einem individuellen Standpunkt aus betrachtet werden können. Die kulturelle Geschlechtsrolle bezeichnet die Verhaltensweisen, die in einer Kultur für ein bestimmtes Geschlecht als typisch oder akzeptabel gelten. Die individuelle Geschlechtsrolle wird überwiegend von der kulturellen Geschlechtsrolle determiniert. Sie bezeichnet die Verhaltensweisen, die ein Individuum mit seiner Geschlechtsidentität in Verbindung bringt und/oder mit der das Individuum seiner Geschlechtsidentität Ausdruck verleihen will. (Vgl. WIKIPEDIA)[11]

Was als männliches und weibliches Verhalten gilt wird durch die Geschlechterrolle definiert. Die traditionelle Rollenzuschreibung, geht von der Existenz zweier Geschlechter aus, wobei jeder Mensch genau einem Geschlecht zuordenbar ist. Die kulturelle Geschlechtsrolle korreliert mit kulturellen, gesellschaftlichen Wandlungsprozessen. Im Folgenden werden gesellschaftlichen Entwicklungen aufgezeigt, die zur Bildung der weiblichen Geschlechterrollenstereotypen beitrugen.

Eine der größten Veränderung der Sozialstruktur in den letzten 200 Jahren war die Entstehung des heutigen Familienbegriffes. Durch die Herausbildung des Kapitalismus kam es zur Trennung von Haus und Arbeit und der Entstehung der bürgerlichen Kleinfamilie, die zu einer strikten Positionierung von Mann und Frau führte. Es entstand eine Teilung in öffentlichen und privaten Raum. Der Aufgabenbereich des Mannes verlagerte sich in die Öffentlichkeit, der der Frau in den privaten Bereich. Männer und Frauen werden als polarisierende Geschlechtscharaktere charakterisiert.

„Entsprechend dem mehr universellen Charakter im Weibe, ist die Empfindung in ihm vorherrschend, - das Weib ist mehr fühlendes Wesen; beim Manne herrscht hingegen wegen seiner größeren Individualität, die Reaktion vor, - er ist mehr denkendes Wesen….. Gemäß der Universalität ist beim Weibe die Sympathie, die Liebe vorherrschend, beim Manne hingegen, wegen vorwaltender Individualität, der Antagonismus, der Haß,- und so ist denn jenes mitleidiger, mildthätiger, es ist sittlicher und religiöser, als mehr der raue, oft hartherzige, Alles vorzuweisende nach seinem Ich zu bemessen

geneigte Mann.[…]Hiernach wäre auch die allgemeine Bestimmung der Geschlechter für das äußere überhaupt zu beurtheilen…“ ( MEYERS KONVERSATIONSLEXIKON, 1848 )[12]

Die Position der Frau wurde als Mutter und Ehefrau determiniert. Diesen Positionen wurden Eigenschaften wie liebevoll, umsorgend, einfühlsam zu geschrieben. Es entwickelte sich ein Familien- und Mutterideologie, die besagt

„[…] dass die Ehefrau und Mutter die Haus und Liebesarbeit für Kinder und Mann […]“ ( STRASSER 1998,S 29)[13]

zu verrichten hat. Diese Übertragung der alleinigen Verantwortung für Kinder und Familie führte zu einer starken Verinnerlichung des Mutterbildes bei den Frauen selbst und auch in der Gesellschaft allgemein. (Vgl. GEWALTBERICHT, 1998)[14]

Durch den Arbeitskräftebedarf in den beiden Weltkriegen eröffnete sich für die Frauen der öffentliche Arbeitsbereich.

Die feministische Bewegung der 60’er und 70’er Jahre des vorigen Jahrhunderts zeigte die soziale Ungleichheit der Geschlechtsverhältnisse aus weiblicher Sicht auf. Frauen traten für mehr Rechte von Frauen und deren Gleichstellung ein. Dies führte zu einer Liberalisierung der Geschlechterrollen. Wobei die weibliche Geschlechtsrolle heute stärker liberalisiert ist als die männliche.

Heute wird in der Psychologie und Soziologie das Geschlecht in „sex“ und „gender“ unterschieden. Wobei „sex“ das körperliche, biologische Geschlecht beschreibt und „Gender“ das soziale Geschlecht bezeichnet. „Gender“ ist eine soziokulturelle Konstruktion, das Geschlecht ist abhängig von kulturellen und sozialen Umständen.

CAROL HAGEMANN-WHITE gilt als eine der führenden Vertreterinnen des Sozial- konstruktivismus. Ihre These zur Zweigeschlechtlichkeit besagt, dass Zweigeschlechtlichkeit zuallererst eine soziale Realität ist, die sich immer wieder fortschreibt.

„In der Alltagstheorie der Zweigeschlechtlichkeit unserer Kultur wird die Geschlechtszugehörigkeit als eindeutig, naturhaft und unveränderlich verstanden. Ohne jede bewusste Überlegung wird davon ausgegangen, dass jeder Mensch entweder männlich oder weiblich sein müsse, was im Umgang erkennbar zu sein hat (Eindeutigkeit); dass die Geschlechtszugehörigkeit körperlich begründet sein müsse (Naturhaftigkeit); und dass sie angeboren ist und sich nicht ändern könne (Unveränderbarkeit).“ (HAGEMANN-WHITE/RETTICH 1988,S 228)[15]

In ihrer „Theorie des symbolischen Systems der Zweigeschlechtlichkeit“ entwickelt sie die Null-Hypothese, die davon ausgeht; dass es eben diese naturhafte, vorgeschriebene Zweigeschlechtlichkeit nicht gibt, sondern nur kulturelle Konstruktionen. Auch die biologische Definition von Geschlecht stellt für sie eine kulturelle Konstruktion dar, das bedeutet, dass das biologische Geschlecht weder naturhaft noch unveränderbar oder eindeutig ist, sondern nur als solches konstruiert wurde. Die festgeschrieben bipolare Ordnung der Geschlechter wird in Frage gestellt.

Da in der westlichen Gesellschaft von der Zweigeschlechtlichkeit ausgegangen wird, kommt es zur Orientierung an den Geschlechterstereotypen. Die Geschlechterrollen dienen der Entwicklung der Ich- Identität, oder anders formuliert, da in der westlichen Kultur, die Identität des Individuums eng mit dem Geschlecht verbunden ist, muss sich das Individuum zur Identitätsfindung eindeutig einem der beiden Geschlechter zuordnen. Die Gesellschaft erzwingt die Entscheidung für ein Geschlecht und verlangt eine eindeutige Erkennbarkeit des gewählten Geschlechts. Zur Identitätsbildung erfolgt eine eindeutige Zuordnung zu diesem, und um dieses Geschlecht eindeutig erkennbar zu präsentieren, werden die Verhaltensweisen der Geschlechterrolle internalisiert. Auf diese Art reproduzieren sich Geschlechterzuweisungen und -stereotype immer wieder.

Die Entscheidung für ein Geschlecht bedingt somit die Internalisierung. Unter Internalisierung wird die Einverleibung fremder Normen und Werte, sowie die Übernahme der zugedachten Rolle im Zuge des Sozialisationsprozesses verstanden. (Vgl.WIKIPEDIA) Die Geschlechterrolle bezeichnet Verhaltensweisen, die im kulturellen Sinn zu Akzeptanz, im individuellen Sinn zur Präsentation der Geschlechtsidentität führen. Diese Akzeptanz und Präsentation erfolgt durch die Einhaltung bestehender sozialer Normen.

„Soziale Normen (Gesellschaftliche Normen, Soziale Skripte) definieren mögliche Verhaltensweisen in einer sozialen Situation und geben Verhaltensregelmäßigkeiten an. Sie sind gesellschaftlich und kulturell bedingt und daher in den Kulturen verschieden und auch mit der gesellschaftlichen Entwicklung wandelbar.

Soziale Normen sind konkrete Vorschriften, die das Verhalten betreffen. Die Einhaltung von Normen wird durch Sanktionen garantiert (Belohnung oder Bestrafung).“(WIKIPEDIA)[16]

Soziale Normen bezeichnen den legitimen Verhaltensrahmen einer sozialen Einheit. Dieser legitime Verhaltensrahmen ist situationsgebunden. Vergleichbare Situationen erfordern vergleichbares Verhalten, dies kann als Verhaltensregelmäßigkeit bezeichnet werden. Die Legitimität des Verhaltens wird durch den kulturellen Kontext bestimmt, wobei es sich nicht um starre Vorschriften handelt, sondern um Legitimation, die dem kulturellen und gesellschaftlichen Wandlungsprozess unterliegt. Zur Verdeutlichung sei das Verhalten der Gewalttätigkeit herangezogen. Gewalttätigkeit hat sich in unserer Kultur von einem Normverhalten, einem legitimen Mittel zur Erhaltung von sozialer Ordnung, hin zu einem abweichenden Verhalten entwickelt. Dieser Verlauf der Entwicklung wird im Kapitel 4, Historischer Abriss des Gewaltverständnisses, skizziert. Normkonformes Verhalten löst Reaktionen von Belohung oder Nicht-Bestrafung aus. Normabweichendes Verhalten wird negativ sanktioniert.

Abweichendes Verhalten (Devianz) ist ein Verhalten, das die Verletzung sozialer Normen sowie Sanktionen impliziert. Dieses Verhalten lässt sich nicht durch bestimmte charakteristische Merkmale, die ihm intrinsisch wären, sondern nur unter Bezug auf die soziale Reaktion, die damit verbunden ist, definieren. (SOCIALINFO)[17]

Devianz oder abweichendes Verhalten bezeichnet somit Verhaltensweisen die gegen die geltenden sozialen Normen einer Gesellschaft oder Teilstruktur verstoßen. Diese Verstöße werden bei ihrer Entdeckung mit Maßnahmen von Bestrafung, Isolierung, Behandlung oder Besserung geahndet. Abweichendes Verhalten wird als gesellschaftlich problematisch gewertet.

Als Mittel zur Aufrechterhaltung der sozialen Normen und der Verhinderung der Devianz wird die soziale Kontrolle eingesetzt.

Die Soziale Kontrolle umfasst Vorgänge und Strukturen, die ein von den Normen einer Gesellschaft oder einer gesellschaftlichen Gruppe abweichendes Verhalten einschränken oder verhindern sollen. Sie wirkt in der Regel pragmatisch, zeitnah und unmittelbar. Ihre Mittel erstrecken sich über Gespräche und Kritik bis hin zu scharfen Sanktionen wie zum Beispiel Ausgrenzung oder Gewalttätigkeit. (WIKIPEDIA)[18]

Soziale Kontrolle bezeichnet demnach Prozesse und Mechanismen, mit denen eine Gesellschaft versucht, ihre Mitglieder zu positivem, normkonformem Verhalten zu bewegen. Sie tritt nicht nur bei abweichendem Verhalten, sondern auch bei geringen Normverletzungen auf und ist somit ein zentraler Bestandteil des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Soziale Kontrolle kann in externe und interne, soziale Kontrolle unterteilt werden. Unter externer, sozialer Kontrolle versteht man negative Sanktionen, die von anderen gegen den Normverletzenden verhängt werden. Diese Sanktionen können informelle oder symbolische, wie beispielsweise Tadel, sein, oder rechtlich-formelle, wie Gefängnisstrafen. Interne soziale Kontrolle bezeichnet die Selbstkontrolle hin zu ein einem normkonformen Verhalten. Normen werden im Zuge des Sozialisationsprozesses verinnerlicht, bricht man eine internalisierte Norm so kommt es zu Scham, Angst oder Reue.

3.3. Gewalttätige Frau im Zusammenhang von sozialer Rolle und Hierarchie

Dieser Abschnitt verbindet nun die in Kapitel 1 definierten Begriffe von Gewalt und gewalttätig mit der Geschlechterrolle Frau und betrachtet diese aus einem soziologischen Gesichtspunkt. Es wird die Theorie des stärkenden Motivs entwickelt. Das Motiv als Mittel zur Bewertung von weiblichen Gewalttaten und seine stabilisierende Funktion in der Aufrechterhaltung der Geschlechterordnung.

Gewalttätige Frauen verletzen die Geschlechterrolle. Die Geschlechterrolle Frau wird durch die, den weiblichen Bereich zugeordnete Verhaltensweisen präsentiert. Als dem Frauenbild entsprechendes Verhalten zählen unter anderem Freundlichkeit, Mitleid, Fügsamkeit und soziale Fähigkeiten. (Vgl. WIKIPEDIA).[19] Da die westliche Kultur zweigeschlechtlich orientiert ist, wird diesem Frauenbild bipolar das Männerbild gegenübergestellt. Dem in der westlichen Kultur bestehenden Männerbild werden Charakteristika wie Gewaltbereitschaft, Mut, Risikobereitschaft und Abenteuerlust, Kraft und Dominanz zugeordnet. (Vgl. WIKIPEDIA).[20] Männlich und weiblich werden dichotom dargestellt und ebenso wird die Zuordnung von Eigenschaften vorgenommen, Grobheit vs. Friedfertigkeit, Dominanz vs. Fügsamkeit, emotionale Kälte vs. Warmherzigkeit. Wendet eine Frau Gewalt an, so verwendet sie Verhaltensweisen die definitiv ihrer Geschlechterrolle entgegensetzt sind und dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden. Sie verstößt gegen ihre kulturelle Geschlechterrolle.

Die Zweigeschlechtlichkeit der westlichen Gesellschaft, bedingt neben ihrer bipolaren Zuordnung auch eine hierarchische. Es besteht ein Geschlechterverhältnis oder eine Geschlechterordnung.

„Geschlechtsverhältnis meint die je historische und kulturell unterschiedliche Auslegung und Darstellung der Auffassung von weiblich und männlich, v.a. in ihrem Verhältnis zueinander […] Generell dient die Geschlechterordnung der Bewältigung gesellschaftlicher Spannungen, wie der zwischen Kontinuität und Wandel oder Verbundenheit und Autonomie, die zu jedem menschlichen Gemeinwesen gehören. (B.RENDTORFF / V.MOSER)[21]

Das Geschlechtsverhältnis drückt die hierarchische Ordnung der Geschlechter zueinander aus. Die Geschlechterordnung dient der Aufrechterhaltung des gesellschaftlichen Gleichgewichts. Das Geschlechtsverhältnis ist das Fundament gesellschaftlicher Ordnungen westlicher Kulturen. Sein Bestehen hat oberste Priorität in der Erhaltung der Stabilität der Gesellschaft. Die gewalttätige Frau erfüllt nicht ihre Geschlechterrolle. Die Nicht-Erfüllung würde das Geschlechtsverhältnis zum wanken bringen, da dem männlichen nicht mehr das weibliche gegenüber steht, dem Gewalttätigen das Friedfertige entzogen würde. Damit die Stabilität des Geschlechtsverhältnisses gewährleistet wird, bedient sich die Gesellschaft der Bewertung. Gewaltverhalten von Frauen unterliegt einer anderen Bewertung innerhalb der Gesellschaft, als Gewaltverhalten von Männern. Um die Geschlechterordnung nicht zu gefährden, werden beide Geschlechter danach trachten den Grad der Abweichung des Verhaltens, die Beurteilung des Gewaltverhaltens, so gering als möglich zu halten.

Personale Gewalt, sofern nicht aus Notwehr ausgeübt, verstößt gegen das Gewaltverbot. Das österreichische Zivil- und Strafrecht basiert auf diesem. Recht wird durch Gesetze festgesetzt und diese sind allgemeinverbindliche Rechtsnormen. Eine Vielzahl von Gewalthandlungen sind in Österreich, durch im Strafgesetzbuch festgeschriebene Strafandrohungen, geregelt. Insbesondere sei auf die Abschnitte 1; 3; 10 des StbG’s hingewiesen, in denen die strafbaren Handlungen gegen Leib und Leben, gegen die Freiheit und gegen die Sittlichkeit festsetzen sind. Da Gesetze per Definition für beide Geschlechter im selben Maße Gültigkeit haben, stellen Gewalthandlungen von Frauen per se den gleichen Verstoß gegen die Rechtsnormen, wie Gewalthandlungen von Männern, dar. Rechtsnorm und soziale Norm sind nicht immer Deckungsgleich, die Rechtsnorm entspricht der Legalität, die soziale Norm der Legitimität. Ob ein Verhalten als legitim, das heißt als der sozialen Norm entsprechend, oder als illegitim angesehen wird, korreliert stark mit der Bewertung des Verhaltens. Ebenso wird der Grad des abweichenden Verhaltens durch die Bewertung beurteilt.

Die Theorie des stärkenden Motivs

Definition: Bei der gesellschaftlichen Beurteilung von Gewalttaten wird nicht die Tat an sich bewertet, sondern die Bewertung erfolgt durch das Motiv der Tat. Die Zuordnung des Motivs ist durch die soziale Position des Täters/der Täterin und seiner/ihrer Beziehung zum Opfer determiniert. Die Zuordnung erfolgt im Sinne einer Stärkung der bestehenden Geschlechterrolle.

Gewalttaten und Handlungen werfen immer die Frage nach dem „Warum“ auf, nach der Ursache, den Auslöser des Verhaltens auf. Dieser Auslöser kann auch als Motiv bezeichnet werden. Gewaltverhalten von Frauen wird nach Motiv, Art und Ausmaß der Gewalt und nach der Beziehung von Täterin und Opfer bewertet. Die Zuordnung des Motivs hängt mit der Täter-Opferbeziehung und der Gewalthandlung zusammen. Die Gewalthandlung gefährdet die Geschlechterordnung, das Motiv stärkt die weibliche Geschlechtsrolle und somit das Geschlechtsverhältnis.

Ermordet eine Mutter ihr Kind, so wird diese Tat dem pathologischen Bereich oder an diesem angrenzend zugeordnet, das Motiv liegt im krankhaften begründet. Es erfolgt eine Verknüpfung der Täterin mit der Eigenschaft krank, die mit hilfsbedürftig und schwach assoziiert wird. Diese Assoziationen bilden eine Konformität mit der weiblichen kulturellen Geschlechterrolle. Die Gewalttat ist nicht nur ein Verstoß gegen die Geschlechterrolle, sie ist auch der männlichen zugeordnet. Für das Geschlechtsverhältnis bedeutet dies, dass die Handlung, die Geschlechtsordnung massiv gefährdet, das Motiv hingegen den Geschlechterstereotypen entspricht und somit das Geschlechterverhältnis stärkt. Diese stärkende Macht des Motivs, wird über die Tat gestellt und das abweichende Verhalten milder bewertet.

Als die weibliche Geschlechterrolle stärkende Motive von Gewalttaten können Krankheit, Überforderung und Notwehr genannt. Handelt es sich um eine schwere Gewalttat in einer Mutter-Kind-Beziehung wird das Motiv mit psychiatrischer Erkrankung oder Unzurechnungsfähigkeit assoziiert, Gewalttaten in einer Frau-Mann-Beziehung mit dem Motiv der Notwehr, leichte Gewalttaten gegen Kinder oder Gewalttaten im öffentlichen Raum mit Überforderung assoziiert. Diesen drei Motiven können die Begriffe Hilfsbedürftigkeit, Unterlegenheit und Schwäche zugeordnet werden, alle drei Begriffe werden definitiv der weiblichen Geschlechterrolle zugeordnet.

3.4. Faktoren zur Aufrechterhaltung des Tabus

Die Begrifflichkeit des Tabus wurde in Abschnitt 2.1. das Tabu detailliert erläutert. In diesem Abschnitt wurde auch auf die Geschlechterordnung stützende Funktion des Tabus und auf seine stabilisierende Wirkung von Bezugssystemen eingegangen. Welche Faktoren dazu beitragen diesem Tabu Bestand zu gewähren, sollen im Folgenden abgehandelt werden. Die Aufrechterhaltung von Tabus kann sowohl von der gesellschaftlichen, als auch von der individuellen Sicht betrachtet werden.

Gesellschaft kann als größtes soziales System betrachtet werden. Sie besteht aus Einzelindividuen, ist aber mehr als die Summe aus diesen. Das heißt Gesellschaft wird nicht nur durch die Interessen seiner Mitglieder geprägt, sie hat auch Eigeninteressen. Das gesellschaftliche Interesse Gewalt von Frauen zu tabuisieren kann in der Wahrung der Stabilität der Geschlechterverhältnisse begründet werden. Würde die Gesellschaft Gewaltverhalten beider Geschlechter gleich bewerten, würde das einerseits den Wegfall eines starken Geschlechteridentifikationsmerkmals bedeuten und weiterführend gedacht, muss die Zuschreibung von Eigenschaften zu einem Geschlecht, das heißt Geschlechterstereotypen- und rollen, in Frage gestellt werden. Das System der Zweigeschlechtlichkeit würde aufgeweicht und somit die gesellschaftliche Ordnung gestört. Da die Gesellschaft bestrebt ist ihr Sozialgefüge stabil zu halten, will sie Gewaltverhalten von Frauen nicht isoliert als Gewalttaten wahrnehmen.

„Allerdings zeigt eine genauere Analyse, dass die Konstruktion weder die Plätze von weiblich und männlich, noch die Beiträge von Familie und Kultur, noch die Verantwortung für (bzw. Das Verhältnis zu) Autonomie und Verbundenheit so wiedergibt, wie sie der Gesellschaftlichen Dynamik tatsächlich entsprechen. Diese „Verschleierung“, […] gehört aber selbst mit zum Wesen und zur Aufgabe der Geschlechterordnung die, wie gesagt darin besteht zu beruhigen und zu ordnen.“ (B.RENDTORFF / V.MOSER)[22]

Das Tabu unterstützt die Verschleierung und trägt somit zur Stabilität der Geschlechterordnung bei.

Das Interesse von Männern und Frauen, Gewalt von Frauen zu tabuisieren, liegt in der Zugehörigkeit zur jeweiligen Geschlechtergruppe. Die Geschlechtergruppen werden in die Geschlechterrollen unterteilt. Da die individuelle Geschlechtsrolle, die einen identitätsstiftenden Charakter hat, stark durch die kulturelle Geschlechterrolle determiniert ist, wird Frau nicht bestrebt sein, negativ bewertetes Verhalten ihrer Geschlechtergruppe zuzuschreiben. Für die männliche Geschlechtergruppe, würde ein Tabubruch eine Degradierung in der sozialen Hierarchie bedeuten. Die der männlichen Geschlechterrolle zugeschrieben Überlegenheit, stützt sich auf die Zuschreibung des Kraftvollen, des Gewaltigen. Die öffentliche Anerkennung von Gewalt von Frauen, bedeutet, dass auch Frau kraftvoll und gewaltig ist, wodurch eine dichotome Zuordnung nicht mehr gegeben wäre.

Das soziale System, in dem Gewalt stattfindet, ist ein Tabu stärkender Faktor. Gewalt von Frauen findet, soweit bekannt, zum vorwiegenden Teil im sozialen Nahraum, großteils in der Familie statt. Die Familie kann soziologisch als Primärgruppe betrachtet werden.

„Primärgruppen sind Gruppen, in denen der Mensch als erstes Mitglied wird, wie es in der Familie der Fall ist. Die Mitglieder stehen in vorwiegend emotional bestimmten, direkten und häufig persönlichen Kontakten zueinander. Durch die kleine Gruppengröße wird die gegenseitige Beeinflussung gefördert und so entwickeln sich ähnliche Einstellungen, Werte und Normen.“ (WIKIPEDIA)[23]

Ihre Hauptaufgabe ist die Sozialisation ihrer Mitglieder. Die Mitglieder stehen in einer engen Beziehung und Abhängigkeit zueinander. Die Familie besitzt eine Gruppenidentität, die extern durch das Familienideal und intern durch ihre Funktion als Sozialisationssystem, durch Gruppennormen und Werte geprägt wird. Den Mitgliedern einer Gruppe sind spezifische Rollen, soziale Positionen zugeordnet. Wird eine Frau innerhalb der Familie gewalttätig, so wird sie dies zumeist aus der sozialen Position der Mutter, Ehefrau oder Tochter. Das Gewaltverhalten widerspricht ihrer Rollenzuschreibung. Erfüllt ein Mitglied einer Gruppe seine Rolle nicht in erwarteter Weise und wird dies außerhalb der Gruppe wahrgenommen, wird das Gruppencharisma negativ beeinflusst, im Fall der Familie würde diese dann als „ keine gute Familie oder schlechtes Haus“ bezeichnet werden. Da jedes Gruppenmitglied, Familienmitglied seine ICH-Identität auch über die Gruppen- bzw. Familienidentität bezieht, liegt es im Interesse des Einzelnen das Familienideal nach außen aufrecht zu erhalten. Die Aufrechterhaltung des Familienideals schützt das Familienmitglied vor negativen Sanktionen, negativen, individuellen Zuschreibungen. („ Das ist kein Umgang für dich. Der/die stammt aus schlechtem Haus“). Das Gewaltverhalten der Mutter, Ehefrau usw. wird demnach nicht öffentlich zur Sprache gebracht werden.

Ein weiterer Faktor innerhalb der Familie ist die Norm der Loyalität, des Zusammenhalts. Bezichtigt ein Familienmitglied ein anderes außerhalb Familie des Fehlverhaltens, so handelt es wider der Norm der Loyalität. Der Normverletzer würde innerfamiliär sanktioniert.

Weiters gilt Familie als Privatsphäre, in welche nicht extern eingegriffen werden darf.

„ Die Norm der Privatheit, die die private Autonomie der Individuen für die Regelung ihrer Angelegenheiten impliziert und eine Einmischung von außen illegitim macht“ (LUPRI 1990)[24]

Gewaltverhalten einer Mutter oder Ehefrau öffentlich zu machen, bedeutet einen Eingriff in diese Norm und demnach würde der Aufdecker ein normverletzendes Verhalten zeigen.

Auch Einzelindividuen zeigen ein Interessen am bestehen des Tabus Gewalt von Frauen. Die Betrachtung wird zuerst aus der Perspektive der Frau vorgenommen.

Ein Faktor kann in der Sanktion der negativen Zuschreibung gesehen werden. Würden Gewalthandlungen von Frauen bekannt, hätte Frau Sanktionen des Umfelds zu befürchten. Sie würde in ihrer sozialen Rolle degradiert werden, als „ schlechte Mutter, schlechte Ehefrau“ oder „Rabenmutter“ etc. bezeichnet werden, was für sie wiederum einen Machtverlust bedeutet würde. Diese negativen Zuschreibungen erfolgt nicht generell bei Gewalt von Frauen. Frauen werden in ihrem Gewaltverhalten durch die kulturelle Geschlechterrolle geschützt. Das Geschlechtsstereotyp Unterlegenheit unterstreicht das Bild der Opferrolle der Frau. Die Opferrolle findet Bestätigung in dem physiognomischen Unterscheiden von Mann und Frau und wurde durch die feministische Bewegung, die Gewalt gegen Frauen aufzeigte, postuliert. Diese Opferrolle schützt die Frau vor schweren Sanktionen und verleiht ihr Macht. Die Opferrolle legitimiert Gewalt.

Als plakative Beispiele seien zwei Situationen beschrieben. In einer Folge von „ Tausche Familie[25]“ eine Realitiy Show auf ATV+, droht eine Frau ihrem Partner bedenkenlos vor laufender Kamera mehrmals eine Ohrfeige an, wenn er nicht nach ihren Wünschen handelt. Die anderen anwesenden Protagonisten zeigen entweder keine Reaktion oder es wird gelacht. Es werden keine negativen Sanktionen gegen die Frau gesetzt. Das zweite Beispiel beschreibt stammt aus einer Rechtsanwaltskanzlei. Das Verfahren war eine strittige Scheidung eines senegalesischen Mannes und einer Österreicherin. Die Scheidung wurde vom Mann betrieben und als Begründung gab er an von seiner Frau immer wieder geschlagen zu werden und obwohl eine Scheidung für ihn den Verlust des Aufenthaltsrechts in Österreich zu Folge hätte, schenkt der Richter seiner Begründung keine glauben.

„Das Bild der um sich schlagenden Frau und Mutter passt nicht recht zur Opferrolle der der Frau und zur Täterrolle, die dem Mann zugeschrieben wird. Die Frau ist selbst dann noch Opfer, wenn die selbst gewalttätig ist […] Die Tötung des Ehemannes ist entschuldigt, wenn die Frau glaubhaft machen kann, dass er sie wiederholt misshandelt hat. Ein Mann der seine Frau tötet, um ihren Misshandlungen zu entgehen wird weniger Verständnis finden“ (HABERMEHL)[26]

Die Opferrolle wirkt in der Frau bewusst und unbewusst, sie gibt ihr Schutz und verleiht ihr Macht. Das Tabu schützt das bestehen bleiben der Opferrolle.

Wie auch die Frau agiert der Mann aus seiner Geschlechtsrolle heraus. Thematisiert ein Mann von seiner Frau Gewalt zu erfahren, hat er als Reaktion mit der Anzweiflung seiner Glaubwürdigkeit und den Zuschreibungen von Hilflosigkeit und Schwäche zu rechnen. Unglaubwürdigkeit hat ein negatives Fremdbild zur Folge. Hilflosigkeit und Schwäche sind der Geschlechterrolle entgegengesetzt, der Mann erfüllt nicht seine Rolle. Die Sanktion der Nichterfüllung ist die Degradierung seiner sozialen Position. Ihm würde die Männlichkeit abgesprochen werden und um das zu vermeiden, wird auch er keinen Tabubruch begehen.

Zusammenfassend können als Faktoren zur Aufrechterhaltung des Tabus, die Stabilität der Geschlechtsordnung, die Zugehörigkeit zu einer Geschlechtsgruppe, die soziale Struktur Familie mit ihrem Status der Privatsphäre, die Opferrolle der Frau und die Vermeidung von Sanktionen. Das Tabu wird in aufsteigender Reihung gestützt. Durch die Interessen von Mann und Frau, durch die der Familie, durch die Geschlechter-gruppen und durch das Gesellschaftliche System der Zweigeschlechtlichkeit.

3.5. Über die Sinnhaftigkeit des Tabubruchs

Die Faktoren zur Aufrechterhaltung des Tabus zeigen, dass sowohl das Individuum als auch die Gesellschaft Interesse hat, dieses bestehen zu lassen. Es stellt sich somit die Frage, wenn das Tabu von allen getragen wird, warum sollte man es dann brechen. Ist es legitim einen Tabubruch wider die Interessen der Gesellschaft anzustreben. Da es sich um ein Tabu handelt, dass sich auf Gewalt bezieht und das Gewaltverbot schwächt, halte ich es für angebracht und notwendig.

„ Gewalt liegt vor, wenn es Opfer und Verletzungen gibt, mit welchen Mitteln und von welchen Akteuren dies bewirkt wird gilt als zweitrangig.“ ( NEIDHART, 1986 S122)[27]

Im Sinne des Gewaltverbotes sollten Gewalttaten isoliert von der Geschlechterrolle wahrgenommen werden. Der Tabubruch dient dem öffentlich machen von sozialen Problemen und kann so einen Wandel in der Gesellschaft bewirken. Wie würde sich eine äquivalente Beurteilung von Gewalttaten und die Annerkennung von Gewalt als ein auch dem weiblichen Verhaltensrepertoire zuordenbares Verhalten auswirken?

Ausgehend von der Annahme, Gewaltverhalten wird beiden Geschlechtern zugeschrieben, würde das eine Veränderung der Geschlechterrollen bedeuten. Die männliche Geschlechtsrolle wird im Aspekt der Überlegenheit geschwächt. Die Geschlechterordnung nähert sich einer egalitären, die Hierarchie wird abgebaut. Der Frau per se geht die Opferrolle verloren. Dieser Verlust kann als Ermächtigungsprozess gesehen werden. Frau ist nicht länger ab dem Zeitpunkt ihrer Geburt Opfer und Unterlegene, sie besitzt Kraft und Macht. Diese Veränderung des Frauenbildes würde den Verhaltensspielraum von Frauen erweitern, eine Frau, die öffentlich offensiv handelt, würde nicht mehr mit dem Terminus der „starken Frau“ bedacht werden. Dieser Terminus drückt eine Besonderheit, ein von der Norm abweichen aus und ruft Reaktionen von Bewunderung und Furcht gleichermaßen hervor. Offensives Handeln würde als normales, individuelles Verhalten bewertet werden. Zur Verdeutlichung sei festgehalten, das Gewaltverbot ist einzuhalten, doch sollten sich Frauen ihres Gewaltpotentials und ihrer Macht bewusst sein.

Welche Auswirkungen hat die Schwächung des Attributes Überlegenheit für den Mann? Überlegenheit und Dominanz impliziert, neben der übergeordneten Position, die Verantwortung Ordnung zu wahren oder herzustellen. Dem Mann wird die Fähigkeit der Gewalttätigkeit zugeschrieben, die Anwendung ist ihm strikt verboten. Die Gewaltanwendung gegenüber Frauen und Kindern richtet sich im hohen Maße gegen die soziale Norm. Frauen und Kinder sind dem Mann hierarchisch untergeordnet, die soziale Norm sagt: „ Auf Schwächere schlägt man nicht hin!“ Gewalttaten des Mannes welcher Art auch immer, werden negativer bewertet, als die der Frauen. Durch diese Bewertung ist es einem Mann nicht erlaubt mit demselben Mittel der Gewalt auf Gewalt von Frauen zu reagieren. Durch die Zuschreibung der Dominanz ist er sowohl mit der Fremd- als auch der Eigenerwartung konfrontiert, die Situation zu ordnen, Herr der Lage zu sein. Der Mann befindet sich im Dilemma der Herrschaftserwartung mit unterlegenen Herrschaftsmittel. Fällt nun das Attribut der Überlegenheit des Mannes, würde sich sein Handlungsspielraum erweitern. Die Anforderung ohne Unterstützung das Problem zu lösen, wäre nicht länger gegeben, die Möglichkeit Hilfe in Anspruch zu nehmen, wäre nicht mehr mit der Befürchtung der Degradierung der sozialen Position verbunden. Für den Mann wäre es legitim Opfer zu sein.[28]

Die Wahrnehmung der Frau als Gewalttäterin würde auch den Status ihrer Opfer verbessern. Gewaltopfer von Frauen müssten nicht zuerst glaubhaft machen, dass sie Gewaltopfer sind. Sie würden in ihren jeweiligen Opferstatus anerkannt und hätten Sanktionen aufgrund ihres Status zu befürchten.

Der Tabubruch ist Vorrausetzung für das Erkennen des sozialen Problems. Erst wenn ein soziales Problem als solcher erkannt wird, besteht die Möglichkeit seiner Analyse und die darauf basierende Entwicklung von Interventionsmethoden und Unterstützungsangeboten.

4. Historischer Abriss des Gewaltverständnisses

Dieser Abschnitt befasst sich mit dem Wandel des personalen Gewaltverständnisses vom legitimen Ordnungsmittel hin zu einer strafrechtlich verfolgten Tat.

„Es ist anzunehmen, dass Gewalt kein „neues“ Phänomen darstellt - im Gegenteil vermutlich existiert Gewalt ebenso lange, wie die Menschheit selbst.“(GODENZI;1949)[29]

Gewalt war Jahrhunderte lang ein akzeptiertes und toleriertes Mittel zur Herstellung und Erhaltung gesellschaftlicher Hierarchien. Frauen und Kinder waren keine Träger von Rechten und befanden sich auf der Ebene des Sachwertes, sowohl innerhalb als auch außerhalb familiärer Strukturen.

Gewalt als erzieherisches Mittel, auch bekannt als schwarze Pädagogik erreichte im 18. und 19. Jahrhundert ihren Höhepunkt.

Ende des 18. Jahrhunderts ist eine strukturelle Wende zu erkennen. Durch die Trennung von Arbeit und Haus kommt es zur Entwicklung der bürgerlichen Kleinfamilie und damit verbunden zu einer strikten geschlechtsspezifischen Rollenausbildung.

Der Verantwortungsbereich der Frau für Haus, Mann und Kinder führt zu

„ einer starken Verinnerlichung des Mutterbildes bei den Frauen selbst als in der Gesellschaft allgemein. Die Väter verloren ihre unmittelbare Autorität über die Kinder, griffen aber nach wie vor in strafender Funktion ein.“(GEWALTBERICHT,1998, S 21)[30]

Einhergehend mit der Mutter-Kind-Ideologie gewann die Wahrnehmung von kindlichen Bedürfnissen an Bedeutung und der gesellschaftliche Wert des Kindes begann zu steigen, nicht jedoch auf rechtlicher Ebene. Kinder galten nach wie vor als Besitz der Eltern und waren rechtlos.

Die Kinderschutzbewegung findet ihren Ursprung im Zeitalter der Industrialisierung. Ging es vorerst um Arbeitsbeschränkungen für Kinder, so setzte man sich um die Jahrhundertwende erstmals mit den Rechten von Kindern auseinander, was einher ging mit der Begrenzung der absoluten Herrschaftsbefugnis der Eltern über ihre Kinder. Mitte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erfolgte die Anerkennung der Kinder als Rechtssubjekte und die Verankerung von Kindesinteressen. Sexuelle Gewalt an Kindern wurde erst im 20 Jahrhundert unter Strafe gestellt.

Erst um 1900 fiel in Österreich das Züchtigungsrecht des Ehemannes gegenüber der Frau.

1989 wurde das Tatbild der Notzucht durch das Tatbild der Vergewaltigung ersetzt und dadurch auch Vergewaltigung in der Ehe strafbar, sowie das Tatbild auf beide Geschlechter anwendbar. (Vgl. FOREGGER,S 205)[31]

In den 60ér und 70ér Jahren des vorigen Jahrhunderts ist es der feministischen Bewegung zu verdanken, dass das Thema Gewalt gegen Frauen als soziales Problem erkannt und anerkannt wurde. Durch massive Öffentlichkeitsarbeit und die Entwicklung von Interventionskonzepte ist es ihr gelungen Gewalt öffentlich zu thematisieren und Bewusstseinsenderungen zu bewirken. Das Gewaltverbot für den Mann und gegen Kinder ist heute weit reichend als soziale Norm integriert, seine Einhaltung variiert im Generations- und Kulturkontext. Gewalttaten von Frauen werden nach ihrer Art und Opfer tabuisiert oder bagatellisieren.

5. Theorien zur Ursache von Gewalt

Gewaltforschung hat sich zu einem überwiegenden Teil mit den Ursachen von Gewalt beschäftigt. Es entstand eine Vielzahl von Theorien, die durch ihre Betrachtungswinkel geprägt sind. Sie werden im Folgenden vorgestellt und erläutert. Eine Kritik zu den einzelnen Theorien wird nicht vorgenommen, da dies nicht Thema der vorliegenden Arbeit ist.

5.1. Aggressionstriebmodelle

Psychoanalytische Aggressionstriebtheorie

Aggression stellt für sie eine Ausdrucksform eines ererbten Triebes dar. S. FREUD postulierte den Todestrieb der der Libido entgegenwirkt und sich z.B. in masochistischen und sadistischen Verhalten des Menschen äußert.

(Vgl.MICHEL /NOVAK, S 9)[32]

Ethologische Triebtheorie von Konrad LORENZ

Sie beruht auf Tierbeobachtungen wurde auf den Menschen übertragen.

Der Aggressionstrieb, einer der vier Haupttriebe, dient zur Abgrenzung und Verteidigung von Territorien. In der Tierwelt signalisiert das unterlegen Tier Beschwichtigung und Unterwerfung, diese aggressionshemmende Bewältigungsstrategie ist lt. K. LORENZ dem Menschen verloren gegangen, wobei der Aggressionstrieb erhalten blieb.(Vgl. ZIMBARDO, 1992, S364)[33]

Die Aggressionstriebmodelle lassen sich einfach in psychologische Alltagstheorien integrieren. Dadurch wurden sie einerseits bereitwillig angenommen und andererseits heftig kritisiert. Es wird kritisiert, dass die Triebtheorien das Verhalten nicht erklären, sondern lediglich mit einem Fachausdruck belegen, der vorgibt Erklärung zu sein. Ebenso wird die Aggressionen rechtfertigende Eigenschaft der Triebtheorien kritisiert.

5.2. Frustrations-Aggressions-Hypothese

Sie sieht Aggression als erworbenen Trieb, der als Reaktion von Frustration entstanden ist. Frustration entsteht, wenn die Ausführung von Zielreaktionen unterbrochen oder blockiert wird. 1941 wurde die Frustrations-Aggressions-Hypothese von N. MILLER dahingehend revidiert, dass zwar jede Frustration Neigung zur Aggression hervorruft, diese aber zu schwach sein kann um aggressives Verhalten tatsächlich zu verursachen. (Vgl. ZIMBARDO, 1992; S336)[34]

Die Frustrations-Aggressions-Hypothese konnte allerdings in vielen Untersuchungen nicht verifiziert werden. Nicht alle Aggressionen führen zu Frustration und Frustration ist nicht der Ursprung aller Aggressionen. Auch die generelle Förderung der Aggressionsbereitschaft von Frustration konnte nicht bestätigt werden.

5.3. Katharsishypothese

Die Katharsishypothese besagt, dass aggressives Verhalten einen inneren Reinigungsprozess bewirkt. Aggression wird zu Gewalttätigkeit, wenn sie nicht sukzessive in sozial, akzeptierter Weise abgebaut wird.

Dass verbale Aggression, als ein sozial akzeptierter Ausdruck von Aggression, physische Gewalt kompensiert, konnte nicht belegt werden, viel mehr wurde ein gemeinsames Auftreten beider Aggressionsformen beobachtet.

5.4. Die Lerntheorien und ihre familiensoziologischen Erweiterungen

Sie geht davon aus, dass aggressives Verhalten erlernt wird, wobei sowohl klassische, und operante Konditionierung, wie auch die Theorie des sozialen Lernens eine Rolle spielen.

Die klassische Konditionierung geht davon aus, dass bei Gewalt ein Zusammenhang zwischen einem ursprünglich, neutralen Reiz und einem inneren Prozess erlernt wird.

Die klassische Konditionierung erklärt das Erlernen von aversiven Verhalten, wie zum Beispiel Wutreaktionen, nicht aber das Erlernen von Aggression.

Die operante Konditionierung geht vom Erlernen von Gewalt durch verstärktes Spontanverhalten aus. Wird spontanes Gewaltverhalten positiv verstärkt, dass heißt, wird durch dieses das Ziel erreicht, wird Gewaltverhalten ins Verhaltensrepertoire aufgenommen.

BANDURA entwickelte Theorie „Das Lernen an sozialen Modellen“ hatte den größten Einfluss auf die Gewaltforschung. Grundannahme ist, dass das Erlernen von neuem Verhalten auf der Beobachtung von Fremdverhalten beruht.

(Vgl. GEMÜNDEN, 1996,S 63)[35]

Die Familiensoziologie bedient sich diese Ansatzes und erklärt so die Weitergabe von gewalttätigen Verhaltensmustern von einer Generation zur Nächsten.

Kritik an den Anwendungen der Lerntheorien verlaufen dahingehend, dass „Lernen“ von Gewalt als ein Lernprozess behandelt wird und nicht differenziert im Erlernen der Techniken der Gewaltanwendung, Erlernen der Motive und der Entschuldigungen und Rechtfertigungen.

5.5. Stresstheoretischer Ansatz

Grundannahme ist eine Gewalt fördernde Auswirkung von Stress. Stressoren können innere und äußere Reize sein. Sie irritieren den Organismus und führen zu Anpassungs- oder Abwehrreaktionen.

In den Forschungen zur Gewalt in der Familie wurde Stress als Konzept des Lebensstress aufgefasst, aber auch in Stressoren in der Binnenstruktur der Familie, wie auch makrosoziale Stressfaktoren aufgegriffen. Unter Stressoren des Lebensstress kann man einschneidende Ereignisse im Zuge eines Lebens verstehen. Stressoren in der Binnenstruktur der Familie sind Phänomenen die vom Individuum als belastet erlebt werden.

Der stresstheoretische Ansatz geht also davon aus, dass Ereignisse und Lebensumstände ein Individuum im Laufe seines Lebens belasten können und diese Belastung zur Anwendung von Gewalt führen.

5.6. Konflikttheorie

Sie geht von der Annahme aus, dass Konflikte zwangsläufig im sozialen Miteinander bestehen. Verfügen die Betroffenen nicht über gewaltfreie Konfliktlösungstechniken, ist das Resultat eines Konflikts Gewalt.

5.7. Theorie der Subkultur von Gewalt

Diese Theorie wurde von 1967 von WOLFGANG und FERRACUTI, anhand des Indikators der Rate der Spontantötungen innerhalb einer sozialen Gruppe, entwickelt.

Sie integriert Gewalt in ein Norm und Wertesystem einer Gruppe. In Subkulturen der Gewalt ist Gewalt eine erwartete Verhaltensweise auf bestimmte Situationen. Gewalttätigkeit und deren Billigung sind Zuge des Sozialisationsprozesses erlernte Verhaltensweisen. Diese Theorie bewegt sich gegen die postulierte Meinung, dass Gewalt keine Frage der sozialen Schicht ist.

Die Kritik dieser Theorie formuliert eine Unzulässigkeit der Vergleichbarkeit von Normsystemen von Gesamtgesellschaft und Subkulturen.

5.8. Ressourcentheoretischer Ansätze

1960 wurde die Ressourcentheorie von BLOOD/WOOD entwickelt. Sie geht von einem Zusammenhang von in die Beziehung eingebrachten Ressourcen und ehelichen Machtverhältnissen aus. Es verfügt derjenige über mehr Macht in der Beziehung, der mehr Ressourcen einbringt.

GOOD bezeichnet als Ressourcen Mittel, die die Individuen einsetzen können, um Einfluss auf andere Individuen zu nehmen. Ressourcen sind Gewalt und ihre Androhung, ökonomische Variablen, Prestige und soziale Achtung, sympathetische Aspekte. Je mehr nicht-gewalttätige Ressourcen vorhanden sind, umso weniger wird Gewalt benötigt um eine dominante Position einzunehmen.

Für einen Ausbruch von Gewalttätigkeit spielen neben dem Innehaben von Ressourcen auch ein gestörter Ressourcenaustausch und eine emotionalisierte Konfliktaustragung gepaart mit einer fehlenden Unterwerfungsbereitschaft eine Rolle. (Vgl.GEMÜNDEN)[36]

[...]


[1] Wikipedia, die freie Enzyklopädie. URL http://de.wikipedia.org/wiki/Strukturelle_Gewalt 11.02.2006

[2] Dorsch Psychologisches Wörterbuch. Hrsg. F. Dorsch et al. Verlag Hans Huber, Bern, 11. Aufl. 1987,S13

[3] Gewaltbericht_neu, Gewalt in der Familie 1998,S 16 nach Bierhoff 1998, S 5

[4] Endruweit, G. & Trommsdorff, G. (1989): Wörterbuch der Soziologie. Stuttgart, S 252

[5] Wikipedia, die freie Enzyklopädie URL: http://de.wikipedia.org/wiki/Gewalt#Soziologie 12.2.2006

[6] Endruweit, G. & Trommsdorff, G. (1989): Wörterbuch der Soziologie. Stuttgart, S 252

[7] Gewaltbericht_neu, Gewalt in der Familie 1998,16 nach Bach 1993, S 16

[8] Vgl. Hrsg. Dudenredaktion, Duden, Das große Fremdwörterbuch, Dudenverlag 3. Aufl. 2003, S1317

[9] Wikipedia, die freie Enzyklopädie URL: http://de.wikipedia.org/wiki/Tabu 30.01.2006

[10] Dechmann, Ryffel; Soziologie im Alltag, Beltz Verlag, 6.Auflage,1983 S 96

[11] Wikipedia, die freie Enzyklopädie URL: http://de.wikipedia.org/wiki/Geschlechterrolle 5.2.2006

[12] Humboldt Universität URL: www2.rz.hu-berlin.de/nilus/ net-publications/ibaes2/Peinl/text.pdf 28.1.2006

[13] Strasser,P; Kinder legen Zeugnis ab. Gespräche über familiäre Gewalt mit Kindern und Müttern in

österreichischen Frauenhäusern. Salburg, 1998, S29

[14] Gewaltbericht_neu, Gewalt in der Familie 1998,S21

[15] Hagemann-White C., Wir werden nicht zweigeschlechtlich geboren…, in Hagemann-White, C. /Rettich, M. (Hrsg.) (1988): FrauenMännerBilder. Männer und Männlichkeit in der feministischen Diskussion. Bielefeld: AJZ Druck und Verlag.

[16] Wikipedia, die freie Enzyklopädie. URL: http://de.wikipedia.org/wiki/Gesellschaftliche_Norm 28.1.2006

[17] Socialinfo. URL: http://www.socialinfo.ch/cgi-bin/dicopossode/show.cfm?id=1 12.02.2006

[18] Wikipedia, die freie Enzyklopädie URL: http://de.wikipedia.org/wiki/Soziale_Kontrolle

[19] Vgl. Wikipedia, die freie Enzyklopädie URL: http// de.wikipedia.org/wiki/Weiblichkeit 11.12.2005

[20] Vgl. Wikipedia, die freie Enzyklopädie URL: http://de.wikipedia.org/wiki/M%C3%A4nnlichkeit 13.02.2006

[21] Rendtorff B.; Moser V. Glossar der Geschlechtertheorien aus Hrsg. Rendtorff B.; Moser V. Geschlecht und Geschlechtsverhältnisse in der Erziehungswissenschaft, Opladen 1999

[22] Rendtorff B.; Moser V. Glossar der Geschlechtertheorien aus Hrsg. Rendtorff B.; Moser V. Geschlecht und Geschlechtsverhältnisse in der Erziehungswissenschaft, Opladen 1999

[23] Wikipedia, die freie Enzyklopädie URL: http://de.wikipedia.org/wiki/Prim%C3%A4rgruppe

[24] Gemünde J., Gewalt gegen Männer in heterosexuellen Intimpartnerschaften. Tectum, Marburg 1996, 36 nach Lupri 1990

[25] Anm. Eine Bewertung dieses Sendeformats wird bewusst nicht vorgenommen, da eine Medienanalyse nicht Thema dieser Arbeit ist.

[26] Habermehl, A.; Gewalt in der Familie; Hamburg; S 52

[27] Zit. Gemünde J., Gewalt gegen Männer in heterosexuellen Intimpartnerschaften. Tectum, Marburg 1996, 46 nach Neidhardt 1986

[28] Anm. Geht man von der Gültigkeit des soziokulturellen Erklärungsansatzes von Straus aus, und verbindet diese mit der Erkenntnis von Erin Pizzey, dass von den ersten 100 Frauen die in ihr Frauenhaus kamen 62 mindestens so gewalttätig waren wie ihre Partner vor denen sie flohen, so könnte die Anerkennung des Mannes als Opfer mit den daraus resultierenden Handlungsmöglichkeiten, ein hohes Deeskalationspotential darstellen.

[29] Zit. Gewaltbericht_neu, Gewalt in der Familie 1998,20 nach Godenzi 1994

[30] Gewaltbericht_neu, Gewalt in der Familie 1998,S 21

[31] Vgl. Foregger Dr. E., Bachner-Foregger Dr.H. StGB, Manz, 17. Aufl, 2002, S 205

[32] Vgl. Michel C, Novak F. Kleines psychologisches Wörterbuch, Herder, Neuausgabe 1991, S 9

[33] Vlg. Zimbardo P.G., Psychologie, Springer, 5.Aufl, 1992,S 364

[34] Vlg. Zimbardo P.G., Psychologie, Springer, 5.Aufl, 1992,S 366

[35] Vgl. Gemünde J., Gewalt gegen Männer in heterosexuellen Intimpartnerschaften. Tectum, Marburg 1996, 63

[36] Vgl. Gemünde J., Gewalt gegen Männer in heterosexuellen Intimpartnerschaften. Tectum, Marburg 1996, 71

Ende der Leseprobe aus 167 Seiten

Details

Titel
Täterin Frau - Gewaltverhalten von Frauen im gesellschaftlichen und institutionellen Bewusstsein
Hochschule
Fachhochschule Technikum Wien
Note
sehr gut
Autor
Jahr
2006
Seiten
167
Katalognummer
V58376
ISBN (eBook)
9783638525923
ISBN (Buch)
9783656798910
Dateigröße
1364 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Täterin, Frau, Gewaltverhalten, Frauen, Bewusstsein
Arbeit zitieren
Tatjana Weiß (Autor:in), 2006, Täterin Frau - Gewaltverhalten von Frauen im gesellschaftlichen und institutionellen Bewusstsein, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/58376

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