Identitätsdiskurs im Werk Francis Bacons


Hausarbeit (Hauptseminar), 2006

20 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Identität im Wandel

II. Identitätsproblematik zu Beginn der Moderne an einem Beispiel

III. Warum Bacon

IV. Identität und Moderne im Werk Bacons

V. Formanalyse
1. Erster Eindruck
2. Bildgegenstand
3. Bildform
4. Bildfarbe
5. Bildraum
6.Bildkomposition
7. Bildbewegung
8. Bildspannung
9.Bildeinheit
10. Außerbildlicher Kontext
11. Ein Musterbeispiel für Moderne Kunst?
12. Interpretationsversuch

VI. Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis

Anhang

I. Identität im Wandel

Im Vorfeld meiner Arbeit halte ich es für notwendig sowohl das Wort Identität als auch das Wort Moderne zu klären. Denn bei beiden Begriffen werden beim Hörer unterschiedliche Assoziationen geweckt. Dieses liegt vor allem an dem häufigen Gebrauch dieser Beiden in unterschiedlichen Zusammenhängen. So meint ein Psychologe beim Benutzen des Wortes Identität sicher etwas Anderes als ein Werbetexter beim Gebrauch des Selbigen.

Die Dudendefinition erklärt Indentität „als „Selbst“ erlebte innere Einheit der Person“. (Duden Fremdwörterbuch 1997, S.344)

Um diesen Begriff aber genau zu erfassen muss man in der Geschichte bis zur Entstehung der Moderne zurückgehen. Sozial gesehen ist die Modernisierung „eine Entwicklung die im Spätmittelalter langsam einsetzte und sich im Laufe des letzten und dieses Jahrhunderts beschleunigt fortsetzte.“(Loo, van Rejen 1992, S. 11) Durch das Aufbrechen der traditionellen Strukturen bzw. durch die zunehmende Arbeitsteilung war das Individuum nicht mehr in dem Maße in die Gesellschaft eingebunden. Es hatte dadurch zwar größere Freiheiten, aber auch weniger Halt durch Institutionen wie der Kirche oder des Staates, welches zur Folge hatte, dass die Wahrung der eigenen Identität in der modernen Gesellschaft sich sehr schwierig darstellt. (Vgl. ebd. S.15f) „Die entscheidende Pluralisierung der Gesellschaft betrifft seit langem und heute allgemein auch die Individuen. Identität ist immer weniger monolithisch, sondern nur noch plural möglich.“(Welsch 1992, S. 171)

Schon in Musils „Mann ohne Eigenschaften“ wird der moderne Menschenschlag von des Hauptprotagonisten Jugendfreund Walter wie folgt charakterisiert: „Er ist ein Mann ohne Eigenschaften! […] Das gibt es heute in Millionen. […]Das ist der Menschenschlag den die Gegenwart hervorgebracht hat!“(Musil 2002, S. 64) An anderer Stelle wird auch davon gesprochen, dass der Wirklichkeitssinn des neuzeitlichen Menschen verblasst und durch den Möglichkeitssinn vertauscht sei. Das habe zur Folge, das sich das Individuum kein einheitliches Ich mehr bewahren kann, da für ihn alle Identitäten im Bereich des Möglichen liegen(Vgl. ebd. S.16f).

Was hat das aber mit moderner Kunst gemein? Wie stehen diese Entwicklungen in Zusammenhang mit dieser? Die Antwort darauf ist denkbar einfach, zumal nicht zuletzt die gesteigerte Freiheit des Individuums und dessen Selbstauffassung als autonomes Wesen dem häufig erwähnten Stilpluralismus der Moderne[1] (Vgl. Klotz u. a. 1997, S.649) und der Postmoderne vorausging und diesen sogar bedingte. Denn das wichtigste Merkmal der Moderne ist eben diese Vielheit der unterschiedlichen Stile.

II. Identitätsproblematik seit Beginn der Moderne an einem Beispiel

Schon der Einzelgänger van Gogh[2] nimmt, trotz oder gerade weil er ein Außenseiter der Gesellschaft war, wesentliche Probleme der Identitätsfindung, die für spätere Künstlergenerationen so wichtig werden sollen, vorweg. Denn gerade er, der den Weg in die Kunst erst über Umwege findet und sie mehr betreibt um „die Sprachlosigkeit“ des modernen Menschen“(Ruhrberg u.a. 2005, S.18) zu überwinden als um lediglich schöne Bilder zu malen, war für die Probleme, die das uneinheitliche Ich bringt, offen. Man betrachte nur einmal einige Selbstporträts des Niederländers genau und schon wird man sich der ganzen Problematik des neuzeitlichen Individuums bewusst. Auf dem Gesicht des Mannes auf dem „Selbstbildnis mit grauem Filzhut“(Amsterdam, Stedelijk Museum/ Abb. 1) wird sowohl in der Mimik als auch in der Malweise die Zerissenheit bzw. Pluralität dargestellt. Der Mann wirkt ebenso stark wie schwach, in gleichem Maße selbstbewusst wie unsicher und er könnte genauso ein Opfer sein wie er auch ein Täter sein könnte. Schon durch den Duktus und den unbestimmten blauen Hintergrund bringt der Künstler zum Ausdruck in welcher Haltlosigkeit und Unbestimmtheit er sich befindet. Der wirre Pinselstrich verdeutlicht, dass die Welt in der sich das Subjekt befindet keine feste ist. Das Durchschimmern der kahlen Leinwand unterstreicht noch, wie sich die nicht genau bestimmte Umgebung der Figur im Auflösen befindet. Doch dieses Bild steht nur für ein Beispiel aus der klassischen Moderne. Es finden sich, an van Gogh anschließend, etliche Künstler, die sich mit eben diesem Thema auseinander gesetzt haben. Man betrachte sich nur die Selbstbildnisse Ernst Ludwig Kirchners oder die der Werefkin. Immer wieder setzen sich Künstler in der Moderne mit dem Problem der pluralen Identität auseinander.

III. Warum Bacon?

Sicher bieten sich für diese Arbeit andere Künstler an, die sich eindeutiger mit der Thematik der Identität des modernen Individuums auseinandergesetzt haben. In Fachliteratur zu Cindy Sherman beispielsweise lässt sich bestimmt schon im Inhaltsverzeichnis betreffendes kinderleicht finden. Doch gerade weil man in Texten zum Werk Bacons so wenig Konkretes dazu in Erfahrung bringen kann, erschien es mir wichtig in den Bildern selbst entsprechendes Ausfindig zu machen. Die Arbeit soll belegen, wie die von Bacon dargebotene Uneinigkeit zwischen Raum und Figur auf den Identitätsdiskurs der Moderne verweist.

Ich glaube, dass mir Bacons Errungenschaften auf dem Gebiete der Porträtmalerei und seinen Hang zu Triptychen, auf welchen sich mitunter dreimal die gleiche Figur in unterschiedlichen Variationen darbietet, für dieses Anliegen dienlich sein werden.

Außerdem hat dieser Maler mit seiner Kombination von realistischen Räumen und stellenweise stark verfremdeten Personen eine Bildsprache, die sich genau mit diesem Thema auseinandersetzt und somit einer genaueren Hinterfragung bedarf. Anders gesagt: Der Künstler kombiniert oder ersetzt teilweise die Illusion einer objektiven Realität mit oder durch eine subjektive Realität (Vgl. Ficacci 2002, S.24). Das ist es, was Bacon als einen modernen Maler auszeichnet und was ihn für diese Arbeit so interessant erscheinen lässt.

IV. Identität und Moderne im Werk Bacons

Der Ire hat wie kaum ein zweiter Künstler des 20. Jahrhunderts den „Seelenzustand des Europäers der Moderne“(Ficacci 2003, S.7) veranschaulicht. Es ist somit nur ein logischer Schluss dieser Annahme vieler Kunstwissenschaftler, dass er somit auch die Auflösung der festen Identität des modernen Individuums eingefangen haben muss. Dieses werde ich versuchen im Folgenden an verschiedenen Bildern zu belegen.

Im Werk des Künstlers behauptet das Sein an sich und die Vergänglichkeit des Seins im Speziellen ein immer wiederkehrendes Leitmotiv (Vgl. Schmied 1996, S.70). Für ihn war der Mensch ein weiterentwickeltes Tier, das nur geboren wurde um zu sterben. Der Tod und die Darstellung der menschlichen Haut als Fleisch, welche Ähnlichkeit zu dem toter Tiere aufweist, kehren immer wieder in Bacons Werk. In anderer Sekundärliteratur spricht man bei Bacons expressiver Malweise von einer „Übereinanderschichtung von Zuständen, in der bestimmte Wesenszüge der Dargestellten mit ungewöhnlicher Intensität in Erscheinung treten, während andere ausgeschaltet sind.“(Russel 1996, S.124) Dieses Faktum lässt sich vor allem mit den Porträtreihen belegen. In den „Drei Studien Muriel Belchers“(Privatbesitz/ Abb.2) wird das besonders deutlich. Denn obwohl die Körper durch den expressiven Farbauftrag stark deformiert sind, strahlt die Figur selbst eine Anmut aus, die wohl unmöglich mit einem Foto erreicht werden könnte. Bei aller Verfremdung sind die Augen, wenn man sie mit einem Lichtbild der Belcher vergleicht, noch am realistischsten. „Auf der Malfläche sind nur noch Fragmente eines Gesichtes erkennbar, Indizien für eine Zuordnung, die in sich jedoch die Fähigkeit bergen, die dargestellte Person auf andere Weise zu identifizieren.“(ebd., S.72) Man erkennt also nicht mehr die bloße äußere Erscheinung, sondern fast nur noch die Innere. Die Frau wirkt sehr selbstbewusst, dem Betrachter gar überlegen und doch sehr melancholisch. Somit wirkt der Kopf überwirklich, aber nicht surrealistisch[3] sondern mehr expressionistisch (Vgl. Schmied 1996, S. 92). In diesem Bildnis verwendet der Künstler eine weitere List um der Figur näher zu kommen. Er bekam sie nämlich, wie er selbst sagte „ in den Triptychen wie Polizeifotos hin, im Profil von links, en face und im Profil von rechts.“(Schmied 1996, S. 68) Das erzeugt eine Echtheit, die für die subjektive Identifizierung der Person von Bedeutung ist. Der Maler schafft also auf seinem Gebiet das, was die Fahndungsfotos auf dem objektiven Gebiet schaffen. Nämlich eine Person in dem Maße von allen Seiten ausleuchten, dass sie auch für Personen, die Muriel Belcher noch nie gesehen haben, identifizierbar wird. Der Betrachter erhält die Möglichkeit sich der Individualität der dargestellten Person zu nähern, wie es sonst nur den engsten Vertrauten erlaubt ist.

Auch erscheinen die Schatten, wie Schmied wunderbar erkannt hat, in einigen Bildern „formlos wie ausgeronnenes Wachs“(Schmied 1996, S.82). Dieses kann man wunderbar im „Triptychon März 1974“(Abb. 3) erkennen. Vor allem weil in diesem Gemälde die Schatten in ihrem etwas schmutzig wirkenden Rosaton auch mehr an Wachs als eben an Schatten erinnern. Dieses ist für mich eine gelungene Metapher, die hervorragend das allmähliche Verrinnen der Lebenszeit versinnbildlicht.

Doch welche Bedeutung hat dies für das Thema? Ganz einfach die, dass in einer Welt in der die Kirche als Halt gebende Institution (Vgl. van der Loo u. van Reijen 1992, S. 38) ausgedient hat, es überhaupt erst möglich ist den menschlichen Körper als vergängliche Hülle anzusehen und nicht als gottgleiches Meisterwerk. Denn dass Bacon seinen Atheismus (Vgl. Ficacci 2003, S. 65) ausleben konnte und daraus nie einen Hehl machen musste, ist eine Folge der gewonnenen Freiheit für das einzelne Individuum in der Moderne. Dass er aber dennoch die Kreuzigungsthematik und mit dem Triptychon eine Form wählen konnte, die unzweifelhaft sakralen Ursprungs ist, steht nur für die Selbsteinordnung in eine lange abendländische Tradition und für die Handlungsfreiheit des modernen Künstlers (Vgl. ebd. S.65f).

Der Bruch zwischen der Figur und dem Grund, der vor allem nach der van Gogh Serie immer deutlicher zu Tage tritt, wird auch auf diesem Triptychon sichtbar gemacht. Dieses steht einerseits für die nicht Verankerung des Menschen im Raum (Vgl. Schmied 1996, S.96) aber auch für die schlichte Isolation des Menschen im Allgemeinen (Vgl. Russel 1998, S. 109).

Der Hintergrund wirkt kühl, sehr statisch und vor allem durch die von der Decke herunterhängende nackte Glühbirne auch trist. Die Figuren erscheinen dagegen schon durch den expressiven Pinselstrich verfremdet und mit einer enormen Dynamik ausgestattet, welche vor allem die Figur in der Mitteltafel fast zu zerreißen droht.

[...]


[1] Der Begriff Moderne steht in der Kunst häufig als Gegenbegriff zur Antike da und erst ab dem 19. Jahrhundert steht die Moderne nicht mehr nur ihrem Schatten und ist vom Zwang gelöst diese zu überbieten. (Vgl. Herding 1991, S. 179ff )

[2] Die Auswahl fiel auf diesen Künstler, weil er für die Entwicklung der Moderne und für die persönliche Entwicklung Francis Bacons eine Schlüsselstellung innehat.

[3] Dieser Ausdruck meint die Künstlergruppe um André Breton, mit dessen Ideen Bacon wenig anfangen konnte (Vgl. Schmied 1996, S. 91). Es ist also nicht überwirklich im Geiste des Surrealismus. Ich bin mir dessen schon bewusst, dass es rein von der Übersetzung aus dem Französischen her, ein Paradox erzeugt.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Identitätsdiskurs im Werk Francis Bacons
Hochschule
Technische Universität Dresden
Note
2
Autor
Jahr
2006
Seiten
20
Katalognummer
V58363
ISBN (eBook)
9783638525855
ISBN (Buch)
9783656784852
Dateigröße
475 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Identitätsdiskurs, Werk, Francis, Bacons
Arbeit zitieren
Michael Ebel (Autor:in), 2006, Identitätsdiskurs im Werk Francis Bacons, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/58363

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