Die Ausschaltung der Ethik im Nationalsozialismus. Parallele Fragestellungen für die Soziale Arbeit in der heutigen Zeit


Hausarbeit, 2017

22 Seiten, Note: 1,0

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Einflussfaktoren vor 1933 als Grundlage für die Akzeptanz des Rassengedankens im Nazi-Regime
2.1 Von der Eugenik zur Rassenhygiene
2.2 „Eugenik“ als Staatsziel

3. Aktion T4“ 1939-1945
3.1 Planung, Aufbau und Ablauf
3.2 Bevölkerungspolitische Rechtfertigung
3.3 Gesetzliche Grundlagen der „Aktion T4“
3.4 Medizinisch-ethische Legitimation
3.5 Angehörige der Opfer und die Bevölkerung
3.6 Die Haltung der beiden Kirchen
3.6.1 Evangelische Kirche
3.6.2 Katholische Kirche

4 Danach

5 Fazit

Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Vielfach wurde in wissenschaftlichen Kontexten behandelt, wie kollektiv die deutsche Gesellschaft während der Zeit des Nationalsozialismus gegen Min- derheiten vorgegangen ist. Auf Grund der hohen Zahl an Toten, werden hierbei in erster Linie die jüdischen Opfer genannt, doch oft unbeachtet ist die Zahl derer, die vom Nazi-Regime als „unwertes Leben“ bezeichnet und meist in psy- chiatrischen Anstalten „asyliert“ und systematisch ermordet wurden. Schnell wirft sich da die Frage nach dem Warum auf: Warum ließen sich damals so viele Menschen in Deutschland von der Rassentheorie und der damit einherge- henden Klassifizierung vom werten und unwerten Leben überzeugen?

War es wirklich eine ganz neue Theorie der Nationalsozialisten oder gab es zumindest schon Ansätze vor 1933, die der Verbreitung der Rassentheorie Vor- schub leistete? Waren wirklich alle überzeugt davon oder gab es Widerstand?

Im folgenden Text wird anhand der „Euthanasie-Aktion T4“ näher darauf einge- gangen, welche Personengruppen aus ideologischer Betrachtung während der NS-Zeit in die Kategorie „unwertes Leben“ fielen und wie bürokratisch das NS- Regime die Kategorisierung und Ermordung dieser Menschen organisierte. Des Weiteren sollen die Fragen beantwortet werden, wie die Kategorisierungen und die daraus abgeleiteten Maßnahmen während der „Aktion T4“ von den Akteuren begründet wurden. Gab es im Verlauf ethisch-moralische, rechtliche, religiöse oder gesellschaftliche Einwände? War es möglich, ein ganzes Volk zur Mittä- terschaft und sei es durch Unterlassung, zu bewegen?

In der Schlussbetrachtung geht es um das Zusammenwirken der unterschiedli- chen Faktoren, die zum jahrelangen Massenmord der verschiedenen Minder- heiten beigetragen haben. Abschließend geht es um die gewonnenen Erkennt- nisse aus der Zeit des Naziregimes und die Frage, was sich in Folge dieser für Sozialarbeiter*innen und die Angehörigen anderer sozialer Berufe im heutigen Deutschland verändert hat.

2 Einflussfaktoren vor 1933 als Grundlage für die Akzeptanz des Rassengedankens im Nazi-Regime

2.1 Von der Eugenik zur Rassenhygiene

Die nationalsozialistische Politik der Ausgrenzung behinderter und psychisch erkrankter Menschen basiert auf Theorien, die Mitte des 19. Jahrhunderts mit den Arbeiten der beiden Naturwissenschaftler Charles Darwin (Mitbegründer der Evolutionstheorie) und Gregor Mendel (Mendelsche Regeln der Vererbung) ihren Anfang nahmen (vgl. Rudnick 1990: 93).

Der Begriff "Eugenik" ist altgriechischen Ursprungs und bedeutet „von guter Ab- stammung“. Francis Galton (1822-1911), der durch die Evolutionstheorie seines Cousins Charles Darwin beeinflusst wurde, beschäftigte sich mit der Theorie der Vererbung und der daraus resultierenden Konsequenzen für die Menschen- rasse. 1904 hielt Galton in London einen Vortrag vor der Sociological Society und definierte dort die „Eugenik“ und ihre Aufgaben, um ihre Anerkennung als neue Wissenschaft durchzusetzen (vgl. Petermann 2009: 58). Ein Jahr später wurde dieser Vortrag im Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie veröffent- licht, unter dem Titel Entwürfe zu einer Fortpflanzungshygiene:

Di e Fortpflanzungshygiene (Eugenik) ist die Wissenschaft, welche sich mit al- len Einflüssen beschäftigt, welche die angeborenen Eigenschaften einer Rasse verbessern und diese Eigenschaften zum größtmöglichen Vorteil zur Entfaltung bringen (Galton 1905, zitiert aus Petermann 2009: 58) .

Verbesserungen der angeborenen Eigenschaften einer Rasse und deren Ent- wicklung zu höchster Vollkommenheit war das Ziel der Eugeniker zum damali- gen Zeitpunkt (vgl. Petermann 2009: 58).

Karl Pearson, ein Schüler Galtons, schrieb 2008 in seinem Artikel The Scope and Importance to the State of the Science of National-Eugenics von der „Nati- onal-Eugenik“ und spricht von den „[…] unter sozialer Kontrolle stehenden Agentien [Agentien = Kräfte, Anm.d.A.], welche sowohl die körperlichen und ge istigen rasslichen Eigenschaften künftiger Generationen verbessern oder verschlechtern können“ (Pearson 1908, zitiert aus Peterman 2009: 58).

National-Eugenik wurde aus diesem Artikel im Deutschen in „Rassenhygiene“ übersetzt und ab da auch synonym verwandt (vgl. Petermann 2009: 58).

Schon 1904 gründet der deutsche Arzt Alfred Ploetz das Archiv für Rassen und Gesellschaftsbiologie, im Jahr darauf die Deutsche Gesellschaft für Rassenhy- giene, beide bildeten ein Diskussionsforum für Interessierte. Die regelmäßig er- scheinende Zeitschrift der Gesellschaft informierte sowohl die Fachwelt als auch die Bevölkerung über die „Erforschung des Wesens von Rasse und Ge- sellschaft und ihres gegenseitigen Verhältnisses für die biologischen Bedingun- gen ihrer Erhaltung und Entwicklung sowie für die grundlegenden Probleme der Entwicklungslehre“ (vgl. Petermann 2009: 60).

Ploetz prägte den Begriff der Rassenhygiene und verband ihn ideologisch mit seinem Verständnis der „arischen Rasse“ als „Culturrasse par excellence“ (ebd.). Sein Verständnis der „Rassenhygiene“ beeinflusste zahlreiche zeitge- nössische Kollegen und Autoren. Gemeinsame Grundlage ihres Denkens war die Übereinkunft, dass die Menschen in ihrem „Erbwert“ nicht gleichwertig sind (vgl. Petermann 2009: 60 f.). Im Jahr 1931 erhielt das Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie im Untertitel den Begriff „Eugenik“. Im Jahr 1932 wurde in den Leitsätzen der Deutschen Gesellschaft für Rassenhygiene festgehalten, dass die wesentliche Aufgabe der „Rassenhygiene“ oder Eugenik „die Erhal- tung der wertvollen Erbstämme in allen Volksschichten bezeichnet“ (vgl. Peter- mann 2009: 64). Aus diesen Leitsätzen entwickelte sich eine andauernde poli- tische Debatte über Sterilisationen Behinderter und sozial Randständiger, die sowohl von Vertretern der politisch Rechten als auch von Vertretern der Sozial- demokratie befürwortet wurde (vgl. Rudnick 1990: 95). Als Folge daraus, kam es 1932 zu einer Forderung des Preußischen Landesgesundheitsrates nach einer gesetzlichen Regelung und er legte dem Deutschen Reichstag gleich ei- nen entsprechenden Gesetzesentwurf vor (ebd.).

Dieser Entwurf diente als Grundlage für das am 14.07.1933 in Kraft tretende Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses, wobei der Entwurf noch von einer Freiwilligkeit und der Zustimmung der Betroffenen oder ihrer Vertreter ausging (sic!) (ebd.).

2.2 „Eugenik“ als Staatsziel

1933 wurde der Schwager von Alfred Ploetz, der Psychiater Ernst Rüdin (1874- 1952), zum Vorsitzenden der Deutschen Gesellschaft für Rassenhygiene be- stätigt. Ab diesem Zeitpunkt strich die Gesellschaft das „Eugenik“ aus ihrem Namen und eine Mitgliedschaft war ausschließlich „Ariern“ vorbehalten (vgl. Pe- termann 2009: 65).

Die obersten Ziele der Rassenhygiene waren fortan, die Fortpflanzung der Ge- sunden und Begabten zu fördern und den erbkranken Nachwuchs zu vermei- den.

Laut Rüdin gilt Ploetz als der Begründer und Hitler nach seiner Machtergreifung als politischer Wegbereiter für die Durchsetzung der Ziele der Rassenhygiene (ebd.).

Wie schon erwähnt, führte das Naziregime am 14.07.1933 das Gesetz zur Ver- hütung erbkranken Nachwuchses ein, welches die Möglichkeit der Zwangsste- rilisation eröffnete (vgl. Rudnick 2009: 95). Dieses Gesetz umfasste eine apo- diktische Festlegung der Indikationen, ohne Ausnahmen. In §1 wurden die Er- krankungen aufgeführt, die eine Person als erbkrank klassifizierten. Darunter fielen unter anderem Schwachsinn, Schizophrenie, manisch-depressives Irre- sein, Fallsucht, Veitstanz, erblich bedingte Blindheit und Taubheit sowie dar- über hinaus auch schwer an Alkoholismus leidende Personen. (vgl. Petermann 2009: 68)

In anderen Staaten gab es zur selben Zeit ebenso Regelungen zur Sterilisation Behinderter und anderer (USA, Schweiz und einige skandinavische Länder), aber kein anderes Land ist der gesetzlichen Zwangsformulierung wie Deutsch- land gefolgt, jedoch wurde die Vorgehensweise gegen unerwünschte Kinder durch Sterilisation auch international als grundsätzlich wichtig anerkannt (vgl. Bonhoeffer 1949: 1ff.).

Im Jahr 1935 wurde das Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre erlassen, es regelte schließlich die Beziehungen zwischen jü- dischen und nichtjüdischen Deutschen und das Gesetz zum Schutze des deut- schen Volkes, welches vor der Ehe eine Ehetauglichkeitsbescheinigung für die Brautleute verlangte und Menschen mit „erblich bedingten“ Erkrankungen von der Ehe ausschloss. Damit fanden die eugenischen und „rassenhygienischen“ Forderungen, die seit Ende des 19. Jahrhunderts durch zahlreiche Biologen, Mediziner, aber auch durch Psychiater und Soziologen erhoben worden waren, Einzug in die nationalsozialistische Gesetzgebung und waren die Grundlage der darauffolgenden bevölkerungspolitischen Maßnahmen (vgl. Petermann 2009: 67 f.).

3 „Aktion T4“ 1939-1945

Ab dem Inkrafttreten des Sterilisationsgesetzes am 01.01.1934, wurde in extra dafür neu geschaffenen Erbgesundheitsgerichten darüber entschieden, ob eine Sterilisation durchzuführen sei oder nicht. Diese Gerichte bekamen ihre Fälle durch die Gesundheitsämter übermittelt und waren mit einer*einem Jurist*in und zwei Ärzt*innen besetzt. Ziel war die „Reinigung des Volkskörpers“ und „die Ausmerzung krankhafter Erbanlagen“. Man schätzt, das bis zum Kriegsende zwischen 200 000 und 350 000 Zwangsterilisationen entschieden und durchge- führt wurden (vgl. Hühn 1989: 187).

Da die Krankenhäuser schnell mit der Fülle der ihnen zugewiesenen Patient*in- nen zur Unfruchtbarmachung überfordert waren, kam es zunehmend zu langen Wartezeiten. Sie mussten zum Teil Monate bis Jahre in der Anstalt verbringen, bis sie zwangssterilisiert wurden (vgl. Hühn 1989: 189f.).

Einige der Ärzt*innen, die schon bei der Erfassung und Verurteilung zur Sterili- sation eine führende Rolle spielten, waren dann Mitinitiator*in der „Aktion T4“ und somit Wegbereiter*in bei der Übertretung der Schwelle von der „Verhinde- rung der Fortpflanzung“ hin zur „Vernichtung unwerten Lebens“ (ebd.).

3.1 Planung, Aufbau und Ablauf

Der Name des Decknamens „Aktion T 4“ leitet sich von der Adresse des Amtes ab, welches sich von 1940 bis 1945 in der Tiergartenstraße 4 in Berlin befand und sich mit der Erfassung, Planung und Verwaltung der Ermordung von mehr als 200 000 behinderten, psychisch und körperlich erkrankten sowie unange- passten Menschen beschäftigte (vgl. Aly 1989: 9 ff.).

Im Oktober 1939 begann eine regelrecht planwirtschaftliche Erfassung aller Pa- tient*innen in Heil- und Pflegeanstalten. Das Reichsinnenministerium ver- schickte Fragebögen an die Heil- und Pflegeanstalten, in denen unter anderem die Erkrankung, die Dauer des Aufenthaltes und die Arbeitsfähigkeit der Pati- ent*innen erfragt wurde. Die Direktionen der Anstalten wurden über den Zweck der Befragung nicht informiert (ebd.).

Drei von anfänglich 30, später bis zu 50, ärztlichen Gutachter*innen entschie- den dann, an Hand der Fragebögen, über Leben und Tod. Den Anstalten gin- gen dann einige Wochen später Listen zu, mit den Namen der ausgewählten Personen, die sich für eine Verlegung bereit zu machen hätten, angeblich auf Anforderung des Reichsverteidigungskommissars (ebd.).

Die Transporte aus den „Ursprungsanstalten“ führten nach den ersten Erfah- rungen immer über „Zwischenanstalten“, das hatte den Zweck Spuren zu ver- wischen und ermöglichte es den Akteur*innen Irrtümer zu korrigieren oder aber die Erkrankten zu entlassen, deren Angehörige schnell und entschieden darauf beharrten (ebd.). Diese Verbringung diente aber ebenso der Anonymisierung der Patienten untereinander und beugte dem Wunsch nach Rettung von anver- trauten Patient*innen durch Mitarbeiter*innen in den Ursprungsanstalten vor (vgl. Nowak 1990: 81). Den Anstaltsleitungen waren die Verlegungswege und das Ziel der Tötung bald bekannt, sie hatten aber strikte Anweisungen diese vor den Verwandten geheim zu halten (vgl. Aly 1989: 9 ff.).

[...]

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Die Ausschaltung der Ethik im Nationalsozialismus. Parallele Fragestellungen für die Soziale Arbeit in der heutigen Zeit
Hochschule
Hochschule Koblenz (ehem. FH Koblenz)  (Sozialwissenschaften)
Veranstaltung
Propädeutik und theoretische Zugänge zur Sozialen Arbeit
Note
1,0
Jahr
2017
Seiten
22
Katalognummer
V583589
ISBN (eBook)
9783346181879
ISBN (Buch)
9783346181886
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Nationalsozialismus, Aktion T4, Eugenik
Arbeit zitieren
Anonym, 2017, Die Ausschaltung der Ethik im Nationalsozialismus. Parallele Fragestellungen für die Soziale Arbeit in der heutigen Zeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/583589

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