Therapeutisches Reiten in der Sozialen Arbeit

Möglichkeiten und Grenzen des heilpädagogischen Reitens für geistig behinderte Menschen


Diplomarbeit, 2006

106 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einführung

2. Vom Zugpferd zum Therapeutischen Helfer- geschichtlicher Rückblick

3. Therapeutisches Reiten- das Pferd in Medizin, Pädagogik, Psychologie und Sport
3.1 Krankengymnastik auf dem Pferd- Hippotherapie
3.2 Sportlich aktiv mit dem Pferd- Behindertenreitsport
3.3 Das Pferd in Psychologie und Pädagogik- Heilpädagogisches Reiten und – Voltigieren
3.3.1 Der Unterschied zwischen Voltigieren und Reiten Excurs Situation des Therapeutischen Reitens im Ausland

4. Therapeutisches Reiten als Unterstützung für die soziale Arbeit
4.1 Positive Auswirkungen auf die personale und soziale Integration

5. Die Rolle des Pferdes
5.1 Das Beziehungserleben zum Pferd
5.2 Das Pferd als Partner

6. Menschen mit einer geistigen Behinderung
6.1 Was bedeutet geistige Behinderung?
6.1.1 Das Erscheinungsbild einer geistigen Behinderung
6.1.2 Ursachen
6.1.2.1 Chromosomenanomalien
6.1.2.2 Metabolisch- genetische Ursachen
6.1.2.3 Ätiologisch unklare Ursachen
6.1.2.4 Exogene Formen
6.1.3 Auswirkungen
6.1.3.1 Der geistig behinderte Mensch in der Gesellschaft
6.1.3.2 Kommunikation und Interaktion
6.1.3.3 Entwicklung und Lernverhalten
6.2 Lebensqualität und geistige Behinderung
6.3 Die Rechtslage eines geistig behinderten Menschen
6.4 Zusammenfassung

7. Förderungsmöglichkeiten

8. Heilpädagogisches Reiten für geistig behinderte Menschen
8.1 Die Anfänge des heilpädagogischen Reitens
8.2 Warum heilpädagogisches Reiten für geistig Behinderte?
8.3 Zielsetzungen und Möglichkeiten beim heilpädagogischen Reiten mit geistig Behinderten
8.3.1 Die ganzheitliche Förderung des Einzelnen und der betroffenen Gruppe
8.3.2 Lernprozesse
8.4 Voraussetzungen zur Durchführung des heilpädagogischen Reitens mit geistig behinderten Menschen
8.4.1 Das geeignete Reittier
8.4.2 Die Ausrüstung des Pferdes
8.4.3 Der Ort der Durchführung- Reithalle/ Reitplatz
8.4.4 Der Reiter und seine Ausrüstung
8.4.5 Der Reittherapeut - - seine Ausbildung, seine Aufgaben und sein Verhalten
8.5 Methodische Vorgehensweise beim heilpädagogischen Reiten
8.5.1 Die emotionale Kontaktaufnahme zum Pferd (nach Marianne Gäng)
8.5.1.1 Die Phasen der emotionalen Kontaktaufnahme
8.5.2 Von den ersten Übungen auf dem Pferd zum selbstständigen Reiten
8.5.3 Das Versorgen des Pferdes nach dem Reiten
8.5.4 Methodische Grundsätze
8.6 Grenzen des Heilpädagogischen Reitens
8.7 Zusammenfassung

9. Zusammenarbeit mit anderen Institutionen

10. Zur Finanzierung des Therapeutischen Reitens - Leistungserbringer und Kostenträger

11. Schlussbetrachtung
Literaturverzeichnis
Quellenangaben
Abbildungsnachweise
Fotonachweis
Abkürzungsverzeichnis

1. Einführung

„(…)Das Spiegelbild, das uns das Pferd zeigt, sind unsere inneren unsichtbaren Stärken, Mängel und Schwächen. Das Pferd schaut hinter den Spiegel, es kann durchblicken und sieht, wie der Mensch hinter der Spiegelwand wirklich aussieht. Unser Spiegel zeigt nur die Äußerlichkeit, das Pferd ist für uns der Spiegel unserer Seele.

Die Charaktereigenschaften, die wir zu verbergen suchen, erkennt das Pferd sofort. Trotzdem dient es uns treu, damit wir an ihm uns schulen und mit ihm zur Harmonie gelangen.“

(aus "Die Moderne Reitschule" von Selma Brandl)

Menschen fühlten sich den Pferden schon lange eng verbunden.

Seit etwa 1950 wird diese Verbundenheit zum Pferd zur Therapie und/oder Förderung beeinträchtigter Menschen in jeglicher Hinsicht, genutzt.

Mein Interesse an dieser Arbeit entstand in erster Linie aus meinen persönlichen Erfahrungen mit dem Pferd und aus der Arbeit mit geistig behinderten Menschen. So habe ich beides miteinander ver­bunden, indem ich das Thema spezifisch auf das heilpädago­gische Reiten mit geistig behinderten Menschen ausgerichtet habe.

Dabei interessierten mich besonders vier Fragestellungen:

1. Welche Möglichkeiten bietet die Arbeit mit dem Pferd für
2. die Förderung der geistigen, körperlichen und seelischen Entwicklung bei Menschen mit verschiedenen Problem­stellungen?
3. Warum stellt gerade das Pferd so einen wertvollen Therapie­partner für diese Menschen dar?
4. Welche Persönlichkeit verbirgt sich hinter dem „Menschen mit einer geistigen Behinderung“?
5. Welche pädagogisch-psychologischen Zielsetzungen können bei der Förderung und Therapie von geistig behinderten Menschen mit Einbeziehung des Pferdes im Rahmen des Heilpädagogischen Reitens verwirklicht werden und wo sind die Grenzen bei dieser Förderungsmöglichkeit?

Ich selber schätze den Charakter des Pferdes seit 15 Jahren. Seit ich um die Faszination Pferd weiß, bin ich begeistert von seinem Wesen. Es stand mir selber schon in so manchen Situationen bei, gab mir Sicherheit und das Gefühl der Verbundenheit.

Genauso gerne wie ich mit dem Pferd zusammen bin, so viel Spaß macht es mir, mit geistig behinderten Menschen zu arbeiten. Seit 2 Jahren arbeite ich stundenweise als Honorarkraft bei der Lebenshilfe, und zwar in einer Wohnstätte für geistig behinderte Menschen. Anfangs sehr skeptisch und mit einem komischen Gefühl, da ich auch zu den Menschen gehörte, die sich mit dem Thema „geistige Behinderung“ noch nicht auseinandergesetzt hatten. Erstaunlich für mich war, wie schnell mich diese Menschen in ihren Bann zogen. Ihre emotionale Ausdrucksfähigkeit und ihre Art auf Menschen zuzugehen, ohne jegliche Oberflächlichkeit, machten mir schnell klar, dass Menschen mit einer geistigen Behinderung zwar „anders“ sind (wobei kein Mensch genauso ist wie ein Anderer), dass man sich aber erst dann eine Meinung bilden kann, wenn man diese Menschen wirklich kennen und schätzen gelernt hat.

Um einen näheren Einblick in die Geschichte der Beziehung zwischen Mensch und Pferd zu bekommen, gehe ich im ersten Teil meiner Arbeit auf diese ein. Der Rückblick bezieht sich sowohl auf die Zusammenführung von Mensch und Pferd, als auch im speziellen Sinne auf die Entstehung des therapeutischen Reitens.

Der zweite Teil meiner Arbeit bezieht sich auf das therapeutische Reiten allgemein. Hier erläutere ich, in welche Bereiche das thera­peutische Reiten aufgeteilt ist und wie sich diese Bereiche unter­scheiden. Zudem beschreibe ich in einem Excurs die Entstehung des therapeutischen Reitens im Ausland.

Im dritten Teil meiner Arbeit komme ich dann auf die Wirkung des therapeutischen Reitens auf das Klientel der sozialen Arbeit zu sprechen. Ich werde darauf eingehen, dass die fördernden Wirkungen der drei Bereiche des therapeutischen Reitens fließend sind und beschreiben, welche Einflüsse es auf die personale und soziale Integration des Menschen hat.

Im vierten Teil, also in Kapitel 5, kommt die Rolle des Pferdes zur Sprache. Ich werde darauf eingehen, warum gerade das Pferd dafür geeignet ist, in einer Therapie eingesetzt zu werden, welche Rolle es einnimmt und wie sich die Beziehung zwischen Pferd und Mensch verhält.

Der erste komplexere Teil ist Kapitel 6. Hier gehe ich spezifisch auf Menschen mit einer geistigen Behinderung ein. Ich werde versuchen den Begriff der geistigen Behinderung zu erläutern und auf das Er­scheinungsbild, die Ursachen und die Auswirkungen der geistigen Behinderung einzugehen. Dabei werde ich unter anderem den Stand eines geistig behinderten Menschen in der Gesellschaft darstellen und welche weiteren Auswirkungen dieser Stand unter anderem be­wirkt. Um zu erläutern, dass geistige Behinderung nicht gleich „nicht lebenswert“ bedeutet, werde ich in diesem Kapitel auch auf die Lebensqualität der Menschen mit einer geistigen Behinderung ein­gehen. Um zu verdeutlichen, dass diese Menschen genau die gleichen Rechte haben wie Menschen ohne Behinderung und damit einen gleichberechtigten Teil unserer Gesellschaft darstellen, spreche ich die Rechtslage der geistig behinderten Menschen als Abschluss dieses Teils an.

Als nächstes gehe ich auf die Förderungsmöglichkeiten geistig be­hinderter Menschen ein und das unter anderem als Übergangsthema für mein Hauptthema „Heilpädagogisches Reiten für geistig behinderte Menschen“.

Mein Hauptthema in Kapitel 8 bezieht sich spezifisch auf die Möglichkeiten und Grenzen des heilpä­dagogischen Reitens für geistig behinderte Menschen. Kurz werde ich auch auf die Anfänge des heilpädagogischen Reitens eingehen und im Anschluss daran erläutern, warum es gerade bei geistig behin­derten Menschen so erfolgreich ankommt. Dann gehe ich detailliert auf die Zielsetzungen des heilpädagogischen Reitens ein, die all­gemein auf die Gruppe und spezifisch auf den Einzelnen bezogen werden. Anschließend erläutere ich, welche Voraussetzungen zu beachten sind, um das heilpädagogische Reiten sinnvoll zu prakti­zieren.

Ein weiterer umfangreicher Teil dieses Kapitels ist das methodische Vorgehen beim heilpädagogischen Reiten. In diesem Kapitel werde ich mich speziell auf die Bücher von Wilhelm Kaune und Marianne Gäng beziehen, da vor allem Marianne Gäng eine Pflichtlektüre für alle ist, die sich in der Arbeit mit Pferden verwirklichen.

Zum Schluss dieses Kapitels zeige ich die Grenzen des heilpädago­gischen Reitens auf, um darauf hinzuweisen, dass diese Therapie keine Wunder vollbringen kann, sondern wie fast jede andere pädagogische Therapie auch, eine Förderungsmöglichkeit ist, die Defizite verringern und Stärken fördern soll.

Die letzten beiden Teile meiner Arbeit beziehen sich im Allgemeinen auf die Zusammenarbeit mit anderen Instituten und auf die Finanzierung des therapeutischen Reitens.

Um das Thema auch in der Praxis kennen zu lernen und nach­voll­ziehen zu können, habe ich ein paar Therapiestunden auf dem Feuler Hof (eine anerkannte Einrichtung des Deutschen Kuratoriums für Therapeutisches Reiten) in Marl (http://www.hof-feuler.de) be­obachtet und mich mit den dort arbeitenden Therapeuten über das Thema auseinandergesetzt. Dabei konnte ich ein paar Stunden aus dem heilpädagogischen Reiten, Voltigieren und aus dem Behin­dertenreitsport beobachten. Ich habe aus diesen Gesprächen und/oder Beobachtungen ein paar Beispiele vom Feuler Hof in die Arbeit eingebracht.

Das Ziel dieser Arbeit ist es, darzustellen, welche besonderen Mög­lichkeiten im Bereich der sozialen Arbeit mit dem Einsatz des Pferdes verwirklicht werden können und wie erfolgreich das in der Arbeit mit geistig behinderten Menschen einzuschätzen ist.

2. Vom Zugpferd zum Therapeutischen Helfer- geschichtlicher Rückblick

Die Partnerschaft von Mensch und Pferd ist eine uralte, archaische Beziehung. Die Menschen schätzen seit Jahrtausenden die Aus­dauer, Kraft und Schnelligkeit der Pferde. Trotzdem war die Beziehung zu Pferden damals eine andere als heute:

Vor etwa 5000 Jahren wurde das Pferd gezähmt um im Dienste des Menschen eingesetzt zu werden. Vorerst diente es als Zugpferd in der Landwirtschaft, dann wurde es zum Ziehen von Streitwagen in vielen Kriegen benutzt. Etwa 500 v. Chr. wurde es als Reittier ent­deckt. Man ritt es um Kriege zu führen. Die Syten, Hunnen und Un­garn – die Reitervölker - hinterließen Vernichtung, aber breiteten auch Kulturen aus.

Bereits 400 v. Chr. schrieb Xenophon ein Buch „Über die Reitkunst“, das immer noch unserer heutigen Auffassung von Dressur entspricht.

(vgl. Vogel 1987, S. 25)

Die Anfänge des Therapeutischen Reitens lassen sich bis ins Alter­tum zurückverfolgen. Der Arzt Hippokrates beschreibt den „heilsamen Rhythmus“ des Reitens und ordnete es unter die „Exercitia uni­versalis“ (allumfassende Übungen) ein. Im Mittelalter wurde das Reiten durch einige Ärzte als heilsames Exercitium im Rahmen der Gesundheitsfürsorge und Gesundheitspflege empfohlen.

(vgl. Bausenwein 1984, S. 125)

Durch Schriften aus dem 17. und 18. Jahrhundert ist festzustellen, wie positiv sich das Reiten auf den Menschen auswirken kann:

„… denn es fördert die Verdauung und den Schlaf, es stärkt die Geistesmunterkeit und die Arbeitslust, die Lebens- und die Nerven­kraft, die Herz- und Kreislauftätigkeit, die Haltung, bessert leiden der inneren Organe“

(Vogel 1987, S. 25)

1768 schreibt André Tissot:

„… es wächst der Muth und das Selbstgefühl… und der Geist erhebt sich gleichsam zu neuer Munterkeit durch das Reiten“

(Vogel 1987, S. 25)

Jedoch waren das eher Schriften die als vorbeugende Maßnahme des Reitens aufmerksam machten. (vgl. Bausenwein 1984, S. 125)

Diese Erkenntnisse gerieten im Zeitalter der Industriezeit in Verges­senheit. Warum kann man nicht genau sagen. Lediglich durch Hufe­land wird im 19. Jahrhundert auf den Wert des Reitens und Reisens zu Pferde hingewiesen.

Der deutsche Neuropsychiater und Neurochirurg Ottfried Förster hat (laut Reiter- und Pferdelexikon von J. Nissen) 1904 auf einer Ärzte und Naturforschersammlung, das Therapeutische Reiten der „Öffent­lichkeit“ vorgestellt. W. I. Lenin, sein prominentester Patient, soll nach einer durch Hirnschlag erlittenen Lähmung durch das „therapeutische Reiten“ wieder genesen sein.

(vgl. Bausenwein 1984, S. 126)

Jedoch erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurde man auf die thera­peutischen Wirkungen des Reitens wieder aufmerksam und Ärzte in einigen europäischen Ländern haben damit begonnen, geschädigte Personen- wie Kranke, von Geburt an behinderte oder von Krank­heiten bedrohte Menschen - aufs Pferd zu setzen (…) und die heil­same Wirkung des Reitens anzuwenden.

(vgl. Jochheim/ van der Schoot 1981, S. 350)

1961 erschien die erste Veröffentlichung von Dr. med. Druschky über seine Arbeit mit kranken und behinderten Patienten auf dem Pferd in seiner Klinik in Bad Rappenau.

1965 gab Dr. med. Max Reichenbach einen Bericht über seine Arbeit auf dem Gebiet „Reiten als Therapie“ in Form des Buches „Reiten allein tut es nicht?“ bekannt.

1970 war dann das wohl entscheidendste Jahr für das Therapeutische Reiten in Deutschland. Denn am 25.11. 1970 wurde das Kuratorium für Therapeutisches Reiten (KThR) als Dachorganisation für die Bundes­republik und West Berlin gegründet. Es hatte das Ziel „… auf gemein­nütziger Basis die Bestrebungen für therapeutisches Reiten unter ärztlicher Aufsicht und Anleitung auf Bundesebene zu fördern, zu organisieren und zu unterstützen“

Damals sah man vor allem die Behandlung von Patienten auf dem Pferd und erst Jahre später wurde das Therapeutische Reiten in die drei Fachbereiche Medizin, Pädagogik und Sport unterteilt.

In den folgenden Jahren schlossen sich immer mehr Mitglieder dem KThR an, zum Zeitpunkt des 4. Internationalen Kongress (1982 in Hamburg) waren es bereits um die 800 Mitglieder.

In den folgenden Jahren wurden neue Reit-Therapie-Zentren gegrün­det und weitere Veröffentlichungen erschienen. Das therapeutische Reiten wurde 1973 auf der Equitana (Weltpferdemesse, die alle 2 Jahre in Essen stattfindet) vorgestellt und 1976 fanden erste gleichberech­tigte Turniere (behinderte Menschen gegen nicht- behinderte Men­schen) statt.

So wird das Therapeutische Reiten immer öffentlicher, Anerkannter und es gewinnt immer mehr an Bedeutung.

(vgl. Vogel 1984, S. 29 ff.)

3. Therapeutisches Reiten- das Pferd in Medizin, Pädagogik, Psychologie und Sport

Die Therapie (v. griech. „Dienst“) kommt aus der Medizin und bezeichnet Maßnahmen zur Behandlung von Krankheiten und Verletzungen. Ziel einer Therapie ist die Heilung, die Beseitigung oder Linderung der Symptome und die Wiederherstellung der körperlichen oder psychischen Funktion.

(vgl. http://lexikon.freenet.de/Therapie, Stand03/06)

Das Wort “Reiten” kommt aus dem Altertum und meint ursprünglich die Bewegung überhaupt (motus, exercitium).

(vgl. Jochheim/ van der Schoot 1981, S.350)

In der Bundesrepublik Deutschland wird das Therapeutische Reiten als Oberbegriff für die drei Fachbereiche Hippotherapie, Heilpädagogisches Voltigieren/ Reiten und den Behindertensport verwendet.

Diese drei Fachbereiche sind klar abzugrenzen und sie sind definitorisch klar gegliedert. Im Praktischen können sie sich allerdings überschneiden oder ineinander einfließen. Gemeinsamkeiten oder Übergänge kann man auch vom Therapeutischen Reiten zum allgemeinen Reitsport (Dressurreiten, Freizeitreiten, Schulsport etc.) beobachten.

(vgl. Kaune 1993, S. 12)

3.1 Krankengymnastik auf dem Pferd- Hippotherapie

Die Hippotherapie ist eine medizinisch- therapeutische Maßnahme

im Rahmen der Krankengymnastik. Diese Therapie wird vom Arzt ver­ordnet und von einer/einem speziell weitergebildeten Kranken­gym­nast/in praktiziert. Die Behandlung geschieht mit Hilfe des Pferdes als lebendes Sport- bzw. Übungs“gerät“ mit dem Ziel der Besserung oder Heilung von körperlichen Beeinträchtigungen/ physischen Krankheiten. Hierbei geht es also nicht um das Pferd oder um das Reiten an sich. So entstand auch der Begriff Hippotherapie à die Be­handlung mit dem Pferd.

Durch die Bewegung des Pferdes mit seinen verschiedenen

Gangarten Schritt, Trab und Galopp werden vielfältige, vorwiegend lockernde, durchblutungsfördernde, kräftigende und anregende Effekte im gesamten Stütz- und Bewegungsapparat, den inneren Organen und dem Herz-Kreislauf-System, verursacht.

Der Verlauf der Therapie ist für den Patienten passiv, seine Aufgabe ist es lediglich auf dem Pferderücken zu sitzen und sich den Schwingungen des Pferdes anzupassen. Diese werden auf sein Becken und seinen Rumpf übertragen. Durch die Anpassung an den Bewegungsrhythmus des Pferdes kommt es zu einem dauernden Wechsel zwischen An- und Entspannung, der dem der dynamischen Muskelarbeit vollkommen gleich kommt. Zeitgleich werden motorische Fähigkeiten wie z.B. Gleichgewicht geschult. Auf diese Weise erfahren z.B. gehbehinderte Personen die Vorstellung eines symmetrischen Ganges.

(vgl. Vogel 1987, S. 27; Hibbeler 2001, S. 2-3)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(Grafik 1, Heipertz 1977)

3.2 Sportlich aktiv mit dem Pferd- Behindertenreitsport

Der Reitsport mit Behinderten ist vergleichbar mit dem allgemeinen Reitsport (Dressur, Springen, etc.), mit dem Unterschied, dass die Reiter eine körperliche Behinderung, eine geistige Behinderung oder eine Sinnesschädigung haben. So können sogar Menschen, die eigentlich im Rollstuhl sitzen oder blinde Menschen mit einer be­stimmten Sicherung in den Reitsport gehen.

Das sportliche Reiten fängt auch hier bei der Grundausbildung an und führt bis zur Turnierreife. So haben die körperlich eingeschränk­ten Reiter die gleichen Möglichkeiten wie gesunde Menschen auch.

Der Behindertenreitsport unterteilt sich dabei in 3 verschiedene Be­reiche:

Freizeitreiten und Voltigieren

Diese Art und Weise des Behindertenreitsports wird am häufigsten genutzt. Sie findet an der Longe (beim voltigieren), in der Halle oder im Gelände statt. Hier stehen der Spaß am Reiten und der freundschaftliche Umgang mit dem Pferd im Vordergrund.

Leistungssport

Hier nehmen die Reiter in Dressur, Springen, Voltigieren oder Vielseitigkeit an Turnieren teil, die gegen andere behinderte oder auch nicht behinderte Menschen stattfinden.

Fahrsport

Mit umgebauten und speziell behindertengerechten Kutschen üben sich die Pferdesportbegeisterten Wettkämpfe gegen an­dere Kutschfahrer aus.

Die Betreffenden werden von Reitlehrern mit einer speziellen Weiter­bildung angeleitet und unterstützt.

(vgl. Hibbeler 2001, S.4-5; Deutsches Kuratorium für therapeutisches Reiten 2005, VHS)

3.3 Das Pferd in Psychologie und Pädagogik- Heilpädagogisches Reiten und – Voltigieren

Unter dem Begriff „Heilpädagogisches Reiten/ -Voltigieren“ versteht man pädagogische, psychologische, psychotherapeutische, reha­bilitative und sozio-integrative Maßnahmen für Kinder, Jugendliche oder Erwachsene mit verschiedenen Problemen, Störungen oder Behinderungen, die mit Hilfe des Pferdes umgesetzt werden. Beim heilpädagogischen Reiten steht nicht die Ausbildung reiterlicher Fähigkeiten im Vordergrund, sondern die individuelle Förderung über das Medium Pferd. Der Umgang mit dem Pferd- darunter fallen die Pflege, Führübungen, mitunter auch Stallarbeit und das Reiten/ Voltigieren - fördert die Betreffenden ganzheitlich. Sie werden sowohl auf der körperlichen und geistigen Ebene als auch emotional und sozial angesprochen. Außerdem werden alle Sinne angeregt, davon besonders das Fühlen. Besonders bewährt hat sich das heilpädago­gische Reiten/- Voltigieren bei Personen mit

Geistiger Behinderung

Lernbehinderung

Verhaltensauffälligkeiten (auch ADS/ ADHS)

Störungen in der emotionalen Entwicklung

Sprachbehinderung

Autistischen Verhaltensweisen

Psychischen Störungen

Psychischen und psychosomatischen Erkrankungen

(vgl. Kaune 1993, S. 13- 14)

Wichtig beim heilpädagogischen Reiten sind der Kontakt zum Tier, sowie der Abbau bestehender Ängste gegenüber dem großen Tier. Dabei können Aktivitäten wie Putzen und Streicheln des Pferdes helfen. Bei Kindern gelingt dies häufig schneller, denn sie haben aus einem grundlegenden menschlichen Bedürfnis heraus eine natürliche Zuneigung zu Tieren. Sie suchen den Kontakt mit dem Tier, wollen es lieben und geliebt werden.

(Gäng 2004, S. 27)

Auf speziell ausgebildeten und geführten Therapiepferden werden unter Anleitung gymnastische Übungen durchgeführt. Die Bewegung des Pferdes wirkend lockernd, oftmals beruhigend und ausgleichend und lösen in vielen Fällen Ängste.

„Mensch und Tier verschmelzen hier dergestalt, daß man nicht zu sagen wüsste, wer denn eigentlich den anderen erzieht.“

(Johann Wolfgang von Goethe)

Der Rhythmus des Pferdes im Schritt- wenn es die Behinderung zu­lässt auch im Trab oder Galopp – spricht auf eine vielfältige Art und Weise die Wahrnehmung des Reiters an.

Heilpädagogisches Reiten- oder Voltigieren kann von Pädagogen, wie auch von Erzieherinnen, Sozialarbeiter oder -pädagogen und von Psychologen mit einer entsprechenden Zusatzausbildung durchge­führt werden.

3.3.1 Der Unterschied zwischen Voltigieren und Reiten

Beim Voltigieren bewegt sich das Pferd auf einem Zirkel von ungefähr 13m Durchmesser und läuft an einer Longe, die von einem Trainer, der in der Mitte steht, betätigt wird. Die Kinder, Jugendlichen und Er­wachsenen machen gymnastische Übungen auf dem Pferd während das Pferd sich in allen drei Gangarten, Schritt, Trab oder Galopp, bewegt. Voltigieren kann auch mit mehreren Personen gleichzeitig ausgeübt werden (so dass zwei oder drei Menschen gleichzeitig und im Zusammenspiel gymnastische Übungen auf dem Pferd durchfüh­ren). Beim heilpädagogischen Voltigieren befindet sich oft und vor allem anfangs nur eine Person auf dem Pferd.

Beim Reiten bewegt sich das Pferd in der ganzen Halle, auf dem Platz oder im Gelände und es finden keine gymnastischen Übungen auf dem Pferd statt. Anfangs wird man dabei meistens geführt oder longiert um Ängste abzubauen, was im heilpädagogischen Reiten öfter und länger der Fall ist. Später leitet man das Pferd alleine, also durch Zügel- und Schenkelhilfe. Dabei konzentriert man sich auf das Reiten an sich, auf die Gangarten des Pferdes sowie auf sich und das Pferd.

(vgl. Kaune 1993, S.19)

Anhand der folgenden Darstellung soll das Therapeutische Reiten mit seinen drei Fachbereichen und vorhandenen Überschneidungen, noch einmal verdeutlicht werden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

((Grafik 2) Schematische Darstellung der verschiedenen Bereiche im therapeutischen Reiten aus „Therapeutisches Reiten“ von Heipertz 1977)

Diese Darstellung verdeutlicht, durch die sich in der Mitte überschnei­denden Kreise, sehr schön die fließenden Übergänge der drei Fach­bereiche. Man kann erkennen, dass die Hippotherapie auch Elemente der Pädagogik, das heilpädagogische Reiten Elemente der physischen Rehabilitation und das Behindertenreiten beide Elemente beinhaltet.

Derjenige, der auf diesem Gebiet arbeitet, sollte sich immer auch in den anderen zwei Bereichen auskennen, (so kann man neue Ideen auffassen und erst manche Gegebenheiten, die sich vielleicht auf das eigene Klientel beziehen, verstehen und aufarbeiten.)

Excurs Situation des Therapeutischen Reitens im Ausland

Die Dänin Lis Hartel ritt trotz bleibender Lähmung weiter, wurde durch olympische Erfolge gekrönt und diente somit zum Vorbild für das Reiten für behinderte Menschen, womit sie wohl das Interesse am Behindertenreitsport im Ausland weckte.

Im Ausland findet das „Behinderten- Reiten“ bzw. „Riding for the Disabled“ zu rehabilitativen Zwecken seit ca. 1955 statt. Die skandinavischen Länder haben damit begonnen, vor allem die Dänen, Schweden und Norweger.

England und Kanada zogen gegen 1957 nach. In England wurde 1960 die Organisation „Riding fort he disabled Association“ unter dem Patronat von Prinzessin Anne gegründet. Die „Grange Farm“ in Chigwell/ Essex (Großbritanien) baute sich 1965 ein eigenes reittherapeutisches Institut auf, das „Riding Centre“. Der damalige Chefreitlehrer Davies dieses Institutes veröffentlichte 1967 das erste populäre – wissenschaftliche Buch über rehabilitatives Reiten „The Reins of Live“.

Holland hat seit 1968 nach einer mehrjährigen Erprobungszeit die Vereinigung „Förderation Paardrijden Gehandikapten (F.P.G.)“ gegründet. Dort werden in 20 Einzelstationen das Reiten als Therapie und Sport für Behinderte ermöglicht. Dann ziehen Frankreich 1970 und Belgien 1972 nach. Die Schweiz hat ihre Anfänge im Therapeutischen Reiten schon 1966 zu verzeichnen und auch in Österreich hat sich das Therapeutische Reiten durchgesetzt. Auch in der DDR beschreibt man es mit Erfolg und so hat es sich auch in weiteren, nicht europäischen Ländern durchgesetzt, wie z.B. USA, Australien, Indien, Israel, Neuseeland usw.

(vgl. Jochheim/ van der Schoot 1981, S. 380 f; Bausenwein 1984, S. 126)

4. Therapeutisches Reiten als Unterstützung für die soziale Arbeit

Der Gegenstand der Sozialen Arbeit sind Menschen mit sozialen und psychischen Problemen. Die Probleme weisen dabei eine ebenso große Vielfalt auf - angefangen von psychischer und geistiger Behin­derung über Abhängigkeit bis zur sozialen Isolation - wie die betroffe­nen Altersgruppen, die Nationalitäten und die sozialen Systeme, in denen die Menschen leben.

Der Umfang und die Qualität sozialer Unterstützung und Integration sind für die seelische und körperliche Gesundheit der Menschen von größter Bedeutung.

Gruppenbindungen fördern u.a. die Solidarität, geben dem Leben Sinn und dem Einzelnen soziale Unterstützung.

Als soziales Wesen ist der Mensch zur Regulierung seiner Gefühle, Wünsche und Gedanken zwingend auf eine kulturelle und zwischen­menschliche Regulierung angewiesen.

In der Reittherapie werden Kinder, Jugendliche und Erwachsene, die dieselben Probleme haben, wie man sie in der sozialen Arbeit vorfindet, „behandelt“.

Die Reittherapie als eine vorwiegend aktive Behandlungsmethode stellt eine Therapieform dar, die den Kranken, Verhaltensauffälligen oder Behinderten in seiner körperlichen und geistigen Ganzheit er­fasst.

(Jochheim/ van der Schoot 1981, S. 359)

Da die Reittherapie ähnliche bzw. gleiche Ziele wie die soziale Arbeit verfolgt, kann sie als positive Unterstützung angesehen werden. Reittherapie soll zum einen zur Verbesserung der Physe (Hippo­therapie) beitragen, zum anderen zur Erweiterung von sozialer und personaler Integration und zum Erfahren von weiteren Freizeitmöglichkeiten.

4.1 Positive Auswirkungen auf die personale und soziale Integration

Nach Otto Speck (1999, S. 181 ff) ist Integration ein zentraler strukturaler Begriff der in verschiedenen Humanwissenschaften verwendet wird. Dabei wird „Integration“ z.B. auf das physische Gesamtsystem des Organismus, auf das psychische System der Persönlichkeit oder auf das System der sozialen Eingliederung bezogen. Gemeint ist stets ein Zustand sinnvoll geordneter Zusammenhänge (Speck 1999, S. 181).

Speck unterscheidet dabei zwei Formen der Integration, die personale und die soziale Integration:

Die personale Integration bezieht sich auf den Körper, die Seele und den Geist – also auf (…) das Zusammenwirken der psycho- physischen Einzelprozesse des Individuums (…) (Speck 1999, S. 181)

Sie ist auf die Einheitlichkeit und Ganzheitlichkeit der menschlichen Persönlichkeit gezielt und somit auf das Finden des persönlichen Gleichgewichts und das Aufbauen eines „starken Ichs“.

Die soziale Integration ist die Eingliederung des Individuums in die soziale Umwelt - in das gesellschaftliche Ganze. Es geht dabei um

die Eingliederung in Rollensysteme und in soziale Bezüge,

Status und Kompetenzerweiterung,

Den Abbau sozialer Blockierungen,

soziale Zugehörigkeit,

Soziale Indentität, (…)

Soziale Integration ist die wechselwirkende Ergänzung der personalen Integration. (vgl. Speck 1999, S. 182)

Bei der Hippotherapie erstreckt sich dass Klientel auf körperlich behinderte und/ oder eingeschränkte Menschen. Sie hat das voranginge Ziel der körperlichen Genesung. Durch die rhythmischen Schwingungen des Pferderückens, durch die variablen Beschleunigungs- und Verzögerungsmomente und durch die Zentrifugalkräfte, die sich durch das Reiten auf den Patienten übertragen, wird eine Lockerung muskulärer Verspannungen hervorgerufen, die Schulung der Stell- und Gleichgewichtsreaktionen, das Haltungs- und Bewegungsgefühl wird verbessert, sowie Koordination und Reaktion geschult und somit eine physische Verbesserung beim Klienten hergestellt.

(vgl. Jochheim/ van der Schoot 1981, S. 358)

Nicht nur durch den Faktor –Körper- wird die personale Integration gefördert, sondern auch dadurch, dass diese Art der Therapie positive „Nebenwirkungen“ auf die Psyche hat.

Reiten vermittelt dem körperlich behinderten Menschen ein Gefühl des Wohlbehagens und der leichten Entspannung. Querschnittsgelähmte z.B. spüren auf dem Pferd dessen schaukeligen Gang, der den Beckenbewegungen des gesunden Menschen ähnelt. Rollstuhlfahrer sitzen hoch auf dem Pferd und fühlen sich gleichberechtigt, denn sie müssen nicht, wie sonst für sie üblich, hinauf schauen. Sie können sich hier, wie ihre gesunden Reiterkollegen auch, genauso leicht und schnell fortbewegen.

(vgl. Mehls 1992, S.30)

Schnelle Erfolgserlebnisse die dem Patienten bewusst werden steigern deren Selbstvertrauen und den Willen mehr Erfolg zu haben und somit mehr Leistung zu erbringen. Die gewonnene Selbstsicherheit kann sich nicht nur auf das Reiten auswirken, sondern auch in anderen Lebensbereichen, da ihnen der Erfolg durch das Reiten zeigt, dass sie trotz ihrer körperlichen Beeinträchtigung etwas erreichen können. Somit wird die Persönlichkeitsentwicklung positiv beeinflusst. Der Patient entdeckt neue Interessen, seine Umwelterfahrung wird durch die neue Umgebung erweitert und darüber hinaus wird soziales Verhalten geübt, da sich die Therapie in einer Interaktion zwischen Therapeut, Pferd und Patient abspielt.

Laut Jochheim und van der Schoot wird die Motivation eines Patienten bei keiner anderen Therapie- Methode so erreicht wie bei der Therapie mir bzw. auf dem Pferd. So wird aus einer Therapie, die sich hauptsächlich um die Verbesserung der physischen Behinderung konzentriert, eine Therapie die „nebenbei“ die personale und soziale Integration der Klienten fördert.

(vgl. Jochheim/ van der Schoot 1981, S. 360)

Der Behindertenreitsport richtet sich an Menschen mit einer körperlichen oder geistigen Behinderung oder mit einer Sinnesschädigung. Das Hauptziel dieses Sports ist die soziale Integration geistig behinderter Menschen.

Diese Menschen können mit einer besonderen Ausstattung und Sicherung an dem Tuniersport der Reiterei teilnehmen. Für die meisten von ihnen stellt es kein Problem dar, das Reiten oder Fahren zu erlernen. Blinde Reiter nutzen akustische Hilfen, geistig Behinderte sowohl optische als auch Akustische. Auf den Rollstuhl Angewiesene lenken für ihre Bedürfnisse umgebaute Wagen. Selbst Schwerbehinderte können mit besonderen Hilfsmittel und gut geschulten Pferden am Reitsport teilnehmen.

Der Behindertenreitsport ist deshalb so besonders, da er eines der wenigen Sportarten ist, den Behinderte und Nicht- Behinderte gemeinsam ausüben können und mehr oder weniger gleichberechtigt gegeneinander in Turnieren starten können. (1976 war das erste Turnier im Reitzentrum Weißer Bogen, wo behinderten Reitern keine Gutpunkte gegeben wurden und sie somit in gleicher Konkurrenz zu den nicht- behinderten Reitern starteten (vgl. Vogel 1987, S. 32 f)). Somit bietet der Behindertenreitsport gute Voraussetzungen der sozialen Integration. Hier fühlen sich körperlich oder geistig behinderte Menschen nicht ausgeschlossen oder als Randgruppe, wie sie es so oft in unserer Gesellschaft erleben. Auch in diesem Bereich der Reittherapie gibt es eine Wechselwirkung zwischen personaler und sozialer Integration. Die personale Integration wird dadurch angesprochen, dass das Reiten den körperlich und geistig behinderten Teilnehmern Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen gibt, vor allem wenn sie wettsportlich Erfolg haben.

Genauso wie Nichtbehinderte erleben gehandicapte Menschen diesen Sport als befriedigendes, erfüllendes Hobby und als Möglichkeit zu sozialen Kontakten.

Zusätzlich bietet sich ein Ausgleich von behinderungs- bedingter Bewegungsarmut.

Beim Reiten erleben sie ungehinderte Bewegungsfreiheit auf "vier gesunden Beinen"

(vgl. http://www.dkthr.de/Therapie/Behindertensport.html, Stand 04/2006)

Das heilpädagogische Reiten/ - Voltigieren kann, eine pädagogische, psychologische, psychotherapeutische, rehabilitative und sozio-integrative Hilfe sein und ist somit die bestmögliche Förderung der personalen und sozialen Integration und eine vielseitige Unterstützungsmöglichkeit für die sozialen Arbeit. Die individuelle und soziale Entwicklung von verhaltensauffälligen, lern- oder geistig behinderten sowie psychisch kranken und abhängigen Menschen wird günstig beeinflusst und gefördert.

Kinder, Jugendliche und Erwachsene die diesen Problemen unterliegen, lernen den Umgang mit Ängsten und Frustrationen. Sie lernen Vertrauen aufzubauen, ihr Selbstwertgefühl zu verbessern und können sich somit besser selbst einschätzen. Positive Effekte im sozialen Verhalten werden sowohl durch den Umgang mit dem Pferd als auch durch das Erleben in der Gruppe erreicht. Teilnehmer lernen den Umgang mit Antipathien und Aggressionen ebenso wie koorperatives Verhalten.

(vgl. http://www.dkthr.de/Therapie/HPVR.html, Stand 04/2006)

Zusammenfassend ist zu sagen dass die sinnvollste Unterstützung der sozialen Arbeit, das heilpädagogische Reiten/ Voltigieren ist.

Es ist zielgemäß größtenteils auf das Klientel der sozialen Arbeit ausgerichtet und hat ähnliche bis gleiche Ziele. Außerdem wird es hauptsächlich von Menschen mit einer sozialpädagogischen Ausbildung (plus Zusatzausbildung zur Reittherapeutin) getätigt, so dass Vorerfahrungen und Vorwissen im sozialen Bereich vorhanden sind.

Dennoch wurden auch die anderen beiden Therapiebereiche genannt, da wie bereits erwähnt, der Übergang zu den anderen Bereichen fließend ist und bei ihnen auch andere, bereits genannte, Nebenziele, neben dem eigentlichen Hauptziel bestehen, die für die soziale Arbeit von Bedeutung sein können.

Somit besteht in allen drei Bereichen der Reittherapie eine Wechselwirkung zwischen der personalen und sozialen Integration, die dazu beiträgt dass der Mensch ganzheitlich angesprochen wird.

5. Die Rolle des Pferdes

Das Pferd ist ein Zeichen für Schönheit, Schnelligkeit und Freiheit. Deshalb lieben und bewundern die Menschen es. Es wird in der Werbung eingesetzt um Symbole wie Freiheit oder Schönheit darzustel­len und auf Postern und Bildern verewigt um das Zimmer oder die Wohnung zu verschönern.

Und in der Tat: Ein Pferd, das sich stolz trägt, ist etwas so Schönes, Bewunderns- und Staunenswürdiges, dass er aller Zuschauer Augen auf sich zieht. Keiner wird müde es anzuschauen, solange es sich in seiner Pracht zeigt.

(Xenophon aus Rettig 2005 S.6)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

„Pferde sind Ausdruck für Schönheit, Freiheit und Schnelligkeit“

Zudem ist das Pferd ein ästhetisches Tier, es frisst kein Fleisch und hat somit geruchsarmen Kot. Man verbindet im Wesentlichen nur Positives mit dem Pferd.

Weitere Gründe für das Ansprechen des Pferdes auf den Menschen begründet Scheidhacker mit der Verwandtheit der Instinktausstattung von Mensch und Pferd und den wesentlichen Entsprechungen in der Verhaltensorganisation und Interaktion. So könne der Therapeut an den Reaktionen des Pferdes auf den Menschen, der sich ihm nähert,

bereits dessen unbewussten Gefühlszustand erkennen. „So können die Reaktionen des Pferdes wie ein Spiegel unbewusster Seelenzu­stände erlebt und gedeutet werden“ (Scheidhacker 1995).

Klüwer ergänzt dies noch damit, dass der Mensch durch das Er­scheinungsbild des Pferdes, Nähe zu ihm empfindet. Die Größe un­terscheidet sich im Durchschnitt nur wenig, die Augen blicken sanft und starren nicht, und das Gesicht ist ebenso aufgebaut, wie das des Menschen.

Dies spreche gemeinsam mit dem edlen Erscheinungsbild des Pferdes den Menschen an (vgl. Klüwer 1995).

Außerdem bieten Pferde vielfältige Möglichkeiten an - wie z.B. beobachten, pflegen, füttern, reiten, schmusen – die sie besonders begehrt machen und liebenswert erscheinen lassen.

In der Therapie ist es immer abhängig vom Patienten und dessen Situation, welche Rolle das Pferd einnimmt. Dies zu entscheiden

liegt in der Verantwortung des Therapeuten.

5.1 Das Beziehungserleben zum Pferd

Um Kinder oder Jugendliche richtig zu sozialisieren und ihnen Lebenswichtiges zu vermitteln, müssen Erzieher auf die zu Erziehenden oder deren Eltern auf die Heranwachsenden Einfluss nehmen.

Die Einflussnahme geschieht auf 3 Ebenen:

Zum einen die Inhaltsebene, hier wird das „was“ abgehandelt. Zum Zweiten die Methodenebene, also das „wie“ und zum Dritten die Beziehungsebene, in der das Verhältnis zueinander gestaltet wird. Bei der Gestaltung neuer Beziehungen (Beziehungsebene) befasst man sich mit Kommunikation, Signalen, Wahrnehmungen, emotionalen Interpretationen und Reaktionen, im Beziehungsaspekt werden alle übrigen Inhalte der Kommunikation bestimmt und diese verstehbar gemacht. (vgl. Gäng 2004, S. 165 aus Watzlawick et al. 1974)

Für Watzlawick et al. (1974) ist die Beziehung das zentrale Thema der Kommunikation zwischen Mensch und Tier. (Gäng 2004, S. 167)

Das Pferd fordert durch seinen „hohen Aufforderungscharakter“ auf­grund mannigfacher individueller Körper- und Verhaltenssignale emotionalen Ursprungs den Menschen geradezu zu einer zwischen­menschlich-ähnlichen Beziehungen heraus.

Außerdem herrscht zwischen Mensch und Tier eine tiefe Verbundenheit, die nicht zuletzt auf kulturhistorische und religiöse Wurzeln zurückzuführen ist. Menschen können Beziehungen zu Tieren aufbauen, die denen zu anderen Menschen qualitativ gleichen. Dies stellt eine Voraussetzung zur Nutzung von Tieren als therapeutisches Medium dar. Das Pferd hat historisch wohl neben dem Hund die engste Verbindung zum Menschen und ist aufgrund seiner besonderen physischen und psychischen Beschaffenheit ein idealer Therapiepartner.

(vgl. http://www.ipsis.de/themen/thema_reiten.htm, Stand 04/2006)

Das Pferd vermittelt seine Beziehungsinhalte in Zuwendungen und Abgrenzungen, durch seine Eindeutigkeit und Offenheit.

( Gäng 2004, S. 168)

Lässt sich der Mensch auf diese Beziehung ein, kann das Pferd für ihn Kamerad, Freund oder Partner sein, mit dem er gemeinsam aktiv sein kann.

(vgl. Gäng 2004, S. 168)

5.2 Das Pferd als Partner

Das Besondere am Pferd ist, dass es im Gegensatz zum Menschen keine Vorurteile dem Anderen gegenüber hat; denn es hat keine Vor­stellung davon, was „normal“ ist und was nicht. Es macht sich keinen Eindruck und bildet sich kein Urteil, selbst wenn das Gegenüber mal nicht so „nett“ zu ihm ist. Das wird von Außenseitern, „Randgruppen“ und Verhaltensauffälligen geschätzt, da sie so akzeptiert werden wie sie sind, sie werden vom Pferd nicht ausgeschlossen oder komisch angeguckt, sie werden einfach angenommen. Das Pferd stellt ein Partner dar, nicht einen „Therapeuten“

(Wenz, Seminar WS 2005/2006))

Das Pferd erlaubt fast uneingeschränkten Körperkontakt durch und zu Anderen. Es ist in der Lage, Stimmungen (wie z.B. Angst) zu erkennen und darauf einzugehen (Bsp. aus einer Therapiestunde auf dem Feuler Hof: Ein geistig behinderter Mann rutschte im Trab zur Seite, das Pferd merkte das und ohne Befehl durch den Therapeuten fiel es in den Schritt so dass der Mann sich wieder hochziehen konnte).

Durch die Zuwendung vom Pferd, die es durch Blickkontakte, Körper­kontakte, Wärme etc. zeigt, empfinden die Menschen zum Beispiel Akzeptanz, Wertschätzung und Zugehörigkeit.

Durch die Abwendungen, die Pferde durch „sich Abwenden“, Widerstand oder Scheuen zeigen, erlernen Menschen Grenzen zu akzeptieren und respektvoll mit dem Gegenüber umzugehen. Allerdings sollte die Zuwendung und nicht die Abgrenzung überwiegen, da sonst im Menschen Ängste oder Aggressionen freigemacht werden können, die der Therapie mit dem Pferd entgegenwirken.

(vgl. Gäng 2004, S.170 f)

Des Weiteren ist die Bewegung auf dem Pferderücken ambivalenter Natur: Sie verbindet das Getragenwerden mit dem Hinwegtragen, die Sicherheit mit der Gefahr.

Ein für die Therapie ausgebildetes Pferd ordnet sich dem Menschen unter. Die Erfahrung, ein so großes Tier lenken und in Maßen kontrollieren zu können, stärkt das Selbstvertrauen und die Selbstsicherheit bei Kindern oder geschädigten Erwachsenen.

Durch den positiven Bezug, den allgemein Menschen zum Pferd haben, eignet sich fast jede menschliche („Rand- oder Problem“) Gruppe zur Therapie mit Pferden, insbesondere zum Heilpädagogischen Reiten/- Voltigieren.

6. Menschen mit einer geistigen Behinderung

Es gibt nur eine Art und Weise, eine andere Kultur zu verstehen. Sie zu leben. In sie einzuziehen, darum zu bitten, als Gast geduldet zu werden, die Sprache zu lernen. Irgendwann kommt dann vielleicht das Verständnis. Es wird dann immer wortlos sein. In dem Moment, indem man das Fremde begreift, verliert man den Drang, es zu erklären. Ein Phänomen erklären heißt, sich davon zu entfernen.

Wenn ich anfange, mit mir selber oder den anderen von Qaanaaq zu reden, habe ich fast wieder verloren, was nie richtig mein gewesen ist.

Wie jetzt auf seinem Sofa, wo ich Lust habe, ihm zu erzählen, weshalb ich an die Eskimos gebunden bin. Dass es mit ihrer Fähigkeit zu tun hat, ohne jeden Zweifel zu leben in dem Wissen, dass das Dasein sinnvoll ist. Dass es mit der Art und Weise zu tun hat, wie sie in ihrem Bewusstsein mit unvereinbaren Gegensätzen leben, ohne an deren Widersprüchen zugrunde zu gehen oder nach einer vereinfachenden Lösung zu suchen. Dass es mit ihrem kurzen, kurzen Weg zur Ekstase zu tun hat. Weil sie einem Mitmenschen begegnen und ihn so sehen können, wie er ist, ohne ihn zu bewerten und ohne ihren klaren Blick durch Vorurteile trüben zu lassen.“ (Hoeg 1994, S. 199 f aus Wehrmann 2001, S.1.)

In diesem Zitat wird über die Inuit, einer Randgruppe der dänischen Gesellschaft, geschrieben. Es gibt eine auffallende Parallele zu den Menschen mit geistiger Behinderung; denn auch sie gelten als eine der Randgruppen in unserer Gesellschaft. Sie gelten als teuer, auf­wändig und defizitär. In ihnen wir das Fremde, Unbekannte und auch etwas Beängstigendes gesehen. Man beschreibt Menschen mit geisti­ger Behinderung teilweise als unberechenbar und sieht sie als etwas an, was man selber niemals sein will.

In dem oben zitierten Text wird davon berichtet das die Inuit eine be­sondere Lebenseinstellung haben, nämlich die „ohne jeden Zweifel zu leben, in dem Wissen, dass das Dasein sinnvoll ist“.

Und doch ist gerade ihr auffälliges Verhalten und die oftmals psychi­schen Erkrankungen, die Menschen mit einer geistigen Behinderung häufig als Zweiterkrankung haben, Beweis dafür, dass sie um die Sinnhaftigkeit ihrer Existenz kämpfen müssen, dass sie auf sich selbst aufmerksam machen müssen und oft ihren Lebenssinn in sich selbst suchen, entdecken und stiften. Und eben dies stößt bei vielen Nicht-Behinderten auf Unverständnis und Ärger.

(vgl. Krebs 1983, Heft 30, S.1653 ff; Wehrmann 2001, S. 2 f)

6.1 Was bedeutet geistige Behinderung?

Wenn man den Begriff der geistigen Behinderung genauer definieren will, muss man sich in erster Linie fragen, was überhaupt eine „Behinderung“ ist. Laut Dr. Med. Gerhard Neuhäuser versteht man unter Behinderung alle angeborenen oder früh erworbenen Störungen, welche die Entfaltung der körperlichen, geistigen und sozialen Fähigkeiten eines Menschen in irgendeiner Weise beeinträchtigen.

(vgl. Neuhäuser 1982, S. 3)

Otto Speck versteht unter Behinderung einen komplexen Begriff, der sich aus verschiedenen Teilbegriffen zusammenfügt:

aus organischen Schädigung (Zentralnervensystem),

aus individuellen Persönlichkeitsfaktoren und

aus sozialen Bedingungen und Einwirkungen.

( vgl. Speck 1999, S. 39)

Die Definition der - geistigen Behinderung - wird von medizinischen, psychologischen, soziologischen und pädagogischen Kriterien bestimmt und ist eher unterschiedlich. In der Vergangenheit wurde der Begriff „Blödsinn“, „Idiotie“ und „Schwachsinn“ bzw. „Geistesschwäche“ für Menschen mit einer geistigen Behinderung verwendet und das nicht mit negativer Absicht. Erst mit der Zeit wurden diese Worte missbraucht und zu einer Abwertung benutzt.

Laut Heinz Bach wird unter geistiger Behinderung in der Gegenwart -verschiedenes - verstanden und so ist es schwer, diesen Begriff genau zu definieren bzw. festzulegen.

Das Wort „geistige Behinderung“ hat sich daher durchgesetzt, da es nicht nur durch „Nichtbetroffene“, sondern in erster Linie durch Angehörige von Betroffenen (also Mitbetroffene) und Betroffenen selber geprägt wurde. Betrachtet man den Menschen ganzheitlich, muss man den Begriff „geistige Behinderung“ aus verschiedenen Sichtweisen definieren. (vgl. Bach 2001, S.5 f)

Medizinisch und psychologisch orientierte Definitionen sprechen von einer Minderung oder Herabsetzung der maximal erreichbaren Intelligenz. Die WHO unterscheidet zwischen leichter, mittlerer und schwerer geistiger Behinderung und durch die International Classification of Diseases (ICD-10) wird dieses Phänomen als „eine sich in der Entwicklung manifestierende, stehen gebliebene oder unvollständige Entwicklung der geistigen Fähigkeiten mit besonderer Beeinträchtigung von Fertigkeiten, die zum Intelligenzniveau beitragen, wie z.B. Kognition, Sprache, motorische und soziale Fähigkeiten“ bezeichnet (ICD 10, S. 238)

(vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Geistige_Behinderung, Stand 04/2006)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

((Grafik 3) Nach der 10. Revision der ICD, WHO, 1992 aus http://www.bkjpp.de/forum/for398/forum398.htm, Stand 04/2006)

Weiterhin ist aus medizinischer Sichtweise die Schädigung des Gehirns von zentraler Bedeutung, welche verschiedene Körperfunktionen in Mitleidenschaft ziehen kann.

Dem soziologischen Ansatz zufolge ist eine Behinderung eine Folge der sozialen und gesellschaftlichen Bedingungen. Cloerkes definiert es folgendermaßen als: „(…)dauerhafte und sichtbare Abweichung im körperlichen, geistigen oder seelischen Bereich, der allgemein ein entschieden negativer Wert zugeschrieben wird.“ (Cloerkes 2003, S.42 aus Cloerkes 2001, S.7). Eine Behinderung kann demnach immer auch ein Gesellschaftsprodukt sein.

Nach dem pädagogischen Ansatz, liegt laut Haeberlin „…nur dann eine Behinderung vor, wenn der Erziehungsprozess behindert wird" (Haeberlin 1992, S. 30). Der deutsche Bildungsrat (1997) bezeichnet als „behindert“ im erziehungswissenschaftlichen Sinne, (…) alle Kinder, Jugendlichen und Erwachsnen, die in ihrem Lernen, im sozialen Verhalten, in der sprachlichen Kommunikation oder in den psychomotorischen Fähigkeiten soweit beeinträchtigt sind, dass ihre Teilhabe am Leben der Gesellschaft wesentlich erschwert ist (…). (http://www.hrf.uni-koeln.de/sitenew/content/arbeitreha/files/AmtlicheDefinitionenvonBehinderung.pdf)

Nach Aussage der American Association on Mental Deficiency handelt es sich um – significantly subaverage general intellectual functioning existing concurrently with deficits in adaptive behavior and manifasted during the developmental period-.

(Neuhäuser 1982, S. 77)

Auch demnach ist die geistige Behinderung nicht nur auf intellektuelle Leistungen zu beziehen, sondern auch auf Anpassungsfähigkeiten und soziale Funktionen.

Dies ist nur eine Aufreihung von Definitionen nach verschiedenen Ansätzen - eine einheitliche Definition gibt es nicht. Was wir zu wissen scheinen ist, dass ein geistig behinderter Mensch meistens einen IQ unter 70 hat, sein Lernverhalten eingeschränkt ist und seine Entwicklung anders verläuft und deutlich langsamer als die eines Menschen ohne eine geistige Behinderung. Geistige Behinderung ist also keine einheitliche Störung – keine Krankheit.

( vgl. Krebs 1983, S.1653)

Wichtig ist auch zu erwähnen, dass ein geistig behinderter Mensch zwar intellektuell eingeschränkt ist, dadurch jedoch keine eingeschränkten Wesenzüge hat. Er hat genauso die Fähigkeit Freude zu empfinden oder sich wohl zu fühlen wie ein nicht geistig behinderter Mensch. Er kann auf seine Art – wie jeder von uns – seine Zufriedenheiten und Kümmernisse, seine Fröhlichkeiten, seine Trauer und seine Vorlieben zeigen und leben.

Mit einer speziellen Förderung können die meisten geistig behinderten Menschen lernen, ein Leben zu führen, welches ihren Bedürfnissen gerecht wird.

Es ist noch zu erwähnen, dass bei dem Versuch „geistige Behinderung“ zu beschreiben, man sich immer bewusst sein sollte, dass man dabei dem Wesen eines Menschen niemals gerecht werden kann. ( vgl. Kaune 1993, S. 17)

6.1.1 Das Erscheinungsbild einer geistigen Behinderung

Da „geistige Behinderung“ keine Krankheit ist, ist es genauso schwierig ein genaues Erscheinungsbild, bzw. Symptome zu erläutern, wie den Begriff an sich zu definieren. Als Merkmale einer geistigen Behinderung kann man u.a. physische Abweichungen beschreiben, wie:

Kleinwüchsigkeit

Unterdurchschnittliche Kopflänge

Kleinköpfigkeit oder extreme Großköpfigkeit

Weiter Augenabstand

Extrem niedrige Stirn

Gesichtsentstellungen

Zahnstellungsanomalien usw.

Diese Angaben kann man jedoch nicht als eindeutige Symptome bzw. als eindeutiges Erscheinungsbild für einen geistig behinderten Menschen nehmen, da sie nicht immer auftreten, vor allem nicht immer alle auf einmal und andererseits auch bei Menschen ohne geistige Behinderung auftreten können. Es sind lediglich physische Erscheinungsformen, die häufig bei der betroffenen Gruppe zu beschreiben sind. (vgl. Bach 2001, S.12)

Weiterhin kann man sagen, dass der geistig Behinderte durch sein Lernverhalten und durch seine Entwicklung geprägt ist, welches deutlich hinter der am Lebensalter orientierten Erwartung liegt und sich an der Anschauung seiner Wahrnehmung orientiert. Seine Konzentration und das Verarbeiten und Speichern von Lerninhalten ist begrenzt. Abstraktionsfähigkeit, Symbolisierung - vor allem sprachlich – kritisch distanziertes Erwägen, Urteilen und Planen unterliegen erheblichen Beeinträchtigungen.

( vgl. Krebs 1983, S. 1653)

Auch das Anpassungsvermögen und die soziale und emotionale Reife sind beeinträchtigt. Dieses beeinflusst nicht die Fähigkeit, Gefühle zu empfinden wie z.B. Freude, Wut oder Leid, jedoch zum Teil die Fähigkeit, mit diesen Gefühlen umzugehen und sie (lautsprachlich) zu kommunizieren.

Aber auch diese Beschreibung ist nicht bei jedem geistig behinderten Menschen zutreffend und vor allem unterschiedlich abzuwägen.

6.1.2 Ursachen

Nur bei ca. 50% der Betroffenen kann eine genaue Ursache für die geistige Behinderung festgestellt werden, bei den anderen 50% können keine genetischen oder organischen Ursachen nachgewiesen werden. Wen man von medizinischer Sicht ausgeht, ist laut Harbauer (aus Bach 2001, S.10) …eine Einteilung nach äthiologischen Gesichtspunkten optimal. Er unterscheidet zwischen chromosomal verursachten (ca. 15- 20%), metabolisch- genetisch verursachten (ca. 7- 10%), ätiologisch unklaren (ca. 50%) und exogenen Formen (ca. 20%) geistiger Behinderung.

(vgl. http://www.sonderpaed-online.de/staats/erste/kap1.htm, Stand 04/2006; Bach 2001, S.10)

6.1.2.1 Chromosomenanomalien

Die bekanntesten angeborenen Behinderungsformen sind die Chromosomanomalien.

Die Anzahl und Struktur der Chromosomen sind verändert à Chromosomenabberationen.

Bedingt durch die Vermehrung der genetischen Substanz infolge Vorkommens überzähliger Chromosomen bzw. Chromosomenbruchstücken entstehen z.B Trisomie- Syndrome (die bekannteste ist die Trisomie 21, auch bekannt unter „Mongolismus“)

(vgl. http://www.sonderpaed-online.de/staats/erste/kap1.htm, Stand 04/2006; Neuhäuser 1982, S. 85 ff)

6.1.2.2 Metabolisch- genetische Ursachen

Metabolisch- genetische Ursachen beziehen sich in erster Linie auf den „vererbten“ Stoffwechsel.

Dabei können folgenden Stoffwechselerkrankungen gemeint sein:

Störungen des Aminosäurestoffwechsels

Störungen des Kohlenhydratstoffwechsels

Störungen des Fettstoffwechsels

(vgl. http://www.sonderpaed-online.de/staats/erste/kap1.htm, Stand 04/2006; Neuhäuser 1982, S. 85 ff)

6.1.2.3 Ätiologisch unklare Ursachen

Bei ca. 50% aller geistigen Behinderung ist die Ursache ätiologisch unklar, d.h. die Ursache kann nicht nachgewiesen werden und somit kann weder eine erkennbare somatische Anomalie noch eine Stoffwechselerkrankung gefunden werden. Genauso fehlt häufig die Angabe eines schädigenden Umwelteinflusses.

Geistige Behinderungen die keine klare Ursache haben, sind z.B. die Wilsonsche Krankheit, Tuberöse Sklerose, Neurofibromatose, Rett-Syndrom.

(vgl. http://www.sonderpaed-online.de/staats/erste/kap1.htm, Stand 04/2006; Neuhäuser 1982, S. 85 ff)

6.1.2.4 Exogene Formen

Bei ca. 20% aller Fälle sind Einflüsse von außen für eine geistige Behinderung verantwortlich, welche während oder nach der Geburt passiert sein können. Das können z.B.

Pränatale Schädigungen, wie

Infektionen (z.B. Virusinfektionen, Syphilis, Rötelnembryopathie)

Chemische Einflüsse wie z.B. Medikamente (z.B. Contergan-Schädigung) und Alkohol (Alkoholembryofetopathie),

Strahlen,

misslungene mechanische Schwangerschaftsunterbrechung,

Störungen der Schwangerschaft (z.B. Dysfunktion der Gebärmutter, mütterliche Erkrankungen, Mangelernährung),

Frühgeburtlichkeit,

Blutgruppenunverträglichkeit (Rhesus-Faktor-Unverträglichkeit beim Zweitgeborenen)

oder Perinatale Schädigungen, wie

Geburtstrauma (z.B. Hirnblutung)

Sauerstoffmangel (z.B. Hypoxisch-ischämische Encephalopathie)

Frühgeburt

Blutgruppenunverträglichkeit (s.o.)

oder Postnatale Schädigungen, wie

entzündliche Erkrankungen des ZNS (z.B. Meningitis, Encephalitis, Meningocephalitis)

chemische und physikalische Einwirkungen (z.B. Sauerstoffmangel, Störungen des Salz-Wasser-Haushaltes, schwere Verbrennungen, Unterkühlung)

Schädel-Hirn-Trauma

Hirntumore

sein (vgl. http://www.sonderpaed-online.de/staats/erste/kap1.htm, Stand 04/2006; Neuhäuser 1982, S. 85 ff)

Zusammenfassend ist zu sagen, dass es noch eine weitere er­hebliche Zahl von Ursachen gibt, die eine geistige Behinderung auslösen oder beeinflussen können und dass es überhaupt immer zwei­felhafter wird, ob man von einer bestimmten Ursache für die ver­schiedenen Erscheinungsweisen der geistigen Behinderung sprechen kann oder ob nicht in jedem Falle verschiedene Fak­toren für die Behinderung verantwortlich sind.

6.1.3 Auswirkungen

Durch die vielen Beeinträchtigungen, die geistig behinderte Menschen mit sich tragen, sei es ihre Behinderung selbst oder die „Behinderung“ von außen, ist auch ihre Lebenssituation in der Regel durch individuelle behinderungsspezifische Probleme gekennzeichnet, wie z.B. die Interaktion und Kommunikation, das Lernverhalten, ihre Entwicklung und auch ihr Stand in der Gesellschaft und viele mehr.

6.1.3.1 Der geistig behinderte Mensch in der Gesellschaft

Gesellschaft bezeichnet das geordnete und bewusst organisierte Zusammenleben und -handeln der Menschen, in der Soziologie „das Soziale“ als System oder als prozessartiges Geschehen. Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthaltenAbbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Eine Gesellschaft ist also eine Gruppe von Menschen die zusam­menleben. Eine Gruppe mit verschiedenen Menschen, religiös ver­schieden, äußerlich verschieden und gar innerlich verschieden. Und doch gibt es Gruppen die zu „Verschieden“ sind. Dazu zählen unter anderen die geistig behinderten Menschen.

In unserer Gesellschaft herrschen Wertvorstellungen wie Schönheit, Gesundheit, „Jung sein“, „intelligent sein“ usw.

Diese Wertvorstellungen haben sich zu Idealbildern heraus­kristalli­siert. Diesem Idealbild entsprechend werden Menschen miteinander verglichen und ihr Wert gegeneinander abgewogen. Durch diese Vergleiche werden automatisch Abstufungen geschaffen in denen es Menschen gibt, die das Ideal verkörpern und welche, die weit unter diese Norm gestellt werden. Der Einzelne, der dem Ideal nicht an­nähernd entspricht, wird somit einer Gruppe zugeordnet. Dazu ge­hören auch geistig behinderte Menschen. (vgl. Stolk/ Egberts 1990, S. 9 ff). Vor ihnen haben viele Menschen Angst; Angst vor ihrem Ver­halten, ihrem Aussehen und vor allem davor, selbst einmal behindert sein zu können. Von den nicht behinderten Menschen wird das Thema „Geistige Behinderung“ genauso tabuisiert wie das Thema „Tod“.

Traditionsgebundene Vorstellungen von der „Andersartigkeit“ der geistig Behinderten werden den Menschen schon während ihrer Sozialisation ins Bewusstsein geprägt. (vgl. Cloerkes 1985, S. 46 ff) Die Reaktionen Nichtbehinderter auf geistig Behinderte sind dann oftmals unsicher. Geistig Behinderte sind kaum, beziehungsweise selten Bestandteil unseres Alltagslebens und man hat kaum Kennt­nisse über ihr Leben. "Oftmals schwirren diffuse Vorstellungen in den Köpfen herum und durch Fehlinformationen, sporadische Kenntnisse und überkommenes Gedankengut entstehen Vorurteile." (Hemm, 1998, S.6) Für uns "Nichtbehinderte" wird dann "Behindert sein" als großes Leid empfunden und den betroffenen Menschen wird mit großer Distanz begegnet. Doch gerade Mitleid ist das, worauf behin­derte Menschen „allergisch“ reagieren. Für sie ist es leichter, Ableh­nung zu ertragen, als Mitleid; denn mit einer offenen Ablehnung können sie sich auseinandersetzen und sie bekämpfen. Mitleid hingegen ist nur eine andere Form von Ablehnung, die eine Aus­einandersetzung unmöglich macht. (vgl. Strüver 1992, S. 29 f)

Hinzu kommt, dass geistig behinderte Menschen in vielen Lebens­lagen auf Hilfe angewiesen sind und in speziellen Sondereinrich­tungen, beziehungsweise Fördereinrichtungen (Sonderkindergärten, Sonderschulen, Werkstätten etc.) betreut werden, in denen sie lernen und arbeiten können. Diese Betreuung erfolgt meist ganztägig, wo­durch es im Schul- oder Arbeitsalltag und darüber hinaus zwangs­läufig nicht zu Kontakten zwischen Behinderten und nicht behinderten Menschen kommen kann. Der behinderte Mensch aber ist gezwun­gen, sein Leben in einem engeren Lebenskreis, im gleich bleibenden Rhythmus, im gewohnten Raum zu führen. Durch diese Kontakt­vermeidung können sich das Interesse, das Wissen und die mensch­liche Erfahrung nicht entwickeln. Diese Menschen werden dadurch zunehmend verunsichert. E. Klee schreibt: Indem die Behinderten aus dem Alltag verbannt werden, aus den Verkehrsmitteln, aus dem Freizeitbereich, verarmt das menschliche Leben, werden wir des Vergleichs beraubt(…).

(aus Strüver 1992, S. 29)

Im Bereich der Behindertenpädagogik, in der Politik und vielen anderen Bereichen wird immer über die Integration von behinderten Menschen in die Gesellschaft geredet. Strüver stellt sich zu diesem Thema die Frage, ob es nicht viel wichtiger sei, die nicht behinder­ten Menschen in die Welt der Behinderten zu integrieren. (vgl. Strüver, S.29)

6.1.3.2 Kommunikation und Interaktion

„Mitmenschliches Leben ist immer auch Zusammenleben mit anderen.“ (Speck 1999, S.117)

Im Bereich der Kommunikation und Interaktion unterliegen geistig Behinderte laut Untersuchungen zu ca. 78% einer Störung, welche nicht nur auf die Behinderung zurückzuführen ist, sondern auch auf deren Sozialisation und deren Gesellschaftliche Stellung. (vgl. Speck 1999, S. 124)

Doch was ist überhaupt Kommunikation und Interaktion? Otto Speck definiert Kommunikation folgendermaßen: „…als das System und der Prozess des interpersonalen Inbeziehungtretens, bei dem es um den Austausch von Informationen und um die Verständigung über Be­deutung, Erwartungen, Intentionen und Normen geht“ (vgl. http://webdoc.gwdg.de/ebook/fk/2002/pub/erz/prom.pdf, Stand 06/2006)

Interaktion ist jede Form von wechselseitiger Bezugnahme von zwei oder mehreren Personen (auch Gruppen).

Die beiden Begriffe beschreiben das, was wir „nicht geistig Behin­derte“ als normal und selbstverständlich, als alltäglich und als unver­zichtbar ansehen.

Bei geistig behinderten Menschen wird schon die erste und elemen­tare interaktionale Erfahrung, die das Kind mit Mutter und Vater als seinen primären Bezugspersonen macht, erschwert, da der begin­nende soziale Wechselwirkungsprozess durch den Schock, den die Eltern erleben, zunächst schwer belastet ist. Die Zuneigung, die die Mutter dem Kind affektiv entgegenbringt ist evt. blockiert und somit die Kommunikation verdünnt. So kann es passieren, dass durch die verminderte Zuwendung dem Kind gegenüber die Motivation zum Kommunizieren gehemmt ist. ( vgl. Speck 1999, S. 118 f)

Des Weiteren scheitert die „normale“ Kommunikation wie wir sie verstehen, an der fehlenden Sprachentwicklung und an dem breiten Spektrum der Sprach-, Sprech-, Redefluss-, und Stimmstörungen, die einen Teil ihrer Behinderung ausmachen. Für einen geistig behin­derten Menschen bedeutet Kommunikation gleich eine Leistung zu erbringen um verstanden zu werden und sich mitteilen zu können. Denn auch Aufnahme und Verarbeitung von Informationen, die durch die fehlende Aufmerksamkeit erschwert ist, schränken die Interaktion zu anderen ein.

Hinzu kommt die nonverbale Kommunikation, die durch Mimik, Aus­druck und Gestik gekennzeichnet ist und den größten Teil unseres kommunikativen Verhaltens ausmacht. Auch sie ist bei geistig Behin­derten beeinträchtigt, denn bei ihnen sind einzelne Verhaltensweisen situations- und stimmungsabhängig und lassen so für den Kommuni­kationspartner teilweise eine sinnvolle Aussage verlieren.

( vgl. Wieland 1984, S. 104 f)

Zudem haben geistig Behinderte, aufgrund der gesellschaftlichen Situation, nur wenig Gelegenheit zur informellen Gruppenbildung und Kommunikation. Sollte diese jedoch gegeben sein, kommt die er­schwerte Kommunikation, durch die genannten Probleme, zu einem „Nicht- behinderten- Menschen“ hinzu, die stark belastend sein und zu Verhaltensunsicherheiten, Orientierungslosigkeit und Distanzie­rung führen kann.

6.1.3.3 Entwicklung und Lernverhalten

Unter Entwicklung versteht man im Allgemeinen einen Prozess der Entstehung, der Veränderung bzw. des Vergehens. Auch das Lernen gehört zu der Entwicklung dazu: Unter Lernen versteht man jede relativ überdauernde Veränderung des Verhaltenspotentials, die durch Übung (Wiederholung, Training) oder durch Beobachtung zu­stande kommt…. (Bredenkamp/ Wittich 1977, S. 19 f aus http://www.psychologie.uni-trier.de/personen/smecklenbraeuker/veranstaltungen/lern.pdf, Stand 04/2006)

Bach setzt das Lernverhalten von geistig behinderten Menschen als zentrale „Zuschreibung“ für die „geistige Behinderung“ voraus:

„Als geistig Behindert gelten Personen insofern und solange, als ihr Lernverhalten nicht nur vorübergehend wesentlich hinter der am Lebensalter orientierten Erwartung liegt und durch ein Vorherrschen des anschauend vollziehenden Aufnehmens, Verarbeitens und Speicherns von Lerninhalten und einer Konzentration ihrer Lern­interessen auf direktes Bedürfnisbefriedigung Dienendes gekenn­zeichnet ist.“ (Bach 1979, S.5)

Bei dieser Auffassung ist das Lernen im Allgemeinen gemeint - das Lernen von Sprache, Motorik, Sozial­kompetenz und vieles mehr. Dafür benötigt der geistig behinderte Mensch (und seine Familie die ihn sozialisiert, erzieht usw.) (Sonder-) pädagogische Hilfe, wie etwa Frühförderung und Weiteres.

Über die Entwicklung eines geistig behinderten Menschen gibt es zwei Theorien - die Entwicklungstheorie und die Defekt- bzw. Distanztheorie.

Die Entwicklungstheorie besagt, dass ein geistig behinderter Mensch die gleichen Entwicklungsstufen durchlebt wie ein Nicht-Behinderter, dass dabei jedoch das Entwicklungstempo stark vermindert ist. Das aber heißt, dass geistig Behinderte und Menschen ohne Behinderung, die sich im gleichen Intelligenzalter be­finden, nicht aber im gleichen kalendarischen Alter, das gleiche Ver­halten zeigen müssten, was aber nicht so ist. Dieses wird mit einer unterschiedlichen Ausprägung der Motivation erklärt, welche wiederum durch die unterschiedlichen Lebensbedingungen, die geistig- und nicht- geistig – Behinderte in unserer Gesellschaft machen, erklärt wird.

Die Defekttheorie hingegen besagt, dass bestimmte kognitive Prozesse während der Entwicklung eines geistig behinderten Menschen nicht durchlaufen werden.

Der Differenztheorie zu Folge heißt es, dass sie nur im geringen Maße durchlaufen werden.

(vgl. http://homepage.ruhr-uni-bochum.de/Sven.Bielski/Entwicklungsverlauf.htm, Stand 04/2006)

Definitiv kann man sagen, dass geistig Behinderte eine andere Entwicklung durchleben als Nicht- geistig Behinderte. Durch die Verschiedenartigkeit der geistigen Behinderungen die es gibt, kann man aber auch die Entwicklung der geistig behinderten Menschen nicht gleichsetzen. Sie ist durch verschiedene Komponente ihres Lebens bestimmt, sei es durch die Gesellschaftlichen Bedingungen, durch Kognitive, Physische oder Weitere.

Herman Hesse (aus Speck 1999, S. 116) bringt zum Thema Entwicklung zum Ausdruck (…) daß es bei der “Geformtheit des Menschen als Mensch“, und das ist Bildung als Zustand, daß es beim Finden seiner Bestimmung als Mensch nicht auf einen bestimmten Grad und Umfang der Leistungen ankomme, sondern darauf, daß der Mensch “sein Wesen, das ihm mitgegeben, so völlig und rein wie möglich in seinem Leben und Tun zur Darstellung bringe.“

Man kann also erkennen, dass die geistige Behinderung (was sie ausmacht und so wie sie von außen gesehen wird) sich in fast jedem Lebensbereich eines geistig behinderten Menschen widerspiegelt und diesen scheinbar erschwert. Durch diese Einschränkungen, brauchen (Schwerst-)Behinderte Hilfe und Unterstützung, vor allem im Bereich der Kommunikation, Erkundung von Körper, Psyche und Umwelt, der Lebensplanung und der Versorgung und in einigen anderen Be­reichen. Dies kann allerdings nur mit Selbstbestimmung seitens der Betroffenen geschehen, um ihnen Lebensqualität zu gewährleisten und ein selbstständiges Leben zu ermöglichen.

6.2 Lebensqualität und geistige Behinderung

Für Glatzer (1992) stellt Lebensqualität „… einen mehrdimensionalen Wohlfahrtsbegriff dar, der gute objektive Lebensbedingungen und ein hohes subjektives Wohlbefinden beinhaltet …“ (aus Wutzer/ Reichert 2000, S. 4). Mit objektiven Lebensbedingungen ist die Befriedigung nach Grundbedürfnissen wie Gesundheit, Persönlichkeitsentwicklung, intellektuelle und kulturelle Entfaltung durch Lernen, Arbeit und Qualität des Arbeitslebens, Zeitbudget und Freizeit, Verfügung über Güter und Dienstleistungen, physische Umwelt, persönliche Freiheitsrechte und Rechtswesen, sowie Qualität des Lebens in der

Gemeinde, gemeint.

Mit subjektiven Lebensbedingungen sind die „internen Ressourcen“ als Produzenten von Wohlbefinden bedeutsam. Diese stellen das Selbstbild, Weltbild, Selbstwertgefühl, Kompetenzen und Bewältigungsverhalten und die physischen Voraussetzungen eines Individuums dar. Mit positivem Wohlbefinden werden die Begriffe „Zufriedenheit“ und „Glück“ in Verbindung gebracht, Zufriedenheit als eher „kognitive Bewertung“ und Glück als „affektiven Zustand“. (vgl. Wutzer / Reichert 2000, S. 4 f)

Oft wird in dieser Hinsicht die Lebensqualität der geistig behinderten Menschen angezweifelt. Es wird sich häufig die Frage gestellt ob man mit einem beeinträchtigten Leben und der damit verbundenen Entbehrungen überhaupt ein „glückliches“ Leben führen kann. Die Antwort darauf ist, dass jeder Mensch Freude und Interessen finden kann und auf verschiedenste Weise und über verschiedene Lebensformen Lebensqualität und somit auch Glück finden kann, wie z.B. den sinnlichen Genuss an der Natur, Freundschaften und Liebe geistige Einsichten usw. (vgl. Speck 1998, S. 320 ff) Passend dazu ist Höffes (1993) Maxime: „Man erwerbe die Fähigkeit, mit Sinndefiziten zu leben; man übe sich in Frustrationstoleranz ein.“ Dies schließt eine Erfahrung des „großen Glücks“ durchaus nicht aus und reicht über die Beziehung zum Mitmenschen (Liebe) und zur Natur bis ins Göttliche hinein.“ ( aus Speck 1998, S. 322)

Wichtige Aspekte zu einer befriedigenden Lebensqualität sind Autonomie, also mit Selbstbestimmung und Entscheidungsfreiheit leben zu können, und Empowerment, d.h. die Möglichkeit zur Mitgestaltung und Einflussnahme auf dass was im privaten Leben geschieht, sowie die Mitbestimmung bei gesellschaftlichen Entscheidungen wie z.B. auf politischer Ebene. Auf diese Aspekte soll niemand verzichten müssen.

Abschließend ist zu sagen dass Menschen mit geistiger Behinderung genauso ein Verlangen nach Lebensqualität haben wie andere Menschen auch, sie haben dieselben Grundbedürfnisse und ein Recht darauf diese selbstbestimmt befriedigen zu können und somit ein glückliches Leben zu führen.

6.3 Die Rechtslage eines geistig behinderten Menschen

Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. So heißt es in Artikel 3, Absatz 1 der Grundrechte im Grundgesetz. Zuvor wird in Artikel 2 Ab­satz 1 und 2 eingeräumt, dass alle Menschen ein Recht auf die freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit und das Recht auf Leben und körper­liche Unversehrtheit haben. Weiter geht es mit Artikel 3, Absatz 3: Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benach­teiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behin­derung benachteiligt werden. (vgl. Stascheit 2004, GG Artikel 1-3)

Somit haben auch Menschen mit einer geistigen Behinderung ein Recht auf eine gleichberechtigte Teilnahme am öffentlichen Leben. Es gibt hierzu verschiedene Gesetze und Paragraphen, die das Recht der geistig behinderten Menschen in unserem Land schützen und bestimmen. Die besonderen sozialrechtlichen Regelungen zugunsten behinderter und von Behinderung bedrohter Menschen sind mit Wirkung ab 1. Juli 2001 durch das Neunte Buch des Sozialgesetzbuches (SGB IX) "Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen" neu geordnet worden. Laut diesem Gesetz sind Menschen geistig behindert „wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist“.

(Stascheit 2004, SGB IX § 2, Abs.1)

Behinderung wird im SGB IX in (Zehner-) „Graden der Behinderung“ (GdB) gemessen (§69 Abs. 1 Satz 3 SGB IX) Ab einem GdB von 50 gelten behinderte Menschen als „schwerbehinderte Menschen“. Besondere Regelungen zur Teilhabe schwerbehinderter Menschen (Schwerbehindertenrecht) sind im Teil 2 des SGB IX aufgeführt.

Das SGB IX ist u.a. Gesetzesgrundlage für Hilfen, die es behinderten Menschen ermöglichen, am Leben in der Gesellschaft und auch am Arbeitsleben teilzuhaben. Das sind Leistungen, die notwendig sind, um die „Behinderung abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern".

(vgl. Cloerkes 2003, S. 30 ff ; http://www.lebenmitbehinderungen.nrw.de/recht/bundesrecht.htm#sozial, Stand 04/2006).

Trotzdem gibt es immer noch genug behinderte Menschen, die sich (teilweise auch durch das Gesetz) benachteiligt fühlen. Dies kann zum Beispiel dann der Fall sein, wenn sie gegen ihren Willen in ein Heim aufgenommen werden müssen (z.B. aufgrund zu hoher Kosten für ambulante/teilstationäre Pflege), wenn sie gegen ihren Willen eine Sonderschule besuchen müssen, ihre private Lebensversicherung abgelehnt wird, oder gar wenn behinderten Frauen das Kind weggenommen wird, was für sie ein lebenslanges Leiden bedeutet. Die Diskriminierung behinderter Menschen ist also weiterhin keine seltene Ausnahme, sondern passiert nach wie vor.

( vgl. http://www.behinderte.de/ejmb2003/2003-hermes-benachteiligungen.htm, Stand 04/2006).

Um dem entgegen zu wirken trat am 1. Mai 2002 das Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen in Kraft (Behindertengleich­stellungsgesetz – BGG). Dieses Gesetz hat das Ziel, Gleichberech­tigung behinderter Menschen in allen Bereichen des öffentlichen und privaten Lebens zu erreichen. In Abschnitt 1, § 1, wird als Ziel des Gesetzes definiert, "(…)die Be­nachteiligung von behinderten Menschen zu beseitigen und zu verhindern sowie die gleichberechtigte Teilhabe von behinderten Menschen am Leben in der Gesellschaft zu gewährleisten und ihnen eine selbstbestimmte Lebensführung zu ermöglichen“. (vgl. Cloerkes 2003, S. 37 ff und http://www.lebenmitbehinderungen.nrw.de/recht/bundesrecht.htm#sozial, Stand 04/2006) Außerdem soll durch die Definition in §3 Absatz (1) „Behinderung ist jede Verhaltensweise, Maßnahme oder Struktur, die Menschen mit nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder seelischen Beeinträchtigungen Lebensmöglichkeiten nimmt, beschränkt oder erschwert.“ „ (…) ein aus Sicht der BAGH überein­kommender Behinderungsbegriff abgelöst werden, der „Behinderung“ als defizitäre Eigenschaft einer Person fasse und damit individuali­siere (Cloerkes 2003, S. 37)

Eine Entmündigung, eine Vormundschaft oder Gebrechlichkeitspfleg­schaft gibt es in Deutschland seit 1992 nicht mehr. Nur bei Zweifeln an der Fähigkeit zur selbständigen Lebensführung kann das zustän­dige Amtsgericht für die jeweilige Person eine Betreuung durch andere einrichten.

6.4 Zusammenfassung

Es ist festzuhalten, dass „geistige Behinderung“ ein schwer zu definierender Begriff ist und es keine allgemein gültige Definition dafür gibt. Dies ist aus wissenschaftlicher Sicht sicherlich nicht be­friedigend.

Speck (1999) bezeichnet geistige Behinderung (nach Thalhammer) auch als „kognitives Anderssein“ und Bach (2001) verwendet den Begriff „mentale Beeinträchtigung“ für geistige Behinderung. Beide Begriffe kommen der Beschreibung des Betroffenen schon sehr nah (wahrscheinlich näher als der Begriff „geistige Behinderung“), Jedoch aus Verständnisgründen und um dem Titel meines Diploms gerecht zu werden, werde ich weiterhin den Begriff - geistige Behinderung - verwenden.

Ähnlich schwer wie die Festlegung des Begriffes „geistige Behinde­rung“, ist die Beschreibung eines genauen Erscheinungs­bildes; denn geistige Behinderung ist keine Krankheit, der man Symptome und Erscheinungsbilder zuordnen kann. Es können lediglich äußerliche Merkmale beschrieben werden, die zur Bestimmung, ob ein Mensch geistig behindert ist oder nicht, dienen.

Bei der Zuschreibung der möglichen Ursachen einer geistigen Behin­derung muss man vorsichtig sein, um Klischees, Zuweisungen und Vorentscheidungen, besonders bei den exogenen Ursachen, zu ver­meiden, zumal man nur bei ca. 50% aller Betroffenen eine Ursache herausfinden kann.

Wenn man sich mit geistig behinderten Menschen beschäftigt, muss man sich darüber im Klaren sein, dass alle Menschen verschieden sind; keine zwei Menschen sind gleich, auch nicht zwei mit der gleichen Behinderung. Der Gedanke, der bei einigen Menschen in unserer Gesellschaft immer noch herumschwirrt, dass geistig behin­derte Menschen eigentlich keine vollwertigen Menschen sind und dessen Leben keine Lebensqualität mit sich bringt, findet seinen Ausdruck häufig im Umgang mit ihnen, im Platz, den sie in unserer Gesellschaft einnehmen und in den Rechten die ihnen zugestanden werden oder nicht zugestanden werden. Anstatt derartige Gedanken zu haben, sollte man diese Menschen ernst nehmen und das mit ihrer eigenen Art und Ausdrucksweise, selbst wenn sie uns manchmal unverständ­lich erscheint. Man sollte versuchen, sich in ihre Wahrnehmungen und Empfindungen einzufühlen, auch wenn sie schwer nachzuvollziehen sind. Schon der Versuch, zu verstehen, verändert die Qualität der Beziehungen und macht Integration möglich.

Im weiteren Verlauf dieser Arbeit gehe ich auf die Förderungsmög­lichkeiten geistig behinderter Menschen ein, insbesondere auf das heilpädago­gische Reiten mit geistig behinderten Menschen. Defizite können durch diese Art der Förderung zwar nicht vollkommen beseitigt werden, aber ich werde aufzeigen, wie man die Lebensqualität der Betroffe­nen steigern kann und welche Möglichkeiten geistig behinderte Menschen durch diese Förderung haben.

7. Förderungsmöglichkeiten

Geistige Behinderung beruht auf einer extremen, allgemeinen Beeinträchtigung der physisch- psychischen Gesamtentwicklung, die eine lebenslange besondere pädagogische und soziale Hilfe erforderlich macht. (vgl. Speck/ Thalhammer 1977, S. 100)

Durch gezielte (Früh-)Förderung der Kinder zu einem möglichst frühen Zeitpunkt, kann die geistige Entwicklung der Kinder unterstützt werden. Denn Kindheit ist die günstigste Zeit für eine Aufnahme von Umweltreizen, da hier die Geschwindigkeit der psycho-physischen Entwicklung am größten ist. Die Aufgabe der Früherziehung geistig behinderter Kinder besteht in der dem behinderten Kind angepassten, grundlegenden Förderung aller Teilbereiche seiner Entwicklung, also der Motorik, der Wahrnehmung, der Sprache, der Sozialität und der Emotionalität. (Speck 1977, S. 107)

Eine ganzheitliche Aufgabenstellung ist somit notwendig:

Erziehung soll auf die Förderung des ganzen Menschen gezielt sein, auch auf die Förderung seiner körperlichen Funktionen, der Senso- und Psychomotorik. Neben der pädagogischen Frühförderung und der Früherziehung, gibt es noch die Frühtherapie (ärztlich-therapeutisch), welche auf die Funktionstüchtigkeit des frühkindlichen Organismus zielt.

Die Arbeitsfähigkeit des Gehirns kann durch spezielle Übungen, die auf den Erkenntnissen der Neuropsychiatrie aufbauen, verbessert werden.

Frühförderzentren, Kindergärten und Schulen mit Integrationsgruppen bzw. -klassen, sonderpädagogische Zentren (wie Helferdienste die z.B. Integrationsarbeit durchführen) und Werkstätten für Behinderte sind weitere pädagogische Einrichtungen die Förderungen für geistig Behinderte anbieten und mit entsprechendem Personal, wie Sozial-, Sonder- und Heilpädagogen bereichert sind.

Hinzu kommt die Erwachsenenbildung, die in den letzten Jahren erheblich an Bedeutung gewonnen hat. Bei Dieser soll vorrangig das Sprachzentrum erweitert und Lesen und Schreiben gefördert werden, aber auch Lerninhalte vermittelt werden und vor allem persönlicher Austausch mit anderen stattfinden. (vgl. Speck 1998, S. 498 ff)

Geistig behinderte Menschen lernen vieles erst nach mehrmaligem Wiederholen und jahrelangem Training, da ihnen die unter anderem fehlende Konzentration und die beeinträchtigte Lernfähigkeit bei der Förderung, Schwierigkeiten bereitet. Üben und Wiederholen sind daher wichtige Aspekte für die Entwicklung ihrer geistigen Fähigkeiten. Die gleichen Tätigkeiten mit denen auch nicht behinderte Kinder, Jugendliche und Erwachsene ihre Umwelt begreifen, regen auch die Entwicklung geistig behinderter Menschen an.

( vgl. http://www.gesundheitpro.de/Geistige-Behinderung-Kinderkrankheiten-A050829ANONI013180.html#behandlung, Stand 04/2006; Speck/ Thalhammer 1977, S. 107 )

Um die Förderung bei geistig behinderten Menschen nicht nur „Stundenweise“ in der Woche zu absolvieren, ist es wichtig (vor allem bei Kindern) mit den Eltern zusammen zu arbeiten. Dabei gibt es zwei verschiedene Formen Elternbezogener Arbeit. Einmal die indirekte Form, bei der die Eltern die Kindförderung begleiten und zweitens die direkte Form, bei der Gespräche und Beratungen mit den Eltern stattfinden. Bei der ersten Form liegt der Schwerpunkt darin, Anregungen zur entwicklungsgemäßen Förderung und für den Umgang mit dem Kind zu geben. Bei der zweiten Form, der Direkten, liegt der Schwerpunkt darin, über Familiäre Probleme, die eventuell durch die Behinderung des Kindes entstehen, zu reden und darin, spezifisch fachliche Informationen zu vermitteln.

(vgl. Speck 1998, S. 474)

Neben den üblichen Förderungsmaßnahmen für geistig behinderte Menschen, gibt es mittlerweile auch ein großes Spektrum an „Sonder-“ förderungen. Das sind spezielle Fördermaßnahmen wie zum Beispiel die Musiktherapie, die zur Verbesserung der Lebensqualität eingesetzt wird und durch das gemeinsame Musizieren ihr Erleben verbessert, ihr Hören und Fühlen schult und Gemeinschaftserlebnisse ermöglicht. (vgl. http://fasaelu.com/rat.html, Stand 05/2006)

Oder die Mal- bzw. Kunsttherapie, die die Möglichkeit verschafft Gefühle und Bedürfnisse auszudrücken oder Weitere wie die Spieltherapie, die Caintherapie (mit Hunden), Therapie durch Tanz und Bewegung, die Reittherapie insbesondere das heilpädagogische Reiten u.v.a.

8. Heilpädagogisches Reiten für geistig behinderte Menschen

Auf das heilpädagogische Reiten als Förderungs- bzw. Therapiemög­lichkeit für geistig behinderte Menschen, wird in den folgenden Seiten als Schwerpunkt dieser Arbeit, eingegangen.

Wie bereits auf Seite 8 ff erwähnt, ist das Heilpädagogische Reiten/Voltigieren ein pädagogisches, psychologisches und sozio- integratives Förderangebot für Menschen mit verschiedensten Behinderungen.

Die individuelle und soziale Entwicklung von geistig behinderten Menschen wird durch den Umgang mit speziell ausgebildeten Pferden günstig beein­flusst. Die besonderen Eigenschaften des Pferdes machen es dabei zum idealen Partner in der Therapie von Menschen mit Behinderun­gen, auch mit schwersten Behinderungen.

8.1 Die Anfänge des heilpädagogischen Reitens

Die ersten Ansätze des heilpädagogischen Reitens waren laut Wilhelm Kaune um 1975/76 in mehreren Gebieten der Bundes­republik.

In Norddeutschland wurde es besonders durch die Lebenshilfe­einrichtungen in Walsrode, Lüneburg und Gifhorn sowie durch die Sonderschule für geistig Behinderte in Bad Schwartau bekannt. Der Einsatz vom Pferd spezifisch mit geistig Behinderten wurde in Ludwigshafen- Oggersheim und in Köln durch das Reittherapie Zentrum „Weisser Bogen“ bekannt gemacht. Während hier haupt­sächlich das heilpädagogische Reiten im Vordergrund stand, wurde im Norden eher das heilpädagogische Voltigieren praktiziert.

Um 1980 wurde das Thema theoretischer erörtert indem Praktiker begannen, ihre Erfahrung mit geistig Behinderten durch Vorträge und Filme bekannt zu machen. 1982 erschien das erste Buch von Wilhelm Kaune „Das heilpädagogische Voltigieren mit geistig Behin­derten Schülern“ indem die Arbeit mit dem Pferd theoretisch begrün­det wurde und methodisch- didaktische Anregungen zum heilpädago­gischen Reiten (und Voltigieren) mit geistig Behinderten gegeben wurden.

1982 wurde außerdem beim internationalen Kongress für Thera­peutisches Reiten in Hamburg ein Referat von W. Kaune über die Überlegungen zur Förderung geistig Behinderter durch das Heil­pädagogische Reiten einem internationalen Publikum vorgestellt. Auf diesem Kongress wurde dieses Thema durch W. Kaune und Astrid Lampe auch an praktischen Beispielen dargestellt, indem mit einer integrativen Gruppe gearbeitet wurde, die darstellen sollte, dass die Arbeit mit dem Pferd auch die Möglichkeit gemeinsamen Handelns von behinderten und nicht behinderten Menschen eröffnet.

(vgl. Kaune 1993, S. 15 f)

Mittlerweile ist das heilpädagogische Reiten (und Voltigieren) weit verbreitet und man weiß seine Möglichkeiten und Erfolge für die betroffenen Gruppen (wie geistig Behinderte) zu schätzen.

8.2 Warum heilpädagogisches Reiten für geistig Behinderte?

Geistig behinderte Menschen fallen in der Gesellschaft aufgrund ihres Erscheinungsbildes und aufgrund ihrer Verhaltensweisen auf. Sie leiden unter Störungen in der Aufnahme, Verarbeitung und Wieder­gabe, haben Beeinträchtigungen in Fein- und Grobmotorik, Schwie­rigkeiten in der sprachlichen und nicht- sprachlichen Kommunikation und Interaktionen, verstärktes Auftreten von Angst und weitere „Auf­fälligkeiten“ die ich im bisherigen Text schon näher erläutert habe. Durch diese „Auffälligkeiten“ werden sie von der Gesellschaft teil­weise ausgeschlossen und von dem Einzelnen „anders“ behandelt als ein Nicht- Behinderter. Das kann sich durch abstoßende Reak­tionen oder auch durch Mitleid äußern, welches beides nicht ange­nehm für den Betroffenen ist.

Das Pferd geht ohne Vorurteile und jegliche negative Äußerungen auf den geistig Behinderten zu, schließt ihn nicht aus und „behandelt“ ihn genauso wie jeden anderen auch. Er wird so angenommen wie kaum irgendwo. Somit hat der Betroffene meistens eine ganz andere Moti­vation zur Therapie als in anderen Therapiebereichen. In erster Linie wird sein Bedürfnis nach positiver Zuwendung befriedigt und seine sozialen Fertigkeiten werden trainiert, indem es dem Betroffenen den Kontakt und der soziale Betätigung verschafft.

Zudem verschafft sich das Pferd nur durch seine Gestalt dem Be­troffenen gegenüber Respekt, Angst, Bewunderung und Liebe, alles wichtige Aspekte, mit denen der geistig Behinderte lernen muss um­zugehen und wichtige Aspekte um pädagogisch zu arbeiten.

(vgl. Kaune 1993, S. 41 f;Gäng 2004, S. 28 f)

8.3 Zielsetzungen und Möglichkeiten beim heilpädagogischen Reiten mit geistig Behinderten

(Lern-)Ziele beschreiben die erwünschten Fähigkeiten, über die der Lernende am Ende des Lernprozesses verfügen sollte. (Kaune 1993, S. 85)

In erster Linie ist es notwendig sich über die Ziele und Möglichkeiten des heilpädagogischen Reitens Gedanken zu machen, um die Therapiestunden sinnvoll zu planen und sie auf die einzelne Person oder/und auch auf die ganze Gruppe auszurichten.

Dazu muss man sagen, dass es beim heilpädagogischen Reiten anders ist als beim heilpädagogischen Voltigieren. Meistens geht es um den Einzelnen, denn heilpädagogisches Reiten findet oft und vor allem in den ersten Stunden mit einer Person statt, nicht wie beim heilpädagogischen Voltigieren in einer Gruppe. Später kann es dann zu Zweier- oder Dreiergruppen kommen. Trotzdem sind auch anfangs häufig mehrere Personen am Ort. Da gibt es Zuschauer, Reiter - die schon auf ihre Stunde warten, da gibt es welche die schon geritten sind, aber bei der nächsten Reitstunde helfen, indem sie z.B. das Pferd führen. Dann sind da der Therapeut und seine Helfer, manchmal auch (je nach Fähigkeit der Reiter) mehrere Reiter in der Halle und es wird hinterher und vorher oft gemeinsam das Pferd gepflegt.

Deshalb werden im Folgenden nicht nur Ziele, die sich auf den Einzelnen, sondern auch Ziele die sich auf die Gruppe beziehen, erläutert.

Außerdem muss man sich (laut Kaune 1993, S. 44) darüber im Klaren sein dass das heilpädagogische Reiten nur dann seinen Zweck erfüllt, wenn es als Bestandteil einer Gesamtförderung des Betroffenen und nicht als einzige Therapie durchgeführt wird.

8.3.1 Die ganzheitliche Förderung des Einzelnen und der betroffenen Gruppe

Mit Ganzheitlichkeit ist die Förderung des ganzen Menschen gemeint, welche die Emotionalität, die Sozialität, die kognitiven Fähigkeiten und die Motorik meint. Es wird also die Persönlichkeit des Menschen angesprochen, sie beinhaltet aber auch die Bereiche der Senso- und Psychomotorik.

Förderung des emotionalen Bereiches:

Der emotionale Bereich ist immer ein Schwerpunkt der Förderung beeinträchtigter Kinder. Denn hier geht es um die (geschädigten) Gefühle und Emotionen der geistig behinderten Menschen und deren Umgang mit sich selbst. Durch den emotionalen Bereich werden auch alle anderen Bereiche gesteuert. Ein Mensch, der sich nichts zutraut, wird auch nicht auf andere Menschen zugehen. Er wird durch sein vermindertes Selbstbewusstsein schlechter lernen, weil er der Meinung ist, er könne das sowieso nicht, und ein besonders ängst­licher Mensch bewegt sich sehr verhalten und „zu“ vorsichtig.

(vgl. Kaune 1993, S. 25 ff)

Ziele dieses Bereiches sind es, den Umgang mit Ängsten zu erlernen und zu verbessern, die Selbstwirksamkeit und das Selbstwertgefühl zu erfahren und zu stärken, eine angemessene Selbsteinschätzung zu erlernen und Vertrauen in die eigene und andere Personen zu fördern. (vgl. Hibbeler 2001, S.8 ff; Kaune 1993, S. 25 ff und S. 85)

Ein Pferd ist ein großes Tier. Es zu führen oder es gar zu reiten ist Angst einflössend. Es braucht Zeit und Geduld bis sich ein geistig behinderter Mensch auf ein Pferd einlassen kann und das Pferd hilft ihm da­bei. Es hat eine gutmütige Erscheinung und gibt ihm Vertrauen. Mit Hilfe des Reitpädagogen, der das Pferd vorstellt und dem Betreffen­den versichert, dass nichts passiert, soll Vertrauen aufgebaut und Angst abgebaut werden. Hilfreich dabei ist es, das Pferd immer beim Namen zu nennen, um ihm eine „Persönlichkeit“ zu geben. Eine langsame Beziehungsaufnahme zum Pferd, das heißt, sich erst dem Pferd langsam zu nähern, es zu streicheln, es zu füttern, dann zu putzen und irgendwann zu reiten, ist Vorraussetzung zum Angstabbau. Das Reiten steht dabei Anfangs nicht im Vorder­grund.

Weitere Ängste, die durch das heilpädagogische Reiten abgebaut werden sollen, sind die Berührungsängste im Umgang mit anderen Personen. Die Ängste können sich verschieden äußern, das heißt sowohl im aggressiven als auch im defensiven Verhalten. Mit dem gezielten Abbau dieser Ängste kann erst begonnen werden, wenn die Ängste vor dem Pferd und vor dem Reiten überwunden sind. Durch Partner­übungen an dem Pferd und durch gegenseitige Hilfestellun­gen (Bsp.: Der eine führt das Pferd, das der andere reitet oder der eine gibt dem anderen Hilfestellung beim Aufsteigen) sollen die Betroffenen lernen, dass man sich auf andere verlassen kann und dass gegenseitige Be­rührungen nichts Schlimmes sind. Das Ganze vertieft sich, indem man einer Gruppe die Freiheit lässt, sich ihre Aufgaben am Pferd selbst einzuteilen. So sollen sich Ängste vor dem anderen, sowie Berührungsängste und auch Ängste vor der Interaktion und Kommunikation mit anderen abgebaut werden.

(Hibbeler 2001, S.8 ff; Kaune 1993, S. 25 ff)

Das Selbstwertgefühl soll dadurch aufgebaut und gestärkt werden, dass der einzelne Klient merkt, dass er durch konstantes Üben mit dem Pferd und auf dem Pferd etwas erreicht und somit weiß, dass er etwas kann. Er hat Erfolg durch sich selbst und das steigert nicht nur die Motivation zum Weitermachen, sondern auch die Selbst­schätzung. Reiten ist etwas, was man nicht von Anfang an kann, auch ein nicht behinderter Mensch muss es erst lernen. Nicht jeder hat den Mut, auf so ein großes Tier zu steigen und es zu lenken. Die Übungen steigern das Selbstbewusstsein des Betroffenen; denn er hat es geschafft, und schafft es im Laufe der Therapie immer besser, mit dem großen Tier umzugehen. Das anfangs so Respekt- und Angst einflössende Tier wird nach einiger Zeit zum Partner, der dem behinderten Menschen immer mehr Vertrauen und auch Selbstvertrauen gibt, auch wenn etwas nicht so gut klappt. Es würde ihm nie Vorwürfe machen. Das Pferd rächt sich niemals, auch wenn der Mensch mal nicht so nett zu ihm war oder ihm gar wehgetan hat. (Trotzdem muss natürlich darauf hingewiesen werden, dass man Tiere nicht verletzen darf).

Dieses positive Erlebnis, keine Vorwürfe zu bekommen, ist mit Mut und Motivation zu Neuem gekoppelt und mit der Erfahrung, dass es nicht schlimm ist, wenn mal etwas nicht sofort klappt. Dadurch soll auch die Frustrationstoleranz gestützt und verbessert werden.

Die anderen aus der Gruppe wirken dabei unterstützend. Sie geben einem durch Lob Selbstvertrauen, und durch Kritik lernen die Betrof­fenen mit Frustration umzugehen. Häufige Fragen, z. B.: „Wer war heute der Beste?“, die am Anfang einer Therapie noch oft zur Selbst­bestätigung gestellt werden, sollen von den Pädagogen mit Ant­worten beant­wortet werden wie: “Ich weiß ja nicht wer am wenigstens Angst hatte.“ oder „Fandest Du Dich denn gut?“. Hierdurch soll das Aufkommen von Konkurrenz verhindert und die Selbstwertgefühle jedes Einzelnen erhalten werden.

( vgl. Kaune 1993, S. 27 f; http://www.bregtalschule.de/begriffe/reiten.html;

Hibbeler 2001, S. 10 f)

Selbsteinschätzung lernt der geistig behinderte Mensch dadurch, dass er durch das Reiten seine Fähigkeiten kennen lernt und lernt, sie nicht zu über bzw. unterschätzen. Denn das Pferd ist ein sensibles Tier, reitet man es, so dass man ihm weh tut, wird es sich bemerkbar machen. Natürlich muss der Reitpädagoge dabei unter­stützen und auch darauf aufmerksam machen, wenn sich der Betroffenen überschätzt hat oder er sich mehr zutrauen kann.

Anfangs kann es öfter zu Über- bzw. Unterschätzung kommen, doch im Laufe der Zeit soll er lernen, damit umzugehen. Rutscht der Betroffene im Galopp öfter zur Seite, erkennt er, dass er noch nicht soweit ist. Der geistig behinderte Mensch merkt so nach und nach wie weit er gehen kann und wozu er noch nicht bereit ist. Dies kann sich im günstigsten Fall auch auf andere Bereiche übertragen.

(vgl. Hibbeler 2001, S. 10 f)

Förderung der Sozialkompetenz

Der soziale Bereich ist der zweite zentrale Bereich der Förderung geistig Behinderter in der pädagogischen Arbeit. Hier geht es sowohl um das soziale verhalten im Umgang mit den Tieren, als auch im Umgang mit den anderen geistig behinderten Menschen der Gruppe, den nicht geistig behinderten Reitern und dem Pädagogen.

Ziele dieses Bereiches sind es, Kontakte anzubahnen, kooperatives Arbeiten in der Gruppe zu erlernen, den Abbau von Antipathien zu fördern, Aggressionskontrolle zu erlernen, Hilfsbereitschaft, Verant­wortungsgefühl und Toleranz zu fördern und die Wahrnehmung der Bedürfnisse eines anderen Lebewesens zu verbessern. (vgl. Kaune 1993, S.85; Hibbeler 2001, S. 9)

Eine Gruppe, die zusammen „arbeitet“ muss auch miteinander kommunizieren um sich gegenseitig zu unterstützen, zu helfen und gemeinsam Spaß zu haben. Dies gelingt nur durch gute Kooperation und natürlich nicht gleich in den ersten Stunden. Die Gruppe muss erst lernen, aufeinander zuzugehen. Das Pferd ist dabei ein guter Vermittler. Es bietet ein Gesprächs­thema und lässt durch den gemeinsamen Umgang mit ihm und durch die Erfolgserlebnisse, die mit dem Tier erlebt werden, die Gruppe zusammenwachsen. Die Gruppe muss sich gegenseitig unterstützen, indem man sich gegen­seitig aufs Pferd hilft, es zusammen putzt oder der eine das Pferd führt auf dem der andere reitet. Dies geschieht nur mit Rücksichtnahme und Hilfsbereitschaft. Sogar Freundschaften können durch gemeinsame Erfolge und Interessen zum Pferd entstehen.

(vgl. Kaune 1993, S. 29 f; Hibbeler 2001, S. 12 f)

Natürlich kann man nicht alle mögen, es gibt Antipathien, gar Aggres­sionen anderen gegenüber. Hier ist es Ziel der Therapie, mit diesen Antipathien umgehen zu lernen und Aggressionen abzubauen. Auch hier helfen Partner­übungen und gegenseitige Hilfestellungen. Auf und mit dem Pferd kann sich kein großes Widerstreben oder gar Gewalt breit machen; denn nur durch gegenseitige Unterstützung wird die Absturzgefahr vermieden und der gemeinsame Erfolg gefördert.

Sollte einer der Gruppenmitglieder wiederholt Aggressionen zeigen und das Verhalten des Pferdes nicht zur positiven Selbststeuerung ausreichen, sind Konsequenzen vom Reitpädagogen gefragt, die jedoch sachgerecht und abgesprochen sein sollten. (vgl. Kaune 1993, S. 29 f; Hibbeler 2001, S. 10 f)

Beim heilpädagogischen Reiten ist es wichtig dass der Einzelne und auch die Gruppe nicht nur Rücksichtnahme und Hilfsbereitschaft den anderen gegenüber zeigt, sondern dass er lernt, verantwortungs­bewusst und rücksichtsvoll mit dem Tier umzugehen. Denn er geht hier nicht mit einem toten Gerät, sondern mit einem lebendigen Tier um. Je rücksichtsvoller er mit dem Tier umgeht, umso mehr gibt das einfühlsame Pferd es dem Klienten zurück, was weitere positive Fortschritte nach sich zieht.

Förderung des kognitiven Bereiches:

Der geistig behinderte Mensch, der viele Beeinträchtigungen im kog­nitiven Bereich (wie Lernbehinderung, Wahrnehmungsverzögerungen oder –störungen, Konzentrationsschwächen und einige mehr) hat, sollte intensiv in diesem Bereich gefördert werden. Hierbei hilft das Pferd als „Mittel zum Zweck“. Die Betroffenen verbinden Spaß mit dem Reiten und das damit einhergehende Interesse wird zur Lern­situation, die als solche nicht empfunden wird.

(vgl. Kaune 1993, S. 34)

Ziele dieses Bereiches sind es, Konzentrations-, Reaktions- und Merkfähigkeit zu fördern, koordinative Fähigkeiten zu schulen und zu fördern (wie z.B. die Raumorientierung), Sprachstörungen, Kommu­nikation und Wahrnehmung zu verbessern. (vgl. Hibbeler 2001, S. 9)

Im kognitiven Bereich wird vor allem die Konzentrations-, Reaktions- und Merkfähigkeit sowie die koordinative Fähigkeit trainiert. Beim Reiten auf dem Pferd muss der geistig behinderte Mensch das Gleichgewicht halten, während er sich der Bewegung des Pferdes anpasst. Gleichzeitig muss er versuchen, die Anweisungen des Therapeuten umzu­setzen. Allein um eine Korrektur des Therapeuten umzusetzen, muss der Betroffene sich bereits seiner Körperhaltung, seiner Muskelspannung und seiner Raumlage bewusst sein. Ist die Koor­dination von Gewichts-, Schenkel- und Zügelhilfen, mit denen der Schüler auf das Pferd einwirken kann, ausreichend geübt, so wird er vom Pferd mit dessen gehorsamer Ausführung der beabsichtigten Übung belohnt. Die darauf folgende Verknüpfung von mehreren Übungen stärkt die Konzentrationsfähigkeit zusätzlich. (vgl. Hibbeler 2001, S. 11)

Des Weiteren haben viele behinderte Menschen, gar Kinder, Probleme mit der Raumorientierung. Sie können Begriffe wie vorne, hinten, rechts oder links nicht unterscheiden. Dieser Schwerpunkt wird mit Hilfe des Therapeuten trainiert, indem Anweisungen gegeben oder Fragen gestellt werden wie „Wo hat denn die Alma ihren Kopf?“ oder „Reite mit Alma bitte in die Mitte der Halle!“. (vgl. Kaune 1993, S. 32 f)

Die Sprache wird beim heilpädagogischen Reiten, mit Unterstützung des Reitpädagogen, allgemein gefördert. Wichtig ist, dass der Päda­goge dem behinderten Menschen von Anfang an deutlich macht, dass es sinnvoll ist, mit dem Pferd zu sprechen, darüber zu sprechen, was er von dem Pferd will, wovor er Angst hat, was er mag und sich mit den anderen der Gruppe und dem Pädagogen selber auszu­tauschen. Sollte dies ausbleiben, hat der Pädagoge die Aufgabe, positiv und mit Hilfe des Pferdes darauf einzugehen, Bsp.: „Erzähl mal, wie fühlst Du Dich heute auf dem Pferd?“ oder “Was hast Du heute schon alles mit der Alma gemacht, bevor Du geritten bist?“. Durch die Sprache wird natürlich auch die Kommunikation gefördert. Selbst wenn der Betroffene vorerst nur mit dem Pferd redet, ist dies eine Art von Kommunikation und wird sich in den meisten Fällen früher oder später auch auf andere Menschen übertragen.

(vgl. Hibbeler 2001, S. 11)

Die Wahrnehmung wird beim heilpädagogischen Reiten durchweg gefördert. Alles ist neu und interessant und jedes Mal aufs Neue gibt es etwas anderes an dem Pferd und beim Reiten zu entdecken. Dies wird mit Freude wahrgenommen und auch reflektiert. Das erkennt man an Fragen wie: „Warum ist Alma heute so müde?“ oder „Die Alma war heute ganz schön schmutzig.“. Der Therapeut hat dabei die Aufgabe, dort anzusetzen und auf solche Fragen oder An­merkungen einzugehen.

Förderung der (Senso-)Motorik

Der Bereich Motorik ist zwar nicht der Schwerpunkt des heilpädago­gischen Reitens, aber da wie bereits geschrieben grund­sätzlich der Mensch als Ganzes behandelt werden soll, darf auch die körperorientierte Arbeit nicht fehlen.

Ziele sind in diesem Bereich die Beherrschung des Gleichgewichts, das Einfühlen in die Bewegung des Pferdes, die Schulung des Körperbewusstseins und die Förderung der Grob- und Feinmotorik.

(vgl. Kaune 1993, S. 30; Hibbeler 2001, S. 9)

Die Arbeit auf dem Pferderücken erfordert immer wieder das Gleich­gewicht zu finden um nicht herunterzurutschen. Die meisten geistig behinderten Menschen lernen das sehr schnell. Dabei kann der Therapeut das Pferd in verschiedene Richtungen führen und immer wieder zum frei­händigen Reiten motivieren. Der Patient passt sich dem rhythmischen Verhalten des Pferderückens an, er fühlt sich in die verschiedenen Bewegungen des Pferdes ein um sein Gleichge­wicht nicht zu ver­lieren. Eine besondere Wirkung muss hier, aber auch ganz allgemein, dem reiterlichen Sitz zuerkannt werden, der gleichzeitig Anspannung und Entspannung erfordert. Er bewirkt eine Verbesserung der Bewe­gungskoordination und des Körperbewusst­seins, der Klient denkt darüber nach, wie er sich am besten bewegt, um dem Tier nicht weh zu tun und um es angenehm für ihn selber werden zu lassen. Dies geschieht auch wieder durch die Einfühlung in den Bewegungsrhythmus des Pferdes.

Grob und Feinmotorik werden somit direkt mitgefördert. Doch auch während der Vorbereitungsphase des Pferdes werden diese beiden Bereiche der Motorik gefördert. Das Pferd muss geputzt werden und zwar muss der Striegel in eine bestimmte Richtung geführt werden um das Pferd artgerecht zu säubern. Das Hufeauskratzen ist eine genaue Sache, da kleine Steinchen aus dem Huf entfernt werden müssen und der Hufstrahl gesäubert werden muss. So gibt es viele Beispiele die zeigen, inwiefern die Grob- und Feinmotorik gefördert werden. (vgl. Kaune 1993, S.31 f; http://www.bregtalschule.de/begriffe/reiten.html, Stand 05/2006)

Auch zu erwähnen sind die Sinne des Einzelnen, die beim heilpäda­gogischen Reiten angesprochen werden.

Die vestibuläre Wahrnehmung wird durch das aktive Sitzen auf dem Pferderücken geschult, da ein ständiger Ausgleich nötig ist, um Balance zu erhalten.

Die taktile Wahrnehmung wird vor allem im Umgang mit dem Pferd gefördert. Die Erfahrungen mit dem weichen Fell und dem harten Langhaar beim Putzen seien hier exemplarisch genannt. Durch die Wärme des Pferdes empfinden Kinder die taktilen Reize am Pferd als angenehm.

Die propriozeptive Wahrnehmung wird dadurch gefördert, dass die Betroffenen durch den Pferdekörper eine als angenehm empfundene Körperumgebung wahrnehmen.

Das Hören, Sehen und Riechen (visuelle und akustische Wahr­nehmung) werden beim heilpädagogischen Reiten die ganze Zeit aktiviert. Man hört auf die Stimme des Therapeuten, auf das Schnauben oder das Wiehern des Pferdes, auf die Geräusche beim Reiten und vieles mehr.

Es werden immer neue Dinge am Pferdekörper oder beim Reiten entdeckt, gesehen und gerochen werden auf einem Reiter­hof viele verschiedene und neue Dinge, sei es der Geruch des Pferdes, der Geruch seines Kots oder seines Futters oder auch der ländliche Duft. Bei blinden oder tauben Reitern, die auf bestimmte Sinne verzichten müssen, werden andere Sinne umso intensiver angesprochen. (vgl. http://www.student-online.net/Publikationen/268/, Stand 05/2006)

Das letzte hier zu erwähnende Ziel des heilpädagogischen Reitens ist die Aufwertung der Lebensqualität. Geistig behinderte Menschen verbinden mit Reiten oft Glück und Zufriedenheit, genau die zwei zentralen Aspekte des subjektiven Wohlbefindens. Dieses ist kein bewusst erstrebtes Ziel, sondern ein Begleitendes. Die Reiter haben Spaß am Reiten, sehen es als Freizeitbeschäftigung und freuen sich teilweise schon Tage vorher auf das Pferd oder auf das Reiten an sich. Die Betroffenen sehen das heilpädagogische Reiten nicht als Therapie oder Förderung, sondern als Hobby.

Allgemein ist zu sagen, dass die einzelnen Förderbereiche ineinander eingehen und sie sich somit überschneiden.

Wichtig ist auch, dass die Ziele und Inhalte der verschiedenen Förderbereiche unbedingt reflektiert werden und entsprechend am Einzelnen und auch an der Gruppe immer wieder neu anzusetzen sind. Abwechslungsreichtum, Flexibilität und das Einbeziehen des Einzel­nen sind wichtige Aspekte um das heilpädagogische Reiten so effektiv wie möglich zu gestalten und die Motivation der Patienten aufrecht zu erhalten.

8.3.2 Lernprozesse

Dass Lernen stattfindet, kann man nicht direkt beobachten, sondern nur aus geändertem Verhalten und Erleben erschließen.

(Nolting/ Paulus 1999, S. 69)

Durch die Lernprozesse beim heilpädagogischen Reiten werden Fähigkeiten beim geistig behinderten Menschen angebahnt und entwickelt, die ihm ermöglichen, sich als handelnder und erlebender Mensch zu erfahren und zu verwirklichen. (vgl. Kaune 1993, S. 86)

Der geistig behinderte Mensch erlebt durch den Umgang und durch die Pflege Reaktionen des Pferdes und wird nach und nach sensibel für Verhaltensweisen und Eigenarten seines „Partners“. Während er dem Pferd anfänglich noch mit Angst und zurückhaltend begegnet, entwickelt sich die Beziehung im Laufe der Therapie ständig. Vorerst wird meistens nur gestreichelt und geputzt, um das Pferd kennen zu lernen, später lernt der Klient warum es so wichtig ist, das Pferd vor und nach dem Reiten zu putzen und zu pflegen. Er übernimmt Verantwortung für sein Wohlergehen und bekommt dies vom Pferd mit Kontaktbereitschaft, Zuwendung und Bereitschaft, ihn zu tragen zurück. Beim selbstständigen Reiten ist der Reiter nicht an der Longe, wie etwa beim Voltigieren. Natürlich wird das vom Reiter abhängig gemacht und anfänglich werden häufig noch ein paar Longenstunden zur Sicherheit durchgeführt oder der Reiter wird von anderen (Be­troffenen) geführt. Irgendwann ist er soweit, dass er alleine reiten kann, er muss sich also auf die Grundlage einer Zweierbeziehung mit seinem „Partner“ Pferd einlassen, sich mit ihm arrangieren und sich in das Lebewesen „einfühlen“. Der geistig behinderte Mensch wird bei fort­schreitender Bewegungsharmonie immer unabhängiger vom Reit­pädagogen. Seine Handlungsfähigkeit nimmt zu. (Kaune 1993, S. 86)

Der Reitpädagoge hat hier die Aufgabe, dem geistig behinderten Menschen Hilfestellung zu geben, damit er eine Verständigungs­möglichkeit mit dem Pferd findet. So entsteht ein Bewegungsdialog zwischen Reiter und Pferd. Dieses Erlebnis von Rhythmus, Schwung, Bewegungs­gleichklang und Unabhängigkeit verschafft dem Betroffenen im Laufe der Therapieentwicklung innere Befriedigung und Ausgeglichenheit. Vom Betroffenen werden während der Therapie immer mehr und ständige Aufmerksamkeit und Konzen­tration im Umgang mit dem Pferd, in der Vorbereitung für das Reiten und beim Reiten selber, gefordert. Es sind immer wieder selbst­ständige und überlegte Handlungen nötig gefordert. Hier übernimmt der Reit­pädagoge nur die Rolle des Vermittlers und des Helfers. Er gibt als „Hilfe zu Selbsthilfe“. (vgl. Kaune 1993, S. 85 ff) Der Behinderte lernt, sinnvoll mit sich selbst und dem Pferd umzugehen und entwickelt dadurch eine innere Selbstsicherheit. Er bringt sich ins Gleichgewicht und hält sich im Gleichgewicht. Seine psychische Stabilität nimmt zu und seine Handlungsfähigkeit erweitert sich. (Kaune 1993, S. 86)

8.4 Voraussetzungen zur Durchführung des heilpädagogischen Reitens mit geistig behinderten Menschen

Um eine verantwortungsvolle und sinnvolle Therapie zu gewähr­leisten, kann man nicht einfach damit anfangen, sondern muss sich erst einmal um die Grundvoraussetzungen Gedanken machen, die das heilpädagogische Reiten erfordern.

Laut dem Deutschen Kuratorium für Therapeutisches Reiten (DKThR 2005, VHS) werden alle Höfe die das heilpädagogische Reiten (und auch die anderen Bereiche der Reittherapie) anbieten wollen vom Deutschen Kuratorium für therapeutisches Reiten nur dann aus­gezeichnet, wenn sie Vorraussetzungen, wie:

Gebäude, Anlage und Pferdehaltung entsprechend den Bestimmungen der Reiterlichen Vereinigung

Ausreichende Anzahl geeigneter Therapiepferde

Pädagogen müssen die notwendigen Zusatzausbildungen des Kuratoriums nachweisen können.

erfüllen.

Eine Kommission aus Beauftragten des Kuratoriums für thera­peutisches Reiten und der Reiterlichen Vereinigung entscheiden nach einer Besichtigung ob die Vorraussetzungen erfüllt sind und der Hof somit als Therapiehof anerkannt werden kann. Diese Therapieställe werden dann in regelmäßigen Abständen von 2 Jahren überprüft.

Da die Vorraussetzungen für eine gute Therapie mit dem Pferd so wichtig sind, werde ich im Folgenden noch einmal näher darauf eingehen.

8.4.1 Das geeignete Reittier

Der Erfolg des Heilpädagogischen Reitens hängt wesentlich vom Pferd ab. (Kaune 1993, S. 87)

Wichtig bei der Auswahl des Pferdes sind sein gutmütiger Charakter und ebenso die Sympathie des Reitpädagogen zu seinem Pferd – diese Aspekte sind wichtiger als eine bestimmte Rasse. Das Pferd muss zuver­lässig und ruhig sein, darf dabei aber nicht abgestumpft sein. Den Idealvorstellungen von Kaune (vgl. 1993, S. 88) entspricht ein waches, gehfreudiges Pferd mit schwingendem Rücken, abgerun­deten Bewegungen und taktfreien Gängen, mit weichen Übergängen zwischen Schritt, Trab und Galopp. Es sollte weder zu temperament­voll, noch zu stürmisch oder draufgängerisch sein, anderseits auch nicht zu faul, so dass man es immer antreiben müsste. Dass es keine gravierenden Unarten wie Beißen, Schlagen oder Bocken haben darf, versteht sich von selbst. Trotzdem sollte es sich nicht alles gefallen lassen, das heißt, es soll aufmerksam und kann dabei durchaus sensibel sein um den Menschen, mit denen er abreitet, sein Befinden ausdrücken zu können und um zu zeigen, wenn ihm etwas gar nicht gefällt oder gar weh tut. Dabei sollte es aber nicht zu schreckhaft sein, um die Reiter nicht zu gefährden. Pferde (ab Stockmaß von 1,48m) und Ponys (unter 1,48m) sind dabei gleichermaßen geeignet.

Es gibt Pädagogen, die sich auf eine be­stimmte Rasse fixieren (Marianne Gäng zum Beispiel arbeitet fast ausschließlich mit Isländern, einer Ponyrasse die Gewichtsträger ist und häufig der genannten Idealvorstellung entspricht. Zudem sind Isländer Fünfgänger, das heißt, sie zeigen neben Schritt, Trab und Galopp auch noch die Gangarten Tölt und Paß, die für den Reiter nochmals andere Sitzgefühle bedeuten). Es gibt auch Pädagogen wie. z.B. Wilhelm Kaune, die sich nicht auf eine bestimmte Rasse festlegen. Oft werden auch Haflinger und Freiberger auf Therapiehöfen (wie z.B. auf dem aner­kannten Therapiestall „Feuler Hof“ in Marl) eingesetzt, da auch sie eine der Rassen sind, die viele der genannten Eigen­schaften mit­bringen. Man sollte daran denken, dass man beim heilpädagogischen Reiten verschiedene Pferde zur Verfügung hat, Pferde mit unter­schiedlichem Charakter (was die Empathie der Klienten stärken soll), mit verschiedenen Größen (da Kinder bis große Erwachsene am heilpädagogischen Reiten teilnehmen) und auch Gewichtsträger wie z.B. Haflinger, Freiberger oder Kaltblüter (da geistig Behinderte oder auch andere Betroffene oft mit Übergewicht zu kämpfen haben, unter dem die Pferde nicht leiden sollen). (vgl. Kaune 1993, S. 87 f;Gäng 2004, S. 30 ; Vogel 1987, S. 58 f)

Die Ausbildung des geeigneten Reittieres beträgt im Durchschnitt zwischen 1 und 3 Jahren, was aber stark abhängig vom Ausbildungs­stand des Pferdes und den Fähigkeiten und dem zeitlichen Rahmen des Ausbilders ist. Die Pferde werden dabei sehr individuell ausgebil­det, hierbei sind 3 Leitfäden wichtig, die wie ein roter Faden durch die Trainingseinheiten gezogen werden sollen:

1. Aufbau von Vertrauen zwischen Pädagoge und Pferd
2. Training des Gehorsams durch konsequenten Umgang mit dem Pferd
3. Die Erhaltung der Motivation des Pferdes, durch abwechslungs­reiche Arbeit

Während des Trainings ist besonders drauf zu achten, dass man das Pferd nicht psychisch überfordert oder unterfordert. Wenn das Pferd täglich lernt, mit einem Menschen harmonisch zusammen zu arbeiten, ist es auch in der Lage, positiv schwierige Situationen während der Therapiestunde auszuhalten. Um eine gute Therapie zu absolvieren, braucht das Pferd sehr viel Ausgleich für die Therapie­stunden, das heißt, eine artgerechte Haltung (wie z.B. Offenstall­haltung), ausreichend Weideauslauf, das Ausreiten mit Klienten und Pflegemädchen, die das Pferd gut reiten können und die Dinge mit dem Pferd machen, die es auch gerne macht - es will zu nichts ge­zwungen werden. Nur ein glückliches Pferd ist auch ein gutes Therapiepferd und das merken im Endeffekt auch die Klienten. (vgl. Deutsches Kuratorium für therapeutisches Reiten 2005, VHS)

8.4.2 Die Ausrüstung des Pferdes

Die Ausrüstung der Pferde ist nicht viel umfangreicher als in einer normalen Reitstunde auch.

Es muss ein passender Sattel vorhanden sein. Die meisten benutzen einen englischen Sattel, es werden aber auch Sattelkissen mit Halte­griffen verwendet. Natürlich gehört eine komplette Reittrense (das heißt mit Gebiss und Zügeln) zur Ausrüstung, um das Pferd zu „steuern“. Ein Halfter und ein Führstrick oder eine Führleine sind notwendig um das Pferd zu putzen und es spazieren zu führen. Einige Pferde werden, je nach „Können“ des Reiters, ausgebunden (das heißt sie bekommen Ausbindezügel, die das Pferd durchs Genick gehen lassen). Das geschieht deshalb um die vorerst noch mangelnde Wirkung durch den behinderten Reiter auf das Pferd auszugleichen. Außerdem sollte eine Longe und ein Voltigiergurt zur Grundausstattung dazu gehören, damit man das Pferd (und den Reiter) anfangs mit dem Reiten vertraut macht. An der Longe sind doch einige „Anfänger“ sicherer und erlernen schneller, das Gleich­gewicht zu halten, da der Pädagoge direkten Einfluss auf das Pferd hat.

Sollte der Betroffene auch eine körperliche Behinderung haben, die ihm das alleinige Reiten erschwert (oder unmöglich macht), sind bestimmte Sicherheitsgurte notwenig um den Reiter während des Reitens gut abzusichern und ihm das Reiten zu ermöglichen.

(vgl. Kaune 1993 S. 87 f; Vogel 1987, S.36)

8.4.3 Der Ort der Durchführung- Reithalle/ Reitplatz

Wünschenswert wäre die Möglichkeit zweier Reitorte auf einem Hof -einer Reithalle und einem Reitplatz im Freien. Die Halle ist komplett geschlossen und in ihr kann somit bei jedem Wetter geritten werden. Zudem bietet die Halle vielen „Anfängern“ mehr Sicherheit, weil Umwelteinflüsse das Pferd nicht erschrecken können. So sollten die ersten Reitstunden in der Halle verbracht werden. Später sollen die Klienten selber entscheiden dürfen, wo sie reiten wollen. Der Reit­platz ist im Sommer schöner, da er in der „freien Natur“ liegt. Zudem wird die Konzentration der Reiter mehr gefordert, weil Umweltein­flüsse ablenken könnten.

Manche Therapieställe benutzen eine rechteckige Halle, manche einen ovalen Reitplatz oder eine runde Halle (Longierhalle). Der Boden des Reitortes sollte den reiterlichen Anforderungen entsprechen, das heißt, er sollte weder zu fest sein, noch zu tief. Wünschenswert wäre ein ebener und trittfester Boden, der für das Pferd (und für die Schwingungen des Reiters) so angenehm wie möglich ist.

(vgl. Kaune 1993, S. 87; Gäng 2004)

8.4.4 Der Reiter und seine Ausrüstung

Das Wichtigste bei der Therapie ist, dass der Betroffene nicht absolut abgeneigt ist, sie durchzuführen und sie nicht gegen seinen Willen ge­schieht. Er muss dazu bereit sein, auf ein Pferd zu steigen. Das kann manchmal Wochen dauern oder in manchen Fällen auch gar nicht klappen. Der Klient sollte beim heilpädagogischen Reiten schon etwas sicherer beim Reiten sein, das heißt, er sollte vorher Longen­stunden bekommen haben um dann selbstständig reiten zu können. Bei schwer geistig behinderten Menschen ist eher die Arbeit an der Longe oder das heilpädagogische Voltigieren zu empfehlen, da die Be­troffenen selten eine direkte Einwirkung auf das Pferd ausüben kön­nen.

Bei der Reitausrüstung ist es wichtig, dass sich der Reiter darin wohl fühlt und dass die Reitkleidung auch beim Reiten bequem sitzt. Es ist also nicht unbedingt notwendig, eine Reithose und Reitstiefel zu tragen, sondern es reichen auch eine bequeme Sporthose, Jeans oder ähnliche und dazu Turnschuhe.

Vorraussetzung jedoch ist die nach DIN (Deutsches Institut für Nor­mung) vorgeschriebene bruch- und splittersichere Reitkappe mit Drei- Punkt- Kinnriemen- System um die Sicherheit für den Reiter zu ge­währleisten.

(vgl. Kaune 1993, S.88)

8.4.5 Der Reittherapeut - - seine Ausbildung, seine Aufgaben und sein Verhalten

Das heilpädagogische Reiten sollte grundsätzlich nur dann durch­geführt werden, wenn ein gut ausgebildeter Reitpädagoge die Therapiestunde durchführt. Die Ausbildung eines Reittherapeuten (Reitpädagogen) im heilpädagogischen Reiten umfasst in den meisten Ausbildungsbetrieben um die 200 Unterrichtsstunden.

Laut dem Förderkreis Therapeutisches Reiten e.V.

(vgl. http://www.foerderkreis-therapeutisches-reiten.de/rt/index.html, Stand 05/2006) sind die Voraussetzungen für die Teilnahme an der Aufbaustufe "Reittherapeutin":

das Mindestalter von 20 Jahren

eine abgeschlossene pädagogische oder psychologische Berufsausbildung,

eine abgeschlossene Ausbildung zum/zur Reit­therapeutischen Assistenten/in, (diese wird vom DKThR nicht verlangt)

ein Abschluss der Übungsleiterebene bei einem der anerkann­ten Vereinigungen

ein Praktikum in einem von der Kursleitung anerkannten Betrieb (mind. 40 Stunden, möglichst in Teilabschnitten) und

ein Erste Hilfe Kurs.

Zu der pädagogischen und psychologischen Berufsausbildung gehören Berufe wie:

Lehrer/innen, Diplom-Psychologen/innen, Diplom-Pädagogen/innen, Diplom-Heilpädagogen/innen, Diplom-Sozialarbeiter/innen, Diplom-Sozialpädagogen/innen, Heilerzieher/innen, Erzieher/innen, Heilerziehungspfleger/innen, Familienpfleger/innen und Psychotherapeut/innen

Die Zusatzausbildung zur Reittherapeutin für heilpädagogisches Reiten vermittelt (nach dem Förderkreis Therapeutisches Reiten e.V.) folgende Inhalte:

Einführung in die Theorie der Heilpädagogik

Beziehung Heilpädagogik, Pädagogik und Sonderpädagogik

Heilpädagogisches Reiten als Integrationsmöglichkeit von Menschen mit und ohne Behinderung

Ziele und Möglichkeiten Heilpädagogischen Arbeitens

Personaler und persönlicher Anspruch an den/die Reittherapeuten/in, fachliche Kompetenz (z.B. Reflexion, Herstellen eines therapeutischen Milieus, Selbstverständnis etc.)

Auseinandersetzung mit spezifischen Verhaltensauffälligkeiten und Behinderungen

Zielfindungsprozess - Kontrolle - Reflexion

Entwicklungspsychologie unter unterschiedlichen Sichtweisen

Heilwirkungen des Therapeutischen Reitens

Das kennen lernen unterschiedlicher Arbeitsschwerpunkte beim Heilpädagogischen Reiten (Mädchenarbeit, Motopädagogischer Ansatz, Erlebnispädagogisch orientierter Ansatz etc.)

Elternarbeit beim Heilpädagogischen Reiten

Die Zusatzausbildung wird (auch beim DKThR) mit einer theoretischen Prüfung abgeschlossen.

Die Durchführung einer heilpädagogischen Reitstunde sollte von dem Reitpädagogen, ausführlich und individuell an der Person ausge­richtet, geplant werden.

Der Therapeut muss eine einfühlende Grundeinstellung zum Personenkreis der geistig behinderten Menschen haben und viel Geduld mitbringen um den erschwerten Lernmöglichkeiten der betroffenen Zielgruppe gerecht zu werden. Dabei sollte er jeden einzelnen Klient und dessen Verhalten und Lernverhalten genau kennen um die Reit­stunde auf ihn einzustellen. Sollte es Schwierigkeiten, zum Beispiel bei der Motivation oder mit der Angstbewältigung geben, muss der Pädagoge dem Betroffenen Mut machen, ihn motivieren können und Wege zur Überwindung aufzeigen. Er hat dabei stets darauf zu achten, das er positive Lernverstärker anwendet und keine Negativen. Das heißt, dass Lob und Bekräftigung sehr wichtig sind für den Betroffenen und negative Kritik ihn nur entmutigt und blockiert. Es ist wichtig dass der Klient mit einem Erfolgserlebnis aus der Stunde geht und sich auf die nächste Stunde freuen kann. (vgl. Kaune 1993, S. 88 f)

Der Pädagoge muss das Pferd in den Mittelpunkt stellen und die Konzentration der Patienten auf das Pferd richten. Die Beziehung zwischen Patient und Pferd sollte so innig wie möglich werden. Der Pädagoge gibt die nötigen Impulse und Hilfestellungen und sollte sich mehr und mehr zurückziehen, so dass der Patient immer mehr mit dem Pferd zusammenwächst. Es sollte eine Triangulierung zwischen Pferd, Reiter und Therapeuten hergestellt werden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(Grafik 4 aus Lissek 2006, S. 6)

Der Umgang mit den Pferden muss sicher, aber freundlich sein. Die Sicherheit die er den Pferden entgegenbringt, überträgt sich auch auf seine Reiter. Außerdem mindert ein sicherer und qualifizierter Reit­therapeut das im Unfallrisiko beim Reiten.

Eine weitere wichtige Aufgabe des Therapeuten ist es zudem, den geistig behinderten Menschen die am heilpädagogischen Reiten teil­nehmen, Kenntnisse im Umgang mit dem Pferd zu vermitteln, welches nur dann geschehen kann, wenn der Therapeut selber einen langjährigen Umgang mit dem Pferd vorweisen kann.

Beim heilpädagogischen Reiten ist in den meisten Betrieben, zusätz­lich zum Reittherapeuten, noch mindestens ein Helfer. Ein weiterer Helfer ist eventuell für die Betreuung und/oder Förderung eines einzelnen Behinderten zusätzlich notwendig.

Seine Aufgaben sind es, den Reittherapeuten in seinem Tun zu unterstützen und dem geistig behinderten Reiter bei einzelnen Auf­gaben - bei Bedarf - behilflich zu sein. Auch der Helfer sollte dem Pferd gegenüber sicher sein, er sollte Grundkenntnisse über das Pferd, über den Umgang und die Pflege mit ihm haben und er sollte sich mit der betroffenen beeinträchtigten Gruppe einfühlsam aus­einandersetzen können.

Geduld und Engagement sind im Umgang mit dem behinderten Reiter und mit dem Pferd vom Therapeuten und Helfer unbedingte Vorraussetzungen.

(vgl. Kaune 1993, S.88 f)

8.5 Methodische Vorgehensweise beim heilpädagogischen Reiten

Ist ein geistig behinderter Mensch dazu bereit eine Therapie mit einem Pferd einzugehen, sollte man eine bestimmte Vorgehensweise beachten um eine sinnvolle Therapie zu gewährleisten.

Eine Therapiestunde teilt sich üblicherweise in 3-4 Bereiche:

Kontaktaufnahme zum Pferd

Vorbereitung des Pferdes für das Reiten

Selbstständiges Reiten

Versorgen des Pferdes nach dem Reiten

Natürlich kann auch spontan und flexibel geändert werden, wenn sich (individuelle oder besondere) Anlässe dafür ergeben.

Ist das Pferd bereits in einer Therapiestunde und muss so nicht mehr vorbereitet werden, fällt dieser Bereich aus, umgekehrt könnte das Pferd direkt nach der Therapiestunde eine weitere haben und so würde dann das Versorgen nach dem Reiten ausfallen. Um auf die Kontaktaufnahme vor dem Reiten nicht zu verzichten, könnte der Klient das Pferd zum Beispiel ein paar Runden führen.

[...]

Ende der Leseprobe aus 106 Seiten

Details

Titel
Therapeutisches Reiten in der Sozialen Arbeit
Untertitel
Möglichkeiten und Grenzen des heilpädagogischen Reitens für geistig behinderte Menschen
Hochschule
Evangelische Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe
Note
1,7
Autor
Jahr
2006
Seiten
106
Katalognummer
V58262
ISBN (eBook)
9783638525077
ISBN (Buch)
9783638693936
Dateigröße
947 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Diese Diplomarbeit ist sowohl auf die Reittherapie im Allgemeinen, als auch auf Menschen mit geistiger Behinderung im Näheren sowie auf das heilpädagogische Reiten mit geistig behinderten Menschen im speziellen und größten Umfang gerichtet.
Schlagworte
Therapeutisches, Reiten, Methode, Sozialen, Arbeit, Möglichkeiten, Grenzen, Reitens, Menschen
Arbeit zitieren
Diana Kirstein (Autor:in), 2006, Therapeutisches Reiten in der Sozialen Arbeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/58262

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