Aktuelle Rechtssprechungen aus dem Sozialrecht - Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu den Rentenabschlägen bei vorgezogener Altersrente


Seminararbeit, 2006

21 Seiten, Note: 11


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitung

2 Kern des Urteils

3 Sachverhalt

4 Entscheidung des Bundessozialgerichts

5 Rechtliche Würdigung der Entscheidung
5.1 Rentenberechnung
5.2 Altersrente wegen Arbeitslosigkeit
5.2.1 Voraussetzungen und Vertrauensschutztatbestände
5.2.2 Entwicklungsgeschichte der Altersgrenzen
5.2.3 § 237 Abs.4, Nr.1, lit. b
5.3 Verstoß der Vertrauensschutzregelung gegen das Grundgesetz
5.3.1.1 Gründe und Ziele des RuStFöG vom 23.07.1996
5.3.1.2 Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes
5.3.2 Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatzes Art. 3 Abs. 1 GG

6 Gründe für den Vorlagebeschluss an das Bundesverfassungsgericht

Literaturverzeichnis

Gesetzesverzeichnis

Eidesstattliche Erklärung

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

Gerade in Zeiten von Hartz IV ist es nichts ungewöhnliches, dass die Versicherten der Rentenversicherung ihre Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder wegen Altersteilzeit vorzeitig in Anspruch nehmen.[1] Nur ein geringer Teil der Versicherten möchte erst mit Vollendung des 65. Lebensjahres oder mit einer für ihn früheren maßgebenden Altersgrenze die Rente gezahlt bekommen.

Eine für den Versicherten frühere maßgebende Altersgrenze kann erreicht werden, wenn dieser noch besondere zusätzliche Voraussetzungen erfüllt, nämlich die sogenannten Vertrauensschutztatbestände. Wird die Rente mit dieser Altersgrenze oder mit der Vollendung des 65. Lebensjahres bewilligt, erhält der Versicherte seine Rente grundsätzlich in voller Höhe, d.h. er muss keine Abschläge in Kauf nehmen.[2]

Anders sieht es bei der vorzeitigen Inanspruchnahme aus. Hier bekommt der Versicherte zwar auch eine Rente gezahlt, jedoch muss er für jeden vorzeitig in Anspruch genommen Kalendermonat einen dauerhaften Abschlag in Kauf nehmen. De facto bekommt er lebenslang eine niedrigere Rente gezahlt.

Aufgrund dieser Problematik fühlten sich viele Versicherte zum einen in der Verneinung des Vorliegens eines Vertrauensschutzes durch den Versicherungsträger und zum anderen in ihren Grundrechten verletzt. Somit versuchten sie ihre Rechte bei Gericht durchzusetzen, auch bis zur Instanz des Bundessozialgerichts. Selbst die Senate des Bundessozialgerichts sind sich bei der Entscheidung über diese Problematik nicht einig, so hält z. B. der 5. und 13. Senat die Vertrauensschutzregelungen für verfassungsgemäß und der 4. Senat hält sie für verfassungswidrig.

Deshalb beschäftigt sich diese Arbeit mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu den Rentenabschlägen bei vorgezogener Altersrente. Das Ziel dieser Arbeit soll es sein, die Entscheidungen des Bundessozialgerichts anhand mehrerer Urteile zu nennen und diese zu analysieren. Dabei bilden die Urteile des 5. und 13. Senats den Schwerpunkt und es werden die Gründe, die der 4. Senat für den Vorlagebeschluss angebracht hat, vorgestellt.

2 Kern des Urteils

In den Entscheidungen des BSG[3] zu den Rentenabschlägen bei einer vorgezogenen Altersrente geht es darum, ob das zum Zeitpunkt geltende Recht bezüglich der Beurteilung der Vertrauensschutztatbestände im Einzelfall richtig angewandt wurde. Dabei stritten die Parteien darum, ob die vorgezogene Anhebung der Altersgrenze bei der Altersrente wegen Arbeitslosigkeit durch § 41 Abs.1 SGB VI in der Fassung des WFG verfassungsgemäß ist. Ein weiterer Streitpunkt besteht darin, ob die Vertrauensschutzregelung des § 237 Abs.2, S.1, Nr.1 in der Fassung des RuStFöG und des § 237 Abs.4, S.1, Nr.3 in der Fassung des RRG 1999 mit dem Grundgesetz vereinbar sind.[4] Vor allem wurde hier eine Verletzung der Eigentumsgarantie nach Art. 14 Abs.1 GG und des Gleichbehandlungsgrundsatzes durch die Kläger vorgetragen.

Im zweiten Urteil des BSG vom 25.02.2004 tauchte neben der Verfassungsgemäßheit und der Grundgesetzvereinbarkeit eine weitere Problematik auf, nämlich in welchen Fällen eine beide Seiten bindende Vereinbarung über die Auflösung des Arbeitsverhältnisses vorliegt. Dieser Tatbestand wird im § 237 Abs.4, S.1, Nr.1, lit. b SGB VI alternativ zu einer vor dem 14.02.1996 ausgesprochenen Kündigung des Arbeitsverhältnisses verlangt, damit die Voraussetzung für den Vertrauensschutz erfüllt ist.

Im Urteil des BSG vom 05.08.2004 wird außerdem darüber entschieden, ob ein nach dem 14.02.1941 geborener Versicherter Vertrauensschutz in seine Erwartung, dass die bisherige Rechtslage bis zur Feststellung seiner Altersrente fortbestehen wird, genießen kann.

3 Sachverhalt

Im ersten Urteil des BSG vom 25.02.2004 streiten die Beteiligten darüber, ob die dem Kläger bewilligte Altersrente wegen Arbeitslosigkeit unter Zugrundelegung eines Zugangsfaktors gleich eins zu berechnen ist. Dem im September 1939 geborenen Kläger wurde seine im Januar 1997 ausgesprochene betriebsbedingte Kündigung bereits Anfang 1996 angekündigt. Der Kläger hat insgesamt 530 Kalendermonate mit Pflichtbeitragszeiten zurückgelegt. Die ihm ab 01.10.1999 bewilligte Altersrente wegen Arbeitslosigkeit ist auf Grund von Abschlägen um ca. 10% gemindert.[5]

Im zweiten Urteil des BSG vom 25.02.2004 wird ebenfalls um die Minderung des Zugangsfaktors bei einer Altersrente wegen Arbeitslosigkeit gestritten. In diesem Fall ist dem im Dezember 1940 geborenen Kläger im Dezember 1996 betriebsbedingt gekündigt worden. Diese Kündigung beruhte auf einer seit 1994 angekündigten Schließung der Betriebsstätte des Klägers, sowie auf eine Betriebsvereinbarung und auf einen Sozialplan. Der Kläger hat insgesamt 503 Pflichtbeitragsmonate vorzuweisen. Seit 01.01.2001 bezieht er eine Altersrente wegen Arbeitslosigkeit, welche bezüglich der vorzeitigen Inanspruchnahme um ca. 14,5% gemindert ist.[6]

Im Rechtsstreit vom 05.08.2004 steht wiederum die Minderung des Zugangsfaktors bei einer Altersrente wegen Arbeitslosigkeit im Mittelpunkt. Dem im September 1939 geborenen Kläger wurde sein langjähriges, unbefristetes Arbeitsverhältnis im August 1994 im Rahmen einer Betriebsvereinbarung über den gleitenden Ruhestand mit einer Abfindung aufgelöst. Sein Arbeitsverhältnis bestand durch einen befristeten Arbeitsvertrag vom 01.01.1995 bis 30.04.1996 fort. Die ihm ab 01.10.2001 gewährte Altersrente wegen Arbeitslosigkeit wurde um einen Abschlag in Höhe von 17,1% gemindert.[7]

Bei allen Urteilen wurde die Revision zugelassen. Hierbei rügten die Kläger, dass die zugrunde liegenden Rechtsnormen gegen das Grundgesetz verstoßen. Weiterhin wurde die Verletzung materiellen Rechts vorgetragen und das mit der Einführung neuer Reformen die Dispositionen, welche die Versicherten im Vertrauen auf den Bestand der Gesetze getroffen haben, nicht hinreichend berücksichtigt und in diese eingegriffen wurde.

4 Entscheidung des Bundessozialgerichts

Das BSG hält in allen drei genannten Fällen die Revision für unbegründet, womit die angefochtenen Bescheide des RV-Trägers durch die Vorinstanzen zu Recht bestätigt wurden.

Somit wurde in allen Entscheidungen kein höherer Zugangsfaktor berücksichtigt, insbesondere hatten die Kläger keinen Anspruch auf eine Altersrente ohne Abschläge.

Außerdem ist das Gericht zu dem Entschluss gekommen, dass weder eine Verletzung der Eigentumsgarantie nach Art. 14 Abs.1 GG noch eine Ungleichbehandlung durch die Vertrauensschutzregelung vorliegt. Damit wurde vom 5. und 13. Senat eine Vereinbarkeit der Vertrauensschutztatbestände mit dem Grundgesetz festgestellt, so dass diese keine Veranlassung hatten, den Rechtsstreit gemäß Art. 100 Abs.1 GG auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorzulegen.[8]

Dieser Meinung steht der 4. Senat des BSG entgegen, da er nämlich einen gleich gearteten Fall nach Art. 100 Abs.1 GG ausgesetzt hat und ein Normenkontrollverfahren eingeleitet hat.[9]

5 Rechtliche Würdigung der Entscheidung

In diesem Kapitel werden die Entscheidungsgründe des BSG aufgezeigt und analysiert, welche zur Unbegründetheit der Revision in den genannten Urteilen führten.

5.1 Rentenberechnung

Die Rente wird nach § 64 SGB VI aus dem Produkt der persönlichen EP, dem Rentenartfaktor und dem aktuellen Rentenwert bei Rentenbeginn gebildet.[10] Der Rentenartfaktor beträgt bei einer Rente wegen Alters 1,0 nach § 67 Nr.1 SGB VI, da die Rente ein dauerhaftes Erwerbsersatzeinkommen darstellt und somit Entgeltersatzfunktion hat.

Der aktuelle Rentenwert ist ebenfalls eine festgesetzte Größe und orientiert sich entsprechend der durchschnittlichen Lohn- und Gehaltsentwicklung. Er wird nach § 68 Abs.1, S.2 SGB VI von der Bundesregierung zum 01.07. eines Jahres festgesetzt und bekannt gegeben.

Das Versicherungsleben eines Menschen spiegelt sich in den EP wieder. Hierbei werden nach § 66 Abs.1 SGB VI für alle rentenrechtlich relevanten Zeiten Entgeltpunkte ermittelt. Diese werden durch Multiplikation mit dem Zugangsfaktors zu persönlichen EP. Die Bestimmung des Zugangsfaktors ergibt sich hier aus § 77 Abs.1, S.1 SGB VI[11] und richtet sich nach dem Lebensalter des Versicherten bei Rentenbeginn. Dieser beträgt grundsätzlich 1,0 (§ 77 Abs.1, S.1 SGB VI). Bei einer vorzeitigen Inanspruchnahme der Altersrente verringert sich dieser nach § 77 Abs.2, Nr.1 SGB VI bei EP, die noch nicht Grundlage von persönlichen Entgeltpunkten einer Rente wegen Alters waren, um 0,003 für jeden Kalendermonat, für den die Rente vorzeitig beginnen soll. Somit ergibt sich eine Rentenminderung von 0,3% für jeden vorgezogenen Kalendermonat des Rentenbeginns.[12]

5.2 Altersrente wegen Arbeitslosigkeit

In diesem Abschnitt werden die Voraussetzungen für eine Altersrente wegen Arbeitslosigkeit genannt und es wird die Entstehungsgeschichte und Entwicklung der Altersgrenzen verdeutlicht. Weiterhin wird ein Vertrauensschutztatbestand näher erklärt, da dieser auch in den Urteilen des BSG problematisiert wurde.

5.2.1 Voraussetzungen und Vertrauensschutztatbestände

Nach § 237 SGB VI haben Versicherte Anspruch auf eine Altersrente wegen Arbeitslosigkeit, wenn sie vor dem 01.01.1952 geboren sind. Eine weitere Voraussetzung stellt die Vollendung des 60. Lebensjahres dar. Des weiteren müssen die Versicherten nach § 237 Abs.1, Nr.3, lit.a bei Rentenbeginn arbeitslos sein und müssen entweder nach Vollendung eines Lebensalters von 58 Jahren und 6 Monaten arbeitslos gewesen sein oder Anpassungsgeld für entlassene ArbN des Bergbaus bezogen haben. Auch müssen Versicherte in den letzten zehn Jahren vor Beginn der Rente acht Jahre mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben. Unter besonderen Umständen kann der Zehnjahreszeitraum verlängert werden. Weiterhin muss die Wartezeit von 15 Jahren erfüllt sein. Die letzte Anspruchsvoraussetzung, welche zwar nicht in § 237 SGB VI genannt ist, aber trotzdem über das Vorliegen eines Anspruchs entscheidet, ist die Einhaltung der Hinzuverdienstgrenze nach § 34 SGB VI. Diese Voraussetzung muss jedoch nur erfüllt sein, wenn die Rente vor der Vollendung des 65. Lebensjahres in Anspruch genommen wird.[13]

5.2.2 Entwicklungsgeschichte der Altersgrenzen

„Die Altersgrenze für die Inanspruchnahme einer Rente wegen Arbeitslosigkeit lag ursprünglich bei 60 Jahren.“[14] Ab 01.01.1992 trat das RRG in Kraft, wobei auch eine Neuerung für die Altersgrenze der Altersrente beschlossen wurde. Hierbei sollte nämlich die Altersgrenze ab dem 01.01.2001 bis zum 31.12.2012 in Stufen allmählich auf das 65. Lebensjahr angehoben werden, de facto wurden durch diese Regelung die Jahrgänge ab 1941 betroffen.[15] Zwar blieb die vorzeitige Inanspruchnahme möglich, jedoch mussten hierfür Abschläge in Kauf genommen werden.

Als nächste Reform folgte das RuStFöG vom 23.07.1996, wodurch die Anhebungsphase deutlich verkürzt wurde, denn es wurde für Versicherte, die nach dem 31.12.1936 geboren wurden, der Beginn der Anhebung der Altersgrenze auf den 01.01.1997 vorgezogen (§ 41 Abs.1a SGB VI). Diese Regelung wurde durch das WFG vom 25.09.1996 ergänzt und als § 41 Abs.1 SGB VI i.V.m. Anlage 19 neu gefasst. Somit wurde die Anhebung der Altersgrenze auf das 65. Lebensjahr Ende 2001 abgeschlossen, so dass seit dem 01.01.2002 für Versicherte, die im Dezember 1941 und später geboren sind, das vollendete 65. Lebensjahr die reguläre Altersgrenze darstellt. Auch hier ist eine vorzeitige Inanspruchnahme mit der Vollendung des 60. Lebensjahres möglich; diese Variante bleibt für alle Jahrgänge offen, jedoch ist dies wiederum mit erheblichen Abschlägen verbunden.[16]

Seitens des Gesetzes wird in § 187a SGB VI die Möglichkeit des Ausgleichs der zu erwartenden Abschläge durch Einzahlung von Aufstockungsbeiträgen angeboten. Hierbei sind allerdings unverhältnismäßig hohe Aufwendungen erforderlich.

Für Versicherte die vor einem in den Vertrauensschutzregelungen genannten Stichtagen geboren sind und die weiteren zusätzlich geforderten Tatbestände erfüllen, genießen Vertrauensschutz in die Anhebung der Altersgrenzen, wie sie das RRG 1992 vorgesehen hat.[17]

Mit der Neufassung zum 01.01.2000 durch das RRG 1999 wurde diese Vorschrift vom Hauptrecht in das Sonderrecht überführt, wonach diese Rentenart nur noch von Versicherten der Geburtsjahrgänge vor 1952 beansprucht werden kann. Außerdem wurde die bisherige Regelung zur Altersgrenzenanhebung in § 237 SGB VI integriert, d.h. § 41 Abs.1 in der Fassung bis 31.12.1999 wurde zu § 237 Abs.3 SGB VI.[18]

5.2.3 § 237 Abs.4, Nr.1, lit. B

Die Vertrauensschutzregelung des § 237 Abs.4, Nr.1, lit.b findet Anwendung, wenn am 14.02.1996 besondere Voraussetzungen erfüllt sind. Dabei wurde der Stichtag auf den 14.02.1996 festgelegt, da hier der Kabinettsbeschluss zu dem Eckpunktepapier, welches dem RuStFöG zugrunde liegt, stattgefunden hat.

Von dieser Regelung sind die Versicherten betroffen, die bis zum 14.02.1941 geboren sind, d.h. sie hatten zum Zeitpunkt des Kabinettsbeschlusses das 55. Lebensjahr bereits vollendet und zählten somit zu den rentennahen Jahrgängen. Sie werden deshalb in den Vertrauensschutz einbezogen, weil sie schon Dispositionen, bspw. die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses, getroffen haben. Weiterhin muss das Arbeitsverhältnis dieser Versicherten aufgrund einer vor dem Stichtag erfolgten Kündigung oder Vereinbarung nach dem 13.02.1996 beendet worden sein. Hierbei ist zu beachten, dass die Kündigung wirksam ist. Auf den Grund der Kündigung kommt es dabei nicht an und es wird vom SGB VI auch keine schriftliche Kündigung vorausgesetzt, da diese selbst grundsätzlich nicht formbedürftig ist.[19] Was jedoch zu einer Vereinbarung zählt, ist schwieriger feststellbar, so dass sich mit dieser Problematik auch schon das BSG beschäftigt hat[20]. Unter einer Vereinbarung, also einem Aufhebungsvertrag, ist die Beendigung oder eine gegebenenfalls wiederholte Befristung der Beschäftigung zu verstehen.[21] Außerdem werden vom Vertrauensschutz des § 237 Abs.2, Nr.1, lit.b SGB VI auch diejenigen Versicherten erfasst, welche aufgrund einer kollektiven Vereinbarung vor dem Stichtag einen bindenden Antrag auf Beendigung ihres Arbeitsvertrages gegenüber dem ArbG gestellt haben, welcher zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses führte. Somit steht einer individuellen Vereinbarung auch eine kollektive Vereinbarung, wie ein Tarifvertrag oder eine Betriebsvereinbarung gleich. Diese müssen jedoch auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gerichtet sein und der ArbN muss einen Antrag auf Beendigung des Arbeitsverhältnisses stellen. Dieser Personenkreis sollte sich auch auf Vertrauensschutz berufen können, weil sie aufgrund der Gesetzesänderung, die eine Anhebung der Altersgrenze zur Folge hatte, nicht mehr hätten reagieren können.[22] Vor allem wären sie ab der Antragstellung und dem Zugang des Antrages beim ArbG nicht mehr flexibel genug gewesen, um getroffene Nachteile abzuwenden. Hierbei ist es nicht von Bedeutung, dass in diesen Fällen am Stichtag möglicherweise noch nicht genau feststand, wann das Arbeitsverhältnis beendet werden würde.[23]

Der vorliegende Vertrauensschutz setzt außerdem voraus, dass der Versicherte anschließend an die Kündigung oder Vereinbarung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses arbeitslos geworden ist. Dabei ist kein nahtloser Übergang in die Arbeitslosigkeit erforderlich, sondern vielmehr, dass der Versicherte überhaupt nach dem Ende des Beschäftigungsverhältnisses arbeitslos geworden ist.

In den oben genannten Urteilen des BSG hatte keiner der Kläger die Vertrauensschutztatbestände erfüllt, da weder eine Kündigung noch eine Vereinbarung vor dem 14.02.1996 ausgesprochen wurde oder der Kläger vor dem Stichtag geboren wurde.[24] Somit haben alle drei Versicherten ihre Altersrente wegen Arbeitslosigkeit vorzeitig in Anspruch genommen und mussten unterschiedlich hohe Rentenabschläge in Kauf nehmen.

5.3 Verstoß der Vertrauensschutzregelung gegen das Grundgesetz

Nun soll festgestellt werden, ob die Vertrauensschutzregelungen des § 237 Abs.2 SGB VI a.F. (jetzt § 237 Abs.4 SGB VI in der Fassung des RRG 1999) mit dem Grundgesetz vereinbar ist oder ob ein Verstoß vorliegt.

5.3.1 Grundrechtsverletzung in Art. 14 Abs.1 GG

Nach Meinung des 5. und 13. Senats des BSG sind die Kläger nicht in ihrer Eigentumsgarantie nach Art. 14 Abs.1 GG verletzt, wenn sie nun vor der Wahl stehen, ob sie mit der für sie maßgebenden Altersgrenze oder unter Inkaufnahme von Rentenabschlägen mit 60 Jahren in Rente gehen, anstatt die Rente nach früherem Recht mit Vollendung des 60. Lebensjahres ungemindert in Anspruch zu nehmen.[25]

Zwar führt die stufenweise Anhebung der Altersgrenze für den Bezug einer Altersrente wegen Arbeitslosigkeit und der eventuell eintretenden Abschläge nicht zu einem Eingriff in eine laufende Rente, jedoch kann dies als ein Eingriff in die vom Versicherten erworbenen Rentenanwartschaften gesehen werden.[26] Nach der Rechtsprechung werden Rentenansprüche und -anwartschaften aus der GRV vom Schutzbereich des Art.14 Abs.1 GG erfasst. Hierbei fallen Rentenanwartschaften unter die Eigentumsgarantie, wenn sie bei Erfüllung der Voraussetzungen zu einem Vollrecht umgewandelt werden. Auch die Altersrente wegen Arbeitslosigkeit wird vom Schutzbereich des Art.14 GG erfasst.[27]

Im Gegensatz zur Meinung des 5. und 13. Senats sehen andere Wissenschaftler einen Eingriff in den Schutzbereich des Art.14 Abs.1 GG, welcher im folgenden Abschnitt dargestellt wird.

Zunächst ist jedoch fraglich, ob auch die Altersgrenze vom Eigentumsschutz umfasst ist. Die Altersgrenze des Versicherten, mit der sie in Rente gehen, spiegeln sich im Zugangsfaktor wieder, indem bei einer vorzeitigen Inanspruchnahme der Zugangsfaktor gemindert wird und somit die Rentenhöhe niedriger ausfällt, um die längere Bezugsdauer der Rente zu kompensieren. Aufgrund der Abhängigkeit des Zugangsfaktors und des Renteneintrittsalters, wird auch die festgesetzte Altersgrenze vom Schutzbereich des Art.14 Abs.1 GG erfasst. Sowohl die Anhebung der Altersgrenze für die Inanspruchnahme einer Altersrente wegen Arbeitslosigkeit als auch die bei vorzeitiger Inanspruchnahme vorgesehenen Rentenabschläge führen zu einer Veränderung eigentumsrechtlichen Anwartschaften, welche wegen ihrer einschränkenden Wirkung der Eigentumsfreiheit einen Eingriff in den Schutzbereich des Art.14 Abs.1 GG darstellen.[28]

Zwar neigt der 5. Senat zu der Auffassung, dass die vor der Rechtsänderung durch das RuStFöG einfach ausgestaltete Rechtsposition auch insoweit vom Schutzbereich des Art. 14 Abs.1, S.1 GG erfasst wird, denn hier konnte mit dem Leistungsversprechen auf eine Rente wegen Alters unter bestimmten Voraussetzungen mit Vollendung des 60. Lebensjahres der Versicherungsfall des Alters gewillkürt herbeigeführt werden, d.h. es bestand eine zukünftige Gestaltungsmöglichkeit.[29]

Zwar hat der Gesetzgeber die EP an sich nicht gekürzt, sondern hat die Altersgrenze angehoben und den Zugangsfaktor bei einem vorzeitigen Rentenbezug gemindert. Trotzdem stellt dies im Ergebnis eine Verschlechterung der bisherigen Rechtsposition – kürzere Laufzeit bzw. geringerer Zahlbetrag der Rente – der Versicherten dar. Auch in diesem Fall sieht der 5. und 13. Senat keine Grundrechtsverletzung in Art. 14 GG, sondern hat festgestellt, dass es sich hierbei um eine zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung des Gesetzgebers handelt.[30]

5.3.1.1 Gründe und Ziele des RuStFöG vom 23.07.1996

„Mit der in Frage stehenden Regelung des § 41 Abs.1a SGB VI in der Fassung des RuStFöG bzw. § 41 Abs.1 SGB VI in der Fassung des WFG hat der Gesetzgeber einen wesentlichen Anstieg der Frühverrentungen in der ersten Hälfte der 90er-Jahre Rechnung getragen.“[31]

Somit war Anlass dieser Reform den erheblichen Ausweitungen der Frühverrentungspraxis in den Jahren zuvor entgegenzuwirken. Durch diese Art der betrieblichen Personalanpassung wurde die RV und AV mit Kosten belastet, welche nur über höhere Beitragssätze finanziert werden könnten.[32] Deshalb war ein schnelles Handeln seitens des Gesetzgebers erforderlich, zumal in den kommenden Jahren erwartet wurde, dass geburtenstarke Jahrgänge die Frühverrentungsmaßnahmen in Anspruch nehmen würden.[33]

Ziel dieses Gesetzes sowie des RRG 1992 war es, die Beitragssätze zu senken oder sie jedenfalls zu stabilisieren, um so die RV dauerhaft und bezahlbar zu erhalten und den Produktionsfaktor Arbeit im Interesse der Arbeitsplatzschaffung oder mindestens der -erhaltung von zusätzlichen Lohnnebenkosten frei zu halten. Im Bereich der RV sollte hierdurch eine Entlastung von 20,3 Mrd. DM, welche auf die Jahre 1998 bis 2003 verteilt wurden, entstehen. Im wesentlichen stellt die mit dem RuStFöG vorgezogene Anhebung der Altersgrenze eine Inhalts- und Schrankenbestimmung dar, welche vorrangig dazu dient, die Funktions- und Leistungsfähigkeit der Rentenversicherung im Interesse aller zu erhalten und diese den wirtschaftlichen Gegebenheiten anzupassen. Zwar lässt die Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung arbeitsmarktpolitische Zielsetzungen erkennen, diesem steht jedoch nichts entgegen. Ziel des Gesetzgebers war es hierbei eine Sozialleistung abzubauen, welche aus seiner Sicht zweckentfremdet wurde, vor allem in Großunternehmen war es eine gängige Praxis ältere ArbN weit vor Erreichen der regulären Altersgrenze in den Ruhestand zu versetzen. Dabei war das Ziel der Unternehmen ihre Belegschaft zu verkleinern bzw. zu verjüngen.[34] Dadurch wird nicht nur die RV sondern auch die AV mit zusätzlichen Kosten belastet. Hierbei werden die Kosten dieser Frühverrentungen größtenteils nicht von den Betrieben, die solche Maßnahmen durchführen, und den ArbN, die diese Maßnahmen in Anspruch nehmen, getragen, sondern über notwendigere höherer Beitragssätze zur Sozialversicherung von den Klein- und Mittelbetrieben und ihren ArbN.[35]

5.3.1.2 Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes

Die vorgezogene Anhebung der Altersgrenze ist dann verfassungswidrig, wenn der Schutzbereich des Art. 14 Abs.1 GG tangiert wird und die Regelung durch Gründe des öffentlichen Interesses unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gerechtfertigt ist. Das BSG prüft daher, ob die vorgezogene Anhebung der Altersrente für die Inanspruchnahme einer Altersrente wegen Arbeitslosigkeit verhältnismäßig ist, d.h. ob sie geeignet, erforderlich und zumutbar ist.


[...]

[1] Im Rahmen dieser Seminararbeit wird jedoch nur noch auf die Altersrente wegen Arbeitslosig-

keit eingegangen.

[2] Es wird davon ausgegangen, dass alle übrigen Voraussetzungen erfüllt sind, wie bspw. die Ein-

haltung der Hinzuverdienstgrenze.

[3] Dieser Seminararbeit liegen die Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 25.02.2004 (Ak-

tenzeichen: B 5 RJ 44/02 R; B 5 RJ 62/02 R) und vom 05.08.2004 (Aktenzeichen: B 13 RJ

40/03 R) zu Grunde.

[4] vgl. Urteil des BSG vom 25.02.2004, AZ: B 5 RJ 44/02 R

[5] vgl. Urteil des BSG vom 25.02.2004, AZ: B 5 RJ 44/02 R

[6] vgl. Urteil des BSG vom 25.02.2004, AZ: B 5 RJ 62/02 R

[7] vgl. Urteil des BSG vom 05.08.2004. AZ: B 13 RJ 40/03 R

[8] vgl. Urteil des BSG vom 25.02.2004, AZ: B 5 RJ 44/02 R, AZ: B 5 RJ 62/02 R; BSG-Urteil

vom 05.08.2004, AZ: B 13 RJ 40/03 R

[9] vgl. Entscheidung des BSG vom 28.10.2004, AZ: B 4 RA 42/04 R

[10] vgl. Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (Hrsg.) 2003, S. 355

[11] in der maßgeblichen, bis 31.12.2000 geltenden Fassung

[12] vgl. Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (Hrsg.) 2003, S. 429 ff.

[13] vgl. Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (Hrsg.) 2003, S. 953

[14] Brall 2003, S. 133

[15] vgl. Schulin 1999, § 9, RdNr. 135

[16] vgl. Schulin 1999, § 9, RdNr. 139

[17] vgl. Brall 2003, S. 134

[18] vgl. Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (Hrsg.) 2003, S. 955 f.

[19] vgl. Klattenhoff, §237 SGB VI, S. 47

[20] vgl. Urteil des BSG vom 30.10.2001 (AZ: B 4 RA 15/00 R)

[21] vgl. Klattenhoff, § 237 SGB VI, S. 47

[22] vgl. SozR 3-2600, § 237 SGB VI, S. 4

[23] vgl. SozR 3-2600, § 237 SGB VI, S. 10

[24] vgl. Urteil des BSG vom 05.08.2004, AZ: B 13 RJ 40/03 R

[25] vgl. Urteil des BSG vom 25.02.2004, AZ: B 5 RJ 44/02 R, AZ: B 5 RJ 62/02 R; BSG-Urteil

vom 05.08.2004, AZ: B 13 RJ 40/03 R

[26] vgl. Brall 2003, S. 134

[27] vgl. Brall 2003, S. 134

[28] vgl. BVerfGE 22, S. 241 (253)

[29] vgl. BVerfGE 22, S. 241, (253)

[30] vgl. Urteil des BSG vom 25.02.2004, AZ: B 5 RJ 44/02 R

[31] Urteil des BSG vom 25.02.2004, AZ: B 5 RJ 44/02 R

[32] vgl. Michaelis, Rieckhoff 2003, S. 6

[33] vgl. SozR 3-2600, § 237 SGB VI, S. 9

[34] vgl. BT-Druck 13/4336, S. 14

[35] vgl. BT-Druck 13/4336, S. 14

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Aktuelle Rechtssprechungen aus dem Sozialrecht - Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu den Rentenabschlägen bei vorgezogener Altersrente
Hochschule
Fachhochschule der Sächsischen Verwaltung Meißen
Veranstaltung
Sozialverwaltung und Sozialversicherung
Note
11
Autor
Jahr
2006
Seiten
21
Katalognummer
V58182
ISBN (eBook)
9783638524476
ISBN (Buch)
9783656782544
Dateigröße
508 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Aktuelle, Rechtssprechungen, Sozialrecht, Rechtsprechung, Bundessozialgerichts, Rentenabschlägen, Altersrente, Sozialverwaltung, Sozialversicherung
Arbeit zitieren
Susanne Jehmlich (Autor:in), 2006, Aktuelle Rechtssprechungen aus dem Sozialrecht - Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu den Rentenabschlägen bei vorgezogener Altersrente, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/58182

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