Sind Bewusstseinszustände Gehirnzustände - Das Bewusstsein in der Neurowissenschaft und in der Philosophie


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

23 Seiten, Note: gut


Leseprobe


Inhalt

1. Das Thema Bewusstsein in der Philosophie

2. Thomas Nagel und die Fledermaus

3. Weitere philosophische Sichtweisen

4. Erklärt Neurowissenschaft Bewusstsein?

5. Wie wichtig ist der qualitative Aspekt von Erlebnissen?

6. Folgerungen

7. Quellen

1. Das Thema Bewusstsein in der Philosophie

Laut Thomas Metzinger, Philosophieprofessor an der Universität Mainz, ist „Bewusstsein“ ein traditionelles Thema, das den Menschen schon sehr lang beschäftigt – möglicherweise auch deshalb, weil es sich dabei um ein Phänomen handelt, das vor allem ihn selbst betrifft und daher persönliches Interesse weckt.

Sowohl die Philosophie als auch die Psychologie verstehen Bewusstsein als das gesamte menschliche Erleben, dessen Bewusstseinsinhalte sie seit langem zu erforschen versuchen.

Seit das Thema im 17. Jahrhundert in Verbindung mit dem Leib-Seele-Modell von René Descartes diskutiert wurde, haben sich hauptsächlich Fragen nach der Beschaffenheit des Bewusstseins oder nach seiner Beziehung zum physischen Teil des Menschen, dem Körper, in den Vordergrund gedrängt. Der Begriff des Bewusstseins wurde erweitert und differenziert, auch in der Psychologie ging es nicht mehr nur um Sinneseindrücke, sondern um die Erforschung komplexer Empfindungen, Vorstellungen, Erinnerungen usw.. Experimentelle Analysen wurden durchgeführt und ausgebaut; im letzen Jahrhundert kamen Ergebnisse der kognitiven Psychologie und schließlich zahlreiche Erkenntnisse aus der Neurobiologie hinzu und die Fragen nach dem Ursprung phänomenalen Erlebens wurden konkreter. Können Bewusstseinszustände mit Gehirnzuständen gleichgesetzt werden? Rufen bestimmte Gehirnzustände bewusstes Erleben hervor und wenn ja, wie? Wie kann etwas Physisches etwas Mentales hervorbringen, oder wie sind diese Eigenschaften überhaupt in Verbindung zu bringen?

Seit Ende des letzten Jahrhunderts beschäftigte sich vor allem die analytische Philosophie des Geistes mit diesem Problem und ihre Untersuchungen brachten besonders im englischsprachigen Raum viele verschiedene Ansichten zum Thema Bewusstsein hervor. Da die meisten dieser Betrachtungen stets im Austausch mit aktuellen Erkenntnissen aus der Hirnforschung und den Neurowissenschaften erfolgten und noch erfolgen, wird oft eine physische Erklärung von Bewusstseinszuständen angestrebt, die auch als Materialismus oder Reduktionismus bezeichnet wird, da sie psychische Phänomene entweder durch physische (materielle) Vorgänge erklärt oder sie auf solche reduziert.

Da es aus den Neurowissenschaften jedoch noch keine umfassenden Nachweise für konkrete Zusammenhänge von Bewusstsein und Gehirnvorgängen gibt, sind viele Philosophen der Meinung, dass Theorien, die Bewusstsein reduzieren wollen, seine komplexe subjektive Struktur nicht befriedigend erklären und auch nie befriedigend erklären werden. Einer dieser Philosophen ist Thomas Nagel, welcher in seinen Schriften zum Thema Bewusstsein immer wieder die irrreduzible Eigenschaft des qualitativen Aspekts von Erlebnissen hervorhebt und dessen Hauptgedanken hierzu im Folgenden vorgestellt werden sollen. Im Anschluss sollen seine Thesen verschiedenen Argumenten anderer Philosophen und Wissenschaftler gegenübergestellt werden.

2. Thomas Nagel und die Fledermaus

In seinem Aufsatz „Wie ist es, eine Fledermaus zu sein?“ von 1974 benutzt Thomas Nagel die Fledermaus als Beispiel dafür, dass wir uns wohl kaum in die Innenperspektive eines anderen Lebewesens hineinversetzen können und daher über dessen Erlebnisse nicht Genaues wissen können. Dabei geht Nagel davon aus, dass Fledermäuse tatsächlich Erlebnisse haben und zwar in dem Sinne, „daß es irgendwie ist, eine Fledermaus zu sein“ (Nagel 1974, 163). Obwohl uns die Fledermaus rein biologisch noch recht nahe steht, scheint es für uns doch ziemlich schwierig zu sein, uns das Erleben von Fledermäusen vorzustellen. Er ist zwar der Meinung, dass man sich mit viel Phantasie ausmalen kann, wie man sich selbst als Fledermaus wahrnehmen könnte, jedoch würde dies nichts darüber aussagen, wie es für eine Fledermaus ist, eine Fledermaus zu sein. Wir können uns vielleicht durch genaue Beobachtung erklären, wie sie etwas wahrnimmt und ihr Verhalten hinsichtlich ihrer Erfahrungen interpretieren, doch den subjektiven Aspekt ihrer Erlebnisse können wir selbst nicht kennen lernen und deshalb können wir uns auch keinen Begriff davon machen, wie es ist, eine Fledermaus zu sein.

Dennoch, so ist sich Nagel sicher, ist diese subjektive Eigenschaften von Erlebnissen gewiss, denn schließlich würden die meisten Menschen zugeben, dass es irgendwie ist, sie selbst zu sein und würden diese subjektive Erfahrung auch anderen Menschen zusprechen, auch wenn sie selbst deren Perspektive niemals einnehmen könnten. Deshalb meint Nagel auch, dass wir ebenfalls von anderen Lebewesen annehmen können, dass sie auf eine bestimmte uns nicht zugängliche Art und Weise erleben und will damit deutlich machen, dass wir gewisse Gegebenheiten als existent betrachten können, auch wenn wir sie nicht mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln erklären können. Diese beiden Bedingungen vorausgesetzt – nämlich, dass es subjektive Erlebnisse durchaus in verschiedenen Formen gibt und dass sie stets an eine bestimmte Perspektive gebunden sind – stellt sich für Thomas Nagel die Frage, wie solche Erfahrungseigenschaften physisch, also im Körper von Lebewesen, die diese Erlebnisse haben, nachgewiesen werden können. Wie lässt sich etwas rein Mentales materiell erklären (nach: Nagel 1974)?

Des Weiteren sieht er eine besondere Schwierigkeit für den Reduktionismus in der festen Verbindung von Erfahrung und Perspektive: Während bei vielen Untersuchungen die Reduktion von perspektivischer Betrachtung zu einem genaueren Erfassen der Wirklichkeit beiträgt (dadurch, dass die beobachteten Gegenstände viele Eigenschaften außerhalb unseres subjektiven Erlebens besitzen), scheint dies nicht auf Erfahrungen an sich zuzutreffen. Denn „[w]enn der subjektive Charakter einer Erfahrung nur von einer einzigen Perspektive aus ganz erfaßt werden kann, dann bringt uns jeder Schritt hin zu größerer Objektivität, d.h. zu geringerer Bindung an eine spezifische Erlebnisperspektive, nicht näher an die wirkliche Natur des Phänomens heran: sie führt uns weiter von ihr weg“ (Nagel 1974, 268).

Deshalb hält er eine Objektivierung auch in Form von Reduktion jedoch nicht für vollkommen falsch. Für das Verständnis all jener Dinge beispielsweise, die unabhängig von einer bestimmten Perspektive Eigenschaften aufweisen, die durchaus objektivierbar sind (also physikalische Eigenschaften), hält er die Reduktion von Perspektive für durchaus angebracht, wenn nicht sogar notwendig. Nur auf diese Weise könnte man laut Nagel die „äußere Welt“ besser verstehen und sich eine gemeinsame Realität schaffen – und wie sonst sollte man sich über manche Phänomene oder Ereignisse mit Gewissheit austauschen, wenn nicht über ihre aperspektivischen Eigenschaften (nach: Nagel 1991 und 1992)?

Für die „innere Welt“ hingegen, zu welcher das phänomenale Bewusstsein gehört, welches uns spezifische Erlebnisqualitäten erfahren lässt, ist Perspektive oder Subjektivität laut Nagel wesentlich und sollte bei der Erforschung bewussten Erlebens nicht übergangen oder überwunden werden, da dies nur zu einer Minderung des Verstehens führen würde.

Gerade die Eigenschaft der offensichtlichen Irrreduzibilität unseres subjektiven Erfahrungscharakters ist es, die für ihn das psychophysische Problem so interessant und schwierig macht. Obwohl viele seiner Zeitgenossen versuchen, Bewusstsein durch materialistische und physikalistische Theorien zu erklären – was durch wachsende Bedeutung der Neurowissenschaften auch gerechtfertigt scheint – hält Nagel an den problematischen Eigenschaften phänomenalen Erlebens fest und betont die Erklärungsschwierigkeiten, denen Reduktionisten mit Hilfe ihrer Objektivierung dieser subjektiven Bewusstseinszustände oft aus dem Weg gehen. Er macht darauf aufmerksam, dass bisher nur wenig über die Funktionen des Bewusstseins bekannt und erklärt ist und hebt den qualitativen Charakter von bewusstem Erleben als die Tatsache hervor, die bisher am wenigsten befriedigend erläutert worden ist. Ohne jedoch geklärt zu haben, was diese Eigenschaft ausmacht und was sie für den Erfahrungsprozess bedeutet, so Nagel, hat man auch keine genauen Vorstellungen davon, was eine physikalistische Theorie überhaupt leisten muss (nach: Nagel 1974).

Um seine eigene Position zu verteidigen muss der Physikalismus laut Nagel deshalb erst einmal darüber aufklären, wie mentale Zustände als physikalische Prozesse zu begreifen sind. Er muss verständlich machen, wie es ist, bestimmte physikalische Prozesse zu durchlaufen. Das heißt, er muss phänomenales Bewusstsein, den subjektiven Charakter der Erfahrung physikalisch begründen und das ist nach Thomas Nagels Auffassung nicht möglich, denn eine physikalische (objektive) Erklärung von etwas Subjektivem, Perspektivischem würde seinen oben erläuterten Ansichten zufolge zu keinem Verständnis führen. Der Physikalismus ist daher „[...] eine Position [...], die wir nicht verstehen können, weil wir gegenwärtig keine Konzeption davon haben, wie er wahr sein könnte“ (Nagel 1974, 269), wir haben keine Vorstellung davon, wie etwas Mentales und etwas Materielles ein und denselben Sachverhalt beschreiben können und aus diesem Grund sind alle bisherigen physikalistischen Hypothesen unzureichend.

Gleichwohl bemerkt Thomas Nagel in dem Aufsatz „Wie ist es, eine Fledermaus zu sein?“, dass eine Übereinstimmung von Erlebniszuständen und Gehirnzuständen tatsächlich möglich wäre, auch wenn wir nicht, oder besser: noch nicht in der Lage sind, diese nachzuvollziehen. Auch in seinem Buch „Der Blick von nirgendwo“ spricht er die Notwendigkeit an, Theorien zu entwickeln, die unser phänomenales Bewusstsein mit unserem materiellen Körper zu verbinden vermögen, denn schließlich sind wir selbst ja der beste Beweis dafür, dass Psychisches und Physisches irgendwie zusammenhängen kann. Bevor jedoch solche Theorien entworfen werden können, müssen wir uns laut Nagel damit abfinden, dass dies nicht im Bereich einer physikalistischen Objektivität mit physikalistischen Begriffen erfolgen kann und jede Art von Reduktion mentaler Phänomene unterlassen werden muss. Nach seiner Ansicht kann und sollte man durchaus in allgemeiner Form über phänomenales Bewusstsein reflektieren. Allerdings müsse dabei stets im Auge behalten werden, dass es sich immer (noch) um subjektive, perspektivische Erfahrungen handelt, weshalb sie mit funktionalen Begriffen nicht erfasst werden können. Um also den qualitativen Aspekt dieser Erlebnisse erforschen zu können, muss einerseits eine Gesprächsebene geschaffen werden, die Thomas Nagel als „psychische Objektivität“ bezeichnet, andererseits müssen ebenfalls neue Begriffe entwickelt werden, die der Verbindung von Erlebniszuständen mit Gehirnzuständen gerecht werden.

[...]

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Sind Bewusstseinszustände Gehirnzustände - Das Bewusstsein in der Neurowissenschaft und in der Philosophie
Hochschule
Universität Rostock  (Institut für Philosophie)
Veranstaltung
HS Analytische Philosophie des Geistes
Note
gut
Autor
Jahr
2005
Seiten
23
Katalognummer
V58159
ISBN (eBook)
9783638524308
ISBN (Buch)
9783656779612
Dateigröße
436 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Sind, Bewusstseinszustände, Gehirnzustände, Bewusstsein, Neurowissenschaft, Philosophie, Analytische, Philosophie, Geistes
Arbeit zitieren
Franziska Nack (Autor:in), 2005, Sind Bewusstseinszustände Gehirnzustände - Das Bewusstsein in der Neurowissenschaft und in der Philosophie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/58159

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