Reggiopädagogik - Der Raum als dritter Erzieher

Zum Einfluss der Raumgestaltung auf die Entwicklung und Förderung von Kindern


Hausarbeit, 2005

28 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

0. Einleitung

1. Die Reggiopädagogik
1.1. Zur Entstehung der Reggiopädagogik
1.2. Zum Konzept der Reggiopädagogik
1.2.1. „Pedagogia della Partecipazione“
1.2.2. Die hundert Sprachen der Kinder
1.2.3. Projekte: Der Weg ist das Ziel
1.2.4. Experimentelle Pädagogik
1.2.5. Kernpunkte des pädagogischen Handelns
1.3. Der Raum als dritter Erzieher
1.4. Die Architektur und Raumgestaltung in der Reggiopädagogik
1.4.1. Grundlagen der Raumgestaltung
1.4.1.1. Konkrete Beispiele
1.4.1.1.1. Die Krippe Acrobaleno
1.4.1.1.2. Die Krippe Diana
1.4.1.2.. Vielfalt und Fülle von Anschauungsmaterial
1.5. Zum Einfluss der Raumgestaltung auf die Entwicklung und
1.6. Die Reggiopädagogik in Deutschland

2. Zusammenfassende Diskussion

3. Literaturverzeichnis

4. Anlagen

0. Einleitung

Die Reggiopädagogik ist kein ausgefeiltes Theoriemodell, aus dem sich bestimmte professionelle Handlungsweisen für die elementarpädagogische Praxis ableiten lassen. Sie lässt sich eher als eine Erziehungsphilosophie verstehen, die eine Reihe von Grundannahmen und flexibel handhabbaren Praxiselementen miteinander verbindet. Zu nennen sind vor allem

das Bild vom Kind,

die Bedeutung von Identität und Gemeinschaft,

die Vorstellung von Bildung und Lernen,

die Bedeutung von Projekten,

die Rolle Erwachsener,

die Bildungsfunktion von Räumen (der Raum als "3. Erzieher").

Mit diesen zentralen Elementen stellt sich die Reggiopädagogik als ein Konzept dar, das durch

- Optimismus,
- Offenheit und
- Ganzheitlichkeit

eine hohe Attraktivität aufweist, das aber auch von den Beteiligten die Überwindung traditioneller Vorstellung von der helfenden Erzieherin abverlangt, die die Probleme der Kinder löst und es den Kindern „schön machen“ möchte.

Berechtigt ist die Frage, ob die Reggio Pädagogik sich nur in den kommunalen Kindertageseinrichtungen in Reggio Emilia realisieren kann, weil sich hier ein unverwechselbares Zusammenspiel von historischen, kulturellen und politischen Bedingungen für die Entfaltung einer spezifischen, theoretisch reflektierten elementarpädagogischen Praxis ergeben hat (vgl. Göhlich, 1990).

Geht man von der Reggiopädagogik als einer Erziehungsphilosophie aus, wird man dagegen feststellen, dass die zentralen Grundannahmen der Reggiopädagogik, vor allem die Vorstellung vom aktiven, die Welt erschließenden Kind, relativ unabhängig von den äußeren Rahmenbedingungen umsetzbar sind. Die materiellen und insbesondere personellen Bedingungen elementarpädagogischer Praxis können andererseits die Umsetzungsqualität der Reggiopädagogik erheblich beeinflussen.

Hauptaugenmerk der vorliegenden Arbeit liegt auf dem Konzept des dritten Erziehers, sowie auf den architektonischen Gegebenheiten der italienischen Krippen und Kindergärten in Reggio Emilia.

Es soll außerdem versucht werden den Einfluss der Architektur sowie der Raumgestaltung auf die Entwicklung der Kinder darzustellen.

1. Die Reggiopädagogik

Ihren Namen verdankt die Reggiopädagogik der Stadt, in der sie sich entwickelt hat. Mit dieser Namensgleichheit von Stadt und Pädagogik wird auf die enge Verbundenheit dieses Vorschulkonzepts mit den situativen Gegebenheiten in dieser Stadt hingewiesen. Loris Malaguzzi hat mit seinen Vorstellungen die weltweit beachtete Reggiopädagogik grundlegend beeinflusst. Er ist keine Gründergestalt im traditionellen Sinn, sondern verstand sich als pädagogischer Berater. 1991 wurde diese Pädagogik weltweit als beste Pädagogik für die Erziehung von Kindern im Vorschulalter anerkannt (vgl. Dreier, 1993).

Malaguzzi wollte zusammenfügen, was sonst im Kindergarten getrennt war: Das Kind, seine Familie und die Umgebung. Die Reggiopädagogik stellt das Recht des Kindes auf Erziehung und Bildung in den Mittelpunkt, unabhängig von den körperlichen, sozialen oder gesellschaftlichen Voraussetzungen.

Die drei wichtigsten Grundsätze in dieser Pädagogik sind

1. die Erziehung zur Demokratie,
2. die Erziehung zur sozialen Gerechtigkeit und
3. die Erziehung zur Solidarität.

Die Reggiopädagogik ist eine mittlerweile international anerkannte Erziehungs- und Bildungsrichtung aus Italien. Ihre Einrichtungen in Reggio Emilia gehören zu den zehn besten Bildungseinrichtungen der Welt. Jedes Kind hat das Recht auf die eigene Ausbildung und Formung seines Selbst, d. h. nicht der Erwachsene formt sie. Das Kind hat die Freiheit sich alleine oder mit anderen in seinen täglichen Erfahrungen auszuprobieren, zu messen, zu festigen. Dies erfordert von den Erwachsenen Respekt und Wertschätzung des Kindes und seines Tuns. Erziehung soll durch Räume provozieren, soll Nahrung für die Sinne schaffen. Die Kinder sollen konstruktiv streiten lernen, sie sollen sich ihre Spiel- und Arbeitspartner frei wählen können.

Eine Voraussetzung ist die Sicherheit der Bindung zu (einem) Erwachsenen. Eine weitere ist, dass keine festen Antworten als Erziehende gegeben werden, sondern durch Fragen die Kinder selbst zu Lösungen provoziert und diese Prozesse begleitet werden.

1.1. Zur Entstehung der Reggiopädagogik

Die Stadt Reggio Emilia liegt in der Po-Ebene zwischen Bologna und Mailand und gehört zur Region Emilia-Romagna, einer der insgesamt 21 Regionen Italiens. Gemessen an unseren Bundesländern sind diese Regionen weniger autonom und stärker von der Gesetzgebung und der finanziellen Unterstützung der Regierung in Rom abhängig (vgl. Dreier 1993, Krieg 1993).

Die Grundgedanken der Reggiopädagogik sind bereits ab Mitte des 18. Jahrhunderts formuliert worden. Ein Vorreiter war zum Beispiel Rousseau, der für die Achtung vor Freiheit und Würde des Kindes, eintrat. In der Reformpädagogik schritt diese besondere Wertschätzung gegenüber den Kindern weiter voran. Ca. 1920 formulierte der polnische Arzt und Pädagoge Janusez Korczak drei Rechte der Kinder, die sie vor einer Allmacht der Erwachsenen schützen sollen.

1948 wurde auf der Kinderrechtscharta die Rechte der Kinder in die Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen aufgenommen. Darin wurden Standards der Lebensqualität von Kindern kulturunabhängig festgesetzt (vgl. Krieg, 1993).

Politisch gesehen wird dieses Gebiet von alters her als "rote Region" bezeichnet. Es regieren (bis Mitte der 90er Jahre) kommunistisch-sozialistische Koalitionen (vgl. Göhlich 1990, Krieg 1993). Die kommunistische Partei PDS hat sich jedoch bereits in den 60er Jahren, in der sie noch die PCI war, von einer streng marxistisch-leninistischen Orientierung weg-, und einer bürgernahen und basisdemokratischen Politik zugewandt (vgl. Krieg 1993). Zu der besonderen Art der norditalienischen Linken gehört neben ihren sozialen Idealen auch das Streben nach wirtschaftlicher Produktivität (vgl. Dreier, 1993). Die Stadt Reggio-Emilia, mit ihren ca. 130.000 Einwohnern, ist eine der reichsten Kommunen Italiens. Dadurch wird einerseits ein vielfältiges kulturelles Angebot ermöglicht, und zum anderen konnte ein breites Netz an Sozialleistungen ausgebaut werden. Die Höhe des Pro-Kopf-Einkommens in Reggio liegt an vierter Stelle von ganz Italien. Der wirtschaftliche Wohlstand fußt zum einen darauf, dass die landwirtschaftlichen Betriebe, die vorwiegend in Genossenschaften organisiert sind, gut funktionieren, und zum anderen aber auch auf der florierenden Kleinindustrie. In jüngeren Jahren kommt ein Zuwachs auf dem Dienstleistungssektor hinzu (vgl. Krieg 1993,).

Das reichhaltige kommunale Kulturprogramm umfasst beispielsweise Töpfer- und Theaterwerkstätten, Computer-, Schwimm- und Gymnastikkurse speziell für Senioren und vieles mehr (vgl. Dreier 1993, Krieg 1993).

Ob diese vielfältigen Angebote allerdings weiter in diesem Umfang bestehen können, ist nicht mit Sicherheit zu sagen, da in jüngster Zeit auch Norditalien von der Wirtschafts- und Währungskrise betroffen ist. Hinzu kommt, dass die auch heute noch relativ stabile wirtschaftliche Situation viele Immigranten anlockt. Dadurch werden mehr Arbeitsplätze, mehr Wohnungen und mehr bzw. differenziertere soziale Leistungen erforderlich (vgl. Göhlich 1990, Krieg 1993).

In Reggio gibt es derzeit 35 Kindertagesstätten, von denen 13 Krippen und der Rest Kindergärten sind. Die meisten SCI („scuole dell´infanzia“: das sind Kindertagesstätten für drei- bis sechsjährige Kinder.)liegen außerhalb der Stadt, nur einige wenige befinden sich im Altstadtkern. Dieses Phänomen ist durch die geschichtliche Entwicklung bedingt (vgl. Göhlich 1990, Krieg 1993). Nimmt man alle Krippen und Kindergärten, die staatlich, konfessionell und privat organisiert oder aufgrund von Elterninitiativen gegründet worden sind, zusammen, so kommt man auf insgesamt 68 Einrichtungen. Über 99 % der reggianischen Kinder haben einen Kindergartenplatz, und für beinahe 40% von ihnen stehen Krippenplätze zur Verfügung. Erstaunlich ist ebenfalls, dass die Kommune für diese Einrichtungen 40% des Budgets für Bildung und Erziehung aufwendet (vgl. Dreier 1993, Krieg 1993).

In dem für italienische, aber auch für deutsche Verhältnisse überdurchschnittlich hohen Angebot an Einrichtungen für Vorschulkinder, sowie in der öffentlichen finanziellen Unterstützung der öffentlichen Erziehung, kommt die besondere Wertschätzung gegenüber der vorschulischen Erziehung und den kindlichen Belangen in dieser Region zum Ausdruck „denn Krippen und Kindergärten gelten in der Emilia Romagna nicht als „Luxus“ oder „Notbehelf“, sondern vielmehr als Bedingung und Voraussetzung für das Wachsen der privaten und kollektiven Lebensqualität“ (vgl. Dreier 1993, S. 23).

1.2. Zum Konzept der Reggiopädagogik

1.2.1. „Pedagogia della Partecipazione“

Die Erfahrungen eines solidarischen Bemühens haben jedoch nicht nur wirtschaftliche und kulturelle Früchte getragen. Vielmehr wurde auch der soziale Umgang davon geprägt. Dieses Miteinander, dieses Bewusstsein aufeinander angewiesen zu sein, scheint ein Impuls dafür gewesen zu sein, dass sich die gesellschaftlichen Teilbereiche auch in die pädagogischen Unternehmungen haben einspannen lassen. Es bildet die Grundlage und den Kern einer „pedagogia della partecipazione“(vgl. Göhlich, 1997).

Dieses Konzept grenzt sich nach zwei Seiten ab. Zum einen gegen eine Pädagogik, die sich lediglich an wünschbaren individuellen, sozialen oder gesellschaftlichen Zielen orientiert. Andererseits unterscheidet es sich von einer „Laissez- Faire- Pädagogik“ durch die bewusste Aufmerksamkeit, die sie den Kindern und ihrer Eigentätigkeit schenkt, sowie die Hilfe, das Verständnis, die geeigneten Materialien und weiterführenden Ideen, die zur Unterstützung der kindlichen Tätigkeiten zur Verfügung gestellt werden und die stetigen Impulse, die Kinder zu eigenständigem Weiterdenken herauszufordern.

Dabei treten die „pedagogia della partecipazione“ und die Berücksichtigung der individuellen Potenziale in der Reggiopädagogik nicht als Gegensätze auf. Vielmehr akzentuiert sie die kindlichen Möglichkeiten und fügt sie in ein soziales Zusammenspiel von Gleichaltrigen und Erwachsenen ein (vgl. Göhlich, 1990).

Diese Haltung muss sich nicht nur gegen eine an von außen gesetzten Zielen orientierte Pädagogik, sondern auch gegen eine des Laissez- faire abgrenzen.

Vom Laissez- faire unterscheidet sich durch die bewusste Aufmerksamkeit, die sie den Kindern und ihrer Eigentätigkeit schenkt, sowie die Hilfe, das nötige Verständnis, die geeigneten Materialien und weiterführenden Ideen zur Unterstützung der kindlichen Tätigkeit bereitzustellen, um sie zum Weiterdenken herauszufordern.

Doch eine „pedagogia della partecipazione“ und das Anknüpfen an den subjektiven, kindlichen Potentialen, treten in der Reggiopädagogik nicht als Gegensätze auf: Sie akzentuiert die kindlichen Möglichkeiten und fügt sie in ein soziales Zusammenspiel von Gleichaltrigen und Erwachsenen ein, die willens sind, diese kindliche Stimme zu vernehmen und bereit, aufzugreifen, was sie über ihre Welterfahrung mitteilen möchte. Zur individuellen Potenz tritt also soziale Resonanz hinzu. Das soziale Umfeld wird zum Rahmen, in dem die Stimme wahrgenommen wird. Damit tritt das individuelle Potenzial in einen Raum der Verständigung ein und artikuliert sich auf eine mitteilbare Weise (vgl. Rieber, 2002).

[...]

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Details

Titel
Reggiopädagogik - Der Raum als dritter Erzieher
Untertitel
Zum Einfluss der Raumgestaltung auf die Entwicklung und Förderung von Kindern
Hochschule
Universität Koblenz-Landau  (Pädagogik der Frühen Kindheit)
Veranstaltung
Vorschulkonzeptionen
Autor
Jahr
2005
Seiten
28
Katalognummer
V58057
ISBN (eBook)
9783638523523
ISBN (Buch)
9783638680462
Dateigröße
1646 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Reggiopädagogik, Raum, Erzieher, Vorschulkonzeptionen
Arbeit zitieren
Nadine Voigt (Autor:in), 2005, Reggiopädagogik - Der Raum als dritter Erzieher, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/58057

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