Die Euthanasie in Paul Heyses 'Auf Tod Und Leben' und Theodor Storms 'Ein Bekenntnis' unter Einbeziehung juristischer, medizinischer und moralischer Gesichtspunkte


Hausarbeit (Hauptseminar), 2002

35 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Gliederung

1. Definitionen für EUTHANASIE

2. Hinführung

3. Juristische Beurteilung
3.1. Darstellung der Sachverhalte aus den Novellen
3.1.1. Paul Heyse: Auf Tod und Leben
3.1.2. Theodor Storm: Ein Bekenntnis
3.2. Entwicklung des § 216 Tötung auf Verlangen
3.3. Juristische Interpretation
3.3.1. Die Tathandlung des Offiziers Rüdiger (Heyse, 1886)
3.3.2. Die Tathandlung des Dr. med. Franz Jebe (Storm, 1887)

4. Die Krankheitsbilder der Opfer
4.1. Das rheumatische Fieber der Marie (Heyse)
4.2. Die bewußte Wahl der unheilbaren Krankheit in "Auf Tod und Leben"
4.3. Das Uteruskarzinom der Elsi (Storm)
4.4. Die Funktion der Krebserkrankung in "Ein Bekenntnis"

5. Die moralische Betrachtung der Novellen
5.1. Die Schuldfrage aus Sicht des Täters und die Wahl der Buße bei Rüdiger
5.2. Die Schuld und die Wahl der Buße des Dr. Jebe

6. Schlußbetrachtung und aktueller zeitlicher Bezug

7. Literaturverzeichnis

1. Definitionen für EUTHANASIE

Fachsprachlich f. "Sterbehilfe" (> 18. Jhd.) Entlehnt aus

dem Griechischen euthanasia"leichter, schöner Tod";

Abstraktum zu griechisch"euthanatos" glücklich sterbend,

zu griechisch eu (s) "wohl, gut" und griechisch thanatos

m. "Tod".[1]

Euthanasie ist die Sterbehilfe. Sie ist grundsätzlich als

Tötungsdelikt strafbar (beachte § 216 StGB), sobald sie

das Leben durch Beschleunigung des Sterbens abkürzt.[2]

Sterbehilfe: engl. euthanasia; Bezeichnung für ein

Handeln, das bestimmt und geeignet ist, den Tod eines

unheilbar schwerkranken Menschen zu ermöglichen.

Dabei ist die Hilfe beim Sterben (sogenannte Leidhilfe)

von der aktiven und passiven Hilfe zum Sterben zu un -

terschreiden. Die ärztliche Hilfe beim Sterben durch

bloße Schmerzlinderung ohne Lebensverkürzung ist zu -

lässig und vielfach geboten; dies gilt auch, wenn die

Medikation zu Bewußtseinsstörungen führt. Die aktive

Sterbehilfe als gezielte Lebensverkürzung ist grundsätz -

lich unzulässig und zwar selbst dann, wenn der zum

Tod führende Eingriff ausdrücklichen und ernstlichen

Verlangen des Patienten folgt (§ 216 StGB). Straflos

bleibt allerdings die Beihilfe zur Selbsttötung. Die

juristischen Grenzen können allerdings im Einzelfall

problematisch sein. (...)[3]

2. Hinführung

"Wie kommt einer dahin, sein Geliebtestes zu tödten ?"[4]

Eine unheilbare Erkrankung dieses Menschen, - des Lebenspartners - ist es, die den Liebenden zu einer scheinbar widersinnigen Verhaltensweise treibt. Den überaus qualvollen Tod vor Augen, hat der Leidende nur noch den einen Wunsch der Erlösung von seinen Schmerzen im Sinn.

Als "Tötung auf Verlangen" wird dieser Sachverhalt in der Fachsprache der Jurisdiktion nüchtern bezeichnet. -

Doch welche emotionalen Gegensätze tun sich für den um die Tötung angeflehten Partner auf, gesetzt dem Fall, er verwirklicht den an ihn herangetragenen Wunsch nach Tötung? - Auf den ersten Blick wohl ein Anspruch, der überfordernd zu sein scheint.

Betrachtet man die Sache jedoch aus dem Blickwinkel der leidenden Person, ergibt sich ein gänzlich anderes Bild, welches sich nachvollziehen läßt.

Der den Tod wünschende Mensch wird sicherlich -solange im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte- diese Überlegung wohl durchdacht haben. Er wird vor dem Hintergrund des Todes abgewägt haben, was ihm noch bevorsteht, welche Schmerzen noch zu erleiden sein werden, ob man jemals wieder ein vollständiges Mitglied innerhalb der Familie oder der Gesellschaft sein kann, ob in der Zukunft noch Perspektiven zu finden sind, oder ob noch Hoffnung auf Heilung, oder bestenfalls auf Linderung der Krankheit besteht? - Kurzum: Welchen Nutzen hat das Dasein in der derzeitigen, aussichtslosen Form für die Menschen, insbesondere für die, die man liebt und nicht zuletzt auch für sich selbst?

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

[1] Theodor Storm an Paul Heyse 15.07.1887.

Um Sterbehilfe handelt es sich in den Fällen der beiden zur Untersuchung stehenden Novellen von Paul Heyse und Theodor Storm. ("Auf Tod und Leben" 1886 & "Ein Bekenntnis" 1887)

In Heyses Novelle "Auf Tod und Leben" verlangt die unheilbar erkrankte Ehefrau eines Offiziers die Tötung durch ihren Gatten mittels einer Überdosis Morphium, die sie , bereitgestellt von ihrem Mann, selbstständig einnimmt.

In Storms Novelle "Ein Bekenntnis" ist es ein Gynäkologe, der nach eindeutiger Diagnose eines Gebärmutterkarzinoms seine unheilbar krank erscheinende Gattin auf deren Verlangen hin mit der erlösenden Dosis Gift versieht und somit vor unsäglichen Schmerzen bewahren will.

Aus juristischer Sicht muß der Straftatbestand der "Tötung auf Verlangen" (§ 216 Reichstrafgesetzbuch) geprüft werden.

Medizinisch muß vor allen Dingen sichergestellt sein, daß eine Heilung der Krankheiten nach dem aktuellen Wissenstand der Forschung zum Zeitpunkt der Tat ausgeschlossen werden konnte.

Der moralische Standpunkt ist ein wenig komplexer, da es sich bei der Moral um keine Wissenschaft handelt, die eindeutigen Erkenntnissen und Normen folgt. Lediglich von Seiten der katholischen Glaubensauffassung, ist das Töten auf Verlangen eindeutig abzulehnen und als indiskutabel zu klassifizieren, da nach Auffassung der katholischen Kirche allein Gott das Recht über Leben und Tod innehat, und eben dieses Recht vom Menschen unangetastet bleiben muß.

Im Folgenden werde ich näher auf die medizinischen, juristischen und moralischen Belange der in den Novellen dargelegten Schicksale eingehen. Besondere Beachtung wird hierbei die Beurteilung der Schuldfrage von Seiten der Gesellschaft und von Seiten der Protagonisten finden. Weiterhin sollen auch die von den Hauptfiguren selbst gewählten "Bestrafungen" und deren Hintergründe in besonderem Maße berücksichtigt werden.

3. Juristische Beurteiliung

3.1. Darstellung der Sachverhalte aus den Novellen

3.1.1. Paul Heyse: Auf Tod und Leben. 1886

Der Offizier Rüdiger kommt am Ende eines dreimonatigen Manövers nach Hause zurück und findet seine Frau in einem "unsäglichen Zustand" von Krankheit vor. Sie hatte sich während der Zeit seiner Abwesenheit bei der Ausübung ihres Berufes als Hebamme eine Erkältung zugezogen, die sich unbehandelt zu einem rheumathischen Fieber steigerte. Ein chronisches Herzleiden war als Folge des Fiebers zurückgeblieben.

Bei Rüdigers Ankunft sind die Schmerzen und Ängste seiner Gattin bereits zu einem "unerträglichen Grad" angestiegen. Auch ein befreundeter Facharzt aus der Stadt kommt nicht umhin, den Fall als hoffnungslos zu diagnostizieren.

Vor diesem Hintergrund bittet die sterbenskranke Gattin ihren Ehemann im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte und aus eigenem Antrieb um die Erlösung durch eine Überdosis Morphium, die ihren Tod herbeiführen soll.

Rüdiger will anfangs ablehnen, ringt sich jedoch angesichts des Leides seiner Frau dazu durch, der an ihn herangetragenen Bitte Folge zu leisten. Rüdiger bereitet seiner Frau daraufhin einen Morphiumcocktail, den der Arzt selbst zur Linderung der Schmerzen aufs Strengste verboten hat, um den Tod seiner Frau herbeizuführen.

Rüdiger stellt die Mixtur aus Morphium und Mandelmilch auf den Nachttisch neben dem Krankenbett ab und bricht aus Entsetzen über sein Vorhaben bewußtlos zusammen.

Als er wieder zu sich kommt, steht das Glas geleert auf dem Nachttisch. Rüdiger wacht die Nacht über an der Seite seiner sterbenden Frau. Am nächsten Morgen diagnostiziert der herbeigerufene Dorfarzt als Todesursache: "Lähmung des Herzens." sowie "Nervenschlag infolge eines jähen Krampfanfalls."[5]

3.1.2. Theodor Storm: Ein Bekenntnis. 1887

Der Facharzt für Gynäkologie Dr. Franz Jebe diagnostiziert bei seiner Frau Elsi nach eingehender Untersuchung ein Uteruskarzinom.

Verlauf und Ausgang dieser Krankheit sind ihm nur allzu gut bekannt, so daß er das nahende Unglück vor seiner Frau nicht verbergen kann.

Als Jebes Frau ihren nahenden, qualvollen Tod, den er ihr nicht mehr verheimlichen kann, erahnt, bittet sie ihren Mann, im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte und aus eigenem Willen um den Tod.

Dr. Jebe, der sich der aussichtslosen Lage seiner Frau bewußt scheint, verabreicht ihr in bereits fortgeschrittenem Stadium der Krankheit eine Überdosis Morphium.

Die Herztätigkeit, die durch Morphium herabgesetzt wird, vermindert sich schließlich soweit, daß sie während der Nacht zum Erliegen kommt.

Während Jebe die Nacht an Elsis Bett verbringt, verstirbt diese letztendlich.

Nach dem Tod seiner Frau erfährt Jebe aus einer Fachzeitschrift für Gynäkologie, die zu Lebzeiten seiner Frau erschienen ist, von einer Totalexstirpation der Gebärmutter bei Uteruskarzinom. Dem Verfasser des Artikels ist es durch die Entfernug der Gebärmutter in einigen Versuchsfällen gelungen, das Leben seiner Patientinnen zu retten, und ihnen ein Fortleben zu ermöglichen.

3.2. Entwicklung des § 216 Tötung auf Verlangen

Die sogenannte "Sterbehilfe", oder im Rahmen des Diskurses über den § 216 Reichsstrafgesetzbuch auch "Tötung auf Verlangen" genannte Straftat, steht seit ca. 1850 verstärkt zur Debatte in der Öffentlichkeit.[6] Ihren vorläufigen Abschluß fand diese juristische Auseinandersetzung mit Verabschiedung des § 216 Reichsstrafgesetzbuch (RStGB) aus dem Jahre 1871.

Bereits weit vor 1871 gab es jedoch Gesetzesentwürfe, die im Hinblick auf ein vorwiegend "laienhaftes Rechtsbewußtsein" gepaart mit einer "zunehmenden Verrohung der Bevölkerung durch die zahlreichen Bürgerkriege"[7] diskutiert wurden. Für die Bevölkerung und den Gesetzgeber erschien es als unbillig, daß der fahrlässig handelnde Totschläger oder der Massenmörder gleich demjenigen bestraft werden sollte, der auf Verlangen eines unheilbar Kranken tötet, um Leiden und Schmerzen zu beenden.[8] Der Soldat jedoch, der seinen verwundeten Kameraden mit dem Gnadenschuß versieht, sollte wie ein fahrlässiger Totschläger bestraft werden.

Ein Beispiel für diese Überlegungen zeigt sich bereits im Allgemeinen Landrecht für die preußischen Staaten (zwanzigster Titel des zweiten Teils; ALR)

§ 834 besagt: Wer einen Anderen auf dessen Verlangen tödtet, oder ihn zum Selbstmorde behülflich ist, hat sechs- bis zehnjährige, und bei einem überwiegenden Verdachte, den Wunsch nach dem Tode bey dem Getödteten selbst veranlaßt zu haben, lebenswierige Festungs- oder Zuchthausstrafe verwirkt. (Hattenhauer Ausgabe 1970: 699)[9]

Bereits hier kommt es zu einer Strafmilderung bei Tötung auf Verlangen gegenüber Mord und Totschlag.

Auch im Kriegsfall wird im ALR von 1794 differenziert, und die "Tötung aus guter Absicht", zu der ein Soldat ggf. gezwungen werden könnte, zumindest in der Formulierung des Straftatbestandes abgegrenzt, aber in der Festlegung des Strafmaßes nicht anders bemessen als bei einem fahrlässigen Totschläger. In diesem speziellen Fall kommt es zu einer Gleichstellung von Tötung auf Verlangen im Kriegsfall und dem fahrlässigen Totschlag.

§ 833: Wer tödtlich Verwundeten, oder sonst Todkranken, in vermeintlich guter Absicht das Leben verkürzt, ist gleich einem fahrlässigen Todschläger nach § 778., 779. zu bestrafen.[10]

Generell soll also im Allgemeinen Landrecht für die preußischen Staaten derjenige, der das Leben eines Todkranken auf dessen Wunsch hin verkürzt, nicht mit demselben Strafmaß belegt werden, wie ein Mörder, der aus niederen Beweggründen handelt, oder ein Totschläger, der vorsätzlich tötet.

[...]


[1] Aus: Kluge, F.: Etymologisches Wörterbuch, 23. Aufl., Berlin, NY 1999, (hier S. 238).

[2] Aus: Köbler, G.: Juristisches Wörterbuch, 6. Aufl., München 1994. (hier S. 116).

[3] Aus: Klinisches Wörterbuch, hrsg. von W. Pschyrembel, Berlin 1998, (hier S. 1502).

[5] Heyse, P.: Auf Tod und Leben, Berlin 1886, (S. 281).

[6] Burghardt, K.: Werk, Skandal, Exempel, München 1996, (hier S. 279).

[7] Linder, J. u. Ort, C.-M.: <Recht auf den Tod> - <Pflicht zum Sterben> in: Menschenbilder, hrsg. v. Barsch, A. u. Hejl, P., Frankfurt/M. 2000, (hier S. 265).

[8] Nach: Linder, J. und Ort, C.-M. Frankfurt/M, 2000, (hier S. 266).

[9] Ebd.

[10] ebd. (hier S. 266).

Ende der Leseprobe aus 35 Seiten

Details

Titel
Die Euthanasie in Paul Heyses 'Auf Tod Und Leben' und Theodor Storms 'Ein Bekenntnis' unter Einbeziehung juristischer, medizinischer und moralischer Gesichtspunkte
Hochschule
Christian-Albrechts-Universität Kiel  (Institut für Neuere deutsche Literatur und Medien)
Veranstaltung
Hauptseminar: Literarische Konstruktion von Verbrechen und Krankheit
Note
2,0
Autor
Jahr
2002
Seiten
35
Katalognummer
V57957
ISBN (eBook)
9783638522649
ISBN (Buch)
9783656772668
Dateigröße
592 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Zitierung über Fußnoten
Schlagworte
Diskurs, Euthanasie, Paul, Heyses, Leben, Theodor, Storms, Bekenntnis, Einbeziehung, Gesichtspunkte, Hauptseminar, Literarische, Konstruktion, Verbrechen, Krankheit
Arbeit zitieren
Tobias Südkamp (Autor:in), 2002, Die Euthanasie in Paul Heyses 'Auf Tod Und Leben' und Theodor Storms 'Ein Bekenntnis' unter Einbeziehung juristischer, medizinischer und moralischer Gesichtspunkte, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/57957

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