Herrschaftsorganisation und Herrschaftspraxis im anglonormannischen Reich unter Wilhelm I.


Hausarbeit (Hauptseminar), 2006

29 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1) Prolog

2) Schwierigkeiten in der Frühphase der Regierung Wilhelms I.
2.1 Angelsächsische Aufstände bis 1072
2.2 Die Normannischen Burgen als Mittel der Eroberung

3) Die Struktur des Reiches Wilhelms des Eroberers
3.1 Die Entmachtung des einheimischen Adels und der Geistlichkeit
3.2 Das Feudalwesen in England unter den Normannen

4) Die Verwaltungsorganisation des anglonormannischen Reiches Wilhelms I.
4.1 Grafschaftsverfassung
4.2 Curia Regis und Steuerwesen

5) Epilog

6) Quellenverzeichnis

7) Literaturverzeichnis

1) Prolog

Organisation und Praxis einer Herrschaftsausübung sind zwei entscheidende Punkte, ein Reich erfolgreich zu regieren – noch dazu, wenn es sich, wie bei Wilhelm dem Eroberer, um ein fremdes Reich handelte. Mit der siegreichen Schlacht von Hastings hatte Wilhelm zwar den Grundstein für die Eroberung des angelsächsischen Englands gelegt – beherrscht war das Land aber noch keineswegs. Es sind qualitativ zwei verschiedene Dinge, eine Schlacht zu gewinnen und anschließend ein funktionierendes Herrschaftssystem in einem fremden Land zu etablieren. Gewisse parallelen zu aktuellen politischen Vorgängen bestätigen diese Feststellung nur.

Für Wilhelm waren die Probleme in England mit dem Sieg bei Hastings nicht gelöst – sie fingen im Grunde erst an. Wie sollte er mit einer numerisch eklatant unterlegenen Gefolgschaft ein Reich dieser Größe dauerhaft beherrschen? Kapitel 2 dieser Hausarbeit geht auf angelsächsische Aufstände in der Frühphase der Regierung Wilhelms ein und soll herausarbeiten, dass der konsequente Bau normannischer Burgen ein wichtiger Bestandteil der vollständigen Eroberung Englands war – gerade wegen besagter zahlenmäßiger Unterlegenheit der Angreifer. Im folgenden werden weitere konkrete Punkte der Herrschaftsorganisation und Herrschaftspraxis im anglonormannischen Reich für die Regierungszeit Wilhelms I. (1066 – 1087) erörtert, wobei die Abhandlungen aufgrund des Umfangs der Hausarbeit auf einige ausgewählte Probleme reduziert werden müssen.

So soll geklärt werden, inwieweit Wilhelm die vor der Eroberung in England existierende einheimische Adels- und Klerikerschicht entmachtete, und durch ihm getreue Gefolgsleute ersetzte.

Anschließend wird in Kapitel 3.2 der Frage nachgegangen, ob Wilhelm das ihm aus der Normandie bekannte Feudalwesen in England importierte, oder ob er dieses schon vorfand und nur noch für seine Regierung übernehmen musste. Dazu ist es notwendig, den Begriff „Feudalismus“ zunächst einzugrenzen, da er wissenschaftlich häufig nicht eindeutig gebraucht wird.

Dieses, sowie das abschließende Thema der Grafschaftsverfassung, der Curia Regis und des anglonormannischen Steuerwesens reiht sich ein in die diese Hausarbeit umfassende zentrale Fragestellung:

Vollzog Wilhelm mit seinem Regierungssystem einen radikalen Bruch mit angelsächsischen Traditionen vor der Eroberung, oder setzte er diese Traditionen als bewährte Praktiken lediglich fort?

2) Schwierigkeiten in der Frühphase der Regierung Wilhelms I.

2.1 Angelsächsische Aufstände bis 1072

Am Weihnachtstag des Jahres 1066 wurde Wilhelm, Herzog der Normandie, in der Westminster Abbey zum englischen König gekrönt.[1] Der um 1020 in Préaux geborene Kleriker Wilhelm von Poitiers schildert die Krönung Wilhelms in sehr glorifizierender Weise. Überhaupt werden die Handlungen Wilhelms in der um 1073/74 entstandenen Quelle um jeden Preis verherrlicht und „seine Ansprüche auf die Krone Englands sind unter den Gesichtspunkten des Rechts, der Moral und der Religion vollauf gerechtfertigt.“[2]

Nach Wilhelms Königskrönung war die Eroberung Englands, die mit der siegreichen Schlacht von Hastings begonnen hatte, allerdings keineswegs abgeschlossen, da der neue König zu Beginn seiner Herrschaft nur einen kleinen Teil des Reiches unter seiner Kontrolle sah. Die Unterwerfung Englands kann erst 1071 als beendet betrachtet werden.[3] Wenn man also über die Herrschaftsorganisation und Herrschaftspraxis des anglonormannischen Reiches schreibt, muss dieser Umstand, dass es zunächst kein einheitlich befriedetes Reich gab, herausgestellt werden.

Nach seiner Krönung brach Wilhelm zunächst zu einem Triumphzug durch die Normandie auf. In Begleitung hatte er Erzbischof Stigand von Canterbury, Prinz Edgar, Aethelnot (Abt von Glastonbury), die Earls Edgar, Morcar und Waltheof sowie einige andere Große aus England.[4] Diese „Geiseln“ als Garanten für Ruhe in England während Wilhelms Abwesenheit wurden jedoch alle ihrem Stand gemäß behandelt.

Nachdem Wilhelm am St. Nicholas Tag (6. Dezember) des Jahres 1067 nach England zurückgekehrt war, zeigten sich eine Reihe von Schwierigkeiten. Im Westen organisierte Eric der Wilde zusammen mit walisischen Fürsten einen Aufstand gegen die normannische Burg in Hereford. Im gleichen Jahr belagerte Wilhelm erfolgreich die Stadt Exeter, deren Bürger sich aber bald ergaben, weil ihre Adeligen sie verlassen hatten.[5] Es gelang dem Eroberer relativ schnell, den Süden und Südwesten Englands unter seine Kontrolle zu bringen, so dass am Pfingstsonntag 1068 seine Frau, die Herzogin Mathilde, von Erzbischof Ealdred von York in Westminster zur Königin von England gekrönt werden konnte.

Danach gewannen die Probleme für ihren Mann im Norden des Landes jedoch zunehmend an Gewicht:

„When the king was informed that the people in the north had gathered together, and would oppose him if he came, he marched to Nottingham and built a castle there, and also in Lincoln, and in many places in that part of the country.”[6]

Wilhelm musste in einem ersten Nordfeldzug im Jahre 1068 seine Autorität gegen die aufständischen angelsächsischen Earls Edwin und Morcar durchsetzen, was ihm aber relativ schnell gelang. Kurze Zeit später entwickelte sich ebenfalls im Norden dann ein Krise weit größeren Ausmaßes. Im Herbst 1069 vereinigte sich der Dänenkönig Sven Estridsen mit Edgar Aetheling, einem Halbbruder König Edwards des Bekenners, und Earl Waltheof. Sie zogen York durch die Überzeugungsarbeit von Gesandten auf ihre Seite und bestimmten Edgar Aetheling zu ihrem König.[7] Wilhelm I. reagierte auf diese ernst zu nehmende Herausforderung mit ganzer Härte. Er brach zu einem Verwüstungsfeldzug in den Norden auf, wo er buchstäblich „verbrannte Erde“ hinterließ.

„His camps were spread out over an area of a hundred miles. He cut down many in his vengeance; destroyed the lairs of others; harried the land, and burned homes to ashes. Nowhere else had William shown such cruelty.”[8]

Wie grausam und vernichtend der Feldzug gewesen sein muss, wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass das berühmte Domesday Book die betroffene Gegend noch 17 Jahre später als praktisch unbewohnte Wüstung ausweist, wie der 1967 verstorbene britische Historiker Sir Frank Merry Stanton feststellt.[9] Noch heute spricht man in England von „The Harrying of the North“, bei dem schätzungsweise 150 000 Menschen ihr Leben verloren. Dieser Feldzug Wilhelms brach den größten Widerstand. Danach kam es nur noch zu kleineren Erhebungen und mit der Moorinsel Ery wurde die letzte Zufluchtsstätte des dänisch-angelsächsischen Widerstandes unter Than Hereward (auch Hereward the Wake genannt) erobert. Anschließend stellt Wilhelm von Jumièges fest:

„At last, for a while, the storm of wars and rebellions dying out, he now powerfully holds the reins of the entire English monarchy and even more prosperously reigns in glory.”[10]

An dieser Stelle wird die pronormannische Haltung des Mönches aus der Abtei Jumièges deutlich. Er macht in seinem Werk, der „Gesta Normannorum Ducum“ keinen Hehl aus seiner Parteinahme für Wilhelm den Eroberer und schreibt damit in konträrer Sicht zur Angelsächsischen Chronik (vgl. Anmerkung 4).

2.2 Die Normannischen Burgen als Mittel der Eroberung

In den Quellen wird bemerkenswert häufig erwähnt, dass die Normannen bei ihren Eroberungs- und Unterwerfungszügen zahlreiche Burgen errichteten. Wilhelm von Jumièges etwa schreibt:

„Governed by the wisdom which he always followed, the king surveyed the less fortified places of his realm, and to meet the danger he had powerful strongholds built at strategic sites, which he entrusted to excellent military garrisons and large numbers of mercenaries.”[11]

Die Burgen dienen hier also als Mittel der Absicherung des Reiches.[12]

In der Angelsächsischen Chronik heißt es:

„..., and there (in York) [William] built two castles, and also in Lincoln, and in many other places in that part of the country.“[13]

Offensichtlich war schon den Zeitgenossen die militärstrategische Bedeutung der normannischen Burgen nicht verborgen geblieben. Jeder Schritt der normannischen Eroberung war denn auch mit dem Bau von sogenannten Motte-and-Bailey Castles verbunden (im Deutschen spricht man häufig von Zwingburgen). Der Begriff Motte stammt aus dem normannisch-französischen und bedeutet Wall oder Hügel. Bailey hingegen ist Englisch und steht für befestigte Anlage.

Dieser Burgentyp brachte den Normannen entscheidende Vorteile bei der langwierigen Eroberung des angelsächsischen Englands. Trevor Rowley geht sogar so weit, sie mit der für Hastings entscheidenden Waffe des Schlachtrosses zu vergleichen: „Wenn das Streitross die Entscheidung in der Schlacht von Hastings gebracht hatte, dann war die Zwingburg die schärfste Waffe der normannischen Besatzung.“[14] Was waren nun die wichtigen Vorteile der Motte-and-Bailey Castles ?

Da wäre zunächst ihre schnelle Errichtung zu nennen. Laut Wilhelm von Poitiers war es möglich, in acht Tagen den Bau fertig zu stellen.[15] Die Erbauung erforderte darüber hinaus keine architektonische Glanzleistung. Zunächst wurde die Motte als kreisrunder, künstlicher Hügel aufgeschüttet. Anschließend setzte man eine hölzerne oder steinerne Oberfläche darauf, die im Englischen als keep bezeichnet wird. Sie diente als befestigte Unterlage für einen erhöht liegenden Burgturm, der von seiner Funktion her mit einem Bergfried zu vergleichen war. Umgeben von einem hölzernen Palisadenzaun befand sich unterhalb der Motte eine Art Innenhof, in dem Wohnanlagen und Unterkünfte für die Pferde zu finden waren. Häufig wurde der Innenraum noch zusätzlich durch einen Wassergraben geschützt, um potentielle Angriffe der Angelsachsen weiter zu erschweren. Im Laufe der Zeit entstanden die normannischen Burgen dann vermehrt aus Stein.

Die militärtaktische Effizienz der normannischen Burgen wird bei Ordericus Vitalis deutlich:

„To meet the danger the king rode to all the remote parts of his kingdom and fortified strategic sites against enemy attacks. For the fortifications called castles by the Normans were scarcely known in the English provinces, and so the English – in spite of their courage and love of fighting – could put up only a weak resistance to their enemies.”[16]

Wenn man von einem Zahlenverhältnis zu Beginn der Eroberung von 10 000 Normannen gegen ca. 1,5 Millionen Angelsachsen ausgeht, wie dies Karl-Friedrich Krieger tut[17], dann kommt den Burgen eine geradezu entscheidende Bedeutung zu. Ihre Errichtung im Sinne befestigter adeliger Herrschaftsmittelpunkte diente zum einen als Schutz vor Revolten. Des weiteren waren die Burgen bestens geeignet als Reiterstützpunkte und erlaubten es, mit relativ geringen Kräften große Gebiete zu kontrollieren.[18] Hinzu kommt das psychologisch wichtige Moment der Herrschaftsdemonstration von Seiten der Normannen. Burgen drücken durch ihren defensiven Charakter Verteidigungsbereitschaft aus. Angesichts der Tatsache, dass die Normannen als Eroberer kamen ist dies doch eine etwas paradoxe, taktisch aber sehr geschickte Verdrehung der Ausgangslage – die Normannen gewissermaßen als „offensive Verteidiger“ ihrer Ansprüche in fremdem Land. Ihr Herrschaftswille wurde durch den Burgenbau also nachdrücklich unterstrichen.

[...]


[1] Vgl. William of Poitiers: Gesta Guillelmi. The Deeds of William, II, 30

[2] Renoux, A.: Wilhelm von Poitiers, in: LMA, Bd. 9, München 2000, Sp. 184

[3] Vgl. Brown, Richard Allen: Die Normannen, Düsseldorf und Zürich 2004, S. 92

[4] Vgl. The Anglo-Saxon Chronicle, “D“ (1066), S. 200

[5] Vgl. ebd., „D“, S. 201, Am Beispiel der Belagerung Exeters wird die parteiische Schilderung der Angelsächsischen Chronik zu Gunsten der einheimischen Engländer gut deutlich. So heißt es: “Although a great part of his (Wilhelm’s) host was destroyed, he made favourable promises to the citizens which were badly kept.” Wilhelm wird als Wortbrecher dargestellt.

[6] Ebd., „D“, S. 202

[7] Vgl. Gesta Normannorum Ducum, VII, 19

[8] Ordericus Vitalis IV, 195:

“Spacio centum miliariorum castra eius diffunduntur. Plerosque gladio uindice ferit, aliorum latebras euertit terras deuastat, et domos cum rebus omnibus concremat. Nusquam tanta crudelitate usus est Guillelmus.»

[9] Vgl. Stenton, Frank Merry: Anglo-Saxon England, 3. Aufl., (=Clark, George (Hrsg.): The Oxford History of England), Oxford 1971, S. 605; Stenton spricht in Bezug auf Wilhelms Winterfeldzug, der die Lebensgrundlage der Menschen in den betroffenen Gebieten zerstörte, von “sustained ferocity”.

[10] Gesta Normannorum Ducum, VII, 21:

“Tandem bellorum ac seditionum tempestate parumper conquiescente, iam totius Anglice monarchie et habenas potentius temperat, et Gloria prosperous potitur.”

[11] The Gesta Normannorum Ducum of William of Jumièges, Orderic Vitalis and Robert of Torigni, Book VII, 21: “Rex autem, monitus quidem prudential, qua consule in cunctis regi nouit, regni immunita proudissima dispositone perlustrans, ad arcendos hostium excursus tutissima castella opportune per loca stabiliuit, que militum electissimo robore uberrimaque stipendiorum copia muniuit.”

[12] Vgl. dazu Jäschke, Kurt-Ulrich: Die Englandfrage in den Gesta Normannorum ducum des Wilhelm von Jumièges, in: ders., Wenskus, Reinhard (Hrsg.): Festschrift für Helmut Beumann, Sigmaringen 1977, S. 249 f.

[13] The Anglo-Saxon Chronicle, “D“ (1067), S. 202

[14] Rowley, Trevor: Die Normannen, Essen 2003, S. 88

[15] Vgl. William of Poitiers: Gesta Guillelmi. The Deeds of William, II, 28

[16] Ordericus Vitalis, IV, 184:

“Rex igitur secessus regni prouidentius perlustrauit et opportuna loca contra excursiones hostium communiuit. Munitiones enim quas castella Galli nuncupant. Anglicis prouinciis paucissime fuerant, et ob hoc Angli licet bellicosi fuerint et audaces ad resistum tamen inimicis extiterant debiliores.”

[17] Vgl. Krieger, Karl-Friedrich: Geschichte Englands in drei Bänden. Von den Anfängen bis zum 15. Jahrhundert, Bd. I, München 1990, S. 86

[18] Vgl. Rowley, Trevor (wie Anmerk. 12), S. 89

Ende der Leseprobe aus 29 Seiten

Details

Titel
Herrschaftsorganisation und Herrschaftspraxis im anglonormannischen Reich unter Wilhelm I.
Hochschule
Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover  (Historisches Seminar)
Veranstaltung
Die Normannen im Mittelalter
Note
1,5
Autor
Jahr
2006
Seiten
29
Katalognummer
V57894
ISBN (eBook)
9783638522144
ISBN (Buch)
9783638766142
Dateigröße
564 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Herrschaftsorganisation, Herrschaftspraxis, Reich, Wilhelm, Normannen, Mittelalter
Arbeit zitieren
Joachim von Meien (Autor:in), 2006, Herrschaftsorganisation und Herrschaftspraxis im anglonormannischen Reich unter Wilhelm I. , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/57894

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