Edmund Neuendorff im Kontext der Reformpädagogik


Hausarbeit, 2006

17 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


1. Einleitung

Die Zeit um 1900 wird vielfach mit gesellschaftlichen Umbrüchen aufgrund zunehmender Industrialisierung und Landflucht in Verbindung gebracht. Die teilweise unmenschlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen für Menschen in Fabriken und Manufakturen stießen bereits einige Jahrzehnte zuvor auf heftige Kritik. In Folge dessen entstanden erste Gewerkschaften, die es der Arbeiterschaft ermöglichten, an der Politik der Jahrhundertwende teilzuhaben. Dabei wurden nicht nur Gewerkschaften zur politischen Meinungsäußerung genutzt, auch linksgerichtete Parteien wie die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) oder die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschland (USPD) erfreuten sich am zunehmenden Interesse der Arbeiterschaft. Signifikant für diese Epoche ist allerdings die Teilung in unterschiedliche politische Lager. Neben der linksgerichteten Arbeiterschaft existierte die große Masse der Konservativen, welche sich in zahlreiche Parteien aufsplitterte. Neben diesen beiden Gruppierungen gab es die Nationalgesinnten, welche zumeist aus dem Bürgertum stammten und ihre Interessen oftmals durch die Deutsche Turnerschaft artikulierten.

Nicht nur in gesellschaftlichen und politischen Bereichen kam es zu Umbrüchen, auch in kulturellen, wissenschaftlichen und philosophischen Disziplinen herrschte Uneinigkeit über die zunehmende Verwissenschaftlichung. In der Literatur und Philosophie äußerte sich dieser Disput in den konkurrierenden Epochen des Naturalismus und Symbolismus. In Deutschland sprach sich unter anderem der Turnführer Edmund Neuendorff gegen die anhaltende Verwissenschaftlichung zahlreicher Lebensbereiche und Disziplinen aus. In seinem Aufsatz „Wider den Intellektualismus und von seiner Überwindung durch die Schulgemeinde“ aus dem Jahre 1920 artikuliert Neuendorff seine Ansichten von Bildung und kritisiert die gegenwärtige Schulpolitik, die laut Neuendorff ebenfalls vom Intellektualismus befallen sei. Anhand dieses Aufsatzes wird die Verbindung zur Reformpädagogik, der aufkommenden pädagogischen Neuorientierung zur Jahrhundertwende hergestellt. Dabei versucht diese Ausarbeitung zu klären, inwieweit Neuendorff ein Reformpädagoge ist, oder ob seine pädagogischen Ideale lediglich der neuen anti-autoritären Erziehung widersprechen.

2. Die Bildungsauffassung Edmund Neuendorffs

2.1 Neuendorffs Gesellschaftskritik

In seinem Aufsatz „Wider den Intellektualismus“ spricht sich Neuendorff gegen die Verwissenschaftlichung unterschiedlicher Gesellschaftsbereiche aus. Vor allem das Schulsystem ist seiner Auffassung nach viel zu ausdifferenziert und bedarf einer Reformierung. Einleitend benennt Neuendorff die Aufgaben einer Schule und stellt einen Vergleich zwischen Anspruch und Wirklichkeit von Schule her. Demnach solle Schule autonom und innovativ sein, anstatt den Bedürfnissen der Kultur ihrer Zeit oder den Forderungen der zivilisierten Welt nachzulaufen. Trotzdem muss ein Pädagoge auf die Gegebenheiten der Gegenwart Rücksicht nehmen und sein Handeln stets mit den Ideen, die der Pädagogik zugrunde liegen vergleichen.[1]

Der Bezug zur politischen Situation in Deutschland ist für Neuendorff nicht unerheblich, da nach verlorenem ersten Weltkrieg das sanktionierte Deutschland von den Alliierten beherrscht wird und somit an mangelndem „Deutschbewußtsein“ leide. Darin sei auch der Grund für die Nichtverwirklichung erzieherischer Ideen zu sehen, welche durch Polen, Tschechoslowaken, Italiener und Franzosen bewusst unterdrückt werden.[2] Neben der politischen Situation benennt Neuendorff noch andere Ursachen für eine mangelnde Verwirklichung vonerzieherischer Ideen. Demnach herrsche innerhalb des deutschen Volkes Schieber- und Wuchertum, Parteizerrissenheit und Mangel an völkischem Bewusstsein, was auf die aufkommende Selbstsucht jedes einzelnen zurückzuführen sei. Neuendorff begründet diese Entwicklung damit, dass der deutsche heroische Idealismus sich nicht dauerhaft bei der Gesamtheit des Volkes einprägen konnte.[3] In Folge des Kapitalismus und der zunehmenden Industrialisierung gingen nationale Werte innerhalb des Volkes verloren und der einzelne versuchte zunehmend seinen Besitz zu mehren. Die Konsequenz war demzufolge Reichtum und Zufriedenheit in bürgerlichen Kreisen. Jedoch ging mit der Mehrung von Wohlstand und Zufriedenheit, welche auf den Willen und Einsatz vergangener Generationen zurückzuführen ist, der Wille gegenwärtiger Generationen verloren. Neuendorff wirft ihnen vor, trotz eines verlorenen Krieges und des Sturzes der Regierung untätig geblieben zu sein. Vor allem das Bürgertum reagiere auf politische Umwälzungen mit Staunen und Missbehagen, die Arbeiter hingegen fingen an, für ihre Rechte zu kämpfen.[4] Nach Auffassung Neuendorffs führte demnach der in allen gesellschaftlichen Schichten vorherrschende Materialismus und Ästhetizismus und der mit ihnen verbundene Wirtschaftgeist zur misslichen Situation Deutschlands.

2.2 Kritik am Intellektualismus

Neben seiner gesellschaftskritischen Stellungnahme verurteilt Neuendorff ebenso die Überschätzung des Intellekts. Zwar habe der Verstand auf technischen und naturwissenschaftlichen Gebieten zweifellos Enormes geleistet, die konsequente und unbeirrte Verwissenschaftlichung aller lebendigen Dinge geht Neuendorff jedoch zu weit. Unter der Zielsetzung, das Lebendige ebenfalls unterwerfen zu wollen, beziehe der Intellekt dieselben Methoden und Kausalreihen, die ihm in den Naturwissenschaften zur Verfügung stehen auf alles Organische und Menschliche. Neuendorff nimmt dabei besonders kritisch Stellung zu Marxs und Darwins Theorien.[5]

Der Begriff des ‚Intellektualismus’ ist bei Neuendorff stets negativ konnotiert und impliziert eine übertriebene Verwendung des Intellekts auf alle Lebensbereiche. Besonders die ursprünglichen Kulturgemeinschaften, wie Familie und Volk drohen durch den zunehmenden Intellektualismus zerstört zu werden. Neuendorff begründet dies mit dem sozialistischen Kampfruf: „Proletarier aller Länder vereinigt euch!“, welcher die Auflösung aller Nationalstaaten im Sinne der Weltrevolution fordert.[6]

Der Antrieb allen rationalen Handelns stammt allerdings aus den „geheimnisvollen Gründen der Seele“[7], so Neuendorff. Das Trieb- und Willenhafte sei allein für die wahrhaft wichtigen Erfindungen verantwortlich. Die Funktion der Wissenschaft bestehe lediglich in der Ordnung und Beweisfindung dieser Neuerungen.[8]

2.3 Kritik am Schulsystem

Die Überwindung dieser Misere ist einzig und allein mit Hilfe der Erziehung zu bewerkstelligen, so Neuendorff. Erziehung hat die Aufgabe, alle seelischen und geistigen Kräfte zur Entfaltung zu bringen und diese in den Dienst des Volkes zu stellen. Die Entstehung einer Gemeinschaft bedeutet für den einzelnen die Erweiterung der Persönlichkeit, wobei Führertum an der Spitze und Gemeinschaftswille in der Breite von Nöten sind.[9] Jedoch wird Schule all diesen Anforderungen nicht gerecht, da sie ebenfalls egoistisch und intellektualistisch eingestellt ist und Selbstsucht als Triebkraft hat. Neuendorff begründet seine Behauptung anhand einiger Beispiele. Demnach werden in der Schule vermehrt Fächer unterrichtet, welche den Verstand zur Grundlage haben. Es sollten jedoch vermehrt Wanderungen, Feste und Spiele unternommen werden, um ein starkes Gemeinschaftsgefühl zu schaffen. Ebenso bestünden Prüfungen oftmals lediglich aus der Abfrage intellektueller Fähigkeiten, wobei Neuendorff in diesem Zusammenhang die Beanspruchung des Gedächtnisses als besonders minderwertige Form der Leistungserbringung beurteilt. Des weiteren kritisiert er die wissenschaftliche Gestaltung einzelner Lehrstunden, welche sich stets die Suche nach Beweisen zum Ziel setzen, anstatt die Natur wirken zu lassen.[10]

2.4 Neuendorffs Vorstellungen von schulischer Erziehung

Neuendorffs wichtigstes Anliegen ist es, das Volk vom Materialismus, Egoismus und Intellektualismus zu befreien und es für den deutschen Idealismus zurückzugewinnen. Umsetzten will er seine Vorstellungen mit Hilfe der Erziehung innerhalb einer humanistischen und national-sozialen Schule. Zentrales Instrument dieser Schulform ist die sogenannte Schulgemeinde, welche sich in Arbeits- und Lebensgemeinschaften aufgliedert.[11]

[...]


[1] Vgl. Neuendorff, E. Wider den Intellektualismus und von seiner Überwindung durch die Schulgemeinde. S. 5.

[2] Vgl. ebd. S. 6.

[3] Vgl. ebd. S. 6f.

[4] Vgl. NEUENDORFF. S. 8f.

[5] Vgl. ebd. S.10f.

[6] Vgl. ebd. S.11.

[7] Ebd. S. 13.

[8] Vgl. ebd. S. 13f.

[9] Vgl. NEUENDORFF. S. 15.

[10] Vgl. ebd. S. 15ff.

[11] Vgl. ebd. S. 21.

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Edmund Neuendorff im Kontext der Reformpädagogik
Hochschule
Universität Münster
Note
2,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
17
Katalognummer
V57887
ISBN (eBook)
9783638522106
ISBN (Buch)
9783638806855
Dateigröße
508 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Edmund, Neuendorff, Kontext, Reformpädagogik
Arbeit zitieren
Daniel Pater (Autor:in), 2006, Edmund Neuendorff im Kontext der Reformpädagogik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/57887

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