Auguste Rodins Liebespaare "Paolo und Francesca" und "Der Kuss"


Seminar Paper, 2002

19 Pages, Grade: 1,0


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Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Zu den Personen Paolo und Francesca

3. Dantes „Göttliche Komödie“

4. Rodin und sein Verhältnis zu Liebe und Erotik
4.1 Auguste Rodins Arbeitsweise und Technik

5. Ein Gedicht zur Thematik des Kusses
5.1 „Der Kuss“ – Le Baisier
5.2 Einleitung zum Kuss
5.3 Beschreibung
5.4 Reaktionen der Öffentlichkeit
5.5. Schlussbemerkung zur Plastik

6. „Fugit Amor“ – Fliehende Liebe
6.1 Beschreibung
6.2 Schlussbemerkung zu „Fugit Amor“

7. „Das ewige Idol“
7.1 Kurze Beschreibung
7.2 Beschreibung der männlichen Figur - Paolo
7.3 Beschreibung der weiblichen Figur - Francesca
7.4 Wirkung des Paares

8. Schlussbetrachtung / Zusammenfassung

9. Literatur

1. Einleitung

„Die Liebe ist der Atem des Universums“

(Novalis, 1772 – 1801, dt. Dichter der Romantik)

Durch alle Jahrhunderte hindurch sind Liebespaare dargestellt worden. Es gibt keinen großen Künstler, der sich nicht auch mit dem Thema der Liebenden beschäftigt hätte.

Das Thema der Zusammengehörigkeit und Zuneigung von zwei Menschen erscheint in der Kunst immer wieder aktuell zu sein.

Die Verzauberung durch die sich Liebenden, das Unvorhersehbare, das Geheimnis, welches sich dem Verstand entzieht, ist es, was die Geschichten und Bilder von Liebespaaren gleichermaßen anziehend macht.

Die berühmten Paare haben unzählige Namen und Geschichten.

Sie bewegen uns, machen uns zu Mithoffenden, Mitleidenden und zu Verteidigern ihrer oftmals vergeblichen Sehnsucht nach Liebe.

Paolo und Francesca ist so ein Paar.[1]

In der Bildhauerei wurde bis zu Rodin das Liebespaar als Motiv im Abendland nur selten thematisiert.

Wann immer ein Künstler eine weibliche und männliche Gestalt zu einer Gruppe einte, dominierten Szenen des Frauenraubes, der Entführung, der gewaltsamen Eroberung oder aber Grabmäler, Abbilder von Verblichenen, die aufgebahrt Seite an Seite ruhten.

Bei Auguste Rodin wird das Paar selbst zum Sinnbild und zur Allegorie der Liebe. Von der keuschen Inbrunst bis zur rauschhaften Besinnungslosigkeit der Umarmungen und der Ekstase der Lust ist die Liebe bei Rodin ein sehr großes und umfangreiches Thema.[2]

Das Jahrzehnt 1880 – 1890 erlebt die Entstehung mehrerer Arbeiten von Rodin zum Thema Paare. In dieser schriftlichen Ausarbeitung beziehen wir uns auf seine Skulpturen: „Der Kuss“, „Fugit Amor“ und „Das ewige Idol“.

2. Zu den Personen Paolo und Francesca

Die leidenschaftliche Liebe zwischen Paolo und Francesca ist – ähnlich wie die Begebenheit von Romeo und Julia – zum Mythos geworden, der seit dem Mittelalter bis heute viele Herzen hat höher schlagen lassen.

Paolo und Francesca waren keine Fiktion, sondern reale Figuren des 13. Jahrhunderts:

Francesca war die Tochter von Giovanni da Polenta, dem Herrscher von Ravenna. Paolo gehörte der Herrscherfamilie Malatesta an.

Francesca trat in Folge der Ehe mit Paolos Bruder Giovanni, auch Gianciotto genannt ( mit dem Beinamen der Hässliche ) in diese Familie ein.

Gianciotto, ein mutiger, aber hässlicher Soldat erlangte von Francescas Vater das Einverständnis zur Heirat, die dann Ende des 13. Jahrhunderts vollzogen wurde.

Jahrhunderte hindurch hatten sich junge Leute sich ihren Lebenspartner nicht aussuchen dürfen. Ehen wurden aus sachlichen Erwägungen geschlossen, die vor allem auf Übereinstimmung des Standes, der Vermögensverhältnisse und der religiösen Überzeugung beruhten.

Da Gianciotto fürchtet, Francesca würde ihn wegen seiner Hässlichkeit ablehnen, überredet er seinen gut aussehenden Bruder Paolo, sich als Gianciotto auszugeben und um sie zu werben.

Francesca wird gesagt, dass sie den Erstgeborenen eines mächtigen Hauses heiraten würde und sie willigt ein, als sie Paolo, den Schönen, erblickt, der nach Ravenna gekommen war, um die Jungfrau in Vertretung seines Bruders zum Altar zu führen.

Die tückische List dabei war, dass Francescas Vater sie in dem Glauben gelassen hatte, dass Paolo der Bräutigam sei.

Sie fällt der List zum Opfer und heiratet Paolo, den sie für Gianciotto hält.

Als der Hochzeitsvertrag unterzeichnet war, schlüpfte auf einmal der echte Gianciotto zum Entsetzen der jungen Braut ins Ehebett.

Welch böses Erwachen mag sie am Morgen nach der ersten Hochzeitsnacht erlebt haben, als sie Gianciotto anstatt Paolo neben sich im Bett erkannte.

Das Tragische aber weiterhin war, dass Francesca und Paolo sich tatsächlich ineinander verliebt hatten.

Da Gianciotto beruflich viel auf Reisen war, entwickelte sich zwischen den beiden eine Affäre.

Eines Tages ertappt Gianciotto die beiden Ehebrecher auf frischer Tat und tötet sie im Zorne.

1581 wurden in der Kirche des hl. Augustinus in Rimini die sterblichen Reste von Paolo und Francesca in einem Marmorsarkophag gefunden.

Das Liebespaar lag dort, von derselben Mörderhand getötet, eng umschlungen.

Im Tode vereint, wie sie es im Leben nie hatten sein können.[3]

3. Dantes „Göttliche Komödie“

Dantes „Göttliche Komödie“, speziell der 5. Gesang der Hölle inspirierte Auguste Rodin die Figuren Paolo und Francesca plastisch – zuerst am Höllentor und später dann als freistehende Skulpturen darzustellen.

Dante durchquert mit der Hilfe von Vergil die Hölle und das Fegefeuer auf der Suche nach Beatrice, die ihn im Paradies empfängt.

Ausschnitt aus dem 5. Gesang:

„Francesca, deiner Qualen Anblick macht

Vor Trauer mich und vor Mitleid weinen.

Doch sage mir, zur Zeit der süssen Seufzer,

An was und wie gestattete dir Amor,

Das schüchterne Verlangen zu erkennen? –

Drauf sagt sie zu mir: Kein Schmerz ist grösser,

Als sich der Zeit des Glückes zu erinnern,

Wenn man in Elend ist; das weiss dein Lehrer.

Hegst du jedoch, die Wurzeln unsrer Liebe

Zu erkennen, solch entschiedenes Verlangen,

So werde ich tun, wie wer im Reden weinet:

Wir lasen eines Tages zum Vergnügen

Vom Lanzelot, wie Liebe ihn umstrickte,

Allein und unbeargwohnt waren wir.

Oft hiess des Buches Inhalt uns einander

Scheu ansehn und verfärbte unsre Wangen;

Doch nur ein Punkt wars, welcher uns bewältigt.

Denn als wir, wie das langersehnte Lächeln

Von solchem Liebenden geküsst ward, lasen,

Da küsste, dem vereint ich ewig bleibe,

Am ganzen Leibe zitternd, mir den Mund.

Zum Kuppler ward das Buch und der`s geschrieben.

An jenem Tage lasen wir nicht weiter. [...]“[4]

4. Rodin und sein Verhältnis zu Liebe und Erotik

Das Paris des späten 19. und 20. Jahrhunderts war das Zentrum einer nach Ausdrucksvielfalt und Experimentierfreude suchenden und schwelgenden Kultur, die sich in ihrer Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen und sexuellen Moralvorstellungen zugleich deren Verletzung mit einkalkulierte.

Orientalische Erotik, innere Dekadenz und die Befreiung aus einer festverwurzelten hierarischen Gesellschaftsstruktur sind nur einige der Schlüsselwörter, die das kulturelle Leben im Griff hatten.

Die Erotik bei Rodin übernahm bestimmte Aspekte dieser dekadenten „Unterwelt“.

Rodins Einblicke in die Sexualität und den menschlichen Körper übersteigen, auch wenn sie das Exotische miteinbeziehen und zuweilen seiner Faszination erliegen, jede flüchtige oder auf Effekt bedachte Suche nach dem Spektakulärem.

Sein komplexes, von Respekt geleitetes Verständnis der menschlichen Form, sowohl ihrem physischen Ausdruck wie auch in ihrer inneren Manifestation, reichte tiefer als irgendwelche experimentellen Trends in Gesellschaft, Kultur und Kunst.

Die Zitate Rodins „Kunst ist nichts als Empfindung“ und „Die Kunst ist eigentlich nur sexuelle Begierde, sie leitet sich aus der Liebeskraft ab,“ verdeutlichen bereits die Einstellung des Künstlers.

Seine Werke lassen sowohl durch die Haltung der dargestellten Paare, als auch durch die Struktur der Oberfläche eine Hingabe an eine erotische Muse deutlich erkennen.

Für Rodin – wie für viele andere Künstler auch – galt die doppelte Bedeutung des Begriffs Muse: Die idielle Muse war nur allegorisch gemeint für Inspiration, während die reale Muse ein Modell aus Fleisch und Blut von sinnliche – erotischer Ausstrahlung war.[5]

„Die blendende Herrlichkeit, die sich dem Künstler durch das sich entblößende darbietet, gleicht der Sonne, wie sie mit ihren Strahlen die Wolken durchdringt. Venus und Eva sind nur schwache Begriffe, um die Schönheit einer Frau zu beschreiben“, soll Rodin laut einem frühen Biographen gesagt haben.

Wer den Künstler in seinem Atelier besuchte, war verblüfft über die zahlreichen Statuen von umschlungenen Paaren und Frauen, die er erschaffen hatte.

„Eigentlich ist alles Idee, alles Symbol. So offenbaren die Formen und die Haltungen eines Menschen die Regungen seiner Seele. Der Leib drückt stets den Geist aus, dessen Hülle er ist. Und für den, der zu sehen weiß, ist die Nacktheit von reichster Bedeutung“, so Rodin.

Sexualität und ihre vergeistigte Ausdrucksform, die Erotik, fasste Rodin in ihrem weitesten Sinne auf:

„Sie bedeutet das Leben und ist zugleich die Quelle jeglichen Lebens, gewissermaßen Triebkraft für die endlosen Zyklen des Begehrens, die überall in der natürlichen Welt deren Fortpflanzung sichert.“[6]

Der Bildhauer definiert mit den folgenden Worten einerseits seine Arbeit, in der er von dem ausging, was er im einzigartigen Atelier der Natur selbst wahrnahm, andererseits verteidigt er sich zugleich gegen die Kritik an der großen Rolle der Sexualität in seinen Werken:

„Schönheit ist Charakter und Ausdruck. Und nichts in der Natur hat wohl mehr Charakter als der menschliche Körper. Er bietet mit seiner Kraft oder mit seiner Anmut die verschiedensten Bilder; manchmal gleicht er einer Blume: die Biegungen des Rumpfes erinnern an das Schwanken des Stengels, der blühende Busen, das Lächeln des Antlitzes und der Glanz des Haares gleichen der entfalteten Blüte.

Manchmal erinnert er an eine geschmeidige Liane, an eine fein und kühn geschwungene Staude...

In rückwärts gebogener Stellung gleicht der menschliche Körper einer Feder, einem schönen Bogen, auf dem Eros seine unsichtbaren Pfeile anlegt.

Und dann ist er wieder wie eine Urne: ich habe oft ein Modell sich auf der Erde setzen und Arme und Beine vorwärts strecken lassen, so dass es mir den Rücken zuwandte. In dieser Stellung war nur die an der Taille sich verschmälernde, an den Hüften sich wieder verbreiternde Silhouette des Rückens sichtbar. Sie machte dann den Eindruck einer schönen Vase, einer Amphora, die in ihrem Schoße das Leben der Zukunft birgt.“[7]

Rodins Werk verströmt erotische Energie – ein offensichtlicher Hinweis darauf, dass die Erotik, die Sexualität und die Sinnlichkeit einen zentralen Bestandteil im Leben und Werk Rodins darstellten.

Dem Wesen seiner Skulpturen liegt eine dominante, sexuell motivierte Energie zugrunde. Diese Kraft ist von außerordentlicher Bedeutung für einen großen Teil der Kunst Rodins und spiegelt sich in vielen der Geschichten, die über Rodin erzählt werden, wider.

In ihrem Mittelpunkt stehen seine physische Präsenz ( trotz oder wegen seiner geringen Körpergröße ), seine sexuelle Energie, seine Hände, seine durchdringenden blauen Augen und sein schwerer Gang.

Beispielsweise beschreibt die amerikanische Tänzerin Isadora Duncan, wie sie den großen Bildhauer zu Beginn des 20. Jahrhunderts in ihr Atelier einlud, wo sie ihm einen ihrer Tänze vorführte ( damals war er über 60, sie etwa 20 Jahre alt ) :“ Er begann meinen Körper zu kneten, als sei er aus Ton, währenddessen ging von ihm eine Hitze aus, die mich versengte und dahinschmelzen ließ. Mein einziges Verlangen war, mich ihm völlig hinzugeben, und ich hätte es tatsächlich getan, wäre mir nicht eine absurde Furcht davor anerzogen worden, so dass ich mich entzog und ihn verwirrt fortschickte... Was für ein Jammer! Wie oft habe ich diesen kindlichen Unverstand bereut, der mich der göttlichen Gelegenheit beraubte, meine Jungfräulichkeit dem großen Gott Pan selbst, dem gewaltigen Rodin zu schenken.“

Der französische Literat Edmond de Goncourt verglich Rodin mit einem triebhaften Faun ( = Fruchtbarkeitsgott ) und berichtet, wie Rodin bei einem Diner mit Monet und den vier Töchtern des Malers jede von ihnen so unverwandt anblickte, dass eine nach der anderen empört die Tafel verließ.

Einer anderen Anekdote zufolge küsste Rodin in seinem Pariser Atelier ehrfürchtig den Bauch des weiblichen Modells. Jules Desbois hat diese ergreifende Anekdote überliefert:“ Als er eines Tages auf einer Leiter stehend im Atelier des Meisters arbeitete, überblickte er auch eine Ecke des Raumes, wo Rodin, durch einen Paravent abgeschirmt, nach einem Modell schuf, das nackt auf einem Diwan lag. Zum Ende der Sitzung geht der Bildhauer plötzlich auf die Frau zu, die sich noch nicht bewegt hat, und berührt hingebungsvoll, mit gesenkten Lidern, durchdrungen von Inbrunst, den Bauch der Liegenden, als wollte er ihr mit diesem Kuss für ihre Schönheit danken.

[...]


[1] Vgl. ( Buch über Paare: „Liebespaare, Elemente – aus den Sammlungen der Berliner Museen, von Dagmar Gersdorff, 1. Auflage 1987, Edition Hentrich Berlin )

[2] Vgl. Champingneulle,B.; Rodin – «Der Mensch und sein Werk», S. 154

[3] Vgl. http://www.diemarken.com/html/gradara.htm

Vgl. http://www.erimini.com/de/storie/paolo_francesca_de.htm

[4] Vgl. http://www.informatik.hu-berlin.de/~pischel/Dante/hoelle/gesang04.htm

[5] Vgl. Schmoll gen Eisenwerth, J.A.; Rodin und Camille Claudel, München 1994,S. 120

[6] Danto,G.; Rodin: Die erotische Inspiration durch die Natur, in: ( hrsg. Crone, R., Salzmann, S. )

[7] siehe oben: Danto, G.; Rodin: Die erotische Inspiration...

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Details

Title
Auguste Rodins Liebespaare "Paolo und Francesca" und "Der Kuss"
College
University of Osnabrück  (Kunstwissenschaft)
Course
Seminar: Auguste Rodin
Grade
1,0
Author
Year
2002
Pages
19
Catalog Number
V5755
ISBN (eBook)
9783638135429
ISBN (Book)
9783638781299
File size
528 KB
Language
German
Notes
Von Dante bis zum ewigen Frühling.
Keywords
Auguste Rodin, Rodin, Der Kuss, Paolo und Francesca
Quote paper
Sabrina von der Heide (Author), 2002, Auguste Rodins Liebespaare "Paolo und Francesca" und "Der Kuss", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/5755

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