Gustave Flaubert: Un coeur simple. Religion und Klischee in «Un coeur simple» unter besonderer Berücksichtigung des Charakters der Hauptperson Félicité


Hausarbeit, 2005

19 Seiten, Note: 2,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Untersuchung der Umsetzung der Themen Religion und Klischee
2.1 Religion
2.1.1 Allgemeine Betrachtungen
2.1.2 Die Religion Félicités in „Un cœur simple“
2.2 Klischee in „Un cœur simple“

3. Fazit

1. Einleitung

Gustave Flaubert, geboren 1821 in Rouen, gestorben 1880 in Croisset bei Rouen, war zeitlebens und ist auch heute noch als Kritiker der Bourgeoisie bekannt. Mit der Verfassung des „Dictionnaire des idées reçues“ (1850-1856) bezog er eine eindeutige Stellung gegenüber der Denk- und Lebensweise des französischen Bürgertums und fühlte sich über den allseitigen Verfall in eine durch Klischees bedingte Sichtweise der Dinge erhaben.

Ein ähnlich gespanntes, auffälliges und zeitatypisches Verhältnis kann ihm auch bezüglich der Religion nachgesagt werden. Ihr stand er stets eher kritisch gegenüber, wodurch er sich abermals von seinen Zeitgenossen unterschied, oder wie Brigitte Le Juez es ausdrückt: „S’il comprend la nécessité de la religion, il reproche à ses congénères un manque de réflexion à ce sujet et une ignorance totale de ce que la notion de divinité contient.“[1]

Daher erscheint es sehr reizvoll gerade die Verarbeitung der Themen Klischee und Religion im literarischen Werk Gustave Flauberts zu untersuchen, eines Mannes, dessen Haltung gegenüber beiden Themen und dessen literarische Umsetzungen welchen Stoffes auch immer als außergewöhnlich angesehen werden muss.

Für dieses Vorhaben scheint gerade das letzte vollendete Werk Flauberts, die „Trois Contes“, prädestiniert, da es laut Frank-Rutger Hausmann „bei näherer Betrachtung eine Art Summe des Flaubert’schen Gesamtschaffens dar[stellt]“[2], weshalb sich die folgende Arbeit auf dieses Werk beschränken soll.

In jeder einzelnen der „Drei Erzählungen“ spielt die Religion eine zentrale Rolle. Wie bereits erwähnt, handelt es sich dabei um ein Thema, das von Flaubert bis zu diesem Zeitpunkt eher kritisch beäugt wurde. Sofort drängt sich die Frage auf: Wie verarbeitet der bisherige Kritiker dieses neue Thema und auf welche Weise erreicht der „bekehrte“ Flaubert sein Ziel?

Für die angestrebte Untersuchung wird jedoch, wie der Titel der Arbeit bereits sagt, eine weitere Beschränkung vorgenommen: nur die erste Erzählung soll betrachtet werden. „La legende de Saint Julien l’Hospitalier“ und „Heroidas“ bleiben zugunsten von „Un cœur simple“ außen vor.

Diese erste der „Drei Erzählungen“ bietet den großen Vorteil einer im Bürgertum situierten Handlung. Vor allem die Betrachtung der Umsetzung von Klischee und Klischeedenken wird dadurch sehr begünstigt, da Flauberts Klischeeverständnis untrennbar mit der Bourgeoisie verknüpft ist und somit gerade auch in „Un cœur simple“ deutlich werden muss.

Der Conte bietet weitere Vorteile. Er ist zeitlich im 19. Jahrhundert angesiedelt und spiegelt somit Flauberts Gegenwart wider. Die Beschreibung des Schablonendenkens anderer in der eignen Gegenwart ist authentischer und wirklicher als der Versuch die Klischees der Vergangenheit aufzuzeigen ohne dabei selbst Opfer einer zu klischeehaften Sichtweise zu werden. Umso reizvoller wird es sein, die Flaubert sehr gut bekannten Klischees seiner Zeit herauszuarbeiten.

Ein letzter Punkt, der die Untersuchung von Religion und Klischee in „Un cœur simple“ so interessant macht, ist die einzigartige Verbindung beider Themen in einer Person der Geschichte. Dieser von Flaubert so einzigartig geschaffene Charakter des Dienstmädchens Félicité stellt die personifizierte Verbindung beider Aspekte dar. Sie führt ein Leben, das durch ein ganz spezielles Religionsverständnis beeinflusst wird und bleibt aufgrund niedriger Bildung und mangelnder geistiger Fähigkeit in einer Welt der Klischees gefangen, ohne sich dessen auch nur im Geringsten bewusst zu sein.

Ausgehend von diesen Vorüberlegungen, soll die folgende Arbeit nun untersuchen, wie beide Themen von Flaubert verarbeitet werden und es wird insbesondere auf die Art und Weise der Verknüpfung von Religion und Klischee in „Un cœur simple“ mit dem außergewöhnlichen Charakter der Hauptperson Félicité eingegangen werden.

2. Untersuchung der Umsetzung von Religion und Klischee

2.1 Religion

2.1.1 Allgemeine Betrachtungen

Zunächst stellt sich natürlich die Frage, wie kommt es, dass der Schriftsteller Gustave Flaubert sich nach Romanen wie „Mme Bovary“ und „Salammbô“, „mit denen er das in frivoler Orient-Exotik und restaurativen christlichen Idyllen dahindämmernde Publikum des Zweiten Kaiserreichs zu schockieren gedachte“[3] gerade im Alter der Verarbeitung von Glaubensfragen widmete um, wie er selbst sagte, die empfindsamen Seelen anzusprechen. Vielleicht ist dies durch eine Reihe persönlicher Schicksalsschläge zu erklären, die Flaubert in seinen späten Lebensjahren erdulden musste, vielleicht aber auch hat er sich einfach mit den Jahren „in einen der Religion ergebenen Nostalgiker verkehrt“[4]. Es gäbe an dieser Stelle sicher eine Fülle von Möglichkeiten die Themenwahl zu begründen. Sicher ist laut Frank-Rutger Hausmann nur eines: Flaubert „wollte […] mit seinen drei „Heiligengeschichten“ keinesfalls ein Werk religiöser Erbaulichkeit schreiben, das einer tieferen religiösen Überzeugung entsprang bzw. Indifferente bekehren oder Gläubige bestärken sollte.“[5]

Flauberts wirkliche Motivation im Einzelnen zu verfolgen kann jedoch nicht Aufgabe dieser Arbeit sein. Vielmehr soll nun ganz konkret an der Umsetzung des Themas Religion in „Un cœur simple“ gearbeitet werden. Dazu sind zunächst einige allgemeine, den ganzen Text betreffende Aussagen notwendig um anschließend die Themenumsetzung im Hinblick auf die Hauptperson Félicité zu untersuchen.

Die erste der „Drei Erzählungen“ spielt im verarmten Bürgertum des 19. Jahrhunderts, also in einem Milieu in dem Frömmigkeit und Religiosität zweifelsohne einen hohen Stellenwert innehatten. Daher wirkt es auf den ersten Blick vielleicht selbstverständlich, dass hohe Kirchenfeste und –feiertage Erwähnung finden und dass Beichte und Kirchgang das Alltagsleben mitbestimmten. So wird gleich zu Beginn der Erzählung darauf hingewiesen, dass auch Félicité gläubig ist und die Messe niemals versäumt[6], oder wie Frank-Rutger Hausmann es ausdrückt, dass es sich bei Félicité um eine „stille, uneigennützige und demütige Diener[in] Gottes […]“ handelt, die die Gebote der Bibel besonders gut erfüllt und die kirchlichen und göttlichen Tugenden vorlebt.[7]

In „Un coeur simple“ scheint das Thema Religion dann zunächst zu ruhen(S.44-54). Erst als Virginie, die Tochter des Hauses, zum Katechismus Unterricht geht, wird das Religionsthema wieder aufgenommen und dominiert mehr und mehr die Handlung. Diese Steigerung der Wichtigkeit religiöser Bezüge endet schließlich in der detaillierten Beschreibung der Fronleichnamsprozession, die sich über das gesamte fünfte Kapitel hinweg erstreckt, und die gleichsam eine Beschreibung der letzten Stunden des Lebens von Félicité darstellt.

Zunächst jedoch werden religiöse Bezüge weniger deutlich hergestellt, z.B. dadurch, dass viele Zeitangaben innerhalb der Erzählung anhand kirchlicher Ereignisse verwirklicht werden. Angefangen mit dem beginnenden Katechismusunterricht „à partir de Noël“[8] kehren ähnliche Zeitangaben bis zum Ende des Textes immer wieder. Diese beziehen sich teilweise auf Uhrzeiten, z.B. „il arrivait le dimanche après la messe“ oder „au premier coup des vêpres“ (S.57) oder beschreiben längere Zeiträume, z.B. in Form einer iterativen Raffung: „Puis des années s’écoulèrent, toutes pareilles et sans autres épisodes que le retour des grandes fêtes: Pâques, L’Assomption, la Toussaint.“ (S.65).

Dabei ist es bezeichnend, dass gerade die Erwähnung des Weihnachtsfestes den Auftakt dieser Reihe bildet. Weihnachten ist hier gleichsam als Symbol des Neuanfangs und der Neuentdeckung zu sehen. Der Katechismusunterricht Virginies, den Félicité verfolgen kann und der ihre erste und einzige religiöse Bildung darstellt (vgl. S.55), eröffnet dem einfältigen Dienstmädchen eine neue Welt, in die sie sich nach und nach vollkommen einlebt. Mit dem Versuch der Übertragung dessen was sie dort hört auf ihr eigenes Leben, beginnt die Entwicklung ihrer eigenen Religion, die sehr speziell ist und sich vom Religionsverständnis anderer abhebt, wie später noch gezeigt werden soll.

Ebenso bedeutsam scheinen Tod und Todestag Félicités, auf deren Besonderheit auch Jeanne Bem hinweist: „Mais ce qui est originale, c’est le choix calendaire de Flaubert et cette idée de faire mourir Félicité en simultanéité et en accord intime avec une fête catholique.“[9] Félicité stirbt quasi im Rhythmus der vorbeiziehenden Fronleichnamsprozession, an einem Tag also, der der Feier der Eucharistie gewidmet ist. Die Festlichkeiten dienen zur Erinnerung an Jesu Worte beim letzten Abendmahl, die die Verwandlung von Brot und Wein in Leib und Blut verheißen und den Menschen noch heute bei jedem Abendmahl Jesu Aufopferung für die Menschheit vor Augen führen. Kein anderer Tag als der des Fronleichnamsfestes wäre geeigneter und symbolträchtiger gewesen für den Tod Félicités. Auch sie opfert sich ihr Leben lang für andere auf, ganz gleich ob nun für ihre Herrin Mme Aubain und deren Kinder, ihren Neffen Victor, Loulou oder für Arme und Kranke, wobei sie stets uneigennützig, und teilweise ohne sich ihrer selbstlosen Hingabe auch nur bewusst zu sein, handelt. Für Frank-Rutger Hausmann ist Félicité damit eine „demütige Dienstmagd, die „geistlich arm“ ist, aber durch ihren Glauben und ihren Dienst die göttliche „caritas“ exemplarisch lebt und bezeugt und somit zur modernen Heiligen wird.“[10] Und somit schließt sich dann auch der Bogen zurück zum Fronleichnamsfest, das auch der Verehrung der Reliquien und der Heiligen dient. Deutlich wird ihr extremer Einsatz anderen gegenüber und die vollkommene Unkenntnis seiner Bedeutung[11] beispielsweise auch im zweiten Kapitel der Erzählung, als Félicité Mme Aubain und ihre Kinder vor einem Stier rettet: „Cet événement, pendant bien des années, fut un sujet de conversation à Pont-l’Èvêque. Félicité n’en tira aucun orgueil, ne se doutant même pas qu’elle eût rien fait d’héroïque.“ (S.50). Wie Lucette Czyba außerdem deutlich macht, manifestiert sich die lebenslängliche Uneigennützigkeit all ihres Handelns und Tuns beispielsweise auch in Zitaten wie „Elle avait eu, comme une autre, son histoire d’amour.“(S.45), die Félicités Privatleben auf die Dimension eines banalen Unfalls reduzieren, der deutlich von der Gegenwart abgetrennt quasi beiläufig im plus-que-parfait Erwähnung findet[12].

[...]


[1] Brigitte Le Juez, S.37

[2] Frank-Rutger Hausmann, S.163

[3] Cora van Kleffens, S.178

[4] Cora van Kleffens, S.179

[5] Frank-Rutger Hausmann, S.166

[6] vgl. Gustave Flaubert, S.44

[7] vgl. Frank-Rutger Hausmann, S.165

[8] Gustave Flaubert: Trois Contes. Un coeur simple, S.54

Zitate aus diesem Text werden im Folgenden durch Angabe der Seitenzahl hinter der zitierten Stelle direkt im fortlaufenden Text gekennzeichnet.

[9] Jeanne Bem, S.154

[10] Frank-Rutger Hausmann, S.173

[11] vgl. Lucette Czyba, S. 283

[12] vgl. Lucette Czyba, S. 280

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Gustave Flaubert: Un coeur simple. Religion und Klischee in «Un coeur simple» unter besonderer Berücksichtigung des Charakters der Hauptperson Félicité
Hochschule
Universität des Saarlandes
Note
2,7
Autor
Jahr
2005
Seiten
19
Katalognummer
V57187
ISBN (eBook)
9783638517058
ISBN (Buch)
9783656112549
Dateigröße
463 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Gustave, Flaubert, Religion, Klischee, Berücksichtigung, Charakters, Hauptperson, Félicité
Arbeit zitieren
Nadine Bachmann (Autor:in), 2005, Gustave Flaubert: Un coeur simple. Religion und Klischee in «Un coeur simple» unter besonderer Berücksichtigung des Charakters der Hauptperson Félicité, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/57187

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