Liberalismus Unplugged


Hausarbeit, 2000

45 Seiten, Note: Sehr Gut


Leseprobe


WIEN 2000

2.Überarbeitete Version

Vorwort und Danksagung

Die Idee einer Arbeit zu „Politische Philosophie und Gerechtigkeit in der Gesellschaft“ entstanden während des Konversatoriums zu „Theorien der Gerechtigkeit“ 1999, für dessen Abhaltung ich mich gleich an dieser Stelle beim Vortragenden Ao. Uni - Prof. Dr. Alexander Somek bedanken will, und konnten dank der freundlichen Zustimmung von

o. Uni – Prof. Dr. Gerhard Luf nun realisiert werden. Es war für mich als Neuling in solch einer gewichtigen Problematik wirklich schwer einen Überblick zu behalten und ein organisiertes Konzept halbwegs zu Papier zu bringen. Es möchte Sie liebe Leser ersuchen einerseits Nachsicht zu üben wenn es Stellenweise nicht ganz gelungen ist der Fülle von Ideen und Gedanken die mich, nicht erst seit ich begonnen habe dies zu schreiben, heimgesucht haben den nötigen literarischen Feinschliff zu geben, andererseits möchte ich es gleichzeitig nutzen ihnen ans Herz zu legen vielleicht die ein oder andere Konfusität meinerseits zu nutzen um eigene Gedanken zu verfolgen. Ich denke unsere Gesellschaft, speziell jeder einzelne innerhalb seiner Möglichkeiten, hat es notwendiger denn je sich über Gerechtigkeit, Fairness und das System in dem wir Leben Gedanken zu machen. Es ist wichtig und das ist auch der Grund meiner Tätigkeit dass sich mehr und auf allen denkbaren Ebenen Gedanken ob solcher Problematiken gemacht werden. Ich habe meine niedergeschrieben und ich hoffe damit vielleicht, wie ich es in meinem näheren Umfeld geschafft habe, doch die eine oder andere Diskussion in Gang zu bringen. Ich finde es wichtig kompliziert anmutende Gedanken hinauszutragen, sie zu verbreiten, zu simplifizieren und quer durch die Schichten der Gesellschaft zu behandeln um eine Akzeptanz innerhalb der Menschen für solch grundlegende und wichtige Fragen zu schaffen. Sie gehen alle an und nicht nur die akademische Schicht welche sich bereits mit ihnen Auseinandersetzt. Ich habe gehofft mit meinem Werk einen bescheidenen Beitrag dazu leisten zu können. Es sollte die Aufgabe derer sein die das Privileg haben sich in unserer Zeit philosophische Gedanken leisten zu können diese möglichst allen zu vermitteln. Kant sagte einmal, dass: „... die höchste Philosophie in Ansehnung ihrer wesentlichen Zwecke der menschlichen Natur es nicht weiter bringen könne, als die Leistung, welche sie auch den gemeinsten Verstand hat angedeihen lassen“

Ich habe versucht mich daran zu orientieren und versucht so simpel wie möglich meine Gedanken zu formulieren um dieser These zu genügen. Allen die mich dabei unterstützt haben, die ihre Gedanken mit mir in zahlreichen Diskussionen geteilt haben, möchte ich hiermit meinen herzlichsten Dank ausdrücken. Es war eine gewinnbringende Erfahrung so viel unterschiedliche und interessante Einwendungen und Beiträge gehört haben zu dürfen.

Danke an euch alle.

(1)

Die Theorie von Robert Nozick

Ich will damit beginnen die Theorie von Robert Nozick in Grundzügen wiederzugeben um Lesern, die nicht mit der „Entitlement Theorie“ oder Nozicks Buch „Anarchy, State and Utopia“ vertraut sind, einen Einblick in seine Sichtweise geben ohne vorerst meine persönliche Interpretationen kund zu tun oder Schlüsse aus ihr zu ziehen.

Nozick ist ein Ultraliberalist, ein vehementer Kritiker des Sozial- und Wohlfahrtsstaates sowie ein strikter Gegner jedweder Umverteilung. Seine Theorie, die er „Entitlement Theorie“ nennt, was wohl soviel wie „Anspruchstheorie“ heißen soll, ist eine Herausforderung an unsere moralischen Überzeugungen, eine Theorie, die auf die Gerechtigkeit hinsichtlich des Besitzes abzielt. Das common-sense-Verständnis impliziert mit sozialer Gerechtigkeit unerlässlich staatliche Umverteilung; es kommt so zur Legitimierung des Sozialstaates da Umverteilung als gerechtigkeitstheoretische Notwendigkeit angesehen wird. Nozick dagegen sieht in Umverteilung schlicht einen Rechtsbruch, für ihn ist jede Besteuerung über das Maß des für die Finanzierung der staatlichen Schutzleistungen Erforderlichen, schlichtweg blanker Diebstahl. Mit Sätzen wie „Steuern sind Versklavung“ vertritt Robert Nozick seine Theorie mit aller Vehemenz und Konsequenz.

Seiner Theorie vorausgesetzt ist das Menschenrecht auf Freiheit und Eigentum, welches er in Tradition von Locke oder Humboldt als absolutes Recht gegenüber jedermann sieht. Jeder hat demnach das Recht vor Gewalt, gerichtet auf seine Person oder sein Eigentum, verschont zu bleiben und natürliche Gaben und Talente im Rennen um gesellschaftliche Güter einzusetzen und schließlich auch zu nutzen. Niemand hat von Natur aus ein Recht auf ein interessenförderliches Handeln anderer. Nozick sieht den Mensch nicht nur als Individuum, sondern stattet ihn auch noch mit dem Recht auf Privatjustiz aus, was für kritische Beobachter den zigarrenrauchenden Fabrikbesitzer perfekt ins Bild dieses Klischees rückt.

Nozick erläutert weiter zwei Thesen, von denen die erste die Legitimierung eines Staates an sich versucht, die zweite hingegen den Staat auf einen minimalistischen „Nachtwächterstaat“ beschränkt. Die Legitimierung des Staates an sich sieht er in seiner Funktion die natürlichen Rechte der Individuen schützen zu müssen, da sie sonst einer ständigen Bedrohung ausgesetzt wären. Ein Staat aber, so Robert Nozick weiter, der diese Aufgaben überschreitet, muss die Rechte, die es für ihn zu schützten gilt, notwendigerweise verletzen, da er sich um grundlegende soziale und ökonomische Bedingungen von Freiheit, Gleichheit und Autonomie sorgt und ihre Verwirklichung anstrebt; er agiert also als Sozial- und Wohlfahrtsstaat. Diese Aufgabe kann laut Nozick nur ein umverteilender Staat übernehmen, der von denen, die viel haben, nimmt, um es denen zu geben, die nichts haben. Da Nozick seine Theorie wie oben erwähnt auf der Perspektive des rechtlich erworbenen und damit absolut schützenswerten Eigentums aufbaut, ist solch ein Handeln für ihn nicht zulässig – sprich nicht gerecht. Er wirft anderen Theoretikern sogar vor, dass sie beim Versuch den Sozialstaat zu rechtfertigen das Individuum sträflich vernachlässigen.

Weiter begründet Nozick Gerechtigkeit hinsichtlich der Besitztümer mit drei Fragen, deren Beantwortung mit Ja auch den Besitz als gerecht und schützenswert ausweisen.

Am Anfang steht die Frage nach der Aneignung von Besitz. Diese Aneignung stellt er auf den Grundsatz der „gerechten Aneignung“ ohne diesen wirklich zu erklären. Die zweite Frage bezieht sich auf die Eigentumsübertragung. Was ist gerecht und ungerecht bei der Übertragung von Eigentum? Hier führt uns Nozick auf die intuitive Ebene der Moral und spricht die „Wahrheit“ in diesem gerechtigkeitstheoretischen Gegenstandsbereich an, der demnach zu folgen sei. Die dritte Frage ist mehr eine Feststellung und meint, dass Ansprüche auf Besitztümer lediglich dann gerechtfertigt sind, wenn man die Fragen 1 und 2 positiv beantwortet hat --- eine Verteilung ist ergo gerecht wenn sie aus einer anderen gerechten Verteilung auf gerechte Weise entsteht. Hier zeichnet sich ein Problem ab, da nicht alle Verteilungen hinter gerechten anderen Verteilungen sehen, sie also Regel Nr. 3 nicht erfüllen. Beispiele sind Diebstahl oder Monopolisierung, grundsätzlich alles, was den „Bona Fides Regeln“ des Transfers widerspricht.

Robert Nozick formuliert deshalb noch zwei weitere Regeln auf Basis dieser Ungerechtigkeit.

Erstens: Ungerechtfertigte Verteilungen müssen nach Maßgabe unseres Wissens über das was wirklich geschehen ist, korrigiert werden.

Zweitens: Ungerechtfertigte Verteilungen werden korrigiert, indem die ungerechten Erwerbungen nach Maßnahme unseres Wissens über ihr Zustandekommen korrigiert werden.

Dieser Anspruchstheorie nach ist das Zustandekommen einzig und allein entscheidend für die Beantwortung, ob eine Verteilung gerecht ist oder nicht. Sie sieht nicht einen Zeitpunkt und misst dann auf Grund von gerechtigkeitstheoretischen Normen, ob die Verteilung diesen entspricht, sondern nur, ob die Besitzer berechtigt oder unberechtigt Ansprüche an ihren Besitz haben. Theorien, die im Gegensatz zu Nozick historisch unabhängig einen Besitz sehen und ihn nach dem Grundsatz „Jeder nach dem, was ihn auf Grund eines Kriteriums K zukommt“ umverteilen wollen, nennt er „Strukturelle Theorien“. Sie sehen Güter und Besitztümer als eine zu jeder Zeit dispositiv verteilbare Masse, da sie meinen, dass jedem a priori gleiches Recht an den zur Verfügung stehenden Ressourcen zukommt.

(2)

Nozick´s Theorie am Beispiel von Wilt Chamberlain

Um seine Theorie zu untermauern und strukturellen Gerechtigkeitstheorien den Wind aus den Segeln zu nehmen nimmt er sich einen Profibasketballspieler, einen der größten Sportidole der Vereinigten Staaten seiner Zeit und vielleicht besten Basketballspieler aller Zeiten nach Michael Jordan, an --- Wilt Chamberlain.

Sein Beispiel ist einfach. Angenommen Wilt Chamberlain wird mit einem Vertrag ausgestattet, der ihn pro verkaufter Eintrittskarte einen gewissen geringen Betrag sichert.

Nun, wie schon erwähnt, ist Wilt einer der Besten, ein Kassenmagnet. Die Leute sehen einen Abend mit ihm als tolles Ereignis an. Sie strömen ins Stadion und reißen sich um Eintrittskarten. Der Betrag, den sie für das Ticket bezahlen müssen, bezahlen sie gerne und freiwillig um Herrn Chamberlain spielen zu sehen. Auch ist der Betrag klein genug um sie nicht in finanzielle Not zu bringen oder er ist für ihren Vermögensstand überhaupt nicht im relevanten Maß spürbar. Wilt Chamberlain aber wird durch die Massen die er aufgrund seines außergewöhnlichen Könnens in die Halle lockt, immer reicher. Er wird so reich, dass sein Vermögen selbst das der sehr gut verdienenden Mitglieder der Gesellschaft um Längen übersteigt.

Nun scheiden sich die Geister. Nozick meint, da die Leute einen freiwilligen Transfer ihres Geldes vorgenommen haben, aus den sie auch noch einen Nutzen, nämlich eine Darbietung der grandiose Leistung des Wilt Chamberlain gesehen zu haben, was sie innerlich glücklich stimmte, sie vielleicht ihre Alltagsprobleme vollends vergessen ließ und sie Zeuge eines Ereignisses werden ließ, von dem sie ihren Kollegen am nächsten Tag stolz berichten können, gezogen haben, kann der Transfer nur gerecht sein und so auch das auch noch so überdurchschnittliche Vermögen des Basketballspielers. Es wäre im Gegenteil höchst ungerecht, betrachte man die Situation nach rein strukturellen Gesichtspunkten, denn dann hätte man Wilt Chamberlain entweder hindern müssen einen solchen Vertrag zu schließen, sprich es ihm verbieten, oder ihm nachträglich etwas davon staatlich organisiert und sanktioniert wegnehmen und umverteilen müssen. So oder so wäre zur Aufrechterhaltung der strukturellen Gerechtigkeitsgrundsätze eine eklatante Beschneidung der individuellen Rechte notwendig. Robert Nozick meint, sie wären, da sich das Beispiel fortsetzen ließe, überhaupt nur um den Preis ständiger Rechtsverletzungen gegen das Individuum aufrecht zu erhalten.

Die Kritiker von Robert Nozick werfen ihm nun vor, dass nur seine absurde Ansicht von Eigentum eine solche Tatsache als gerecht erachten könne, seine rein historische Betrachtungsweise der Besitzverhältnisse sich erheblich von dem unterscheide, was man gemeinhin als gerecht betrachtet. In einer Welt, in der viel für wenige vorhanden ist und wenig bis nichts für andere, könnte und sollte doch auch eine Welt, in der für alle zumindest genug da ist, sein. Ab und an dürften und müssten daher sehr wohl strukturelle Gerechtigkeitsstandards angelegt werden.

Ausgehend davon verfolgen wir weiter das Beispiel von Wilt Chamberlain. Sein Geld hat ihn nun nicht nur reich, sondern auch mächtig gemacht, er hat nun die Möglichkeit mit seinem Geld Dinge zu tun, die anderen Schaden zufügen, die er ohne Geld nie hätte tun können. Angenommen er kauft Wohnungen in einem Armenviertel und zwingt nun genau jenen Menschen überhöhte Preise auf, die ihn mit ihren Beitrag in Eintrittspreis – Form in seine Stellung gehoben haben. Ein anderes Szenario zeigt Herrn Chamberlain, wie er sich auf Grund seines Geldes politischen Einfluss erkauft, diesen dann geltend macht um Politiker dazu zu bewegen anstelle der geplanten Heime für schwarze, lesbische, behinderte Frauen ihr Ja zu einem Einkaufzentrum, welches, so der Zufall will, ihm selber gehört, geben. Er könnte genauso gut anonymer Spender einer Großpartei seines Landes werden. Die Partei könnte nun ertappt werden, wie sie leider vergessen hat, dies alles in ihren Bilanzen zu erwähnen, was zu einem riesigen Skandal eskaliert, bei dem selbst andere Länder so schockiert sind, dass sie wirtschaftliche und politische Sanktionen gegen dieses Land beschließen und so Tausende ihren Job verlieren.

Stellen wir uns diese Szenarien vor, müssen wir uns fragen, ob die Menschen, hätten sie alle möglichen Konsequenzen in Betracht gezogen, auch noch ihr Geld ins Stadion getragen hätten.

Wir müssen uns fragen, ob das mit einer Theorie der Gerechtigkeit, mit sozialer Gerechtigkeit oder überhaupt nur mit dem Begriff Gesellschaft als System, in dem wir geben und nehmen, zu vereinbaren ist. Verneint man dies, so heißt das nichts anderes, als dass die Fans nicht wirklich rational gehandelt haben, als sie ins Stadion gingen, dass diese Verteilungssituation ungerecht ist und sie nun einen Staat benötigen, der ihre Unmündigkeit ausgleicht und ihnen Verlorenes durch Umverteilung rückerstattet.

Ist nun Robert Nozicks Theorie ein Irrweg, ein eleganter Versuch Börsenmakler, Unternehmer, Universitätsprofessoren und anderen Kapitalisten eine ruhige Nacht zu ermöglichen und sie im wiegenden Mantel der Gerechtigkeit sanft schlummern zu lassen ?

Kann und muss ein Weg, der mit Leichen gepflastert ist, Gerechtigkeit verkörpern oder ist dies am Ende gar nicht die einzige Konsequenz, die eine Theorie fern ab von Wohlfahrtsstaat und Strukturüberwachung, von Differenzprinzip und aparter Gesellschaft mit sich bringt --- kurz: Geht ungebremste, staatsfreie Freizügigkeit immer zu Lasten von gerechter Güterverteilung ?

(3)

Orientierung und Desorientierung

Die Polemik des letzten Absatzes und die Überschrift dieses Kapitels bitte ich Sie, liebe Leser, nicht falsch zu interpretieren. Ich will im weiteren Verlauf nicht erklären, was Robert Nozick mit seiner Theorie zu erreichen versucht hat und mir auch nicht anmaßen Ihnen seine Ziele als Offenbarung zu präsentieren, die er selbst vielleicht nie genannt hat oder nennen wollte, weil sie auch nicht seinen Wünschen entsprechen. Ich will lediglich seine Theorie als Stützpfeiler dazu benützen, mir eigene Gedanken rund um eine gerechte Gesellschaft zu machen.

Ich werde versuchen, zu Beginn daran festzuhalten, was mir persönlich an Robert Nozicks Theorie im Vergleich zu anderen bekannten Theorien der Gerechtigkeit gefällt und im Anschluss daran einen Weg formulieren, der trotz aller wesentlicher Argumente der „Entitlement Theorie“ ein Weg in eine gerechte Gesellschaft ist.

Beginnen möchte ich mit einer groben Einteilung einiger bekannter Theorien.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Um einen ersten Überblick zu erhalten und zur besseren Orientierung im nachfolgenden Text, sehen sie Abbildung 1 an. Hier sehen wir ein Koordinatenkreuz bei dem die x-Achse von links nach rechts die Begründungsansätze, von den individualistischen (I) bis zu den universalistischen (U), zeigt. Auf der senkrechten y-Achse sind die Gesellschaftsauffassungen, beginnend von den anatomistischen (A) bis zu den kommunitären (K) eingetragen. Die Urheber von bekannten Staats – und Gesellschaftstheorien sind ihrem Wesen nach eingezeichnet[1].

Die Tendenz ist meiner Meinung nach klar abzusehen, soll eine Theorie salonfähig sein, muss sie mehr oder weniger ihre Moralbegründung aus universalistischen Konzeptionen ziehen. Ziel einer solchen ist es, Übereinstimmung über allgemein verbindliche moralische Standards dadurch zu erzielen, dass Personen unter der fiktiven Annahme weder ihre eigene soziale Lage, ihre Fähigkeiten oder Vorlieben zu kennen, Probleme betrachten und so nur Grundsätze wählen, die wie ihre Position in der Realität auch immer aussehen möge, vertretbar wären. Ein weiterer wichtiger Punkt für Erfolg in den Charts der Gerechtigkeitstheorien ist die „richtige“ Auffassung vom Zweck der Gesellschaft und was sie überhaupt sein will oder nur sein kann. Hier liefert eine wieder mehr oder weniger extreme, aber doch solide kommunitäre Auffassung eine Top-Platzierung. Eine Gesellschaft von Menschen die von Natur aus soziale Wesen sind wird hier dargestellt. Wir besitzen demnach eine Affinität zu unserer Umwelt, zu unserem sozialen Gefüge, die es uns unmöglich macht, wollen wir das Menschsein nicht in seinem Innersten verleugnen, keine moralische Verantwortung für alle anderen zu tragen.

Beide sind nicht korrekt --- oder in diplomatischeren Tönen, die in diesen Tagen wohl einen Canossagang mit einem Ferrari ermöglichen, gesagt --- sie sind ergänzenswert.

Wie wohl, und dies sei gleich an dieser Stelle angebracht, auch ich an den jeweils konträren Meinungen deren nähere Beschreibung ich an dieser Stelle auslassen werde meine Zweifel hege, so halte ich es doch aus einem bestimmten Grund für zielführender Zweitere als die „Basics“ herzunehmen.

Der Grund ist simpel. Der Realitätsbezug ist, wenngleich er auch bedrückend wirkt, überwältigend. Eine Theorie, die als einfach bezeichnet wird, wie die von Robert Nozick, ist es deshalb, weil wir leicht Zugang zu ihr finden. Sie prägt unser Dasein und nicht erst in unserem Jahrhundert, sondern wir finden Parallelen quer durch die Geschichte. Ich frage mich, was Menschen zweifeln lässt an ihren doch so tief verwurzelten, und wie noch zu zeigen sein wird, moralisch nicht verwerflichen Grundeinstellungen wie der, dass alles, was man rechtmäßig erworben hat, einem auch zusteht. Man hat es vielleicht erworben, weil man mit einer Fähigkeit ausgestattet wurde, die einem anderen nicht zuteil wurde, und man kann sicher nicht behaupten, dass diese Verteilung irgendwelchen Gerechtigkeitsstandards entspräche, aber wir haben sie, egal welche Fähigkeit wir auch immer besitzen, wir taten auch nichts „böses“ um sie zu bekommen. Es wäre falsch den Anfang dort zu setzen, wo noch kein Anfang möglich ist, sprich wo Gerechtigkeit noch nicht messbar, wertbar oder änderbar ist. Wir, mit unseren Fähigkeiten, unserem Platz unter der Sonne, beginnen unsere Reise auf der Straße der Gerechtigkeit und genau hier ist der frühest mögliche Zeitpunkt um anzusetzen.

Wenn man genauer in relevante Theorien wie die von Walzer[2] oder Rawls[3] blickt, kann man erkennen, dass schon vermeintliche Kernaussagen zu Ungereimtheiten führen, die sich nur über eine Brücke zum Liberalismus schließen lassen.

Unsere individuellen Eigenschaften können nicht aus dem Blickpunkt jedweder theoretischer Beschäftigung mit politischer Philosophie und Gerechtigkeitserwägungen verbannt werden. Eigentlich können sie es unter gewissen Bedingungen doch, aber das wird mich erst zum Ende des Aufsatzes noch einmal beschäftigen, nämlich dann wenn sich die Frage stellt, was zu tun ist wenn das vorgestellte System nicht funktioniert weil es untergraben wird. Anders formuliert, wie mit Individuen zu verkehren ist, die trotz ihres Unbehagens und Zweifels, gegen ihre Lust moralisch zu handeln, irrational und kontraproduktiv in Hinblick auf ein die Erhaltung des Systems handeln.

Vorerst aber muss postuliert werden, dass die Gleichheit darin besteht, dass jeder für sein Leben selbst Verantwortung übernehmen muss. Dies gilt auch für Bedingungen und Handlungen, die unbeeinflussbar sind. Weiters gilt natürlich, dass unsere individuellen Eigenheiten auch eine beachtliche soziale Relevanz haben. Rawls missachtet dies, denn seine Theorie der Gerechtigkeit ist gänzlich unempfindlich dafür, dass Güter und ihre Werte stark beeinflusst sind von unserer Identität und von unserem Umfeld. Das „Maximum – Minimum“ Prinzip stellt auf Quantität ab und berücksichtigt so gesehen Qualität nicht. Ebenfalls nicht berücksichtigt ist das Individualistische in unserer Lebensführung unter seinem „Vail of Ignorance“. Habermas meint, dass wir dies aber als notwendig oder unverfügbar erfahren können[4]. Ich bezweifle weiters, dass, selbst wenn sie sich in die geforderte simulierte Unwissenheit begeben, ihre ethische Sicht irgendwie negieren, ist äußerst fraglich, ob sie sich später noch mit den daraus resultierenden Umständen identifizieren könnten, nachdem sie „ihren“ Platz im System wieder eingenommen haben.

Auch Walzer muss ähnliches erkennen und so findet er sich letztendlich doch an den Liberalismus verwiesen. Dieser ist darum bemüht, den Verteilungserfolg danach zu bestimmen, ob Menschen für das, was sie sind oder zu dem sie sich gemacht haben, verantwortlich sind.

Wenn wir Walzers „komplexe Gleichheit“ betrachten und von ihren Problemen, welche mit dem außer Acht lassen der Frage, ob sich der Staat gegenüber den mit Verteilungssphären verbundenen Lebensformen neutral verhalten sollte oder nicht, über die Frage der Trennung oder besser Abgrenzung der Verteilungssphären, reichen, kritisch auseinandersetzen, ersehen wir eine Schwäche die obiges Problem betrifft.

Walzers Kernstück ist das „offene Distributionsgesetz“ welches besagt, dass kein soziales Gut X an Männer und Frauen verteilt werden soll, die ein soziales Gut Y besitzen, bloß weil sie Y besitzen und ohne Rücksicht auf die Bedeutung von X.

Weiter, so Walzer, führt die Nichteinhaltung dieses Prinzips unweigerlich zur Dominanz von Gütern und das führt zur „Tyrannei“ wie Walzer es nennt. Ein Gut ist demnach dominant, wenn Individuen die es besitzen, nur deshalb weil sie es besitzen, Einfluss auf ein Spektrum von anderen Gütern nehmen können. Diese „Unterwerfung“ abzuwehren ist aber gerade jener Faktor, der Walzers „komplexe Gleichheit“, obwohl eigentlich innerhalb ihrer Sphären nicht gerecht, doch als System der Gleichheit zu etablieren vermag.

Walzer will so Gleichheit gewährleisten, indem er die Dominanz von Gütern mit seiner Art der Verteilung abwehrt. Was Walzer übersieht ist, dass aber die Frage nach der Dominanz eines Gutes wesentlich (und nicht bloß sekundär, wie Walzer, der nur von der Bedeutung der Güter spricht, meint) vom Besitzer dieses Gutes abhängig ist. Es geht in entscheidendem Maße um die Eigenschaften, die Merkmale einer Person die das Gut besitzt, denn sind diese geeignet um sich auch in einer anderen Sphäre erfolgreich zu agieren führt dies zur Dominanz. Es sind also die Eigenschaften, die Werte hinter den Gütern die über Tyrannei und damit Gleichheit entscheiden.

[...]


[1] Auffällig ist, dass die Felder links unten alle leer sind. Hier wären jene Konzeptionen zu lokalisieren, die einen individualistischen Begründungsansatz mit einer kommunitären Gesellschaftsauffassung verbinden. Dies ist nicht gerade denkunmöglich, jedoch ist mir bis dato keine solche namhafte Theorie bekannt.

[2] Siehe „Spheres of Justice“ 1983

[3] Siehe „A Theory of Justice“ 1979

[4] Einen Ausweg würde in dieser Hinsicht Dworkins „Ressourcen – Auktion“ bieten. Dass diese Konzeption in sich wieder zu Irritationen führt kann hier nicht erörtert werden.

Ende der Leseprobe aus 45 Seiten

Details

Titel
Liberalismus Unplugged
Hochschule
Universität Wien  (Insitut für Rechtsphilosophie, -ethik und -theorie)
Veranstaltung
Theorien der Gerechtigkeit
Note
Sehr Gut
Autor
Jahr
2000
Seiten
45
Katalognummer
V5698
ISBN (eBook)
9783638135009
Dateigröße
539 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
2. überarbeitete Version. 331 KB
Schlagworte
Robert Nozick, John Rawls, Liberalismus, Gerechtigkeitstheorien, Gerechtigkeit, Staatstheorie, politische Philosophie, Gesellschaft, Otfried Höffe
Arbeit zitieren
Ralph Trischler (Autor:in), 2000, Liberalismus Unplugged, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/5698

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