"Im Strudel der Sinne" Die filmische Umsetzung der Proustschen écriture in Chantal Akermans "La Captive".


Seminararbeit, 2004

41 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Intermedialität
2.1 Theorien zur Intermedialität
2.2 Literaturverfilmung - Die Transformation vom Buch zum Film
2.2.1 Vorbehalte gegenüber der Verfilmung
2.2.2 Probleme der Transformation
2.2.3 Theorien zur Literaturverfilmung

3. Erzählen und Darstellen – Aspekte der Filmästhetik
3.1 Zur Analyse des Visuellen
3.1.1 Das Bild
3.1.2 Der Blick der Kamera
3.1.3 Das Licht
3.1.4 Der Narrative Raum

4. Prousts und die Medien
4.1 Die Literatur als „Schule der Sinne“

5. Chantal Akermans „La Captive“
5.1 Die Regisseurin und ihr Film
5.2 Die filmische Umsetzung der Proustschen écriture in „La Captive“
5.2.1 Die Strandszene
5.2.2 Balkonszene
5.2.3 Arianes Tod

6. Fazit

7. Literatur- und Quellenverzeichnis

1. Einleitung

Rund 90 Jahre liegen zwischen der Veröffentlichung des Werkes „A la recherche du temps perdu“ von Marcel Proust und meiner Lektüre und Beschäftigung damit. Es ist er­staunlich, wie zeitlos und aktuell dessen Thematik heute ist. Denn es geht um den Men­schen mit all seinen Vorzügen und Fehlern, seiner Liebe und Lust, seiner Phantasie und seinen Träumen, umgeben von der wertvollen Zeit als fast grenzenloses Kontinuum und bestimmende Größe im Spiel des Lebens.

Ganz beeindruckend verbindet Marcel Proust eigene Erfahrungen und Beobachtungen mit den verschiedenartigen Details der Kunst und der Technik in seiner écriture. Sein Roman fungiert als Vergrößerungsglas beim Blick auf die Menschen und ihre Geschichte. Durch diese Einladung soll der Leser sich auf die Reise der eigenen Sinne machen und sich jenes „Werkzeug“ ent­nehmen, welches er zur geistigen Kreation braucht. Dabei verwandelt er sich in einen Voyeur, Detektiv und Eifersüchti­gen, der die Spiele der Verwirrung, der Mehrdeu­tigkeit und Simula­tion ergründen möchte.

In diesem Zusammenhang möchte ich in meiner Hausarbeit Prousts Schreibweise als „Schule der Sinne“ näher erläutern und besonders auf den intermedialen Charakter seiner Li­teratur eingehen. Vorab versuche ich, den Begriff der Intermedialität zu klären und stelle ver­schiedene Theorien dazu vor. Des Weiteren sollen auch Vorbehalte gegenüber den Literatur­verfilmungen angesprochen werden, die im Rahmen der Diskussion um die Literatur als ur­sprüngliche Kunst von Kritikern geäußert wurden.

Im zweiten Teil meiner Darstellung möchte ich mich der filmischen Umsetzung des Proustwerks „La prisionnière“ in Chantal Akermans „La Captive“ widmen. Basierend auf einem theoretischen Abriss zu spezifischen Aspekten der Filmästhetik werde ich die Trans­formation der Proustschen écriture anhand von drei ausgewählten Szenen im Film analysie­ren.

2. Intermedialität

2.1 Theorien zur Intermedialität

„Es gibt kein Kunstwerk, das nicht seine Fortsetzung oder seinen Ursprung in anderen Künsten hat.“[1] – Dieses Zitat könnte als eine der vielen möglichen Umschreibungen für das Phänomen Intermedialität stehen. Intermedialität ist nicht nur eine Ver­bindung, ein Wechsel­spiel, eine Vernetzung sondern auch ein Prozess von Transformationen und Transfe­ren zwi­schen verschiedenen Medien in einem Medium.

Auf der Suche nach den poetologischen Ursprüngen kann man sehr weit in der (Kul­tur-)Geschichte zurückgehen, so z. B. in die griechische Antike zu Simonides von Keos und seiner Konzeption von Male­rei als stummer Poesie. In Bezug auf die Geschichte des Kinos ziehen Autoren wie z. B. Norbert Bolz eine Verbindung zu Platons Höhle mit ihren trügeri­schen Schattenbildern auf der Höhlenwand oder zum riesigen Wandteppich von Bayeux, der dem Betrachter durch eine szenische Darstellung die Geschichte der normannischen Er­obe­rung erzählt.[2] Hinsichtlich der Begriffsgeschichte von Intermedialität weist Jürgen E. Müller darauf hin, dass Intermedialität als ästhetisches Konzept bereits in der Romantik entstanden sei. Coleridge hatte 1812 schon den Begriff „intermedium“ geprägt, der aber nur ein Dazwi­schensein bedeutet, wobei die Bezeichnung „Medium“ noch nicht im modernen Sinne ver­standen werden kann.[3]

„In den Poetologien und Ästhetiken der Romantik wird bekanntlich das Vermengen und Überlagern verschiedener Künste und Medien als eines der zentralen (und neuen?) ästhetischen Verfahren propa­giert, bei Coleridge bezeichnet ‚intermedium‘ allerdings noch keine konzeptionelle Fusion von unter­schiedlichen Medien, sondern ein narratologisches Phänomen.“[4]

Früheste Arbeiten zur Intermedialität haben ihre Konzepte aus einem formalistischen und semiotischen Kontext ihrer Beschäftigung mit Intertextualität entwickelt. Sie liefern Ansätze und ästhetische Modelle für die neueren Intermedialitätstheorien. So hat z. B. „[d]ie Wort- und Bildkunst der russischen Moderne [...] die Grenzen des Textbegriffs deutlich werden und statt dessen variable Gattungen (z. B. Collagen) in einem System von Kunstformen [...] zum Gegenstand der Untersuchungen werden lassen.“[5] Wo die Intertextualität an ihre Grenzen stößt, werden neue Anhaltspunkte für den Text-Transfer z. B. vom Drama zum Theater oder vom Roman zum Film in ihren medialen Verkörperungen gesucht. Der Medienwechsel bildet daher das Paradigma im Transfer von literarischen Texten, Theater, Musik und den Bildme­dien.[6]

„Der Begriff der Intermedialität, der in Deutschland vor allem von Müller, Paech, Al­bers­meier aufgenommen und weiterentwickelt (im kritischen Anschluß z. B. an McLuhan, Hig­gins und Aumont, aber zugleich auch Kristevas Konzept der Intertextualität) [siehe wei­tere Ausführungen, d. Verf.], erscheint als ein Versuch, die Integration von ästhetischen Kon­zepten einzel­ner Medien in einem neuen intermedialen Kontext zu erfassen.“[7]

In der neueren Intermedialitätsforschung, wie sie beispielsweise von Paech, Roloff, Schanze und Müller vertreten wird, spielen die Formen der Intermedialiät (Brüche, Intervalle, Zwi­schenräume und Grenzüberschreitungen), die im Rahmen der Geschichte und Weiterent­wicklung der Künste entstehen, eine entscheidende Rolle. Der Intermedialitätsbegriff wird nicht mehr rein additiv verstanden, d. h. als bloße Häufung verschiedener interagierender Me­dien in einem Medium, sondern „[e]s geht um den Zusammenhang, die Wechselwirkungen, Interferenzen und Komplementarität der [...] Medien, um die immer engere Vernetzung, die Substituierbarkeit eines Mediums durch andere.“[8] Es ist von Interesse, den Funktions- und Strukturwandel zu analysieren, der mit der Transformation von Diskursen und Verfahrens­weisen des einen Mediums in das andere verbunden ist.[9]

„Intermediale Fusionen, Brüche und Interferenzen müssen von der Peripherie medienwissenschaftlicher

Erkenntnisinteressen in deren Zentrum gerückt werden, um dem medialen Status und der historischen und sozialen Funktion von Medientexten und Kunstwerken gerecht zu werden und um die medialen Eindimensionalitäten der Theoriebildung und Analyse zu durchbrechen.“[10]

Im Kontext des Erfassens jenes Zwischenraumes (interstitium), spricht Bellour vom Begriff des „entre-images“, dem Zwischen-den-Bildern, d. h. „das Bild zwischen den Bildern und damit auch die Zirkualation der Bilder und Texte“[11].

„Il y avait autrefois le cinéma, la photo, la peinture. Il y a désormais et de plus en plus, des images. Des passages entre les images parce que tout passe à la télévision. Parce que la vidéo a pu former, transfor­mer toutes les images... Entre photo, cinéma, vidéo, l’entre-images est un lieu de passage, le lieu où pas­sent aujourd’hui les images.“ Intermedialität ist in diesem Sinne ein Ort von Übergängen, von Passagen, im mehrfachen Sinne dieses Wortes.“[12]

Auf der Suche nach eigenen Kombinationen, Zwischenräumen, Passagen zwischen Kino, Video, Fernsehen und damit verbunden auch zwischen den Diskursen, spricht Foucault von Heterotopien. Er definiert Heterotopie als den „‚Raum unserer ersten Wahrnehmung, den Raum unserer Träume‘[13], Leidenschaften und Phantasmen: ein verwirrendes Beziehungssys­tem, das durch Simultaneität, Überlagerungen und Transformationen gekennzeichnet ist [...]“[14]. Es ist ein Ort, in dem die Verbindungen Realität und Fiktion, Kreation und Rezeption oder Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit nicht mehr gelten. Orte als intermediale Reflexion, Lust-orte und Spielräume sind für Foucault „ganz andere [...] als die Plätze, die sie reflektieren oder von denen sie sprechen [...]“.[15]

„Der Spiegel funktioniert als eine Heterotopie in dem Sinn, daß er den Platz, den ich einnehme, wäh­rend ich mich im Glas erblicke, ganz wirklich macht und mit dem ganzen Umraum verbindet, und daß er ihn zugleich ganz unwirklich macht, da er nur über den virtuellen Punkt dort wahrzunehmen ist.“[16]

Weitere Ansätze zur Analyse der intermedialen Vorgänge gibt z. B. Yvonne Spielmann, die Intermedialität als formales Verfahren beschreibt, das Medienprozesse als Transformationen zwischen künstlerisch und technisch generierten Formen in symbolischen z. B. in Bildern zwi­schen den Bildern sichtbar werden lässt. Intermedialität als mediales Differenzial des Da­zwi­schenseins in einem Formwandel. In ihrer kommunikationswissenschaftlich orientierten Ar­gumentation, ausgehend von der formalistischen Position Hansen-Löves, zieht Yvonne Spielmann Vergleiche, „wie und mit welcher Begrifflichkeit in neueren Medientheorien die Phänomene der Kopplung und Vernetzung diskutiert werden, um dadurch spezifische Eigen­schaften herauszuarbeiten, welche das Vorkommen von Intermedialität als mediale Formen anzeigen, worin die Differenz zwischen unterschiedlichen Medien vermittelt ist.“[17] Da im Begriff Intermedialität kultursemiotische und medientechnologische Aspekte zusammenge­führt sind, ist es erforderlich, so Spielmann, eine Unterscheidung zwischen der kulturellen Konzeption und dem technisch-apparativen Funktionszusammenhang zu machen.[18]

Aktuelle Medientheorien versuchen, diese intermedialen Prozesse mit neuen Begriffen und Kategorien wie z. B. Hybridisierung, Interferenz, Mediatisierung, Visualisierung und Di­gitalisierung zu benennen.[19] In Hinblick auf die technischen Verfahren der Transformation werden die Vorgänge der Vernetzung von und durch Medien als Medialisierung bezeichnet.

Die kulturelle Dimension eines Verschmelzungs- bzw. Vermischungsvorgangs wird im me­dienwissenschaftlichen Diskurs mit dem Begriff der Hybridisierung oder der Mediatisierung umschrie­ben.[20] Verschiedene Modelle zur Hybridisierung wurden u. a. von Schneider und Couchot entwickelt, die sich im Rahmen medienästhetischer Phänomene mit Vermischungen, Verflechtungen und Kreuzungen beschäftigen. Nach Schneider haben diese Vermischungen vielfache Organisationsformen in Bezug auf die Möglichkeiten und die Komplexität der Kop­pelung.

„Die Kategorie des Hybriden wird hier also nicht reserviert für die Vermischung von analogen und di­gitalen Techniken, sondern ich suche nach Vermischungen (und nenne sie Hybridisierungen), die sich als Folge der Etablierung von binären Unterscheidungen, Lebensformen und Kulturen herausgebildet haben. Durchmischen kann sich nur etwas, was getrennt war [...].“[21]

In Couchots Entwurf des Hybriden ist dessen Eigenschaft viel deutlicher an die Vorausset­zung der numerischen Technologien gebunden. Eine numerische Hybridität zwischen Sender, der Botschaft und ihrem Empfänger bedeutet eine sehr enge interaktive Verbindung. „Eine Hybridationskunst beruht im wesentlichen darauf, daß auf der Basis numerischer Simulation letztlich uneingeschränkte und ununterbrochene Verkettungen stattfinden.“[22]

„Entscheidend für die Bestimmung von Verschmelzungsphänomenen ist bei dieser Vorstellung des Hy-

bri­den, daß das Modell einer Austauschrelation, wie es für die Intermedialität als Formbildung von Formen medialer Koppelungen gelten soll, seine Funktion einer wahrnehmbaren Diffe­renz einbüßt und mit oder in sich selbst zirkuliert.“[23]

Dieser Aspekt der Differenz, wie er schon bei Spielmann und Schneider angedeutet wurde, wird bei Luhmann im Kontext der Diskussion des Medienbegriffs mit der Unterschei­dung zwischen Medium und Form unterstützt.

„Entscheidend für die Begrifflichkeit ist nicht ein einheitlicher Gegenstand, sondern eine Differenz: die Besetzbarkeit eines medialen Substrats durch eine Form.“[24]

Die Form, in der das Medium die Differenz vermittelt, ist in seiner Eigenschaft von einer Ambivalenz gekennzeichnet. Das bedeutet, dass sowohl die Form selbst, aufgrund der voran­gegangenen Verkoppelungen von Elementen, den Begriff Medium begründet als auch für die Differenz zwischen den Medien und ihren Realisierungen steht. Nach Luhmann ist die Diffe­renz in jedem Kunstwerk präsent, da „eine Form wiederum als Medium weiterer Formbildung verwendet werden kann.“[25]

Joachim Paech, der teilweise an Luhmanns auf der Systemtheoretie basierendes Mo­dell der „konstituiven Differenz“ anknüpft, entwickelt dessen Gedanken weiter, dass ein Me­dium nie „pur“ erkennbar ist, „sondern nur als eine Form, in der es im Kommunikationspro­zeß vermittelt.“[26] Sozusagen als Differenz zwischen Medium und Form, symbolisiert als Bild bzw. Zwischenraum zwischen den Bildern.

2.2 Literaturverfilmung – Die Transformation vom Buch zum Film

2.2.1 Vorbehalte gegenüber der Verfilmung

Die Aussage Eisensteins, dass es keine Kunst ohne Konflikt gibt, ist auch bei der Problematik der Literaturverfilmung zutreffend. Die Übertragungen von einer literarischen Gattung in eine andere wurden schon immer ernst genommen und der wissenschaftlichen Auseinandersetzung für wert empfunden. Schon Aristoteles, Da Vinci, Lessing und Diderot beschäftigten sich mit der Adaption epischer Stoffe in dramatischer Form. Lange betrachtete man den Film als eine der Literatur untergeordnete ästhetische Ausdrucksform und diskutierte die Übertragung eines literarischen Werkes in ein neues Medium (wie z. B. in den Film) divergent. Die Bandbreite der Meinungen reichte „‚von der vorbehaltlosen Faszination durch das Darstellungs- und Wirkungspotential des Films bis zur kompromißlosen Ablehnung des neuen ‚Massen-Medi­ums‘ als einer typischen Verfallserscheinung abendländischer Kultur.‘“[27]

Mit zunehmender Akzeptanz und der Etablierung einer Filmwissenschaft fand man Mittel und Wege zu einer neutralen und objektiveren Diskussionsbasis z. B. in Bezug auf die Ver­filmung und seine literarische Vorlage. „Dabei nahm die kritische Diskussion über Gren­zen und Möglichkeiten, Treue und Verrat der Literaturverfilmung in Frankreich ihren Aus­gang.“[28] In Zusammenhang mit der Verfilmung von Bernanos‘ „Journal d’un curé de campag­ne“ wurde das Problem als eine kulturelle Existenzfrage in den Kreisen des Bildungsbürger­tums angesehen. Denn die Filmemacher drangen störend in die Bereiche des Theaters und der Lite­ratur ein. Man befürchtete einen „Raubbau“ durch den Film und die damit verbundene Aus­beutung der Literatur als Bewahrer eines vielfältigen Inventars von Themen, Handlungen und Figuren. Das literarische Werk würde dabei verformt und durch nicht adäquate Duplikate unvollständig ersetzt oder sogar zerstört werden.[29]

Weitere Vorbehalte wurden dem Film hinsichtlich seiner Rezeption entgegengebracht. Kritiker unterstellten ihm die Steuerung der Phantasie, die passiv-konsumierende Haltung des Zuschauers und die manipulative Beeinflussung durch seine Suggestionswirkung. Jedoch ha­ben u. a. psychologische und soziologische Studien gezeigt, dass auch die Zuschauer eine bestimmte Eigenleistung, die sogenannte Konstitutionsaktivität, bei der Konstruktion von Vorstellungsbil­dern aufbringen und ihnen eine interpretative Mitarbeit abverlangt wird. Dar­über hinaus ha­ben empirische Forschungen bestätigt, dass neben dem Lesen und Interpre­tie­ren von Litera­tur auch die Befähigung zu einer sinnvollen Wahrnehmung audiovisueller Texte erst erworben werden muss.[30]

Ein anderer Kritikpunkt ist kommerzieller Natur und richtet sich gegen die Vermark­tung der Literatur auf dem Markt.

„L’adaptation cinématographique est donc, à certains égards, le sous-produit bâtard de cette industri-

alisation de la culture propre à une société qui fait commerce des produits de l’esprit comme de ceux

son agriculture ou de son industrie.“[31]

Das wirtschaftliche Potential der „literarischen Ware“ wird ausgeschöpft und bei sehr guten Verkaufszahlen mehrfach vermarktet. Sowohl für die Printmedien als auch für die audiovisu­ellen Medien sind ökonomische, soziale, kulturelle und politische Faktoren bestimmend, die u. a. zu spezifischen Konzentrationsprozessen in der Filmindustrie und im Verlagswesen bei­tragen. „Doch eine Ablösung eines einzelnen Autors als individuelle Produktinstanz durch eine Kooperative aus Regisseur, Produzent, Kameramann, Schauspieler, Techniker, Musiker u. a. macht das Produkt zu einem Kollektivwerk, einer équipe, der Filmfamilie, und damit abhängiger zum Gutdünken anderer.“[32] Selten ist die Persönlichkeit einer einzelnen Person prägend für die gesamte Produktion, jedoch gibt es auch Ausnahmen wie z. B. die Autoren­filmer (Godard, Truffaut, Rohmer, Chabrol) bzw. das Autorenkino, „cinéma des auteurs“, in Frankreich.

Auch in der Geschichte des Films sind Ablehnung und Bedenken gegenüber dem Film zu suchen. Von seiner Entstehung als Jahrmarktspektakel und Volkszerstreuung an, galt der Film als subkulturelle Erscheinungsform. Die Literaturverfilmung wurde mit dem Kennzei­chen einer trivialen Aufbereitung für das breite Publikum und einer Reduktion des literari­schen Originals in Breitband versehen. Der Drang nach einer strikten Abgrenzung des litera­risch gebildeten Kreises zum Film liegt vielleicht auch in der Verunsicherung und Skepsis gegenüber dem Neuen begründet. In Bezug auf die frühen Umsetzungen im Kino sind Vor­urteile und Ablehnung gegen diese neue Gattung größtenteils berechtigt, da ungefähr 60% der Gesamtproduktion die Literaturverfilmungen einnahmen, wobei der überwiegende Teil eher die Literatur auf der Leinwand „misshandelte“, so dass „feinsinnige Charaktere zu plum­pen Klischeefiguren verkamen.“[33]

Die Befürchtung, dass sich die Bevölkerung zu einer illiteraten Gemeinschaft ent­wi-, ckelt erweist sich als unbegründet, da z. B. nach einer Verfilmung die Auflagenzahlen an­stei­gen und durch die Visualisierung der Literatur ein Leseanstoss gegeben werden kann.

„Eine filmische Umsetzung birgt aber nicht immer nur die Gefahr einer trivialen Popularisierung, einer unsachgemäßen Aufbereitung, sondern auch eine Chance für die Literatur auf ein erweitertes Publikum, dem sie sich oft nur noch in diesem neuen Medium erschließt und es vielleicht zu einer Lektüre an­regt.“[34]

Da der Film eine wesentlich größere Zahl an Adressaten erreichen kann als die Literaturvor­lage, erfährt das Original durch diesen Resonanzeffekt eine doppelte Rezeption in Film und Buch. Es erweist sich also durch die Transformation nochmals als Klassiker.

[...]


[1] Gilles Deleuze zit. In: Helbig (1998), S. 14.

[2] vgl. Norbert Bolz In: Mecke/Roloff (1999), S. 8.

[3] vgl. Paech (1998), S. 17.

[4] Müller (1998), S. 31.

[5] Paech (1998), S. 15.

[6] vgl. Paech (1998), S. 15.

[7] Roloff In: Roloff/Winter (1997), S. 11.

[8] Mecke/Roloff (1999), S. 11.

[9] vgl. Ebd.

[10] Müller In: Higgins (1984), S. 19ff.

[11] Mecke/Roloff (1999), S. 10.

[12] Bellour (1990), S. 15.

[13] Foucault zit. In: Roloff/Winter (1997), S. 5.

[14] Roloff/Winter (1997), S. 5.

[15] Foucault zit. In: Roloff/Winter (1997), S. 6.

[16] Ebd.

[17] Spielmann (1998), S. 32.

[18] vgl. Ebd., S. 33.

[19] vgl. Mecke/Roloff (1999), S. 7.

[20] vgl. Spielmann (1998), S. 33.

[21] Ebd.

[22] Ebd.

[23] Ebd., S. 33f.

[24] Luhmann (1994), S. 188.

[25] Luhmann (1994), S. 176.

[26] Paech (1997), S. 22.

[27] Heller zit. In: Zima (1995), S. 7.

[28] Zima (1995), S. 8.

[29] vgl. Zima (1995), S. 8.

[30] vgl. Ebd., S. 9.

[31] Clerc zit. In: Zima (1995), S. 9.

[32] Zima (1995), S. 10.

[33] Protopopoff/Serceau zit. In: Zima (1995), S. 11.

[34] Zima (1995), S. 12.

Ende der Leseprobe aus 41 Seiten

Details

Titel
"Im Strudel der Sinne" Die filmische Umsetzung der Proustschen écriture in Chantal Akermans "La Captive".
Hochschule
Universität Leipzig  (Institut für Romanistik)
Veranstaltung
Seminar: Proust und die Medien
Note
1,0
Autor
Jahr
2004
Seiten
41
Katalognummer
V56816
ISBN (eBook)
9783638514064
ISBN (Buch)
9783656730859
Dateigröße
584 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Strudel, Sinne, Umsetzung, Proustschen, Chantal, Akermans, Captive, Seminar, Proust, Medien
Arbeit zitieren
Magister Katrin Polter (Autor:in), 2004, "Im Strudel der Sinne" Die filmische Umsetzung der Proustschen écriture in Chantal Akermans "La Captive"., München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/56816

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