Arno Schmidts "Leviathan" - Mythologie und Weltanschauung


Hausarbeit, 2006

16 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

A. Der Kontrast zwischen der „besten der Welten“ und dem Leviathan

B. Arno Schmidts Leviathan- Mythos und Weltanschauung

1. Der Leviathan in der Mythologie
1.1 Die Herkunft des Leviathans
1.2 Der Leviathan im Alten Testament
1.3 Zusammenhang zwischen dem biblischen Leviathan und Schmidts Erzählung

2. Der politische Leviathan
2.1 Erklärung der Hobbesschen Theorie
2.2 Parallelen zwischen den Leviathanstheorien von Hobbes und Schmidt

3. Schmidts leviathanisches Weltbild
3.1 Die Ambivalenz der Schmidtschen Leviathanstheorie
3.2 Das Einwirken Schopenhauers
3.3 Schmidts Leviathanstheorie
3.4 Der Kontrast zwischen Schmidts Atheismus und dem göttlichen Leviathan
3.5 Schmidts Leviathan- Ein moderner Mythos

C. Der Leviathan als immer wiederkehrendes Motiv in der Weltliteratur

A. Der Kontrast zwischen der „besten der Welten“ und dem Leviathan

„Arno Schmidt hielt kaum etwas davon, seine Texte leserfreundlich zu gestalten. Die Integration fremdsprachlicher Begriffe (…) verlangen vom Leser, macht er sich die Mühe, die Begriffe nicht zu überlesen, sondern nachzuschlagen, eine beachtliche Handbibliothek.“ Diesen Hinweis, den Holger A. Pausch seiner Schmidt- Biographie voranstellt[1], habe ich deshalb als Eröffnung für folgende Abhandlung gewählt, da er auch auf die hier besprochene Erzählung „Leviathan oder die beste der Welten“ zutrifft.

Allein schon der Titel besteht ausschließlich aus Begrifflichkeiten, die dem Leser ohne weiterführende Informationen nicht geläufig sein dürften. Deren Kenntnis ist aber für das Verständnis des Textes unerlässlich. Deshalb möchte ich sie im Folgenden erklären.

Da sich „die beste aller Welten“ kurz erklären lässt, wenden wir uns zuerst ihr zu. Als solche bezeichnete der Philosoph Gottfried Wilhelm Leibniz die Welt, in der wir leben.

„Die Welt gar schön und wohleingerichtet finden, kann wohl nur der Herr von Leibniz“[2] - So lässt Arno Schmidt seinen Ich- Erzähler im „Leviathan“ auf Leibniz zu sprechen kommen. Der Autor vertrat zu dieser ausgesprochen optimistischen Weltsicht das genaue Gegenteil, und so stellte er ihr im Titel seines bis dahin erfolgreichsten Werkes den Leviathan gegenüber.

Dieser Begriff trägt mehrere Bedeutungen, auf die ich nun in der notwendigen Ausführlichkeit eingehen möchte. Die Betrachtung reicht vom ersten Auftreten des Wortes über seine religiöse Bedeutung bis zu der nach ihm benannten politischen Theorie.

Anschließend werde ich die Schmidtsche Auslegung des Leviathans darlegen. Wie so oft hat der Schriftsteller nämlich auch hier „eine Art Verwirrspiel mit dem Leser“[3] getrieben, „indem die mitgeteilten Fakten und Begriffe“[4] nicht ausschließlich die Bedeutung tragen, die ihnen in Nachschlagewerken zugeschrieben werden.

Der Autor hat seinem ihm eigenen Weltbild den Namen Leviathan gegeben. Da dies grundlegend für sein Gesamtwerk ist, bedarf es einer ausführlichen Besprechung. Daher nimmt dieser Punkt den größten Raum in der vorliegenden Arbeit ein.

1. Der Leviathan in der Mythologie

1.1 Die Herkunft des Leviathans

Der Leviathan hat seine Ursprünge in der altorientalischen Mythologie.[5] Dort wird er als Mischwesen aus Schlange, Wal und Drachen beschrieben, das im Meer lebt und das Chaos, das Böse auf der Welt, verkörpert. Sein Rachen wird als Eingang zur Hölle geschildert.[6]

In der jüdischen Tradition ist vom Zelt der Gerechten die Rede, das am Ende der Zeit aus der Haut des Leviathans gebaut wird. Es heißt, Gott werde aus dem Leviathan ein köstliches Mahl zubereiten und den Gerechten zu essen geben.[7]

1.2 Der Leviathan im Alten Testament

Im Alten Testament verkörpert der Leviathan neben dem oben genannten Hybridwesen den Herrscher der Urflut, die einst die ganze Erde bedeckt habe. Erst durch die Trennung der Wasser sei das Chaos gebändigt und das Leben auf der Erde wird für Mensch und Tier möglich geworden. Aber das Ungeheuer sei nicht vernichtet, es bäumte sich immer wieder gegen die Herrschaft Gottes auf und werde erst in der Endzeit besiegt:[8]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Leviathan und Drache, Satan und Antichrist fügen sich zu einer polaren Gegenkraft Gottes. Im monotheistischen Glauben kann es aber keine autonome Position neben Gott geben. Deshalb muss er dessen Geschöpf, also gezielt in den Schöpfungsplan eingesetzt sein. Der Leviathan ist daher auch als dunkle Seite Gottes verstanden worden. Wenn er ihn besiege, überwinde der Herr das Böse in sich selbst.[9]

Die erste Erwähnung des Leviathans im Alten Testament erfolgt im Buch Hiob. Die Frage, ob Hiobs Frömmigkeit nur die Entsprechung seines Glücks und Wohlstands ist, oder er auch im Unglück an Gott festhalten würde, bildet den Ausgangspunkt einer Wette zwischen Gott und dem Satan.[10]

Nachdem er sein ganzes Eigentum, seine Familie und seine Gesundheit verloren hat, verflucht Hiob seine Geburt. Er wendet sich gegen den Himmel und fordert Rechenschaft, woraufhin Gott erscheint und einige seiner Taten aufzählt, um ihm seine Übermacht zu demonstrieren. Er warnt Hiob vor dem Versuch, den Leviathan zu fangen und zu bändigen.

„Lege deine Hand an ihn!

An den Kampf wirst Du denken-und es nicht wieder tun!“

Hiob 40,32

1.3 Zusammenhang zwischen dem biblischen Leviathan und Schmidts Erzählung

Der Ausspruch ,,Der Herr hat′s gegeben; der Herr hat′s genommen“[11] bezieht sich ursprünglich auf den Verlust der Söhne und Töchter Hiobs. Dass Arno Schmidt ihn zitiert, ist ein eindeutiger Hinweis darauf, dass seine Erzählung auf das Buch Hiob anspielt.

Eine weitere Parallele ist der Wunsch Hiobs, gar nicht geboren worden zu sein, der dem pessimistischen Weltbild der Ich-Figur sehr ähnlich ist. Dieser weitet diesen Wunsch allerdings auf alle Menschen, ja sogar die ganze Welt aus: Er „würde begrüßen, wenn die Menschheit zu Ende käme“[12], denn „Diese Welt ist etwas, das besser nicht wäre“[13].

Zudem ist auffällig, dass sowohl Hiob als auch Schmidts Protagonist ohne eigenes Verschulden Unglück erfahren müssen. Während auf Hiobs Rücken der Wettstreit zwischen Gott und Teufel ausgetragen wird, fällt der Ich-Erzähler dem Zweiten Weltkrieg zum Opfer.

Der Drache wird in Schmidts Erzählung außerdem ausdrücklich erwähnt. Er wird von der Hauptperson als Sternbild betrachtet und spielt damit eine wichtige Rolle für den Verlauf der Handlung, denn aus dem Sprechen über die Sterne entwickelt sich der Dialog, in dessen Rahmen die Schmidtsche Leviathanstheorie dargelegt wird.[14]

2. Der politische Leviathan

2.1 Erklärung der Hobbesschen Theorie

Wesentlich wurde der Begriff des Leviathans auch durch Thomas Hobbes` 1651 erschienene Staatsphilosophie „Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines bürgerlichen und kirchlichen Staates“ geprägt. Aus der Erfahrung des englischen Bürgerkrieges im 17. Jahrhundert entwickelte Hobbes die Theorie, dass der Absolutismus die einzige Staatsform sei, in der die Menschen in Frieden leben könnten.

Der Philosoph konstruiert einen ursprünglichen Zustand, in dem sich die Menschen einst befunden haben sollen. Dieser Naturzustand zeichnet sich durch das Fehlen einer staatlichen Ordnung aus. Von Natur aus ist der Mensch frei, alles zu tun, was ihm beliebt. Wenn aber alle ein Recht auf alles haben, schränken sie sich gegenseitig total ein. Gibt es keine staatliche Ordnung, ist die Freiheit eines jeden unendlich. Besitzen aber alle unendlich viel Freiheit, sinkt die Freiheit eines jeden auf Null.

Wenn staatlicher Zwang den Menschen nicht aufhält, wenn es keine Gesetze gibt, die den Menschen einschüchtern, wird den niederen, destruktiven Trieben des Menschen freier Lauf gelassen. Nun fallen die Menschen übereinander her, um sich gegenseitig auszuplündern, zu unterwerfen und zu töten. Davon kann sie auch keine vernünftige Überlegung abhalten, denn der Trieb ist wesentlich stärker.[15]

Der Krieg aller gegen alle („bellum omnium contra omnes“) ist die logische Folge des Naturrechts. Damit der Mensch trotz der Tatsache, dass er „dem Menschen ein Wolf“[16] sei, in Frieden auf Erden leben kann, muss er seinen eigenen Vorteil dem der Masse, dem Staat oder Gemeinwesen unterordnen.

Der Mensch erkennt den Leviathan in sich und bekämpft ihn, indem er einen Pakt mit dem Staat schließt, der alle Gewalt in den Händen hat und für Frieden sorgt. Diesen autoritären Machtstaat will Hobbes im Leviathan wieder erkannt haben.[17] Einem Staat kommt gottähnliche Macht auf Erden zu, so stark ist er; da er aber theoretisch in den Bürgerkrieg zurückfallen kann, nennt Hobbes den Leviathan den „sterblichen Gott“. Erschaffen aus dem Gemeinschaftswillen um den Frieden und die Gesetze durch seine selbstherrliche Macht zu gewährleisten, thront der Leviathan über den Sterblichen.[18]

[...]


[1] Vgl.: Pausch, Holger A.: Arno Schmidt. Berlin: Colloquium Verlag 1992, S.8.

[2] Vgl.: Schmidt, Arno: Leviathan oder die beste der Welten. In: Schmidt, Arno: Leviathan und Schwarze Spiegel. Hamburg: Rowohlt 2004,

S.29.

[3] Vgl.: Pausch, Holger A.: Arno Schmidt, S.8.

[4] Vgl.: ebd.

[5] Vgl.: Heyl, Arnulf von: Leviathan- Das Zelt der Gerechten. www.drachenkosmos.de 20.07.2005

[6] Vgl.: Heyl, Marie von: Der Leviathan. www.drachenkosmos.de 20.07.2005

[7] Vgl.: Heyl, Arnulf von: Leviathan.

[8] Vgl.: Heyl, Marie von: Der Leviathan.

[9] Vgl.: ebd.

[10] Vgl.: Ebach, Jürgen: Leviathan und Behemoth. Eine biblische Erinnerung wider die Kolonisierung der Lebenswelt durch das Prinzip der

Zweckrationalität. München: Schöningh 1984,S.29.

[11] Vgl.: Schmidt, Arno: Leviathan, S.22.

[12] Vgl.: ebd., S.25.

[13] Vgl.: ebd.,S.29.

[14] Vgl.: ebd., S.15.

[15] Vgl.: Hobbes, Thomas: Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines bürgerlichen und kirchlichen Staates. Hg. von Iring

Fetscher. Berlin: Luchterhand 1966, S.131-135.

[16] Vgl.: ebd.,145-154.

[17] Vgl.: ebd.

[18] Vgl.: ebd., S.136-144.

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Arno Schmidts "Leviathan" - Mythologie und Weltanschauung
Hochschule
Otto-Friedrich-Universität Bamberg
Note
1,5
Autor
Jahr
2006
Seiten
16
Katalognummer
V56533
ISBN (eBook)
9783638511889
ISBN (Buch)
9783638792288
Dateigröße
512 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Arno, Schmidts, Leviathan, Mythologie, Weltanschauung, Altes Testament, Bibel, Thomas Hobbes, die Beste der Welten, RAF, Andreas Baader, Paul Auster, Julien Green
Arbeit zitieren
Felix Brenner (Autor:in), 2006, Arno Schmidts "Leviathan" - Mythologie und Weltanschauung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/56533

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Arno Schmidts "Leviathan" - Mythologie und Weltanschauung



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden