Die nicht-ziehbare Grenze der Logik


Hausarbeit, 2004

19 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhalt

Einleitung

1. Formale Systeme am Beispiel des MIU-Systems

2. Verschiedene Lösungsmöglichkeiten
2.1 Entscheidungsverfahren
2.2 Die Meta-Ebene
2.3 Eine dritte Möglichkeit der „Lösung“
2.4 Das MU-Rätsel in der Zahlentheorie

3. Gödelisierung von formalen Systemen

4. Doppelte Bedeutungen durch Gödelisierung

5. Selbstbezüglichkeit durch doppelte Bedeutungen

6. Unentscheidbarkeit durch Selbstbezüglichkeit
6.1 Der nicht-paradoxe Satz G
6.2 Koan und der Unvollständigkeitssatz
6.3 Wittgensteins Grenze

Einleitung

Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um die Ausarbeitung eines Referats, das ich am 3. November 2003 im Rahmen des Seminars „Seltsame Schleifen bei Gödel, Escher und Bach“ hielt. Das Referat behandelt die Kapitel I und IX des Buches Gödel, Escher, Bach. ein Endlos Geflochtenes Band von Douglas R. Hofstadter, in denen anhand des zunächst eingeführten „MIU-Systems“ das Prinzip von Gödels Unvollständigkeitssatz umrissen wird.

Die an das Referat anschließende Diskussion sowie einzelne Gespräche mit Kommilitonen außerhalb des Seminars, gaben mir verschiedene Denkanstöße, die ich implizit in diese Ausarbeitung mit habe einfließen lassen. Insbesondere hat sich meine Bewertung der Perspektive Wittgensteins dank dieser Gespräche ausdifferenziert.

1. Formale Systeme am Beispiel des MIU-Systems

Im ersten Kapitel seines Buches Gödel, Escher, Bach. ein Endlos Geflochtenes Band[1] führt Douglas R. Hofstadter zunächst formale Systeme ein und erklärt deren Aufbau anhand eines denkbar simplen Beispiels, das den Leser gleichzeitig dazu einlädt, mit ihm zu spielen: Er entwirft das MIU-System.

Das MIU-System besteht aus Elementen, vier Regeln und einem Axiom. Elemente sind die Buchstabenzeichen M, I und U, die dem System gleichzeitig den Namen geben. Das Axiom ist die Buchstabenfolge MI, von der per definitionem bekannt ist, daß sie ein SATZ des MIU-Systems ist. Die Regeln lauten wie folgt:

I.) Wenn xI ein SATZ ist, dann auch xIU
II.) Wenn Mx ein SATZ ist, dann auch Mxx
III.) In jedem SATZ kann III durch U ersetzt werden
IV.) UU kann aus jedem SATZ gestrichen werden

Aus den Elementen M, I und U lassen sich unendlich viele beliebige Zeichenketten bilden, beispielsweise die Sätze MII, MIU, UIIIM, MIIMIU und MU. Diese Zeichenketten bezeichnen wir vorerst als Sätze des MIU-Systems, da sie vordergründig nicht dessen Grammatik wiedersprechen, d.h. nur aus Elementen des Systems bestehen (im Gegensatz zu einer Kette wie z.B. MAMA). Wir wissen allerdings bisher nicht, ob sie nach den Regeln des Systems auch aus dem Axiom erzeugt werden können, d.h. ob sie SÄTZE des Systems sind. Man beachte den Unterschied zwischen grammatisch korrekten Sätzen und „inhaltlich“ sinnvollen SÄTZEN.

Um herauszufinden, welche der oben als Beispiele aufgeführten Sätze SÄTZE sind, gibt es verschiedene Lösungsmöglichkeiten, die unterschiedlich effektiv sind.

2. Verschiedene Lösungsmöglichkeiten

2.1 Entscheidungsverfahren

Der vermutlich erste Ansatz, um eine solche Fragestellung zu bearbeiten, ist das Ausprobieren. Hofstadter bezeichnet es als mechanischen Modus, weil man quasi mechanisch Regeln anwendet, ohne dabei zu denken. So fordert Hofstadter seine Leser auf, eine große Menge Ableitungen zu konstruieren, also vom Axiom ausgehend durch Anwendung der Regeln wahllos SÄTZE zu erzeugen. Die systematische Version dieses Ausprobierens ist das Baum- bzw. Flußdiagramm, in dem durch Anwendung aller möglichen Regeln auf die jeweils vorliegenden SÄTZE sämtliche möglichen folgenden SÄTZE erzeugt werden. Ausgehend vom Axiom würde ein solches Diagramm für das MIU-System folgendermaßen aussehen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

etc. ad infinitum

Das Problem, das sich bei diesem Lösungsansatz ergibt besteht darin, daß, da die Regeln I und II die Zeichenketten immer weiter verlängern und es keine Regel für eine maximale Länge einer Zeichenkette gibt, ein solches Flußdiagramm unendlich fortzusetzen ist. Man wird niemals alle SÄTZE des MIU-Systems erzeugt haben. Es ist also auf diese Art nur möglich, einzelne Sätze mehr oder weniger zufällig zu verifizieren. Eine Falsifizierung ist so unmöglich.

Und tatsächlich hat das Flußdiagramm ergeben, daß zwei unserer Beispielsätze SÄTZE des MIU-Systems sind. MII und MIU tauchen hier auf (sie sind im Diagramm fettgedruckt). Eine Aussage über die Sätze UIIIM, MIIMIU und MU ist weiterhin nicht möglich.

Dieses Ergebnis läßt sich verallgemeinern zu der Aussage, daß Entscheidungsverfahren dieser Art nur dann funktionieren, wenn sie in einer endlichen Zeitspanne ein Ende finden.

2.2 Die Meta-Ebene

Als nächstes schlägt Hofstadter vor, aus dem System auszusteigen und durch Nachdenken über das System Regelmäßigkeiten zu finden, die Aufschluß über das Wesen der SÄTZE geben. Er führt also den Leser nun auf die Metaebene, gewissermaßen die Vogelperspektive auf das System, indem nun keine neuen SÄTZE mehr erzeugt werden, sondern vielmehr die Menge der bisher erzeugten SÄTZE betrachtet und erforscht wird. Diese Methode nennt er den Intelligenzmodus, weil der darin agierende im Gegensatz zum mechanischen Modus endlich sein Gehirn benutzen kann.

Dabei ergeben sich tatsächlich gewisse Regelmäßigkeiten. Beispielsweise beginnen alle SÄTZE mit M. Ketten, die nicht mit einem M beginnen, sind also offensichtlich keine SÄTZE. Andererseits taucht in keinem der SÄTZE ein M an einer anderen Stelle der Zeichenkette als am Anfang auf. Ketten, die ein M in ihrer Mitte oder dem Ende tragen, sind also ebenfalls keine SÄTZE. Diese Aussagen lassen sich besonders deshalb treffen, weil wir neben der Menge der erzeugten SÄTZE auch die Regeln betrachten können, deren keine einen Einfluß auf die M in den Zeichenketten hat.

Anhand dieser Überlegungen läßt sich Klarheit über zwei weitere der Beispielsätze gewinnen: UIIIM und MIIMIU sind offensichtlich keine SÄTZE des MIU-Systems.

Dieser „Anfangsbuchstabentest“ falsifiziert also ganz deutlich eine gewisse Menge von Sätzen. Er verifiziert dabei allerdings nicht gleichzeitig die bleibende Restmenge. Mit anderen Worten: Er sagt nichts über die Vollständigkeit der Menge der falsifizierten Sätze aus.

Konkret zeigt sich das Problem an dem verbleibenden Beispielsatz: Noch immer läßt sich nicht sagen, ob MU ein SATZ des MIU-Systems ist oder nicht.

2.3 Eine dritte Möglichkeit der „Lösung“

Hier nun kommt Hofstadter zum eigentlich interessanten Punkt seiner Ausführungen. Er behauptet, es gäbe noch eine dritte Möglichkeit, die Frage zu lösen (nicht zu beantworten), indem man sie nämlich „un-fragt“. Hierfür müßte man das System endgültig verlassen, aber nicht, um es von einer Metaebene aus zu betrachten, sondern um sich vollständig davon zu lösen. Hofstadter nennt das den Un-Modus. Was dieser Un-Modus ist, wird der weitere Gegenstand der vorliegenden Arbeit sein. Um zu erläutern, was Hofstadter meint, sei an dieser Stelle eine Parallelsprache eingeführt, von der sich noch zeigen wird, ob sie als Metasprache unseres Problems taugt.

In dieser Parallelsprache formuliert, könnte die Frage „Ist MU ein SATZ des MIU-Systems“ etwa folgendermaßen lauten:

Kann ein Hund erleuchtet werden?

Um diese Frage im mechanischen Modus, also durch Ausprobieren, zu beantworten, müßte man ein Leben als Hund führen und abwarten, ob man erleuchtet wird (wobei eine ausbleibende Erleuchtung keine grundsätzliche Falsifizierung wäre).

Im Intelligenzmodus müßte man mit den Mitteln der Vernunft nach einer Antwort suchen. Hierzu könnte man sein Wissen anwenden. Problematisch dabei ist lediglich, daß das Wissen selbst in Hunde- und Erleuchtungsfragen weit fortgeschrittener Menschen nicht ausreicht, um auf diesem Weg eine letzte Antwort zu geben.

Joshu, der die Frage nach der Erleuchtungsfähigkeit eines Hundes beantwortete, tat dies im Un-Modus. Seine Antwort lautete: „Mu“.

Dies berichtet das Mumonkan, eine Koansammlung vermutlich aus dem China des 4. Jahrhundert. Die Parallelsprache, die wir installiert haben, ist also der Koan. Koan sind eingängige, meist kurze Dialoge oder Geschichten aus den Leben der zenbuddhistischen Patriarchen, bzw. des Buddha selbst. Entscheidend an einem Koan ist, daß er sich dem rationalen Verstehen entzieht, häufig paradox oder auch sinnlos erscheint. In verschiedenen Schulen des Zen-Buddhismus werden Koan als Meditationsobjekte genutzt, um durch sie das rationale Verstehen zu überwinden und so das Satori, die Erleuchtung, zu erlangen.

Wie Hofstadter selbst in Kapitel IX seines Buches zu verstehen gibt, sieht er gerade in dieser Außerrationalität der Koan jene dritte Möglichkeit, logische Fragen zu lösen. Der Koan, das Verlassen der dualen Weltanschauung aus Ja und Nein, Eins und Null, ist jener Un-Modus, den Hofstadter seinem Leser nahelegt.

Joshus Mu-Koan ist ein sehr prominentes Beispiel für die Logik der Koan. Ein weiteres Beispiel ist die Geschichte von Meister Chü-chih und dem Fingerzeig:

Was immer Meister Chü-chih (bezüglich des Zen) gefragt wurde, stets hob er nur einen Finger. Ihm diente ein Knabe, den einmal ein auswärtiger Besucher fragte: „Was ist die Hauptsache der Lehre deines Meisters?“ Der Knabe hob den Finger. Als Chü-chih davon erfuhr, schnitt er mit einer Klinge den Finger ab. Der Knabe lief vor Schmerz schreiend davon. Chü-chih rief ihm nach. Als der Knabe den Kopf zurückwandte, hob Chü-chih wieder den Finger. Da faßte der Knabe plötzlich die Erleuchtung. [...][2]

Zur Lösung einer so simplen Frage wie der, ob MU ein SATZ des MIU-Systems sei, braucht man natürlich den Un-Modus nicht. Dazu reicht der Intelligenzmodus völlig aus. Hofstadter liefert den Lösungsweg im IX. Kapitel nach. Das Werkzeug, das er dazu benutzt, die Zahlentheorie, ist allgemein als Werkzeug zur Lösung schwieriger logischer Probleme anwendbar. Es wird zu zeigen sein, daß aber die Antworten, die mit Hilfe der Zahlentheorie gefunden werden, mitunter der Natur sind, daß sie uns auf direktem Weg in den Un-Modus führen.

2.4 Das MU-Rätsel in der Zahlentheorie

Um die Fragestellung mit Hilfe der Zahlentheorie beantworten zu können, formuliert Hofstadter sie zunächst so, daß Zahlen eine relevante Rolle in ihr spielen. Eigentlich ist dieser Beweis irrelevant, da aber bisher das MU-Rätsel ausführlich behandelt wurde, sei hier der Vollständigkeit halber auch dessen Lösung kurz umrissen.

Hofstadter führt den Begriff „I-Gehalt“ ein, mit dem die Menge der in einer Zeichenkette hintereinanderstehenden I´s gemeint ist. Das Ziel, wenn man den Satz MU erzeugen will, muß also sein, einen I-Gehalt von 0 zu erreichen. Voraussetzung hierfür ist aufgrund von Regel III, die als einzige den I-Gehalt reduziert, ein I-Gehalt, der ein Vielfaches von 3 ist.

Da die Regeln I und IV keinen Einfluß auf den I-Gehalt haben, sind sie zu vernachlässigen.

Regel II kann den I-Gehalt verdoppeln, produziert also nur dann einen I-Gehalt, der ein Vielfaches von 3 ist, wenn sie bereits einen solchen vorfindet.

Die bereits erwähnte Regel III vermindert den I-Gehalt um 3, und bedarf daher der selben Voraussetzung wie Regel II.

Da aber das Axiom, und damit der Ausgangspunkt aller SÄTZE einen I-Gehalt von 1 hat, was ja bekanntlich kein Vielfaches von 3 ist, kann der I-Gehalt eines SATZ niemals ein Vielfaches von 3 werden. Daher kann der I-Gehalt auch niemals 0 werden, und somit ist nun endlich bewiesen, daß MU kein SATZ des MIU-Systems ist.

[...]


[1] Da die vorliegende Arbeit sich bis auf das letzte Kapitel eng an den Hofstadtertext anlehnt, sind im weiteren keine Verweise mehr darauf gegeben. Die zugrunde gelegte Ausgabe ist: Douglas R. Hofstadter; Gödel, Escher; Bach. ein Endlos Geflochtenes Band, Stuttgart 1991

[2] zitiert nach: Heinrich Dumolin, Mumonkan. Die Schranke ohne Tor, Mainz 1975, S. 45

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Die nicht-ziehbare Grenze der Logik
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Institut für Philosophie)
Veranstaltung
Seltsame Schleifen bei Gödel, Escher und Bach
Note
1,7
Autor
Jahr
2004
Seiten
19
Katalognummer
V56494
ISBN (eBook)
9783638511520
ISBN (Buch)
9783638773492
Dateigröße
572 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Aufbauend auf Douglas Hofstadters Werk "Gödel, Escher, Bach" wird ein Einblick in das Prinzip von Kurt Gödels Unvollständigkeitssatz geboten. Anhand eines Vergleichs mit den zenbuddhistischen Koan und Wittgensteins Tractatus logico-philosophicus werden mögliche Konsequenzen auf die Logik aufgezeigt.
Schlagworte
Grenze, Logik, Seltsame, Schleifen, Gödel, Escher, Bach
Arbeit zitieren
Magister Artium Norbert Krüßmann (Autor:in), 2004, Die nicht-ziehbare Grenze der Logik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/56494

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