SPD und Gewerkschaften - Zur Klärung einer politischen Interdependenz


Hausarbeit, 2004

16 Seiten, Note: 2,7

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Gemeinsame Wurzeln

3. Parteipolitische Unabhängigkeit und Neutralität?

4. Rolle und Funktionen

5. Eine andauernde Partnerschaft

6. Das Spielen einer Doppelrolle

7. Strategische Einflussnahme

8. Politische Einbindung und Konzertierung

9. Fazit

10. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„Was Deutschland aber nicht braucht, sind Ihre Steinkohlesubventionen in Höhe von 16 Milliarden Euro. Sie sind erst vor kurzem von Ihnen angekündigt und zugesagt worden, Herr Bundeskanzler. Die Subventionen für die Steinkohle haben einen ganz einfachen Grund. In Nordrhein-Westfalen, wo Herr Müntefering herkommt, gibt es bald Kommunalwahlen. Die Subventionen sind nichts anderes als der Versuch, sich bei den Funktionären Ihrer eigenen Anhängerschaft im Ruhrgebiet Ruhe erkaufen zu wollen. Das ist höchst unvernünftig. Das ist eine Form von politischer Korruption, was hier stattfindet. Das Gefährliche dabei ist, dass Sie hier von Egoisten und Lobbyisten reden, Sie selber aber in Wahrheit der verlängerte Arm der Steinkohlefunktionäre und der Gewerkschaften in dieser Regierung zulasten des Ruhrgebiets geworden sind.“[1]

Diese jüngst von Guido Westerwelle im Bundestag ausgesprochenen Worte zeigen, wie sehr eine Klientel-Orientierung in der Politik stets eine Rolle zu spielen scheint. Solche polemischen Seitenhiebe sind nichts Neues, sondern begleiten regelmäßig inhaltliche Kontroversen.[2] Der Vorwurf hier, die SPD handele in Abhängigkeit und sei ein Instrument bestimmter Interessenvertreter, ist ein zentraler Kritikpunkt hinsichtlich des Auftretens politischer Parteien im Staat. Kritisiert an dieser Stelle ein Politiker einen anderen, so ist die Wahrnehmung, es bestünden ausgeprägte Beziehungen zwischen Parteien und anderen an der politischen Willensbildung beteiligten Akteuren, sogenannte Seilschaften, in der Bevölkerung wohl grundsätzlich verankert. Es ist es kein Geheimnis, dass SPD und Gewerkschaften traditionell viel verbindet, die Union intensive Beziehungen zu Unternehmen, Bauernverband und katholischen Verbänden unterhält, die FDP dem Mittelstand, Freiberuflern und leitenden Angestellten nahe steht und die Grünen freilich mit Umweltverbänden kooperieren.[3] Aber wie weit dürfen diese Partnerschaften gehen?

Interessenorganisationen bemühen sich um Einfluss und wirken zweifellos an der Formulierung und Umsetzung von Politik in verschiedenen Bereichen mit.[4] Ihnen werden Möglichkeiten der Interessenartikulation gegenüber politischen Entscheidungsträgern geboten und sie nehmen diese aktiv wahr, um ihre Ansichten und Meinungen zu vertreten. 1760 Verbände sind in dieser Hinsicht beim Bundestag in einer entsprechenden Liste registriert. Tausende ihrer Mitarbeiter sind bemüht an den „Schalthebeln der Macht“ präsent zu sein, um Informationen zu erhalten, zu geben und Einfluss auszuüben. Bedeutet dies nun die einseitige „Herrschaft der Verbände“ in der Politik?[5] Sicher nicht. Es müssen die komplexen, sich gegenseitig bedingenden Beziehungen zwischen Politik- und Verbandsvertretern berücksichtigt werden. Stets ist es ein Miteinander, ziehen auch Politiker Vorteile aus ihrer Nähe zu Interessengruppen, verfolgen beide Seiten oftmals die gleichen Ziele.[6]

Im folgenden soll nun beispielhaft die traditionelle Nähe der SPD zu den Gewerkschaften als eine exemplarische Partei-Verband-Beziehung eingehender beleuchtet werden. Hier zeigt sich eine besonders enges Verhältnis, das bestimmt ist von langjährigen Bündnissen, aber auch offen ausgetragenen Konflikten. Auf der einen Seite, die sich zur Volkspartei entwickelte und nun zum dritten Mal die Regierung stellende SPD und auf der anderen, die eindringliche Stimme der Arbeitnehmer, welche sich ideell zur Sozialdemokratie bekennt. Es ist zu untersuchen, inwieweit sich beide Akteure politisch gegenseitig bedingen, ob die SPD auf der einen Seite wirklich nur der „verlängerte Arm der Gewerkschaften“ ist, oder auf der anderen die, öffentliche politische Willensbildung durch die Durchdringung von Parteimitgliedern in die Verbände hinein monopolisiert wird.

2.Gemeinsame Wurzeln

Will man die heute wahrnehmbare Beziehung zwischen der SPD und den Gewerkschaften betrachten, ist zu bedenken, dass sie eine lange Tradition, die sich über Jahrzehnte hinweg entwickelte, hat. Beide entstammen gemeinsamen Wurzeln und agierten stets neben- und miteinander. Eine politische Gleichsamkeit hat es aber während ihrer über 100 Jahre andauernden Geschichte nicht gegeben.[7] Diese begann bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als sich die Arbeitnehmer einer industrialisierten Welt zunehmend emanzipierten und sich politisch engagierten. Den ersten Gewerkschaftsbewegungen ging die Entstehung der Sozialdemokratie unter Ferdinand Lassalle, August Bebel und Wilhelm Liebknecht einher. Von einer zunächst untergeordneten Rolle gegenüber den sozialdemokratischen Parteien vollzog sich jedoch ein Wandel hin zu einer Gleichberechtigung, die die gegenseitige Abhängigkeit und das Aufeinanderangewiesensein beider Gruppen reflektierte. Zum einen bedurften, damals wie heute, die Sozialdemokraten die Gewerkschaftler als Wählerschaft, zum anderen mussten die Gewerkschaftsmitglieder auf die parlamentarische Vertretung ihrer Forderungen durch die SPD im Parlament hoffen.[8]

Noch vor dem Ersten Weltkrieg nahm der Einfluss von Gewerkschaftsmitgliedern auf die SPD stetig zu. In dieser Zeit stieg die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder auf 2,5 Millionen, während man nur 1,1 Millionen Sozialdemokraten verzeichnen konnte.[9]

Nach dem Zweiten Weltkrieg entstand in der Sowjetischen Besatzungszone der zentralistisch organisierte Freie Deutsche Gewerkschaftsbund, der jedoch bald von der Sozialistischen Einheitspartei der DDR abhängig wurde. In der BRD bildeten sich ebenso Einheitsgewerkschaften. So wurde 1949 der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) als Dachverband gegründet. Hinsichtlich der Aufgabenwahrnehmung beider Gruppen ergaben sich zwangsläufig zunehmend Divergenzen. Während sich die SPD politisch stetig etablierte, parlamentarisch agierte und sich auf immer mehr Politikfelder als nur auf Arbeiterfragen ausrichtete, traten die Gewerkschaften einheitlich für Tarifpolitik und soziale Forderungen der Arbeitnehmer ein. Dennoch blieben die Gewerkschaften trotz sich verbessernder Beziehungen zu den Christdemokraten an der SPD orientiert, über die sie ihre politischen Forderungen vertreten sehen wollten.[10]

Politisch vollzog die SPD ihren sich über lange Zeit entwickelten ideellen Wandel, weg von der „Arbeiterbewegung“ hin zu einer die BRD mitgestaltende Volkspartei, mit dem Godesberger Programm 1959. 1963 entsprachen die Gewerkschaften ebenso den realen Entwicklungen mit ihrem Grundsatzprogramm. Grundsätzlich ist zu konstatieren, dass bis heute die Gewerkschaften die einzigen großen Interessenorganisationen sind, auf die die sozialdemokratische Politik bauen kann und im Gegenzug die SPD die Partei in Deutschland ist, welche den gewerkschaftlichen Zielen am weitesten entspricht.[11] Trotzdem haben Gewerkschaften und SPD einen jeweils eigenständigen Weg beschritten und Konflikte oftmals unterschiedlich behandelt. Hintergrund dessen ist die grundsätzliche Annahme einer parteipolitischen Unabhängigkeit der Gewerkschaften, die mit einer entsprechenden Neutralität, zumindest in der Theorie, einhergeht.

[...]


[1] Guido Westerwelle während der Bundestagsdebatte am 25. März, Das Parlament, Debattendokumentation, 54. Jahrgang, Nr. 14, Berlin 29. März 2004, S. 21.

[2] Vgl., Langkau, Jochem/ Matthöfer, Hans/ Schneider, Michael (Hrsg), SPD und Gewerkschaften, Bd 1: zur Geschichte eines Bündnisses, Bonn 1994, S. 73.

[3] Vgl., Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.), Informationen zur politischen Bildung, 253, Interessenverbände, München 1996, S. 39.

[4] Vgl., Reutter, Werner, Organisierte Interessen in Deutschland. Entwicklungstendenzen, Strukturveränderungen und Zukunftsperspektiven, in: APuZ, B 26-27/ 2000, S. 12.

[5] Vgl., Rudzio, Wolfgang, Das politische System der Bundesrepublik Deutschland, 6., überarbeitete Aufl., Opladen 2003, S. 90.

[6] Vgl., Informationen zur politischen Bildung, Interessenverbände, S. 39.

[7] Vgl., Langkau, SPD und Gewerkschaften, S. 56.

[8] Vgl., Schneider, Michael, Gewerkschaften und SPD: Zur Entwicklung eines „besonderen Verhältnisses“, in: Langkau, Jochem/ Matthöfer, Hans/ Schneider, Michael (Hrsg.), SPD und Gewerkschaften, Bd. 2: ein notwendiges Bündnis, Bonn 1994, S. 43-45.

[9] Vgl., ebd., S. 46.

[10] Vgl., ebd., S. 46-49.

[11] Vgl., Schneider, Gewerkschaften und SPD, S. 51-53.

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
SPD und Gewerkschaften - Zur Klärung einer politischen Interdependenz
Hochschule
Friedrich-Schiller-Universität Jena  (Institut für Politikwissenschaft)
Veranstaltung
Die Bundesrepublik Deutschland als Parteienstaat
Note
2,7
Jahr
2004
Seiten
16
Katalognummer
V56392
ISBN (eBook)
9783638510738
ISBN (Buch)
9783656816829
Dateigröße
407 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Gewerkschaften, Klärung, Interdependenz, Bundesrepublik, Deutschland, Parteienstaat
Arbeit zitieren
Anonym, 2004, SPD und Gewerkschaften - Zur Klärung einer politischen Interdependenz, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/56392

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: SPD und Gewerkschaften - Zur Klärung einer politischen Interdependenz



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden