Berufsbildungsgesetz und Konsolidierung des Dualen Systems. Geschichte, politische Realisierung, bildungsstrukturelle und pädagogische Implikationen


Seminararbeit, 2003

21 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Geschichte und die politische Realisierung des „Dualen Systems“ und des Berufsbildungsgesetzes
2.1 Die Gründungsphase (1870 - 1920)
2.2 Die Konsolidierungsphase (1920 - 1970)
2.3 Die Ausbauphase (ab 1970)

3. Grundtypen beruflicher Bildung und institutioneller Rahmen der Berufsausbildung

4. Das Berufsbildungsgesetz
4.1 Geltungsbereich des Berufsbildungsgesetzes
4.2 Grundsätzliche Regelungen des Berufsbildungsgesetzes
4.3 Aufbau und wichtige Regelungen des BBiG
4.4 Berufsbildungsstrukturelle und berufspädagogische Implikationen des Berufsbildungsgesetzes

5. Aktuelle Entwicklungen / Schlussbetrachtung

1. Einleitung

Das Duale System, so ist derzeit des öfteren zu lesen, steckt in einer Krise. Der vorliegende Text soll jedoch nicht, zumindest nicht in erster Linie, die Krise des Dualen Systems darstellen, sondern soll vielmehr auf die Konsolidierung und den Ausbau des Dualen Systems eingehen. Damit wird zugleich das Berufsbildungsgesetz (BBIG) Schwerpunkt, da dieses wichtiger Bestandteil ist bzw. die Grundlage des heutigen Dualen Systems darstellt.

Hierbei ist eine kritische Beobachtung notwendig, um Schwächen, Stärken und berufsbildungsstrukturelle und berufspädagogische Implikationen des Berufsbildungsgesetzes klar darzustellen.

„Das Duale System der Berufsausbildung in Deutschland ist nicht das Ergebnis bewusster Planung und Entwicklung, es ist vielmehr in einem komplexen historischen Prozess zu einem in sich gefügten Ganzen gewachsen.“[1]

Deshalb möchte ich zunächst die Geschichte des Dualen Systems „skizzieren, und zwar nicht wegen eines allgemeinen historischen Interesses, sondern weil die Verfolgung der veränderten Ausgangslagen und des Zielwandels die Bedeutung oder die Belanglosigkeit des schließlich verabschiedeten Berufsbildungsgesetzes deutlicher zu Tage treten lassen.“[2]

„Versucht man, die Entwicklung des deutschen Berufsbildungsrechts unter historisch-systematischer Perspektive zu betrachten, so lassen sich vier Entwicklungsstufen unterscheiden.“[3]

- die Stufe des völlig ungeregelten Erwerbs beruflicher Qualifikationen (Stufe1)
- die Stufe berufsständisch-autonomen Berufsbildungsrechts (Stufe 2)
- die Stufe gewerberechtlicher Einbindung der Berufsbildung (Stufe 3)
- die Stufe spezialisierten Berufsbildungsrechts (Stufe 4)

Durch die Unterscheidung dieser vier Entwicklungsstufen möchte ich die gedankliche Ordnung der umfangreichen geschichtlichen Ereignisse erleichtern und auch hin und wieder auf diese Gliederung verweisen.

Da der Schwerpunkt dieser Arbeit jedoch hauptsächlich in der Beschreibung der Stufe des spezialisierten Berufsbildungsrechts (Stufe 4) liegt, möchte ich zur Erläuterung der Entwicklung des dualen Systems der Berufsausbildung die Gliederung nach „strukturell-funktionalen Gesichtspunkten“ verwenden.[4]

- Gründungsphase (1870-1920)
- Konsolidierungsphase (1920-1970)
- Ausbauphase (ab 1970)

Hauptteil

2. Die Geschichte und die politische Realisierung des „Dualen Systems“ und des Berufsbildungsgesetzes

Bei der Beschreibung der Entstehung und Entwicklung des Dualen Systems muss bis in das Mittelalter, also die Zeit vor 1870 zurückgegangen werden.

„In traditionalen, d.h. vor allem agrarwirtschaftlich bestimmten Gesellschaften erfolgte und erfolgt der Erwerb beruflicher Qualifikationen ganz selbständig im laufenden Arbeitsprozess. Der Zugang zur Existenz des Bauern oder Landarbeiters ist durch Geburt bestimmt – Bauernkinder werden wieder Bauern -, der Aneignungsprozess selbst ist durch keine besondere Methode gekennzeichnet. Arbeitsprozess und Ausbildungsprozess sind eine Einheit.“ Es handelt sich dabei um die Stufe des völlig ungeregelten Erwerbs beruflicher Qualifikationen (Stufe 1) der zuerst genannten Untergliederung.

„Ein erstes Modell der Berufsausbildung mit entsprechender rechtlicher Absicherung bildet sich in ständisch verfassten Gesellschaften“[5] (Stufe 2). Bei berufsständischen Organisationen handelt es sich u.a. um Zünfte, die sich ohne staatliche Einflussnahme bildeten und durch ihre Verfassungen nicht nur die gewerblich-beruflichen, sondern auch die privaten Angelegenheiten ihrer Mitglieder regelten.

Bei der Nachwuchsgewinnung und –ausbildung handelt es sich dabei um die zentrale Aufgabe der Zünfte, der in Form eines dreistufigen Erziehungsmodells mit den Qualifikationsstufen Lehrling – Geselle – Meister nachgegangen wird. Rechtlich abgesichert ist eine solche Ausbildung durch die bindenden Vorschriften der Zunftverfassung, die jedoch hauptsächlich nur die Voraussetzungen des Zugangs (z.B. männlich, eheliche Geburt, „ehrlicher“ Beruf der Eltern etc.) in die Zünfte regeln.

Diese Art der Berufsausbildung trug sehr stark dazu bei, dass die ständisch-hierarchische Sozialordnung beibehalten wurde. Doch ab etwa 1800 wurde diese Gesellschaftsform aufgelöst, anstelle der autonomen Zunftregeln sind staatliche Rechtsnormen getreten. Von nun an werden Gewerbefreiheit und Freihandel zu den ökonomischen Leitbegriffen, d.h. der Staat soll sich nicht in die Gesellschaft und Ökonomie einmischen, sondern lediglich die äußere und innere Sicherheit garantieren (zur gedanklichen Ordnung siehe Tabelle 1, S. 7). Dies hatte zur Folge, dass berufsbildungsrechtliche Regelungen fester Bestandteil des Gewerberechts (Reichsgewerbeordnung 1871) wurden, d.h. die Berufsausbildungsverhältnisse wurden nach dem bürgerlichen Vertragsrecht geregelt.[6] (Stufe 3)

2.1 Die Gründungsphase (1870-1920)

Zwischen 1878 und 1908 folgten dann einige Gewerberechtsnovellen zur Bevorrechtigung von Handwerk und Detailhandel, welche die Forderungen der mittelständischen Interessengruppen zum Teil erfüllten. 1890 wurde vom Reichstag der „große Befähigungsnachweis“ beschlossen, der den Meistertitel für die Ausübung des Handwerks voraussetzt, scheiterte dann jedoch am Bundesrat. Als „Kompromiss“ wurde dann 1908 der sogenannte „kleine Befähigungsnachweis“ Gesetz, welcher vorschreibt, dass nur der geprüfte Meister die Ausbildung von Lehrlingen übernehmen kann. 1935 wurde dann jedoch, der bis heute noch bestehende (Abschaffung wird derzeit diskutiert) „Große Befähigungsnachweis“, als Vorraussetzung zur Führung und zur Ausbildung, zwingend vorgeschrieben.[8] Unter den Gewerberechtsnovellen ist auch die wohl wichtigste Novelle, das „Handwerkerschutzgesetz“ von 1897, das den selbständigen Handwerkern die Errichtung von Handwerkskammern als Körperschaften des öffentlichen Rechts ermöglichte. Als wichtige Inhalte der Regelungen des Handwerkerschutzgesetzes 1897 sind Überwachungskompetenz bezüglich der Lehrlingsausbildung, Einrichtung eines handwerklichen Prüfungswesens, Erziehungsaufgabe des Lehrherrn, Normierung des Lehrvertrags, Regelzeitdauer von 3 Jahren und die Einrichtung von Fortbildungsschulen zu nennen.[9][7]

Das Handwerkerschutzgesetz von 1897 trug also nicht nur zur ökonomischen Stabilisierung und Neuordnung des Handwerks bei, sondern ist zusammen mit der Novelle von 1908 „zum Fundament der deutschen Berufsausbildung, dem dualen System, geworden.“[10]

Als zweite „Säule“ dualer Berufsausbildung können die bereits seit dem 18. Jahrhundert bestehenden Fortbildungsschulen genannt werden. Bei der Fortbildungsschule handelte es sich um eine Einrichtung, die eine allgemeine Erziehungsanstalt für die „schulentlassene Jugend“[11] darstellte und insbesondere der Handwerkerausbildung diente.

Die Fortbildungsschulen galten als nicht sehr effektiv und erfolgreich, gewannen aber aufgrund des rapiden Bevölkerungswachstums Ende des 19. Jahrhunderts an Bedeutung, da man durch sie die „Lücke der sekundären Sozialisation“[12] (Sozialisation in der Schule) schließen wollte.

Um 1900 kam es dann zur wichtigen Weichenstellung in Richtung Berufsschule durch den Vorschlag Georg Kerschensteiners (Münchner Schulreform), diese Schule in eine konsequent am Beruf orientierte Einrichtung umzuwandeln, um so die Jugendlichen in den bürgerlichen Nationalstaat zu integrieren.

So gelang es, die „Zahl der beruflich orientierten Fortbildungsschulen beträchtlich auszuweiten bzw. zu vereinheitlichen und als Pflichtschulen zur Ergänzung der neugeordneten Handwerksausbildung durchzusetzen.“[13]

2.2 Die Konsolidierungsphase (1920-1970)

In der zweiten Entwicklungsphase dualer Berufsausbildung wird versucht, dem noch „uneinheitlichen Ausbildungssektor mit seinem eher beziehungslosen Nebeneinander von betrieblicher und schulischer Qualifikation modernere und klarere Strukturen zu verleihen.“[14]

Infolge beschleunigten Wachstums und der dadurch entstandenen neuen Größenordnung wurden neue Produktionsmethoden notwendig, und somit änderten sich die Qualifikationsanforderungen der Industrie bereits in der letzten Konjunkturphase vor dem ersten Weltkrieg (1895-1913).

In der darauffolgenden Entwicklungsphase und deren politischer Realisierung kann man drei ausbildungspolitische Handlungsstränge unterscheiden:

- den Versuch der Industrie, ein eigenes Berufsbildungsmodell aufzubauen, welches die eigenen Bedürfnisse befriedigt und über das nur die Industrie verfügt;
- den Versuch von Unternehmern, Berufsschullehrern und dem Staat (zur gedanklichen Ordnung siehe Tabelle 1 S. 7) , eine entpolitisierte Berufsschule zu schaffen, die sich an den Bedürfnissen der Wirtschaft orientiert;
- den Versuch der Gewerkschaften, über ein Gesetz Einfluss auf die Berufsausbildung zu nehmen, um dadurch die Interessen der Arbeitnehmerschaft durchzusetzen.[15]

So legte eine Studienkommission, die aus Gewerkschaften, Arbeitgebern, Berufspädagogen, Ministerialbeamten und Vertretern der Jugendhilfe bestand, im Jahr 1920 Grundsätze für die Neuregelung der beruflichen Ausbildung vor. Aufgrund politischer und ökonomischer Probleme erfolgte erst 1927 ein offizieller Gesetzesvorschlag durch die Reichsregierung. Aus der Meinung, u.a. von Gewerkschaften, dass an der beruflichen Qualifizierung der Jugend auch der Staat und die Allgemeinheit ein wesentliches Interesse hat, resultierte der Versuch, Berufsausbildung als öffentliche Aufgabe gesetzlich zu verankern. Dies rief natürlich einen gemeinsamen und sofortigen Widerstand durch die verstrittenen „Parteien“ Industrie und Handwerk hervor, die als Interessengemeinschaft zugleich Verbesserungsvorschläge zum Gesetzesentwurf von 1927 hervorbrachten. So blieb der Gesetzesentwurf des Reichstages im Wirrwarr der Beratungen stecken. Die unterschiedlichen Interessengruppen konnten sich nicht darüber einigen, welche Ausbildungsbereiche (Handwerk, Industrie, Handel, Landwirtschaft) durch das Gesetz einbezogen werden sollten und wem die Führungs- und Kontrollaufgaben zufallen sollten (Arbeitsämter oder Kammern). Außerdem war man unterschiedlicher Auffassung, wie die Gewerkschaften am Gesetz beteiligt werden sollten und welche Rolle die als Repräsentant der Berufsschule geltenden Lehrer bei den Prüfungen spielen.

[...]


[1] Greinert, W.-D., Das >>Deutsche System<< der Berufsausbildung: Tradition, Organisation, Funktion, Baden-Baden 1998, S.17

[2] Münch, J., Das Berufsbildungsgesetz in historischer und berufspädagogischer Sicht, in: Die Deutsche Berufs- und Fachschule, 65. jg. (1969), S. 810

[3] vgl. Greinert, W.-D., Geschichte der Berufsausbildung in Deutschland, in: Arnold, Rolf/Lipsmeier, Antonius (Hrsg.), Handbuch der Berufsbildung, Opladen 1995, S.409

[4] Greinert, W.-D., Das >>Deutsche System<< der Berufsausbildung, Baden-Baden 1998, S.88

[5] ebenda, S. 88

[6] vgl. ebenda, S.89

[7] vgl. Greinert, W.-D., Geschichte der Berufsausbildung in Deutschland, in: Arnold, Rolf/Lipsmeier, Antonius (Hrsg.), Handbuch der Berufsbildung, Opladen 1995, S.410-411

[8] vgl. www.hwk.muenchen.handwerk.de/aktuell/texte/news85.htm, zuletzt besucht am 21.10.2003

[9] vgl. Deißinger, T.,Vorlesungsunterlagen „Grundlagen der Berufs- und Wirtschaftspädagogik“ im Wintersemester 2002 an der Universität Konstanz, 2.2 Verfassungsrechtliche und gesetzliche Grundlagen

[10] ebenda, S.410

[11] ebenda, S.410

[12] vgl. Greinert, W.-D., Geschichte der Berufsausbildung in Deutschland, in: Arnold, Rolf/Lipsmeier, Antonius (Hrsg.), Handbuch der Berufsbildung, Opladen 1995, S.410

[13] ebenda. S. 411

[14] ebenda, S 411

[15] vgl. ebenda, S. 411

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Berufsbildungsgesetz und Konsolidierung des Dualen Systems. Geschichte, politische Realisierung, bildungsstrukturelle und pädagogische Implikationen
Hochschule
Universität Konstanz  (Lehrstuhl für Wirtschaftspädagogik)
Veranstaltung
Berufsbildungspolitik in der Bundesrepublik Deutschland - Themen und Tendenzen von den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts bis zur Gegenwart
Note
1,3
Autor
Jahr
2003
Seiten
21
Katalognummer
V56223
ISBN (eBook)
9783638509718
ISBN (Buch)
9783640866922
Dateigröße
807 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Schlagworte
Berufsbildungsgesetz, Konsolidierung, Dualen, Systems, Berufsausbildung, Geschichte, Realisierung, Implikationen, Berufsbildungspolitik, Bundesrepublik, Deutschland, Themen, Tendenzen, Jahren, Jahrhunderts, Gegenwart
Arbeit zitieren
Andreas Hinz (Autor:in), 2003, Berufsbildungsgesetz und Konsolidierung des Dualen Systems. Geschichte, politische Realisierung, bildungsstrukturelle und pädagogische Implikationen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/56223

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