Von Picht bis PISA - Entwicklungen nach und Konsequenzen aus der 'deutschen Bildungskatastrophe'


Hausarbeit (Hauptseminar), 2006

36 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Bildungsbeteiligung und Ungleichheit
2.1 Soziale Ungleichheit im Bildungswesen: eine Definition
2.2 Bildungsbeteiligung und Bildungsstand

3 ‚Die deutsche Bildungskatastrophe’
3.1 Exkurs: Die Ausgangslage in der BRD nach dem Ende des 2. Weltkriegs
3.2 Picht und „Die deutsche Bildungskatastrophe“
3.2.1 Argumentation
3.2.2 Das Versagen von Bund und Ländern
3.2.3 Zentrale Forderungen

4 40 Jahre nach Picht – Entwicklungen und Konsequenzen
4.1 Bildungspolitische Maßnahmen und institutionelle Veränderungen
4.2 Entwicklung der Bildungsbeteiligung
4.3 Bildungsstand

5 Stichwort ‚Bildungsexpansion’
5.1 Allgemeines
5.2 „Gewinner“ und „Verlierer“ der Bildungsexpansion

6 Schlussbemerkungen

7 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Mit den Veröffentlichungen der ersten PISA-Studie 2000 ging ein Aufschrei durch Deutschland. Die dringendste Frage lautete: Sind deutsche Schüler doof?[1] Im Mittelpunkt der Diskussion, die mit den Fortsetzungsstudien noch lange laufen wird, steht der Punkt, dass deutsche Schüler leistungsmäßig eher im Mittelfeld der internationalen Liga zu finden sind. Zahlreiche Reformvorschläge und Kurzschlussreaktionen wurden gefordert, die deutsche Bildungspolitik und die Öffentlichkeit haben sich ob der Befunde bis heute kaum beruhigt.

Vor 40 Jahren, 1964, hieß PISA noch Picht, und im Mittelpunkt standen nicht die durchschnittlichen Leistungen, sondern die unterdurchschnittlichen Beteiligungsquoten deutscher Schüler am Bildungswesen. Die provokante Schrift, die Georg Picht bis heute bekannt macht, proklamierte „die deutsche Bildungskatastrophe“. Picht untersuchte nicht die Kompetenzen der Schüler, beachtete aber durchaus die Bewahrung der Qualität trotz aller Forderungen nach einem Ausbau der Quantitäten. Liest man sein Werk heute, kommt einem vieles bekannt vor, wenn auch in anderen Dimensionen.

Die folgende Arbeit soll zuerst zeigen, was Georg Picht in seinem sehr kritischen Werk schrieb und wie seine Konzepte aussahen. Die Politik musste nach dem lautstarken Echo der Öffentlichkeit zwangsläufig reagieren. Die institutionellen und bildungspolitischen Maßnahmen werden kurz dargestellt. Anschließend soll mittels der Statistik dargelegt werden, ob sich Pichts Befürchtungen bewahrheitet haben oder ob entsprechend dagegen gesteuert werden konnte. Im Mittelpunkt stehen dabei die Bildungsbeteiligung und der Bildungsstand in seiner Entwicklung über die Zeit bis zum Jahr 2000.

Den Abschluss bildet ein Blick auf eine der Hauptursachen des Wandels im Bildungswesen, der Bildungsexpansion. Exemplarisch werden zwei Gruppen, die Mädchen und die sozial Schwachen, beleuchtet.

2 Bildungsbeteiligung und Ungleichheit

2.1 Soziale Ungleichheit im Bildungswesen: eine Definition

Der soziologische Grundbegriff der sozialen Ungleichheit zielt auf die Beschreibung einer Differenzierung zwischen Menschen, die in einer relativ stabilen zwischenmenschlichen Beziehung und sozialen Position zueinander stehen. Wenn bestimmte wertvolle Güter ungleich innerhalb eines solchen Gefüges verteilt sind, spricht man nach Hradil von sozialer Ungleichheit. Der Ungleichheitsbegriff ist wertneutral, enthält aber die Annahme über eine Besser- oder Schlechterstellung innerhalb eines Systems. In Bezug auf Bildung ist das System die gesamte deutsche Gesellschaft. Formale Bildungsabschlüsse haben unterschiedliche Wertigkeit und führen in der Gesellschaft zu unterschiedlichen Rangfolgen.

Der Bildung als Kategorie der sozialen Ungleichheit wird in der „postindustriellen Wissens- und Informationsgesellschaft“[2] eine immer größere Bedeutung zugemessen. Bildung hat Einfluss auf Wohlstand, Macht und Prestige und bestimmt über die Möglichkeiten bei der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.

Ungleichheit der Bildung (am Beispiel des wichtigsten Indikators für Bildung, dem Bildungsabschluss) lässt sich in zwei Arten strukturieren: Zum einen kann das Gut Bildung (i.S. der Abschlussart unter den zu erreichenden Schulabschlüssen) unter allen Betroffen, also all denen, die Bildung genossen haben, ungleich verteilt sein. Zum anderen kann die ungleiche Verteilung von Bildungsabschlüssen zwischen bestimmten Gruppen wie beispielsweise Frauen und Männern beschrieben werden. Anhand dieser Indikatoren lässt sich eine Statusverteilung innerhalb der Gesellschaft feststellen. Eine Statusgruppe ist dann ein Gefüge von Menschen mit gleichen Bildungsabschlüssen.

Dem Bildungssystem werden verschiedene Funktionen zugeschrieben: Sozialisation, Selektion sowie Qualifikation sind grundlegende Aufgaben einer Schule. Um Chancenungleichheit im Bildungswesen zu vermeiden, ist es notwendig, diese Anforderungen überall gleichsam zu verwirklichen. Nach Artikel 3 (3) GG ist eine Benachteiligung im deutschen Schulwesen nicht erlaubt. Deshalb war und ist die bildungspolitische Diskussion nie verebbt, allen gesellschaftlichen Gruppen gleiche Bildungschancen zuzugestehen. Gleichheit der Bildungschancen ist formal dann gewahrt, wenn Bildungsergebnisse proportional zur Bevölkerungsschichtung verteilt sind.

In der aktuellen Diskussion um Ungleichheit der Bildungschancen richtet sich das Augenmerk besonders auf die Kategorien Geschlecht, soziale und kulturelle Herkunft sowie Stellung der Eltern im Statussystem. Besonders im Hinblick darauf, dass Schul- und Bildungsabschlüsse der Schlüssel zum Zugang zu bestimmten Berufspositionen darstellen, ist es notwendig, jedem Mitglied der Gesellschaft die gleichen objektiven Chancen zum Erreichen dieser Positionen zuzugestehen. Wenn sich Bildungsabschlüsse nur aufgrund von individueller Leistung erreichen lassen und keine leistungsfremden Merkmale wie Geschlecht oder sozioökonomische Herkunft eine Rolle spielen, ist Chancengleichheit im Bildungssystem auch inhaltlich gewährleistet. Ziel aller Anstrengungen ist es, allen Mitgliedern der Gesellschaft die Möglichkeit zu geben, den für sie höchsten Bildungsabschluss nach individuellen Anstrengungen zu erreichen.[3]

Die Darstellung sozialer Ungleichheit im Bildungssystem ist allerdings keine Ursachenklärung. Internationale und nationale Vergleichsstudien, die Determinanten sozialer Ungleichheit wie Geschlecht, Kohorte oder sozioökonomische Herkunft einbeziehen, stellen einen Sachverhalt dar und legen nicht zwangsläufig Kausalitäten offen. Diese Kausalitäten zu erforschen, ist u.a. Aufgabe der Bildungssoziologie auf Grundlage der vorhandenen Zahlen.[4]

2.2 Bildungsbeteiligung und Bildungsstand

Unter Bildungsbeteiligung versteht man den Anteil der Schüler einer Schulart im Verhältnis zur altersgleichen Bevölkerungsgruppe. Betrachtet man beispielsweise die 15jährigen zu einem bestimmten Zeitpunkt, kann man anhand entsprechender Daten herausfinden, in welchem Verhältnis sie in den verschiedenen Schularten vertreten sind. Die Bezugsgruppe in dieser Arbeit sind die Gleichaltrigen in der Bundesrepublik Deutschland ohne SBZ/DDR. Ab 1990 enthalten die Daten allerdings auch die Beteiligungsquoten der neuen Bundesländer.

Anhand von Daten aus Sozialerhebungen ist es möglich, sozialspezifische Bildungsbeteiligungsquoten zu errechnen. In der vorliegenden Arbeit wird allerdings auf diese Indikatoren verzichtet, weil entsprechendes Datenmaterial nicht für den gesamten Zeitraum (1950 bis 2000) verfügbar ist. Grundlage ist die allgemeine relative Bildungsbeteiligung in der Bundesrepublik. Die einzige Differenzierung kann geschlechtsspezifisch erfolgen.

Der Bildungsstand ist die Wertigkeit von erworbenem Wissen auf einer Skala. Der wichtigste Indikator für den Bildungsstand ist der höchste Abschluss. Bildungsabschlüsse unterliegen verschiedenen Anforderungen und werden dementsprechend gewertet. So ist ein Hauptschulabschluss weniger „wert“ als ein Abitur. Der Bildungsstand einer Bevölkerung zeigt an, welche höchsten allgemeinen Bildungsabschlüsse vorliegen.

Bildungsbeteiligung und Bildungsstand festzustellen, ist Aufgabe der Bildungsforschung. Der Deutsche Bildungsrat definiert den Begriff Bildungsforschung als „Untersuchung der Voraussetzungen und Möglichkeiten von Bildungs- und Erziehungsprozessen im institutionellen und gesellschaftlichen Kontext"[5]. Bildungsforschung analysiert vorhandene Strukturen und versucht, Zusammenhänge und Folgen herauszuarbeiten. Sie ist immer interdisziplinär, d.h. unterschiedlichste Fachrichtungen spielen ineinander. So ist es Aufgabe der Bildungsstatistik, umfangreiches Zahlenwerk zu erstellen, während die Bildungsökonomie sich mit Kosten- Nutzenanalysen beschäftigt und die Bildungssoziologie nach den Ursachen und Folgen fragt und dabei auch einen Blick auf „bildungsfremde“ Determinanten wir Sozialstatus oder Geschlecht wirft. Die Bildungssoziologie versucht, Determinanten der Bildungsbenachteiligung aufzuspüren und zu begründen. Die Bildungssoziologie etabliert sich vor allem nach den Diskussionen um den deutschen Bildungsnotstand, den Georg Picht mit seiner Schrift einleitete und zu dem später Soziologen wie Dahrendorf („Bildung als Bürgerecht“) weitere Veröffentlichung hinzufügten. Wesentlich eher befasste sich schon die OECD mit Fragen der Bildungsentwicklung, und auch in den USA gab es erste Institute und Untersuchungen früher.

Indikatoren, die die Bildungsforschung nutzt, sind zum einen die Zahlen der amtlichen Statistik. Durch mathematisch-statistische Auswertungen und in Bezug setzen zu Zahlen der Gesamtbevölkerung oder des Altersjahrgangs entstehen so aussagekräftige Übersichten. Im Rahmen der internationalen Vergleichsstudie PISA wurden auch quantitative Erhebungsmethoden in Form von Fragebögen herangezogen.

Will man einen Vergleich über die Entwicklung der Bildungsbeteiligung, der Schulabschlüsse oder der Mädchenanteile in einem Bildungswesen machen, braucht man entsprechende Zahlen. Das Statistische Bundesamt hat in seiner Fachserie 11 einen kompakten Überblick über die Entwicklung wichtiger Zahlen das allgemein bildende Schulwesen betreffend veröffentlicht. Allerdings reiht diese Veröffentlichung vor allem absolute Zahlen ohne Verhältnis zu demographischen Entwicklungen auf. Schon Carnap/Edding stellten 1966 fest, dass „Schülerzahlen in ihrer absoluten Größe miteinander zu vergleichen, […] für viele Zwecke nicht sinnvoll ist.“[6] Man benötigt dafür eine Bezugsgröße. Bei den absoluten Zahlen des Schulbesuchs bieten sich altersgruppenabhängige Zahlen an. Diesen Schritt geht die umfangreiche Sammlung des Statistischen Bundesamtes nicht, weshalb die Nutzung ihrer Zahlen ohne vorherige Bearbeitung hinfällig ist.

[...]


[1] http://www.spiegel.de/unispiegel/schule/0,1518,172357,00.html [03.04.2006]

[2] Hradil 1999: 27

[3] Ebd.: 145ff.

[4] Hurrelmann 1999: 64ff.

[5] Deutscher Bildungsrat 1974

[6] Carnap/Edding 1966: 8

Ende der Leseprobe aus 36 Seiten

Details

Titel
Von Picht bis PISA - Entwicklungen nach und Konsequenzen aus der 'deutschen Bildungskatastrophe'
Hochschule
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg  (Institut für Soziologie)
Veranstaltung
Bildungschancen im historischen und internationalen Vergleich
Note
2,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
36
Katalognummer
V56130
ISBN (eBook)
9783638509077
ISBN (Buch)
9783656814399
Dateigröße
521 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Picht, PISA, Entwicklungen, Konsequenzen, Bildungskatastrophe, Bildungschancen, Vergleich
Arbeit zitieren
Lydia Brandl (Autor:in), 2006, Von Picht bis PISA - Entwicklungen nach und Konsequenzen aus der 'deutschen Bildungskatastrophe', München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/56130

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