Geschichte der Fachsprachen (bis 1800)


Seminararbeit, 2006

24 Seiten, Note: 1,00


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Prolegomena

2 Entstehung und Entwicklung von Fachsprachen im Überblick
2.1 Vom Sachwortschatz zum Fachwortschatz - Anfänge der Fachsprache im Frühmittelalter
2.2 Mittelalterliche Fachsprachen
2.3 Der fachwissenschaftliche Boom des 16. und 17. Jahrhunderts
2.4 Ausbildung einer wissenschaftlichen Fachsprache im 18. Jahrhundert

3 Historische Aspekte von Fachsprachen
3.1 Textformen der Fachprosa
3.2 Latein als Wissenschaftssprache
3.3 Fachsprachen und Gemeinsprache
3.4 Regional gebundene Fachsprachen

4 Resümee

5 Literaturverzeichnis

1 Prolegomena

In der vorliegenden Arbeit soll der Versuch unternommen werden mittels Einbeziehung relevanter Forschungsliteratur und einiger exemplifizierter, historischer Fachtexte einen Überblick über die Geschichte der Fachsprachen zu bieten. Während heutzutage über die Bedeutung von Fachsprachen, Fachprosa und Fachkommunikation im aktuellen wissenschaftlichen Diskurs weitgehender Konsens herrscht, stehen bei der historiographischen Bearbeitung des Themas nicht nur aufgrund der mangelhaften Quellenlage noch klare Antworten aus. Insbesondere, was die Geschichte einzelner Fachsprachen betrifft, auch hinsichtlich des Stellenwerts der fachsprachlichen Kommunikation in einem bestimmten sozialen Umfeld, existieren weiterhin deutliche Unsicherheiten. So wurden zwar im Kreis um Gerhard Eis umfangreiche textkritische, literarische und sachkundige Studien zur mittelalterlichen Artesliteratur[1] durchgeführt und neben einer Vielzahl von Einzelstudien auch wenige Überblicksdarstellungen abgeschlossen, aber gerade, was die frühe Neuzeit oder das „vorliterarische Dunkel des Frühmittelalters“ betrifft, verbleibt man im Rahmen der Spekulation.[2]

Und obwohl im Zuge dieser Arbeit auf Grund ihres geringen Umfangs und dem allgemein orientierten Thema nicht versucht werden kann einen Fortschritt zu etwaigen Forschungsdesideraten zu leisten, so empfiehlt die kritische Zugangsweise des Autors wenigstens an dieser Stelle einen Hinweis auf die prekäre Quellenlage[3] und der entgegen wirkenden Bemühung etlicher Autoren dennoch einen inhaltlich kohärenten Überblick zu bieten. Dass sich ein solcher Versuch der Darstellung jedoch als höchst problematisch und variabel erweist, ist für den Leser ohnehin offensichtlich und verlangt keine weitere Darlegung. Dem Charakter einer ausgewogenen Übersicht kann demnach in dieser Arbeit nur bedingt Rechnung getragen werden.

Motivation für die Vertiefung in das Thema und für die Abfassung des vorliegenden Textes war für mich vor allem mein Wissen zur Sprachgeschichte deutlich zu erweitern. In diesem Zusammenhang bemerkte Gerhard Eis bereits im Jahre 1962:

„Das Fachschrifttum war das weitaus meistverbreitete und meistgelesene Schrifttum in jenen Jahrhunderten, als die Schriftsprache entstand. Wir möchten ihr daher auch die entsprechende Bedeutung bei deren Festigung und Ausarbeitung beimessen.“[4]

Durch die historiographische Untersuchung des Themas Fachsprachen eröffnen sich völlig neuartige Perspektiven zu sozial- und sprachgeschichtlichen Fragestellungen, so beispielsweise zu einem genaueren Verständnis von Fach- und Gemeinsprache und dem Einfluss fachwissenschaftlicher Terminologie auf die Entwicklung der Schriftsprache. Auch neue Erkenntnisse zu wissenschaftsgeschichtlichen Problemstellungen sind durchaus im Bereich des Möglichen.[5]

Bei Untersuchungen zu frühen Fachtexten wird davon ausgegangen, dass Fachliteratur „anders als die (auch noch von der Trivialliteratur abgehobene) Dichtung nicht nur Erzeugnisse umfasst, die oft geringe – oder auf bestimmte Gesellschaftsschichten, vor allem die Oberschicht beschränkte Wirkung entfalteten, sondern in allen Schichten ihre kulturell prägende Kraft entfalteten, bis hinab ins Analphabetentum (bzw. von dort hinauf in höhere Gesellschaftsschichten, wenn mündliche Überlieferungen literarische Gestalt gewannen).“[6] Die Hypothese, dass Fachsprache als standesunabhängige Form der Kommunikation den Erfahrungsaustausch zwischen sozial getrennten Gruppen ermöglichte, besticht durch ihre Faszination und zieht eine Neubewertung der sozialen Interaktion und Kommunikation zwischen den einzelnen mittelalterlichen Ständen nach sich. Umso ernüchternder wirkt dabei die Feststellung, dass die bisher vorliegenden Untersuchungen noch „keine Rückschlüsse auf die Verbreitung der Fachsprachen in verschiedenen Bevölkerungsschichten zulassen.“[7] Auch die Frage, ob es sich bei Bestätigung der geschilderten Vermutung durch die immense Breitenwirkung fachsprachlicher Kommunikation überhaupt um Fachsprachen handelt, ist nur mit Abschlägen zu beantworten.

Bei Betrachtung historischer Fachsprachen ist noch einer weiteren Dimension Beachtung zu schenken. Aufgrund dem größtenteils lokal ausprägten Kommunikations- und Handlungsbereich des mittelalterlichen und neuzeitlichen Menschen und der Vielzahl an belegten regionalen Varianten in den Fachwortschätzen des 18. und 19. Jahrhunderts, führt Dieter Möhn in diesem Zusammenhang den Begriff „Fachmundart“[8] ein. Eine Perspektive, die im Folgenden noch gesondert zu untersuchen ist.

Es wird versucht im Zuge dieser Arbeit folgende Fragestellungen zu beantworten:

Welche Problematiken treten auf, wenn wir uns mit den Anfängen der deutschen Fachsprache beschäftigen? Welche sozioökonomischen Umwälzungen begleiten die Entwicklung der Fachsprachen? Welche Kennzeichen besitzen die mittelalterlichen Fachsprachen des Handwerks? Was versteht man unter dem fachwissenschaftlichen Boom des 16. und 17. Jahrhunderts und welche bedeutenden Entwicklungen innerhalb der Fachsprache charakterisieren das 18. Jahrhundert?

Während zunächst in chronologischer Reihenfolge die Leitlinien in der Entwicklung der deutschen Fachsprachen beleuchtet werden, wobei ich aber nicht auf Hinweise zu historischen Quellenmaterial und Fachsprachenprosa verzichten möchte, widmet sich das dritte Kapitel wesentlichen historischen Aspekten der Entstehung und Entwicklung von Fachsprachen.

2 Entstehung und Entwicklung von Fachsprachen im Überblick

2.1 Vom Sachwortschatz zum Fachwortschatz - Anfänge der Fachsprache im Frühmittelalter

„Zweifellos liegen in der Arbeitsteilung die Ansätze für die Herausbildung eigenständiger Fachdisziplinen und Fachsprachen.“[9] Zusätzlich sind jedoch auch die „Trennung von Wohn- und Arbeitsstätte, von häuslicher Kommunikation und solcher am Arbeitsplatz“[10] nicht ohne Bedeutung.

Dieter Möhn nennt dazu drei Entwicklungsphasen, die zur Herausbildung einzelner Fächer und damit zusammenhängend auch zu einer sprachlichen Verselbstständigung geführt haben.[11] Neben einer „Abgrenzung einzelner Arbeitsbereiche“ und „allmählichen sozialen Sonderungen (Arbeitsteilung innerhalb der Gemeinschaft; Bildung von Gilden und Zünften)“ ist vor allem die „Konstitution von fachlich autonomen Bereichen mit entsprechender Eigendynamik, einer fachlich geprägten Sicht der Dinge (z.B. Ordnung von Fachwissen) und fachspezifischen Kommunikationsformen“[12] von entscheidender Bedeutung.

Bereits in sehr einfach strukturierten Gesellschaften erfolgte auf Basis unterschiedlicher Begabungen eine erste Spezialisierung im Waffenbau, Heilkunde oder Jagdwesen.[13] Ob das Frühmittelalter jedoch als einfach strukturierte Gesellschaft zu bezeichnen ist, halte ich für höchst problematisch. Auf keinen Fall darf man sich das Entstehen eines fachspezifischen Vokabulars als einmaligen Akt oder kurzfristigen Prozess vorstellen. Vielmehr ist mit einer allmählichen sprachlichen Verselbstständigung zu rechnen. Wilfried Seibicke spricht in diesem Zusammenhang auch von sogenannten Sachsprachen einzelner Arbeitsbereiche, die als historische Vorstufe der Fachsprachen fungierten.[14] Erst im Laufe vieler Jahrhunderte löste sich ein Teil der sprachlichen Kommunikation aus dem unmittelbaren Situationszusammenhang des Arbeitsvorganges und eine „Art theoretischer Überbau“ entstand. „Verselbstständigung, Automatisierung des Sachbereichs“, Abgrenzung gegenüber fachlichen Laien, „geistige Erschließung und Systematisierung [...], wachsende Verschriftlichung“[15] gegenüber nur gesprochener Sachsprache, Organisation und Gruppenbildung begleiten, fördern diesen Prozess der allmählichen Bildung einer deutschen Fachsprache, der, wenn man will, selbst im 18. Jahrhundert noch nicht abgeschlossen ist.

In den eben genannten „außersprachlichen Faktoren (bestimmte Kommunikationspartner, -gegenstände und -situationen) liegen die Voraussetzungen“[16] für die Entwicklung und Veränderung von Fachsprachen. Auch die einzelnen, heutigen Fachgebiete sind nicht auf die historischen Fächer übertragbar. So gilt es vor Beginn der eigentlichen Untersuchung zunächst einmal die Fachgebiete und fachlichen Zusammenhänge vergangener Zeiten zu ermitteln.

Bei der Erforschung alt- und mittelhochdeutscher Zeit greift man auf die klassische Gliederung scholastischer Wissenschaftslehre zurück.[17] So ist zwischen drei Gruppen von Künsten (Artesreihen) zu unterscheiden: die „artes liberales“ (Trivium: Grammatik, Rhetorik, Dialektik), die „artes mechanicae (Quadrivium: Arithmetik, Geometrie, Musik, Astronomie) und die „artes magicae“ (Wahrsagerei, Zauberei). Auf die Grundkenntnisse in den „artes liberales“, die in den Domschulen und Artistenfakultäten vermittelt wurden, konnten erst höhere Wissenschaften (Medizin, Jurisprudenz, Theologie) aufbauen.

Berufe, denen bereits ein sehr früher Sach- oder Fachwortschatz attestiert wird, sind der des Bauers, Fischers, Seefahrers und das Handwerk des Schmieds.[18] Aber nachgewiesen ist aufgrund der prekären Quellenlage bislang nichts. Die Annahme einer verstärkten Verfachlichung legen auch die Verhältnisse im Bauwesen nahe. Die Konstruktion und Bau der romanischen Dome und Kaiserpfalzen lässt eine durchdachte Arbeitsorganisation mit spezifischer Aufgabenstellung vermuten. In der Funktion des „architectus“ lief die gesamte Kommunikation zusammen, der zur Bewältigung seiner komplexen Aufgaben verschiedene Handwerke und Künste koordinieren musste und die Entwicklung einer eigenen Fachsprache nahe legt.[19]

[...]


[1] Vgl. dazu: Gerhard Eis: Forschungen zur Fachprosa. Ausgewählte Beiträge. Bern, München: Francke 1971. Vgl. weiters: Gundolf Keil / Peter Assion u.a.: Fachprosa-Studien. Beiträge zur mittelalterlichen Wissenschafts- und Geistesgeschichte. Berlin: Schmidt 1982. Vgl. weiters: Brigitte Döring / Birgit Eichler: Zur sprachlichen Gestaltung von Fachtexten des 16. Jahrhunderts. In: Untersuchungen zur Strategie der Sprachgestaltung ausgewählter Fachtextsorten aus Gegenwart und Neuzeit hg. v. Wilhelm Schellenberg. Tostedt: Attikon 1994 (HAFF Hamburger Arbeiten zur Fachsprachenforschung hg. v. Theo Bungarten Bd. 2). S. 9-38. Hier S. 10.

[2] Vgl.: Walther v. Hahn: Fachkommunikation. Entwicklung, linguistische Konzepte, betriebliche Beispiele. Berlin, New York: Walter de Gruyter 1983 (Sammlung Göschen; 2223). S. 12-59. Hier: S. 12.

[3] Ebenda

[4] Gerhard Eis: Mittelalterliche Fachliteratur. 2. Aufl. Stuttgart: Metzler 1962. Zitiert nach: Brigitte Döring / Birgit Eichler: Zur sprachlichen Gestaltung von Fachtexten des 16. Jahrhunderts. a.a.O. S. 9.

[5] Vgl: Lubomír Drozd / Wilfried Seibi>

[6] Peter Assion: Altdeutsche Fachliteratur. Berlin: Schmidt 1973 (Grundlagen der Germanistik hg. v. Hugo Moser). S. 16f.

[7] Ilpo Tapani Piirainen: Die Diagliederung des Frühneuhochdeutschen. In: Sprachgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung hg. v. Werner Besch / Oskar Reichmann / Stefan Sonderegger. Zweiter Halbband. Berlin / New York: de Gruyter 1985 (= Handbücher der Sprach- und Kommunikationswissenschaft 2.1). S. 1368-1379. Hier: S. 1376. Zitiert nach: Brigitte Döring / Birgit Eichler: Zur sprachlichen Gestaltung von Fachtexten des 16. Jahrhunderts. a.a.O. S. 11.

[8] Dieter Möhn: Fachsprachen. Eine Einführung. Tübingen: Niemeyer 1984 (Germanistische Arbeitshefte 30). Speziell: S. 129-141. Hier: S. 138f.

[9] Lubomír Drozd / Wilfried Seibi>

[10] Ebenda

[11] Dieter Möhn: Fachsprachen. Eine Einführung. a.a.O. S. 129.

[12] Ebenda

[13] Hans-R. Fluck: Fachsprachen. Einführung und Bibliographie. 5.Aufl. Tübingen, Basel: Francke 1996 (UTB für Wissenschaft: Uni-Taschenbücher 483). S. 27.

[14] Vgl.: Lubomír Drozd / Wilfried Seibi>Dieter Möhn: Fachsprachen. Eine Einführung. a.a.O. S. 133.

[15] Lubomír Drozd / Wilfried Seibi>

[16] Ebenda S. 2.

[17] Vgl.: Peter Assion: Altdeutsche Fachliteratur. a.a.O. S. 46f.

[18] Vgl.: Hans Eggers: Deutsche Sprachgeschichte. Bd. 1: Das Althochdeutsche und das Mittelhochdeutsche. Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt 1963. S. 22. Vgl. weiters: Walther v. Hahn: Fachkommunikation. a.a.O. S. 12-16.

[19] Vgl.: Lubomír Drozd / Wilfried Seibicke: Deutsche Fach- und Wissenschaftssprache. a.a.O. S. 9f.

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Geschichte der Fachsprachen (bis 1800)
Hochschule
Universität Wien
Note
1,00
Autor
Jahr
2006
Seiten
24
Katalognummer
V55896
ISBN (eBook)
9783638507325
ISBN (Buch)
9783656784609
Dateigröße
571 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Geschichte, Fachsprachen
Arbeit zitieren
Johannes Mattes (Autor:in), 2006, Geschichte der Fachsprachen (bis 1800), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/55896

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