Abraham in Mamre (Gen 18,1-15)


Hausarbeit, 1997

35 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der Text
2.1. Textkritik
2.2. Übersetzung

3. Analyse
3.1. Literarkritik
3.1.1. Abgrenzung der Texteinheit
3.1.2. Aufbau und Kohärenz der Texteinheit
3.1.2.1. Der Fortgang der Erzählung
3.1.2.2. Zusammenfassung, Gliederung und Problematisierung
3.2. Grundlegung für die textgeschichtliche Untersuchung
3.3. Überlieferungsgeschichte
3.3.1. Beobachtungen am Text
3.3.2. Erwägungen zu Stufen der Überlieferungsgeschichte
3.4. Redaktionsgeschichte
3.5. Formgeschichte
3.5.1. Formgeschichtliche Analyse
3.5.2. Vergleich mit anderen Texten
3.5.2.1. Die Sage vom alten, kinderlosen Ehepaar
3.5.2.2. Die Sage als Heiligtumsätiologie
3.6. Historischer Ort
3.6.1. Das Baumheiligtum von Mamre
3.6.2. Das Gastmahl
3.7. Traditionsgeschichte
3.7.1. Zu האר
3.7.2. Zu אלפ

4. Interpretation
4.1. Historisch-theologische Interpretation
4.2. Wirkungsgeschichte des Textes
4.2.1. Neues Testament
4.2.2. Frühchristliche Literatur
4.3. Systematisch-theologische Reflexion

5. Literaturverzeichnis
5.1. Bibeltexte und andere Quellen
5.2. Hilfsmittel
5.3. Kommentare
5.4. Andere selbständige Veröffentlichungen
5.5. Aufsätze
5.6. Lexikonartikel

1. Einleitung

Die Erzählungen der Genesis sind, abgesehen von den Texten, die sich für die feministische Theologie eignen, gegenwärtig weitgehend in die Kinderzimmer verbannt. Die vorliegende Auslegung von Gen 181-15 hat zum Ziel, den ursprünglichen Sinngehalt des Textes wieder zur Sprache zu bringen, um so methodisch verantwortlich einen Transfer in unsere Gegenwart zu ermöglichen.

2. Der Text

2.1. Textkritik

Bevor der auszulegende Text übersetzt werden kann, sollte er textkritisch untersucht werden. Aufgabe dieses Arbeitsschrittes ist es, jener Textgestalt möglichst nahe zu kommen, in der sich Gen 181-15 nach der Endredaktion des Pentateuch dargeboten hat.

Die wichtigsten Handschriftenfamilien für das hebräische Alte Testament sind (in dieser Reihenfolge) der MT, die LXX und der samaritanische Text (ST), die aber in sich ebenfalls differieren können.[1] Allerdings verbietet es die Überlieferungslage, allein auf Grund äußerer Bezeugung zu entscheiden.[2] Im folgenden werden nur solche Varianten berücksichtigt, die wenigstens von einigem Gewicht oder überlieferungsgeschichtlich bedeutsam sind.[3]

In der vorliegenden Perikope fällt zunächst in V. 1 auf, daß der Plural , wie er sich im MT findet, der Singularform in der LXX, im ST sowie in der Vg gegenübersteht. Ausschlaggebend für die Entscheidung, welche Lesart die ursprünglichere ist, sind zunächst die anderen Stellen, an denen dies Baumheiligtum erwähnt wird: In Gen 126, 1318, 1413 und Dtn 1130 ist der Singular anzutreffen. Außerdem ist in 184. 8 je von einem Baum die Rede, und zwar determiniert, als sei es der einzige/ der bereits erwähnte.[4] Einem lokalen Heiligtum scheint es außerdem adäquater, von einem einzigen hervorstechenden Naturdenkmal auszugehen (vgl. nur Gen 2811). So sprechen die inneren Gründe eindeutig dafür, daß die Singular-Version besser ist, der Plural ist unverständlich und darum auch nicht als lectio difficilior anzusprechen. Die Änderung zu erklären wird allerdings schwerfallen: Sie ist erst in der Tradition des MT anzusiedeln, eben weil die alten Zeugen LXX und ST denselben anderen Text bieten.[5] In einer derart späten Zeit scheint es aber unwahrscheinlich, daß eine Anspielung auf einen konkreten, noch bestehenden Baumkult ausgemerzt werden sollte (zumal nur an einer Stelle). Es handelt sich also um eine textgeschichtliche Variante, die nicht plausibel erklärt werden kann.

In 183 fügt der ST konsequent Pluralendungen an (bei םכדבע, ורבעת und םכיניעב ), so daß alle drei Männer angesprochen werden. Der MT läßt zwar in unvokalisierter Fassung in der Anrede ינדא offen, ob es sich um einen oder um drei Herren handelt, ist in der Fortsetzung aber eindeutig singularisch, so daß die Masoreten hinsichtlich des Numerus sehr wohl richtig punktiert haben. Damit steht die Singular- der Pluralversion gegenüber. Gegen die masoretische Überlieferung spricht, daß es ungewöhnlich ist, wenn Abraham, der nicht weiß, mit wem er es zu tun hat, sich nur an einen Gast wendet. Für sie spricht, daß sie schwieriger ist und daß der ganze Text zwischen Einzahl und Mehrzahl wechselt, so daß hier eines seiner Charakteristika zu suchen sein wird: Die Anrede wie auch das Folgende ist ursprünglich singularisch, zumal die Pluralform nur hier in der Genesis vorkäme.[6] Daß die Anrede nicht als Gottestitel, sondern als gewöhnliche Höflichkeitsform verstanden wird, ist für den Gang der Geschichte notwendig: Eben weil Abraham nicht weiß, das JHWH ihn besucht. Es ist wohl anzunehmen, daß ST die Anrede pluralisch verstand und dann die Verben anglich, um den Text insgesamt spannungsfreier zu gestalten.

Obwohl es für die deutsche Übersetzung belanglos ist, soll darauf hingewiesen werden, daß wenige hebräische Codices, der ST, die LXX, syrische HSS und der Targum Pseudo-Jonathan vor רחא in V. 5 ein waw copulativum anfügen. Dieser Variante ist zu folgen, weil sich die angeführten Textgruppen früh in ihrer Überlieferungsgeschichte getrennt haben.

Nur die LXX läßt in V. 6 תלס weg. Trotz der nicht besonders starken Bezeugung spricht für die Ursprünglichkeit dieser Auslassung die Tatsache, daß mit תלס חמכ eine Opfergabe bezeichnet wird (vgl. Ez 1619, 4614, I Chr 929, 2329). Das Befremdliche der Götterspeisung für spätere Zeiten könnte dazu geführt haben, daß die Szene zum Opfer „sublimiert“ wurde, was erneut Kenntnis der Besucher voraussetzte. Daher wird an dieser Stelle mit der LXX gelesen.[7]

Nur die LXX berichtet in V. 8 zunächst, daß die Männer essen und fügt erst dann hinzu, daß Abraham derweil unter dem Baum wartet. Diese Abfolge ist zwar erzähltechnisch geschickter, weil so zuerst der Grund des Wartens berichtet wird, sie hat aber die äußere Bezeugung und die lectio difficilior gegen sich und wird darum abgelehnt.

Statt ורמאו liest die LXX in V. 9 den Singular εἶπεν, was ראמיו entspräche.[8] Wieder gehört aber der Wechsel auch der redenden Person zur Eigenart des Textes und ist eindeutig lectio difficilior. Die Änderung kann vielleicht durch die Umstellung in V. 8 erklärt werden, durch die der Plural ולכאיו in der LXX-Version weiter wegrückt, so daß der Wechsel leichter fällt.

Die Herausgeber von BHS und BHK schlagen vor, eventuell nach dem einleitenden Verb ול zu ergänzen, was aber weder bezeugt noch zum Verständnis unumgänglich nötig und darum abzulehnen ist.

In V. 10 ist nicht ganz klar, wie Zelteingang und Personen einander zugeordnet werden: Entweder (so der MT) steht Sara hinter dem Zelteingang oder letzterer befindet sich hinter JHWH. Die zweite Lesart wird von der LXX bezeugt (οὖσα ὄπισθεν αὐτοῦ). In beiden Fällen ist der Sinn der Aussage gleich: Sara ist für Menschenaugen nicht zu sehen und kann doch den Ausführungen JHWHs lauschen. Innere Kriterien können also nicht entscheiden. Da aber der MT den insgesamt zuverlässigeren Text bietet, soll ihm hier gefolgt werden.

Wohl um der Parallelität zu V. 12 willen fügt die LXX in V. 13 nochmals ἐν ἑαυτῇ ein, um so zu verdeutlichen, daß JHWH über Inhalt und Ablauf genau bescheid weiß. Der MT bietet aber - abgesehen vom größeren äußeren Gewicht - die schwerere Lesart und ist darum der Variante vorzuziehen.

Westermann schlägt vor, in V. 14 bei der Zeitangabe הנה zu ergänzen.[9] Somit wäre auch in diesem Vers die formelhafte Wendung aus V. 10 anzutreffen. Allerdings ist das nicht zwingend, zumal Formgeschichte vom Text ausgehen und nicht umgekehrt den Text bestimmen sollte.

2.2. Übersetzung

Nachdem im ersten Abschnitt die Textvarianten ausgeschieden wurden, soll nun eine Übersetzung folgen:

(1.) Da erschien ihm JHWH bei der Terebinthe von Mamre, während[10] er am[11] Zelteingang saß, zur Tageshitze. (2.) Da erhob er seine Augen und sah: Siehe, drei Männer standen vor ihm. Als er sie sah, da rannte er ihnen vom Eingang des Zeltes entgegen und verbeugte sich [bis] zur Erde.[12] (3.) Und er sagte: „Mein Herr, sollte ich Gunst[13] vor deinen Augen gefunden haben, dann gehe doch nicht an deinem Diener vorbei. (4.) Es soll ein wenig Wasser gebracht werden, so daß ihr euch die Füße waschen [könnt][14], dann lagert euch unter dem Baum. (5.) Ich dagegen hole einen Bissen Brot, so daß ihr euch stärken könnt,[15] dann könnt ihr weiterziehen. Denn eben deshalb[16] seid ihr bei eurem Diener vorbeigekommen.“ Sie antworteten: „Mache es so, wie du gesagt hast.“

(6.) Da beeilte sich Abraham, zu Sara ins Zelt[17] zu kommen. Er sagte: „Beeile dich, drei Maß Mehl zu nehmen, knete es und backe einen Kuchen!“ (7.) Nun lief Abraham zu den Rindern, nahm ein Kalb, zart und schön, und gab es[18] dem Knecht, der es eilends zubereitete. (8.) Dann nahm er geronnene Milch, [frische[19] ] Milch und das Kalb, das er zubereitet hatte, und trug es ihnen auf. Er selbst aber wartete auf sie unter dem Baum, während sie aßen.

(9.) Da sagten sie zu ihm: „Wo ist Sara, deine Frau?“ Er antwortete: „Da drin im Zelt.“ (10.) Da sagte er: „In einem Jahr werde ich erneut um diese Zeit zu dir kommen. Und siehe, Sara, deine Frau, wird einen Sohn haben.“ Sara aber hörte es am Zelteingang hinter ihm. (11.) Nun waren sowohl Abraham als auch Sara alt, an Jahren fortgeschritten, dazu ging es Sara nicht mehr so, wie es den Frauen geht.[20] (12.) Darum lachte Sara in sich hinein[21] [und dachte sich]: „Nachdem ich nun hinfällig geworden bin, soll ich noch Liebeslust empfinden?[22] Auch mein Herr ist ja alt.“ (13.) Da sagte JHWH zu Abraham: „Warum lacht denn Sara [und denkt]: 'Sollte ich wirklich noch ein Kind zur Welt bringen, da ich doch alt bin'? (14.) Ist etwas für JHWH zu schwer? In einem Jahr werde ich um diese Zeit wieder zu dir kommen, und Sara wird einen Sohn haben.“[23] (15.) Da stritt Sara ab: „Ich habe nicht gelacht!“ - sie fürchtete sich nämlich. Da sagte er zu ihr: „Doch, du hast gelacht“.

3. Analyse

Um den Bedeutungsgehalt eines Textes beschreiben zu können, muß er insgesamt und in seinen Bestandteilen in seinem Kontext gesehen werden. Die hierfür nötige analytische Untersuchung soll nun geleistet werden, ehe erneut nach dem Sinn des Textganzen gefragt werden kann.

3.1. Literarkritik

Aufgabe der Literarkritik ist es, den vorliegenden Text in seiner Jetztgestalt zunächst abzugrenzen, um ihn dann auf seine Kohärenz, d.h. auf die Festigkeit seines inneren Zusammenhangs hin zu untersuchen.

3.1.1. Abgrenzung der Texteinheit

Der Beginn des Textes fällt zunächst dadurch auf, daß Abraham nicht eigens eingeführt werden muß, „ וילא “ bezieht sich bereits anaphorisch auf ihn. In der vorangehenden Perikope wurde er zuletzt in 1726 namentlich erwähnt, was erst wieder in 186 der Fall ist. In der Genesis findet sich eine Form seines Namens zuerst in 1127, v.a. in Kap. 12 wird er als Person näher eingeführt. Auch die Terebinthe von Mamre wird in Form einer unerklärten determinierten Constructusverbindung als sein offenbar bekannter Aufenthaltsort angeführt (vgl. schon 126); dasselbe gilt auch für die ganze vorausgesetzte nomadische Lebenswelt. JHWH wird zwar genannt, es wird aber nicht erklärt, um welche Gottheit es sich handelt und was bei ihrer Erscheinung zu erwarten ist; offenbar ist auch dies bereits bekannt. Schon 1716f., 21 kündigen die Geburt Isaaks in Jahresfrist trotz des hohen Alters von Sara und Abraham an und weisen so auf Kap. 18 voraus.

Aus diesen Beobachtungen ergibt sich, daß die Geschichte in einem größeren Erzählzusammenhang verwurzelt ist, der über Abraham, seine Umwelt und seinen Glauben schon vor Gen 18 Aufschluß gibt, als Beginn bietet sich hier Kap. 12 an.

Andererseits beginnt in 181 deutlich eine neue Erzähleinheit: Das Wortfeld „Beschneidung“, das in Kap. 17 noch beherrschend war, fehlt nun; hinsichtlich des Personals rückt Ismael (1725f.) aus dem Blickfeld, ebenso zunächst der Haushalt Abrahams in seiner Gesamtheit (1727, vgl. aber 187), dafür tritt nun JHWH neu auf. Auch durch die neue Zeitangabe „ םויה םחכ “ sowie durch die bereits erwähnte Ortsangabe, die an die Stelle des unbestimmten Orts von 171 tritt, wird ein Neuansatz markiert. Zuletzt ist noch die Einleitung „ אריו “ anzuführen, die z.B. auch in 171 ein neues Geschehen eröffnet.

Demnach beginnt in 181 eine eigene Geschichte, die gleichwohl in einen größeren Kontext gehört, in dem Abraham in seinen Lebenszusammenhängen im Mittelpunkt steht.

Schwieriger ist es, das Ende der Erzählung zu bestimmen: Ihr eigentliches Ziel, die Geburt eines Sohnes und die Wiederkehr des Redenden, wie sie in V. 10, 14 angekündigt werden, wird nicht berichtet. Die Erzählung kommt erst später, in 211-7 zum Ziel, nachdem sich einige andere Ereignisse zwischen Verheißung und Erfüllung geschoben haben. Letztlich wäre die Erfüllung sogar noch weiter, auf Gen 25, auszudehnen, weil sich erst dort die Verheißung im Blick auf die reiche Nachkommenschaft Abrahams bewährt. Die Wiederkehr der Männer mit ausgestalteter Bezugnahme auf Gen 18 fehlt allerdings ganz. Also muß ein vorläufiges Ende der Erzählung gesucht werden, das in der Spannung zwischen dem Lachen Saras und der Verheißung JHWHs bleibt. Da in V. 16aβ mit Sodom ein neuer Ort eingeführt wird, Sara in der anschließenden Handlung ebenso fehlt wie das Empfängnismotiv ruht, muß der Abschnitt spätestens mit diesem Teilvers als vorläufig abgeschlossen betrachtet werden, wenngleich das Gegenüber von JHWH und Abraham auch im folgenden erhalten bleibt (vgl. nur 1817f.).

V. 15 gehört eindeutig zu V. 1-14 . Demnach ist zu überlegen, wohin V. 16aα zu zählen ist. Weil eine Erzählung schlecht damit beginnen kann, daß jemand weggeht und im nächsten Augenblick ein neues Ziel anvisiert, scheint sich eine Aufteilung von V. 16 nahezulegen. Andererseits ist ist zu bedenken, daß auch die Notiz, daß die Männer den Ort verlassen, die Erzählung nicht zum Abschluß bringt, es war ohnehin klar, daß sie nur kurz bleiben (vgl. V. 4, 5, 10). Da die drei Männer in V. 16aβ nicht mehr genannt werden, wäre auch dieser Teilvers als Einleitung völlig ungeeignet.

Es bleibt demnach schwer, Gen 181ff. zum Ende hin abzugrenzen. Ein „runder“ Abschluß findet sich keinesfalls. Weil aber V. 16 insgesamt mehr für das Folgende austrägt, soll in der vorliegenden Arbeit V. 15 das Ende des Abschnitts bilden.[24]

Insgesamt scheint Gen 181-15 eine Texteinheit zu sein, die sich zwar hinsichtlich der Handlung bis zu einem gewissen Grad abgrenzen läßt, insgesamt aber fest in einen größeren Zusammenhang verwoben ist, der von Gen 12-25 reicht. Vor allem durch die ungewöhnliche Erscheinung der drei Männer ist der Abschnitt aber eher mit dem folgenden als mit Kap. 17 verbunden.

3.1.2. Aufbau und Kohärenz der Texteinheit

3.1.2.1. Der Fortgang der Erzählung

Die Unsicherheit an den Rändern steht einer stringent aufgebauten Erzählung in Gen 181-15 gegenüber:

Die im Erzähltempus Narrativ ( אריו ) beginnende Erzählernotiz in V. 1a scheint als Einleitung zunächst ungeeignet: Die Ankündigung einer Gotteserscheinung des einen JHWH (vgl. 171, 221) steht in doppeltem Kontrast zum späteren Auftreten der drei (scheinbar gewöhnlichen) Männer, die erst in V. 2 Erwähnung finden. Auch thematisch wäre im Blick auf das Folgende eher eine Beschreibung der Notsituation oder ein Ausblick auf Abhilfe zu erwarten: Die Gotteserscheinung könnte mit einem Zweck verbunden werden. Daß V. 1a den Ort einführt, der später offenbar vorausgesetzt wird (determiniertes ץעה in V. 4) relativiert das ein wenig. Außerdem ist zu bedenken, daß der Wechsel zwischen Plural und Singular der Erzählung erhalten bleibt. Hinzu kommt, daß Erscheinungen JHWHs in den Erzelternerzählungen immer positiv konnotiert sind, daß also die Zweckangabe entfallen kann: Göttliches Erscheinen, das mit einem Kultort verbunden ist, „zielt überwiegend auf eine anschließende Verheißungsrede“.[25] Schließlich erklärt V. 1 dem Leser vorweg, in welcher besonderen Situation sich Abraham unbewußt befindet: Das Augenmerk richtet sich nun darauf, wie er sich dazu verhält.[26]

V. 1b führt näher ein, indem in einem Partizipialsatz ( בשׁי ) eine Situations- und Zeitangabe ( םויה םחכ ) folgt. Damit wird einerseits die nomadische Lebenswelt vorgestellt ( להאה־חתפ ), andererseits mit der Mittagshitze eine Tageszeit genannt, in der gastliche Einkehr zu erwarten ist: „Es ist die Zeit, zu der der Wanderer einkehrt, um Schatten und Ruhe zu suchen.“[27]

Beide Teilverse wären für sich genommen nicht geeignet, die Erzählung einzuleiten. Auch zusammen mögen sie nicht modernen erzählerischen Erwartungen genügen, sind aber in ihrem geschichtlichen Bezug sehr wohl als Exposition geegnet.

Abraham blickt in V. 2 auf und nimmt so die Gäste wahr, tritt zu ihnen in Bezug. Ihr Stehenbleiben ist als „Anklopfen“ zu interpretieren.[28] Von nun an wird es dabei bleiben, daß Abraham handelt, während die Gäste empfangend sind: Die unmittelbar aufeinanderfolgenden Narrative אריו und ץריו forcieren das Tempo. Es ist zu betonen, daß das ohne Wissen um die Göttlichkeit des Besuchs geschieht: „Der aus der Fremde begegnende Mensch wird, ohne daß es dazu eines äußeren Kennzeichens bedürfte, in seiner möglichen Hoheit gewürdigt.“[29]

Verneigung und anschließende Anrede in V. 3 bezeugen den Gästen Ehrerbietung, weisen sie aber keineswegs als Götter aus; sie setzen also den äußerst höflichen und zuvorkommenden Empfang fort:[30] Das Stichwort ןח verweist nicht auf göttliche Gnade, sondern bietet gastliche Einkehr an; im Blick auf die Anrede ינדא wurde bereits im Zusammenhang der Textkritik (s.o. 2.1.) festgehalten, daß es sich nicht um den Gottestitel, sondern um die Entsprechung des Deutschen „mein Herr“ handelt. Auffällig ist der erneute Wechsel in den Singular nach der Erzählernotiz in V. 1. In den anschließenden V. 4 und V. 5aα bietet Abraham seinen Gästen Fußwaschung, einen Ruheplatz und ein Gastmahl an, ohne sie dabei bedrängen zu wollen ( ורבעת רחא ). In V. 5b fällt die knappe Entgegnung der Gäste auf. Die Szene erhält so weiterhin einen feierlichen Charakter, sie ist noch immer durch in Aussicht gestellte Handlungen, nicht durch Worte bestimmt.

Mit V. 5 ist die Erzählung eröffnet: Personen und Situation sind vorgestellt, Abraham scheint die in V. 1 angedeutete Bewährung zu bestehen, so daß sich bereits jetzt die Frage stellt, wie die drei Männer darauf reagieren - eine konkrete Notsituation, der sie etwa abhelfen können, ist allerdings noch nicht aufgezeigt.

In V. 6 verläßt Abraham, der erstmals mit Namen genannt wird, seine Gäste, um für die Zubereitung ihres Mahls Sorge zu tragen. Sara wird organisch in die Handlung eingeführt, indem es ihr zukommt, einen Teil der Bewirtung zu übernehmen; gleichwohl bleibt sie Objekt der Anweisungen ihres Mannes, dem die Gastgeberrolle vorbehalten ist. Die bleibende Eilfertigkeit wird durch den Narrativ רהמיו und die darauffolgenden Imperative illustriert ( ירהמ, ישׁול, ישׂעו ) und in V. 7 fortgesetzt ( ץר, רהמיו ). Mit dem Knecht wird eine Nebenfigur eingeführt, die allerdings anonym bleibt:[31] „Abraham hat mit seiner Eile alle Zeltbewohner in Bewegung gebracht.“[32] In V. 8a kommt die Handlung vor den Gästen erneut zur Ruhe; da seine Gastfreundlichkeit vorerst zum Ziel gekommen ist, kann Abraham nun warten, solange sie essen.

Damit ist der erste Spannungsbogen, der in V. 1 begonnen wurde, deutlich zu einem Ende gekommen: Abraham hat die Prüfung bestanden, ohne sie als solche wahrzunehmen, was ihn natürlich auszeichnet. Er ist im ersten Teil durchgängig handlungsbestimmend und macht auch die eigentliche Bewirtung der Gäste offenbar ganz zur „Chef-Sache“. Er ist das beherrschende Subjekt, das auch im grammatikalischen Sinn alle Verben bestimmt, die im übrigen die Erzählweise bestimmen.[33]

[...]


[1] Verwendete Bibelausgaben: Biblia Hebraica Stuttgartensia, ed. K. Elliger et W. Rudolph, Editio quarta emendata 1990 (= BHS). Biblia Hebraica (= BHK3), ed. R. Kittel, Leipzig 31937. A. v. Gall, Der hebräische Pentateuch der Samaritaner, Giessen 1914-1918 (Nachdruck 1963). Septuaginta, ed. A. Rahlfs, Editio minor, Duo volumina in uno, Stuttgart 1979. Biblia Sacra iuxta Vulgatam Versionem, ed. R. Gryson e.a., editione quarta emendata, Stuttgart 1994. Novum Testamentum Graece, ed. E. Nestle/ K. Aland 271993 (= NA27).

[2] Vgl. zu diesem Abschnitt E. Tov, Textual Criticism of the Hebrew Bible, Minneapolis/ Assen 1992, S. 293-311. Sowohl hinsichtlich innerer wie auch äußerer Kriterien orientiert sich die vorliegende Arbeit an diesem Abschnitt.

[3] So bleiben z.B. die LXX-Versionen ὁ θεός in V. 1 und παϱὰ τοῦ θεοῦ unerörtert. Im Verzeichnis der in Qumran gefundenen Texte von E. Ulrich, An Index of the Passages in the Biblical Manuscripts from the Judean Desert (Part 1: Genesis-Kings), DSD 1 (1994) ist zu Gen 181-15 keine Variante angegeben.

[4] Vgl. R. Kümpel, Die "Begegnungstradition" von Mamre, in: Bausteine biblischer Theologie, FS G.J. Botterweck, hg. v. H.-J. Fabry (= BBB 50), S. 153. Vgl. W. Gesensius/ E. Kautsch, Hebräische Grammatik (GesK), Leipzig 281909 (Nachdruck 1962), § 35a.

[5] Vgl. Tov (s.o. Anm. 2), S. 80-83. Das gilt auch, wenn das samaritanische Schisma erst ins zweite Jh. v. Chr. und die Endredaktion der LXX ins erste vorchristliche Jh. (S. 137) gelegt wird.

[6] Vgl. C. Westermann, Genesis. 2. Teilband, Genesis 12-36 (BKAT I/2), Neukirchen-Vluyn 1981 (Zitierform: Westermann, Kommentar), S. 337.

[7] Auch Westermann hält חלס für „wahrscheinlich nachträglich steigernd hinzugefügt“ (a.a.O., S. 338).

[8] Dies aber mit Ausnahme des Codex Alexandrinus, der den Singular ειπαν liest.

[9] Vgl. ders., Kommentar (s.o. Anm. 6), S. 331.

[10] Die Gleichzeitigkeit wird durch das waw-copulativum ( אוהו ) und das Partizip בשׁי bezeichnet (vgl. GesK, s.o. Anm. 4, § 116o, ebenso in V. 8 bei ולכאיו ).

[11] Zum accusativus loci vgl. a.a.O. § 118g.

[12] Zum He-locale vgl. a.a.O. § 90c.

[13] Eine Übersetzung mit „Gnade“ ist abzulehnen, weil dieser Begriff zu spezifisch theologisch konnotiert ist, während hier die Bereitschaft zu gastlicher Aufnahme angesprochen wird.

[14] Die Übersetzung „daß ihr euch die Füße wascht“ klingt im Kontext zu unhöflich, weil es sich um ein gastfreies Angebot, nicht um eine Aufforderung Abrahams handelt.

[15] Die Redewendung בל דעס bezeichnet eine Stärkung des ganzen Menschen, also eine gründliche Erholung (vgl. H. W. Wolff, Anthropologie des Alten Testaments, Gütersloh 61994, S. 71f.). Allerdings scheint eine solche mit einem Bissen Brot kaum erreichbar zu sein, so daß hier etwas zurückhaltender übersetzt wird.

[16] Zm Kausalsatz vgl. GesK (s.o. Anm. 4), § 158b.

[17] Im Deutschen wird die präpositionale Ortsangabe nachgestellt, wenn sie nicht eigens betont werden soll.

[18] Das pronominale Objekt kann im Hebräischen fehlen, wenn der Bezug im Kontext klar ist (vgl. GesK, s.o.Anm. 4, § 117f.

[19] Das Adjektiv muß im Deutschen wegen des Gegensatzes zur geronnenen Milch eingetragen werden.

[20] Es scheint zwar, als habe die Erzählung bewußt הדע vermieden, andererseits ist die übliche Übersetzung „nach der Frauen Weise“ doch zu weit von der Gegenwartssprache entfernt.

[21] Im Kontext ist deutlich, daß die Heimlichkeit des Lachens betont werden soll. Denkbar wäre aber auch, daß sie „von ganzem Herzen“ lacht, was ebenfalls gut zur Situation paßte (vgl. Wolff, s.o. Anm. 15, S. 102f.).

[22] Zur Übersetzung als Fragesatz vgl. GesK (s.o. Anm. 4), § 150a.

[23] Zur Wortstellung im Hebräischen vgl. a.a.O., § 141m.

[24] Allerdings muß das Problem des Schlusses nochmals aufgegriffen werden, s.u. S. 15.

[25] H. D. Preuß, Art. Offenbarung II. Altes Testament, TRE 25, S. 117-128, hier S. 120. Vgl. Gen 126f. JG, 262ff. 24f., 351-15 u.ö.

[26] Vgl. E. Blum, Die Komposition der Vätergeschichte, Neukirchen-Vluyn 1984 (WMANT 57), S. 274.

[27] Westermannn, Kommentar (s.o. Anm. 6), S. 336.

[28] Vgl. ebd.

[29] A.a.O., S. 336.

[30] A.a.O., S. 336f.

[31] Schon im unpersönlichen אנ־חקי in V. 4 wird die Einbeziehung des Gesindes angedeutet, was sicherlich die Größe der gastfreundlichen Einsatzbereitschaft unterstreichen soll.

[32] G. v. Rad, Das erste Buch Mose · Genesis, Kapitel 12, 10-25,18, Göttingen 51964 (ATD 3) (Zitierform: v. Rad, Kommentar), S. 175.

[33] Vgl. auch W. Brueggemann, «Impossibility» and Epistemology in the Faith-Tradition of Abraham and Sara (Gen 181-15), ZAW 94 (1982), S. 615-634, S. 616.

Ende der Leseprobe aus 35 Seiten

Details

Titel
Abraham in Mamre (Gen 18,1-15)
Hochschule
Eberhard-Karls-Universität Tübingen
Note
1,0
Autor
Jahr
1997
Seiten
35
Katalognummer
V55810
ISBN (eBook)
9783638506694
ISBN (Buch)
9783656815648
Dateigröße
750 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Abraham, Mamre
Arbeit zitieren
Lutz Eisele (Autor:in), 1997, Abraham in Mamre (Gen 18,1-15), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/55810

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