Künstlich geordnete Verwirrung in E.T.A. Hoffmanns "Prinzessin Brambilla"


Hausarbeit (Hauptseminar), 2006

24 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Struktur

3. Die Leseranrede

4. Namen und Charakterisierungen der Personen beziehungsweise Figuren
4.1 Giglio Fava - Prinz Cornelio Chiapperi - Capitan Pantalon - König Ophioch
4.2 Giacinta Soardi - Prinzessin Brambilla - Königin Liris - Prinzessin Mystilis
4.3 Ciarlatano Celionati - Fürst Bastianello di Pistoja
4.4 Ruffiamonte - Magus Hermod

6. Schlußwort

Schaubild

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„Es ist seine innere und äußere Maßlosigkeit, an der es [das Capriccio] schließlich verunglückt ist. Denn das ist es zweifellos.“[1] - So lautete einer der weniger schmeichelhaften Kommentare zu E. T. A. Hoffmanns im Jahre 1820, „auf dem letzten und höchsten Gipfel seiner Kunst“[2] erschienenen Capriccios Prinzessin Brambilla. Korff bemängelte das Fehlen der klassischen Form, für ihn entsteht die Romantik in der Prinzessin Brambilla nur noch aus der Verwirrung.“[3] Alle knapp ein Dutzend bekannten zeitgenössischen Rezensionen „bewegen sich zwischen Wohlwollen, vorsichtiger Kritik und einer gewissen Ratlosigkeit gegenüber der verwirrenden Phantastik der Handlungsführung und der Exzentrik der Figurenverzweigungen.“[4] „In den ersten Kritiken [...] stehen Lob und Tadel, Verlegenheit und enthusiastische Zustimmung nebeneinander.“[5] In einem Brief schreibt Heine, was sich bei unbefangener Rezeption nach überschwänglicher Zustimmung anhört: „Prinzessin Brambilla ist eine gar köstliche Schöne, und wem diese durch ihre Wunderlichkeit nicht den Kopf schwindlicht macht, der hat gar keinen Kopf. Hoffmann ist ganz original.“[6] Korff begreift dies jedoch als Ironie.[7] Und zehn Jahre später übernimmt Heine in seiner Romantischen Schule das Verdikt Goethes, Hitzigs und anderer vom kranken Hoffmann. Seine „Phantasiestücke“ hätten die Flammen des Fiebers so wie die Werke Novalis’ die Blässe der Schwindsucht.[8] Erst die spätere Beschäftigung mit Hoffmanns Capriccio brachte dem Dichter positivere Bewertungen: Es bleibt zwar das „seltsamste aller Hoffmannschen Werke“,[9] jedoch auch das „kunstvollste“[10] und „eines der schönsten“.[11] Es könne als „Beispiel vollendeter Hoffmannscher Kunst genommen werden.“[12]

Thema der vorliegenden Arbeit soll die Klärung der Frage sein, wie und mit welchen Mitteln E. T. A. Hoffmann jene „künstlich geordneten Verwirrung“[13] herbeiführt, die Leser und Kritiker gleichermaßen verwirrt und verärgert, jedenfalls beeindruckt, ohne ihn jedoch gänzlich allein zu lassen.

Dazu wird zunächst auf die Struktur des Capriccios[14] eingegangen. Zu Anzahl und Art der verschiedenen Erzählebenen gibt es in der Sekundärliteratur zahlreiche durchaus widersprüchliche Ansichten, die jeweils kurz vorgestellt und kritisiert werden. Mit der Einführung einer weiteren, in der Literatur bisher nicht genannten Ebene wird dieses Kapitel abgeschlossen, um im folgenden auf ein für Hoffmann ganz typisches Element seiner Erzählungen zu kommen: Die Leseransprache. Hier wird unter anderem das metafiktionale Erzählen einer eingehenderen Betrachtung unterzogen, das dem Autor noch ganz andere Möglichkeiten der Interaktion mit dem Leser eröffnet. Schließlich soll in einem letzten großen Abschnitt gezeigt werden, wie Hoffmann sein Spiel nicht nur durch die Charaktereigenschaften, die er seinen in verschiedene Figuren aufgespaltenen Personen gibt, sondern auch schon durch ihre Benennung auf die Spitze treibt. Allerdings wird diese Untersuchung auf die beiden Hauptpersonen Giglio Fava und Giacinta Soardi sowie die beiden „Regisseure“[15] Celionati und Ruffiamonte beschränkt bleiben.

Diese Arbeit zielt auf die Beantwortung der Fragestellung und nicht darauf, eine Gesamtschau der Prinzessin Brambilla zu liefern, was im Unfang einer Hauptseminarsarbeit auch gar nicht befriedigend zu leisten wäre, daher wird auf die großen Themenkomplexe Theater und Theaterreform sowie den Urdarmythos nicht in extenso eingegangen.

2. Die Struktur

Bei der Lektüre bereits des ersten Kapitels wird sehr schnell deutlich, daß Hoffmanns Erzählung eine Vielzahl von Ebenen ineinanderschachtelt. Auch wenn die Meinung vertreten wird, nicht die Bestimmung dieser Schichten bezeichne „das eigentliche Problem, sondern ihr Zusammenspiel, die Weise, wie Hoffmann die Ebenen wechselt und zwischen ihnen changiert“,[16] so soll doch zunächst der Versuch einer Bestimmung dieser einzelnen Ebenen oder Schichten erfolgen. Dazu wurde vorgeschlagen, die Erzählung keiner horizontalen Leseweise zu unterziehen, sondern einer sozusagen vertikalen Lektüre,[17] und die unterschiedlichen Fiktionsebenen im Sinne von archäologischen Schichten zu analysieren.[18] Allein über die Zahl der vorhandenen Schichten herrscht schon Unstimmigkeit, so werden zwei, drei oder fünf verschiedene Ebenen unterschieden.

Am weitesten geht Strohschneider-Kohrs, die fünf „Erzählwelten“ unterscheidet, nämlich erstens die Erzählwelt der bürgerlichen Realität, mit der die Dichtung beginnt und endet.[19] Hier treten die beiden Protagonisten Giglio Fava als Schauspieler und Giacinta Soardi als Putzmacherin auf, den römischen Alltag beherrschen Wurstkrämer und Makkaroniköche, der Kostümschneider Bescapi und der Straßenverkäufer Celionati. Zweitens gebe es das Theater, das in diese bürgerliche Wirklichkeit eingefügt und doch deutlich als eigene Welt erkennbar sei. Zu dieser Welt zählen die Pantomime im Theater Argentina und die Vorlesung der Tragödie des Moro bianco sowie der gesamten Erzählkomplex um den Tragödiendichter Abbate Chiari. Neben diesen Erzählwelten steht jene dritte, die Baudelaire an Hoffmanns Dichtung besonders hervorhebt: „der römische Karneval“.[20] Er spielt sich auf den Straßen Roms, insbesondere auf dem Korso ab. Überhaupt umfassen diese drei realen Ebenen einen sehr beschränkten geographischen Raum im Stadtzentrum Roms, „den man mit wenigen hundert Schritten durchmißt“ (123, VII).[21] Die vierte sei die Erzählwelt des Märchens, nach Raum, Szenerie und Figuren nicht eindeutig auszugrenzen, zu erkennen an der Fülle von Märchenelementen und Märchenerzählformen, mit Motiven der Überlieferung des Volksmärchens wie nie versiegender Geldbeutel und Wunderbrille. Auch der „Erzählgang ist typisch märchenhaft, da die Welt des Wunderbaren in die Welt des Wirklichen unerklärbar eingreift“, so im Falle des Zuges der Prinzessin, des verschwundenen Fleckes u. a.[22] Hier treten die beiden Hauptfiguren auch als Prinz Cornelio Chiapperi und Prinzessin Brambilla auf. Als fünfte Ebene schließlich wird die eingelegte Geschichte vom Lande Urdargarten gesehen, „erzählt als ein in ferner Vergangenheit liegendes Geschehen in einem Lande, das den Gesetzen der Wirklichkeit völlig enthoben ist“,[23] dies ist die Welt des Märchens von König Ophioch, Königin Liris, des Magus Hermod, Typhon und Prinzessin Mystilis.

An dieser Aufteilung der Erzählung wird kritisiert, sie könne leicht zu einer Verfälschung führen, da sie verdecke, daß „die einzelnen Elemente dieser Welt ihre Eigentümlichkeit erst durch Bezüge oder gleichzeitige Zugehörigkeiten zu mehreren Bereichen erhalten.“[24]

Steinecke unterscheidet nur drei Ebenen, nämlich die Liebesgeschichte zwischen Giglio Fava und Giacinta Soardi; eine Theatergeschichte, die in der Gegenwartshandlung „aufs engste“ miteinander verschränkt sind; und einen dritten eingefügten Bereich, „durch den das Capriccio eine mythische Dimension erhält: die Geschichte von dem Könige Ophioch und der Königin Liris“.[25]

Nehring trifft eine ähnliche Unterscheidung, wobei er allerdings im Hinblick auf die Theaterwelt die Anstrengungen des Fürsten Bastianello, das römische Theater zu reformieren, besonders betont und hervorhebt, daß alle drei Handlungsstränge „so miteinander verknüpft sind, daß jeder jeden bedingt.“ Auch erreichen sie alle am Ende ihr Ziel: Giglio Fava und Giacinta Soardi sind vereint, „das neue Theater ist etabliert“ und das Urdarland ist erlöst.[26]

[...]


[1] Hermann August Korff, zit.n. Stephan Fischer: E. T. A. Hoffmanns Prinzessin Brambilla. Auf der Suche nach der verlorenen Lust, in: Mittelungen der E. T. A. Hoffmann-Gesellschaft, XXXIV, 1988, 11-34, hier 11.

[2] Robert Mühlher: Prinzessin Brambilla. Ein Beitrag zum Verständnis der Dichtung, in: Helmut Prang (Hrsg.): E. T. A. Hoffmann, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1976, 185-214, hier 185.

[3] Hermann Korff: Geist der Goethezeit. Hochromantik, IV, Leipzig: Köhler und Amelang 1953, 615.

[4] Detlef Kremer: Literarischer Karneval. Groteske Motive in E. T. A. Hoffmanns „Prinzessin Brambilla“, in: E. T. A. Hoffmann-Jahrbuch, III, 1995,15-30, hier 126.

[5] Ellinger, Georg: Einleitung zum Teil X der Werke von E.T.A. Hoffmann, Berlin u. a.: Bong o. J., 8f.

[6] Heinrich Heine: Sämtliche Schriften, III, hrsg. von Norbert Miller, München: Hanser 41980, 66. Es wird jedoch vertreten, dieser Satz sei nur ein Aphorismus, keine Begründung eines Werturteiles gewesen, so Hartmut Steine>

[7] vgl. Detlev Kremer: E. T. A. Hoffmann. Erzählungen und Romane, Berlin: Schmidt 1999, 127.

[8] vgl. Hans Dieter Zimmermann: „Der junge Mann leidet an chronischem Dualismus“. Zu E. T. A. Hoffmanns Capriccio „Prinzessin Brambilla“, in: Heinz Ludwig Arnold (Hrsg.): E. T. A. Hoffmann., München: Edition Text + Kritik 1992, 97-111, hier 97.

[9] Gustav Egli, E. T. A. Hoffmann. Ewigkeit und Endlichkeit in seinem Werk, Zürich, Leipzig, Berlin: Orell Füssli Verlag 1921, 125.

[10] Klaus Deterding: Die Poetik der inneren und äußeren Welt bei E. T. A. Hoffmann. Zur Konstitution des Poetischen in den Werken und Selbstzeugnissen, Frankfurt u. a.: Lang 1991, 285.

[11] Paul Ernst 1899, zit.n. Claudio Magris. Die andere Vernunft. E. T. A. Hoffmann, Königstein: Hain, 1980, 81.

[12] Kurt Willimczik: E. T. A. Hoffmann. Die drei Reiche seiner Gestaltenwelt, Berlin: Junker und Dünnhaupt Verlag 1939, 299.

[13] Schlegel, zit.n. Kremer, Erzählungen, 133.

[14] Dieses vom italienischen und französischen caprice = Laune, Bocksprung abgeleitete Wort steht in der Musik für ein launiges Stück, in der Malerei für eine rasch skizzierte Landschaft mit oder ohne Figuren in ausgesprochen heiterer Stimmung, vgl. Lingen-Verlag: Das neue Universal-Lexikon, I, Köln: Lingen-Verlag 1973, 293. In der Literatur versteht man darunter „ein phantasievolles Prosastück, das diesen Namen zumeist im Untertitel führt“, Gerhard Kwiatkowski: Die Literatur, Mannheim u. a.: Dudenverlag 21989, 86.

[15] Bonaventura Tecchi: E. T. A. Hoffmanns „Prinzessin Brambilla“, in: Benno Reifenberg und Emil Staiger (Hrsg.): Weltbewohner und Weimaraner, Zürich: Artemis-Verlag 1960, 301-316, hier 306.

[16] Kremer, Erzählungen, 129.

[17] vgl. Tecchi, Brambilla, 301.

[18] vgl. Kremer, Erzählungen, 127.

[19] vgl. Ingrid Strohschneider-Kohrs: Die romantische Ironie in Theorie und Gestaltung, Tübingen: Niemayer 1997, 370.

[20] zit.n. Strohschneider-Kohrs, Romantische Ironie, 371.

[21] Die Zitierungen in Klammern im Text beziehen sich auf E. T. A. Hoffmann: Prinzessin Brambilla. Ein Capriccio nach Jakob Callot, hrsg. von Wolfgang Nehring, Stuttgart: Reclam 1995. Zur besseren Auffindbarkeit der Zitate auch in anderen Ausgaben und um eine schnellere Zuordnung zu gewährleisten, wurde jeweils in römischen Ziffern das Kapitel mitangegeben.

[22] vgl. Strohschneider-Kohrs, Romantische Ironie, 372.

[23] vgl. ebd. 373.

[24] Brigitte Feldges und Ulrich Stadler: E. T. A. Hoffmann. Die Epoche - Werk - Wirkung, München: Beck 1986, 125. Siehe auch Kapitel 4.3.

[25] Steinecke, Kunst der Fantasie, 456.

[26] vgl. Nehring, Wolfgang: Nachwort, in: E. T. A. Hoffmann: Prinzessin Brambilla. Ein Capriccio nach Jakob Callot, Stuttgart: Reclam 1995, 161-171, hier 167.

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Künstlich geordnete Verwirrung in E.T.A. Hoffmanns "Prinzessin Brambilla"
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz  (Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaften)
Veranstaltung
Hauptseminar Das Buch im Buch
Note
1,3
Autor
Jahr
2006
Seiten
24
Katalognummer
V55768
ISBN (eBook)
9783638506366
ISBN (Buch)
9783638663847
Dateigröße
509 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Thema soll die Klärung der Frage sein, wie und mit welchen Mitteln E. T. A. Hoffmann jene 'künstlich geordneten Verwirrung' herbeiführt, die Leser und Kritiker gleichermaßen verwirrt und verärgert, jedenfalls beeindruckt, ohne ihn jedoch gänzlich allein zu lassen. Dazu wird auf die Struktur des Capriccios eingegangen, wobei eine weitere, in der Literatur bisher nicht genannte Erzählebene eingeführt wird, sowie auf die Leseranrede und die Aufspaltung der Personen wie auch ihre Benennung.
Schlagworte
Künstlich, Verwirrung, Hoffmanns, Prinzessin, Brambilla, Hauptseminar, Buch
Arbeit zitieren
Eike-Christian Kersten (Autor:in), 2006, Künstlich geordnete Verwirrung in E.T.A. Hoffmanns "Prinzessin Brambilla", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/55768

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