Emir Kusturica als Autorenfilmer - Eine Untersuchung von 'Underground'


Hausarbeit (Hauptseminar), 2003

31 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Produktion von „Underground“
1.1. Technische Daten
1.2. Inhalt des Films
1.3. Visuelle Gestaltung

2. Deutungsansätze
2.1. Subtexte
2.2. Das Thema des Untergrundes
2.3. Die Wirklichkeit und Illusion in „Underground“

3. Autorenfrage
3.1. Definition „Autorenfilm“
3.2. Biografie Kusturicas
3.3. Kusturicas Arbeitsweise

4. Zusammenfassung

Literaturverzeichnis

Einleitung

In der heutigen Kinolandschaft, so hat es den Anschein, steht für die Filmindustrie in erster Linie die Publikumswirksamkeit ihrer Filme im Vordergrund.

Durch die blockbuster- Strategien vor allem amerikanischer Filmstudios schienen und scheinen die rein künstlerisch ambitionierten Projekte einzelner Regisseure von den Leinwänden verdrängt zu werden.

Aufgrunddessen können anspruchsvolle Außenseiterproduktionen auch durch Festivalerfolge und gute Kritiken nicht das große Publikum erreichen, das sie womöglich verdienen.

Dennoch scheinen es in der Vergangenheit die Werke individueller Filmkünstler, wie z.B. Hitchcock, Truffaut und Godard, gewesen zu sein, die sich aufgrund ihrer kreativen Handschrift von der Masse des mainstream-Kinos absetzen konnten. Auch deshalb war ich daran interessiert, das Hauptseminar „Autorenfilm“ zu besuchen und so einen Film eines jugoslawischen Regisseurs als Autorenfilm vorstellen zu können. Ein einstündiger Vortrag über den Film „Underground“ reicht bei weitem nicht aus, diesen Film aus verschiedenen Aspekten zu untersuchen und ihn zu verstehen. Die vorliegende Arbeit konzentriert sich darauf, die Handschrift des Regisseurs Emir Kusturica zu analysieren, seinen Weg als Filmemacher zu studieren und diesen Film als Autorenfilm zu kennzeichnen. Im Zentrum der Arbeit steht das dreistündige Filmepos „Underground“. Der Film thematisiert u.a. die globale Manipulation und zeigt diese am Beispiel der Geschichte Jugoslawiens. Es ist jedoch keine „reale“ Geschichte, sondern ein Gleichnis, das auf eigenwillige, märchenhafte Weise von den Lügen, Missverständnissen und Legenden einer Kellergesellschaft erzählt. Nahezu jede Person, jeder Ort und jede Sequenz in diesem Film repräsentieren symbolhaft einen Kommentar Kusturicas. Diese zahlreichen Symbole und Metaphern zu entschlüsseln ist das Ziel meiner Analyse.

Zu dieser Einleitung muss ich hinzufügen, dass, obwohl Emir Kusturica seinen Platz unter den bedeutenden Regisseuren des zeitgenössischen Films hat, noch keine Publikationen in deutscher Sprache zu seinen Filmen existieren. Im serbisch- und im englischsprachigen Raum, so wie im französischen, sind einige wenige Publikationen zu seiner Filmkunst vorhanden. Für meine Untersuchungen und Analysen verwendete ich die fünf bisherigen Kinofilme des Regisseurs, fremdsprachige Literatur, Zeitungen und Zeitschriften, allgemeine Filmliteratur und Pressehefte, so wie Interviews und Internetquellen.

1. Produktion von ‚Underground’

1.1. Technische Daten

Der Originaltitel des Films „Underground“ heißt „Podzemlje – Bila jednom jedna zemlja“ und würde übersetzt „Untergrund- es war einmal ein Land“ heißen.

Dieser Film ist eine Co-Produktion von „Ciby 2000“ Paris mit „Pandora Film“ Frankfurt, „Novo Film“ Budapest, „Komuna Srbija“, „Tschaplin films“ und „RTV Srbija“. Nach achtmonatiger Vorbereitungszeit begannen im Oktober 1993 die Dreharbeiten in Prag. Es wurde 212 Tage gedreht, u.a. in Prag, Sofia und Belgrad. Der Film wurde rechtzeitig für das Filmfestival in Cannes fertig gestellt, Ende Januar 1995.

Emir Kusturica führte Regie und arbeitete zusammen mit Dusan Kovacevic an dem Drehbuch. Dusan Kovacevic studierte an der Theater-Akademie in Belgrad, und hat in der Zeit nach seinem Abschluss zwölf Theaterstücke und zehn Drehbücher verfasst. Die Kamera wurde von Vilko Filac geführt, einem langjährigen Freund Kusturicas, mit dem er bereits bei seinen anderen Filmprojekten zusammen gearbeitet hatte. Die Musik wurde von Goran Bregovic komponiert, der ebenso wie Filac ein langjähriger Freund Kusturicas ist und für dessen frühere Filme die Musik schrieb.

Die Darsteller in „Underground“ sind allesamt ausgebildete Schauspieler und von hohem Bekanntheitsgrad in Ex-Jugoslawien. Lazar Ristovski spielt Blacky, Predrag Miki Manojlovic ist zu sehen als Marko, Mirjana Jokovic als Natalija, und Srdjan Todorovic als Sohn Jovan. Slavko Stimac spielt Ivan, Milena Pavlovic spielt Jelena und Ernst Stötzner stellt den deutschen Franz dar.

Der Film hat als Kino-Version eine Länge von 192 Minuten, jedoch hat Kusturica Material für eine sechsstündige Version des Films.

1.2. Inhalt des Films

Vordergründig wird die Geschichte einer Gruppe von Partisanen präsentiert, die sich in einem Keller einige Tage vor den deutschen Besatzern verstecken wollten. Jedoch bleibt diese Gruppe jugoslawischer Widerstandskämpfer zwanzig Jahre lang im Versteck, weil sie nach der Beendigung des Krieges weiterhin belogen wurden über den Stand des Krieges. Es wurde ihnen verheimlicht, dass Hitler besiegt und der Krieg beendet wurde.

Die Eingangsszene des Films stellt die beiden Protagonisten Blacky und Marko vor, zwei beste Freunde. Kusturica nimmt sich viel Zeit um in dieser Szene die Lebensart und Gemüt dieser zwei Protagonisten zu zeigen. Sogar den Bombenangriff nehmen seine Protagonisten gelassen, indem sie sich bei ihren alltäglichen Morgenbeschäftigungen nicht stören lassen. In der Morgenszene werden während der Bombardierung Belgrads durch die Deutschen am 6. April 1941 auch die übrigen Protagonisten vorgestellt. Die Grausamkeit der Bombardierung zeigt Kusturica durch die Bilder des Zoos in Belgrad. Ivan, der Tierwärter des Zoos, sein Bruder Marko, dessen bester Freund Blacky und Natalija sind die Hauptprotagonisten dieser Geschichte. Als die Deutschen Belgrad besetzen, begeben sich die Partisanen, darunter Marko, Ivan und Blacky, in den Untergrund und bauen Waffen für den Widerstand. Blackys Frau stirbt dort bei der Geburt ihres Sohnes Jovan. Natalija schwankt wankelmütig zwischen drei verschiedenen Verehrern. Indem Marko und Blacky gleichzeitig Interesse an Natalija haben, führt Kusturica das erste Mal im Film einen Zwiespalt zwischen den Freunden ein. Marko versteckt, nach einem feindlichen Vorfall gegen den Leutnant Franz, seinen Freund Blacky im Untergrund. Auch nachdem der Krieg vorbei und Belgrad von den Kämpfern Titos befreit worden ist, denkt Marko nicht daran, den genesenen Blacky aus dem Untergrund zu holen. Marko täuscht den Genossen im Keller den Fortgang des Weltkrieges vor. Er und seine Frau Natalija bereichern sich durch Produktion und Waffengeschäft der Unterkellergesellschaft. Erst im Jahr 1961 bricht das Schattentheater im Untergrund zusammen. Marko und Natalija flüchten in den Westen. Dreißig Jahre später, im Jahr 1991, nach einem langen Aufenthalt in einem psychiatrischen Krankenhaus, erfährt Ivan von der betrügerischen Manipulation seines Bruders und sieht zugleich das neue Drama, wieder ein Krieg, welches sein Land zerstört. Indem er das alte Tunnelnetz benutzt, kehrt er nach Slawonien zurück, wo Blacky eine Kommandoeinheit anführt. In einem zerstörten Dorf trifft Ivan auf Marko. In verzweifelter Wut erschlägt Ivan seinen Bruder. Danach erhängt sich Ivan im Glockenturm einer Kirchenruine. Blacky, der von seinen Soldaten gehört hat, dass Kriegsprofiteure gefangen wurden, gibt unwissend, dass es sich um Marko und dessen Frau handelt, den Befehl sie zu vernichten. Die Erkenntnis, diese zwei wichtigsten Menschen in seinem Leben getötet zu haben, versetzt Blacky in Verzweiflung. Er kehrt in den Keller zurück, der inzwischen seit dreißig Jahren verlassen und zerstört dagelegen hatte, und folgt der Stimme seines verstorbenen Sohnes durch einen Brunnenschacht, hinaus in die Donau, wo er zu einer fröhlichen und imaginären Wiedervereinigung aller Toten ans Ufer des Flusses gelangt. Es treffen sich an diesem Ort alle geliebten sowie verachteten Personen wieder zusammen.

1.3. Visuelle Gestaltung

Emir Kusturicas Werk gleicht dem eines Malers, der nicht mit dem Pinsel, sondern mit einer Kamera malt.[1]

Er bezieht sich auf Fellini, Tarkowskij, Capra, Bunuel, Ford und Renoir, wenn man ihn nach seinen Favoriten und Mentoren fragt. Zugleich betont er seine Nähe zum italienischen Neorealismus, dem französischen poetischen Realismus und der russischen Kinematografie.[2]

Kusturica benutzt häufig in seinen Filmen Stilelemente, die man vielleicht schon mal bei einem anderen Autorenfilmer gesehen hat, jedoch sieht man diese Elemente überarbeitet und variiert, so dass sie schnell als Bestandteile einer persönlichen cineastischen Handschrift Kusturicas erscheinen.

Ein häufig wiederkehrendes Detail der visuellen Gestaltung in Kusturicas Film sind Kreisbewegungen. So stehen die Musiker auf der Hochzeitsfeier von Blackys Sohn auf einer Drehbühne. Marko und Natalija kreisen am Kronleuchter hängend durch das Zimmer, und leben so ihre dekadenten Ekstasen aus. Die zwei Freunde und Natalija bilden, während sie zusammen „Von der Sonne und dem Mond“ singen, tanzend einen Halbkreis über der Kamera. Die aufgeregten Tiere im Zoo laufen, kurz vor der Bombardierung Belgrads, aufgescheucht im Kreis herum. Der elektrische Rollstuhl kreist brennend um ein kopfüber hängendes Kruzifix. In der Eingangszene tanzt und taumelt der betrunkene Marko um den Dorfbrunnen.

Die Ebenen der Mise-en-scene sind es, mit denen der Filmemacher seinen Bildern Bedeutung verleiht und sie somit für das Verständnis des Zuschauers vorprägt.

Alle Ebenen, die innerhalb eines gemalten oder fotografierten Bildes wirksam werden, ausgenommen der Zeitfaktor, finden sich auch im filmischen Bild. Im wesentlichen sind es die drei Faktoren Farbe, Linie und Form.[3]

In ‚Underground’ hat Kusturica die Farben nach deren Bedeutungen, entsprechend dem Ort und dem Geschehen, symbolhaft eingesetzt.

In Underground erscheint die Welt über der Erde in den vollen Farben der Alltagswirklichkeit. Die Welt darunter wird in den ausgewaschenen theatralischen Farben von Manipulation und Lüge gezeigt.[4]

Die Kamera blickt häufig durch ein Fenster oder beobachtet die Geschehnisse über den Umweg eines Spiegels. Einige der Charaktere erscheinen so eingerahmt, als wären sie Gefangene in einem Periskop. Diese Elemente kann man auch bei Tarkowskij in seinem Werk „Mirror“ betrachten. So stellt beispielsweise Marko, nachdem er einer Frau eine Rose in das Gesäß gesteckt hat, drei Spiegel auf, um sich daran dreifach zu erfreuen.

Marko hat die Spiegel benutzt und die Wirklichkeit manipuliert, um seine sexuellen Obsessionen auf Distanz zu halten und sie gleichzeitig zu befriedigen. Mit Hilfe eines Spiegels oder eines Fensters erhält man außerdem eine Bildtiefe, die auch den Charakteren eine größere psychologische Tiefe verleiht.[5]

Wie die meisten visuellen Künstler komponiert ein Regisseur das filmische Bild in drei Dimensionen. Dies bedeutet, dass es drei Ebenen gibt. Eine Dimension ist die Bildebene, diese ergibt sich aus der Selbstverständlichkeit der zweidimensionalen Fläche, die dem Bild innewohnt. Die zweite beschäftigt sich mit der Geografie des Raumes, welcher fotografiert wird, seine Ebene ist die horizontale und die dritte betrifft den Bereich der Tiefen-Wahrnehmung, es ist die vertikale Linie.[6]

Ich plane jede Szene gleichzeitig horizontal und vertikal. Wenn man etwas auf der Leinwand abbildet, verändert man die Realität und die Perspektive dessen, was man sieht.[7]

In ‚Underground’ kommt durch die beiden Ebenen, Außenwelt und Untergrund, der vertikalen Linie eine weitere, eine narrative Bedeutung zu. Sie stellt die Verbindung zwischen Oben und Unten her und findet ihren bildhaften Ausdruck im Brunnenschacht, im Materiallift, in der Treppe und im Teleskop.

Die horizontale Linie findet ihren bildhaften Ausdruck häufig im Kanonenrohr und dem Gewehrlauf.

Bei Underground ist es vielleicht das erste Mal, dass sich die vertikalen Linien perfekt in den Film integrieren, und sie integrieren sich auch perfekt ins Thema. Wir haben die Welt des Undergrounds und wir haben die Welt oben, das ist schon eine vertikale Linie.

Ich habe bereits bei meinem ersten Langfilm "Dolly Bell" an die vertikale Linie gedacht. Es gibt eine Szene am Beginn, wo der Regen auf das Dach fallt. Es gibt Löcher im Dach, durch welche der Regen dringt. In dem Moment in dem ich diesen Regen filmte, begann ich an die vertikale Qualität des Kinos zu denken. Jetzt bin ich wirklich angekommen in der Welt, die an der Oberfläche existiert und einer Welt, die es tief unten im Untergrund gibt.[8]

Die Form eines Films ist daher eng mit den räumlichen Beziehungen verknüpft. Zwei wesentliche Aspekte hierbei sind die Begrenzung, die der Bildkader setzt, und die Bildkomposition innerhalb dieses Kaders. Da der Bildkader die Grenze des gefilmten Bildes festsetzt, bestimmt die Wahl eines Bildformates bereits die Kompositionsmöglichkeiten.

[...]


[1] Vgl. Iordanova, Dina (2002), S. 130.

[2] Vgl. Ebd. S. 132.

[3] Vgl. Monaco (1993), S. 164.

[4] Prock, Andrea (1998), S. 49.

[5] Ebd, S. 49.

[6] Vgl. Monaco (1993), S. 164 ff.

[7] Gocic, Goran (2001), S. 149.

[8] Ebd S. 149

Ende der Leseprobe aus 31 Seiten

Details

Titel
Emir Kusturica als Autorenfilmer - Eine Untersuchung von 'Underground'
Hochschule
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn  (Germanistisches Seminar)
Veranstaltung
Hauptseminar: Autorenfilm
Note
2,0
Autor
Jahr
2003
Seiten
31
Katalognummer
V55756
ISBN (eBook)
9783638506281
ISBN (Buch)
9783640987368
Dateigröße
545 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Emir, Kusturica, Autorenfilmer, Untersuchung, Underground, Hauptseminar, Autorenfilm
Arbeit zitieren
Olga Buchholz (Autor:in), 2003, Emir Kusturica als Autorenfilmer - Eine Untersuchung von 'Underground', München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/55756

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