Citizen Soldier und Staatsbürger in Uniform - ein Vergleich soldatischer Leitbilder für Demokratien


Vordiplomarbeit, 2004

28 Seiten, Note: 1,8


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Citizen Soldier und Staatsbürger in Uniform – ein Vergleich soldatischer Leitbilder für Demokratien

Der Staatsbürger in Uniform

Der citizen soldier

Vergleich

Citizen soldier und Staatsbürger in Uniform – Ausblicke in die Zukunft

Literatur

Citizen Soldier und Staatsbürger in Uniform – ein Vergleich soldatischer Leitbilder für Demokratien

Als sich der Warschauer Pakt am 01. Juli 1991 auflöste, markierte dies nicht nur das Ende eines Systems, sondern auch einer militärischen Macht, die ihren Einflussbereich 46 Jahre durch den Vormarsch der Sowjetarmeen im 2. Weltkrieg über Mittel- und Osteuropa östlich der Elbe ausgedehnt hatte. Die Auflösung, die sich bereits in den Jahren 1989/90 abgezeichnet hatte, bedeutete das Ende des Kalten Krieges.[1]

Sie bedeutete auch das Ende eines jahrzehntelangen Wettrüstens sowohl der konventionellen, als auch der nuklearen Arsenale des Ost- als auch des Westblocks. Abrüstung und Rüstungskontrollen sowie Vertrauensbildung auf den Grundlagen von Ausgewogenheit und gegenseitiger Nachprüfbarkeit ermöglichten einerseits einen politischen und militärischen Transformationsprozess, der das Ende sich gegenüberstehender Bündnissarmeen bedeutete, andererseits entstanden durch den Wegfall des Antagonismus und die damit verbundenen Umwälzungen auch neue Konflikte und außenpolitische Risiken für die westlichen Industriestaaten. Bürgerkriegsszenarien (vgl. ehemaliges Jugoslawien seit 1991[2] ), humanitäre Katastrophen (vgl. Somalia 1993) und das Erstarken der Bedrohung durch international agierende nichtstaatliche Akteure, stellen neue Anforderungen an moderne Streitkräfte.[3] Entsprechende Reaktionen erfordern nun auch von europäischen Staaten wie Deutschland die Teilnahme an Einsätzen und Interventionen außerhalb des Landes- oder Bündnisterritoriums, so genannte „Out of Area“ -Einsätze.[4] Für das Militär der Vereinigten Staaten von Amerika ist der Kampf nicht mehr um das eigene Territorium, sondern auf Grund des politischen Willens des Staates, seit dem Eintritt der USA in den 1. Weltkrieg im April 1917 nicht mehr fremd. Im Laufe der Zeit, nach dem 2. Weltkrieg und unter dem Eindruck des gescheiterten Vietnam- Engagement zeichnete sich eine gegenseitige Abgrenzung zwischen der amerikanischen Gesellschaft und ihrer Streitkräfte ab. Diese waren seit der amerikanischen Revolution durch das Bild des „citizen soldiers“, des Bürgersoldaten, stets eng verbunden gewesen. Scharfe politische Gegensätze großer Teile der Gesellschaft einerseits und der politischen und militärischen Führung andererseits während des Vietnamkrieges fügten der Figur des citizen soldiers großen Schaden zu.[5]

In Deutschland ist die Figur des „Staatsbürgers in Uniform“, der in der Gesellschaft durch Erleben derselben verankerte Soldat, nach dem 2. Weltkrieg Leitbild der Integration in der Gesellschaft geworden.[6] Obwohl unter vollkommen unterschiedlichen Bedingungen entstanden, soll diese Konzeption, ähnlich der des „citizen soldiers“, die Rolle des Soldaten in der Gesellschaft integrativ bestimmen. Die Orientierung in der Gestaltung des militärischen Dienstes an den freiheitlichen Grundrechten eröffnet dem Soldaten eine Orientierung an gesellschaftlichen Werten und soll so eine moralische Sonderstellung des Militärs, wie in der Vergangenheit erlebt, verhindern.[7]

Strategischer Hintergrund bei der Entstehung beider Bilder war die Erwartung eines Aggressors von außen in Form eines zeitgemäßen Kriegsbild.

Thema dieser Arbeit ist, die Leitfigur des Staatsbürgers in Uniform und das in der National Guard und den Reservisten weiter bestehende Prinzip des citizen soldiers, auf ihre militärische Angemessenheit einerseits, ihre historische und, in Ansätzen, auch ihre zukünftige Rolle in der Bestimmung zivil-militärischer Beziehungen andererseits im Rahmen der veränderten sicherheitspolitischen Lage und daraus resultierendem Aufgabenfeld zu untersuchen. Eine vom amerikanischen Militärsoziologen Morris Janowitz erneuerte Form des „citizen soldiers“ soll hierbei auch nicht ohne Betrachtung bleiben. Zu diesem Zweck werden in den ersten zwei Abschnitten beide Leitbilder umrissen und versuchsweise definiert. Im dritten Teil soll im direkten Vergleich die Ähnlichkeit und gleichzeitige Unterschiedlichkeit beider Systeme dargestellt werden. Der vierte und letzte Teil reißt die Zukunftsfähigkeit beider Soldatenbilder an, gerade im Hinblick auf die zu erwartenden Formen militärischer Auseinandersetzungen.

Der Staatsbürger in Uniform

Nach der militärischen Niederlage Deutschlands 1945 wurde die Einigkeit der Kriegskoalition von einer Konfrontation der Großmächte in West und Ost abgelöst. Vor dem Hintergrund des beginnenden Wettrüstens der Blöcke rückte das militärische Potenzial der Deutschen, die man in zwei Weltkriegen kennen gelernt hatte, in das Interesse der Weltmächte. Eingebunden in ein kollektives Sicherheitssystem sollte die junge Bundesrepublik Deutschland[8] einen Beitrag zur Abwehr der sowjetischen Machtausbreitung leisten. Dieses Vorhaben stieß allerdings zu Anfang auf Widerstand, sowohl auf europäischer, als auch auf innerdeutscher Ebene. Frankreich und England waren die Auswirkungen der militärischen Leistungen Deutschlands noch in schmerzlicher Erinnerung. Innerdeutsch war neben einer allgemeinen Militärmüdigkeit die Sorge groß um ein Widererstarken antidemokratischer Kräfte, ähnlich der Reichswehr in der Weimarer Republik. Ein weiteres Hauptargument war die Ansicht, mit der Wiederbewaffnung würde eine Westbindung der Bundesrepublik einhergehen, und damit ein Hindernis zur Wiedervereinigung werden. Trotzdem ließ Konrad Adenauer, erster Bundeskanzler der BRD, seit Mai 1950 verdeckt die Aufstellung deutscher Truppenkontingente vorbereiten.

Am 5. Oktober trat im Kloster Himmerod in der Eifel eine 15-köpfige Expertengruppe, bestehend aus ehemaligen Wehrmachtsoffizieren zusammen, um sich mit der Aufstellung eines deutschen Kontingents zur Verteidigung Westeuropas zu befassen. Zu dieser Tagung war auch Major a. D. Wolf Graf von Baudissin eingeladen worden, um Fragen der ethnischen und moralischen Legitimität des zukünftigen deutschen Soldaten mit zu behandeln. Er machte zur Bedingung seiner Kooperation „…die 1819 stecken gebliebene Reform von Scharnhorst und Gneisenau wieder aufzunehmen.“[9] Diese Grundlage steuerte einer Restaurierung von Korpsgeist und elitärer Besonderheit, wie in der deutschen Militärgeschichte immer geltend war, entgegen zugunsten einer Notwendigkeit grundgesetzkonformer Neuorientierung. Baudissin bezog sich auf die damals gescheiterten Teile der preußischen Heeresreform, welche „eine Unterwerfung des Militärs unter die Maximen des Zeitgeist […] eingebunden in ein repräsentatives Verfassungssystem“ und „der institutionalisierten Sicherung der Ehre auch des gemeinen Mannes“[10] forderten. Hierbei interpretierte er die „Ehre des gemeinen Mannes“ als die Grundrechte, welche im noch jungen Grundgesetz beschrieben waren.[11] Obwohl vielen der Teilnehmer diese Grundlagen viel zu revolutionär waren, und sich Baudissin dadurch gerade unter jenen, welche als Traditionalisten eine Restaurierung des bewährten Systems der Vergangenheit anstrebten,[12] keine Freunde machte, trägt der fünfte Abschnitt, „Inneres Gefüge“ der Himmeroder Denkschrift seine Handschrift.[13] Die Notwendigkeit der Einbindung in das europäische System, der grundlegende Bruch mit der Wehrmacht und die Forderung, „das Deutsche Kontingent darf nicht ein ‚Staat im Staate’ werden. Das Ganze wie der Einzelne haben aus innerer Überzeugung die demokratische Staats- und Lebensform zu bejahen“[14] als Ausdruck des noch abstrakten Begriffs des Primat der Politik finden sich hier als Grundlagen späterer Entwicklungen wieder.

Die eigentliche Konzeptionsphase begann im Mai 1951, als Major a. D. Graf von Baudissin zum Referenten für das Innere Gefüge in der Dienststelle Blank ernannt wurde. Hier prägte man zwischen 1952 und 1953 die Begriffe der „Inneren Führung“ und des „Staatsbürgers in Uniform“, als Antwort auf die in Himmerod geforderte Möglichkeit eines Bündnisses „zwischen demokratischer Idee und soldatischer Notwendigkeit“ (General a.D. Graf Kielmansegg)[15]. Die Begrifflichkeit der „Inneren Führung“ setzte sich allerdings erst 1957 durch, als rechtlich die Grundlagen für den Aufbau der neuen Armee gelegt wurde und der „Staatsbürger in Uniform […] unmittelbar geltendes Recht“[16] wurde. Dieses Gesamtkonzept war allerdings auch nicht an einem Tag zustande gekommen, sondern es resultierte aus der Zusammenfügung einer Vielzahl von Überlegungen, von denen viele dem Bemühen entsprangen, Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen. Trotzdem ist es „erstaunlich stimmig“[17].

Diese zentrale Figur des Baudissinschen Konzepts, der Inneren Führung ist der Staatsbürger in Uniform. Als Soldat des Friedens sollte er das frühere Selbstverständnis des Soldaten, den Krieg als Existenzberechtigung, als ein im Nuklearwaffenzeitalter überholtes Modell ersetzen. Eine Verteidigungsarmee sollte nur noch friedenssicherndes und Aggressor abschreckendes Instrument sein.[18] Dadurch, dass der Bürger als Soldat in seiner Dienstzeit die gleichen Rechte und Werte, die er auch als ziviles Mitglied der Gesellschaft erfährt, erlebt, sollte er nicht in erster Linie in der Unterscheidung Soldat/Zivilist kategorisieren, sondern beides als „zwei Aggregatzustände des Gleichen“[19] ansehen. Durch diese Verwurzelung in der Gesellschaft solle eine Motivationsgrundlage gebildet werden und ein Verständnis der Notwendigkeit des Schutzes für dieses System schaffen. So sollte auch die Einsicht des sich Ein- und Unterordnen erleichtert werden. Man setzte auf ein Verständnis, auf ein „Dienen aus der Überzeugung, das Rechtmäßige zu tun“[20]. Insbesondere die Möglichkeit der Partizipation am politischen und gesellschaftlichen Geschehen in einer Demokratie soll einen Anreiz zur Übernahme von Verantwortung für diese Gesellschaft darstellen.[21] Die Rechte der Dienstleistenden sollten nur eingeschränkt werden, wo es die Besonderheiten des militärischen Handwerkes unbedingt erfordern.[22] Dieses staatsbürgerliche Bewusstsein sollte die Armee in die Gesellschaft integrieren und die deutsche militärgeschichtliche Tradition des selbstelitären Verständnisses unterbinden. An dessen Stelle tritt das Verständnis der gemeinsam Waffendienst leistenden Bürger. Diesem und der im Grundgesetz verankerten Gleichwertigkeit aller Menschen hätte ein Standesunterschied zwischen den Soldaten, insbesondere zwischen den Dienstgradgruppen, unvereinbar entgegengestanden. So sollte es in einer demokratischen Armee kein Verhältnis mehr zwischen rechtlich unterschiedlichen Menschen, sondern ein Verhältnis zwischen gleichberechtigten Kameraden in verschiedene Funktionen geben, die Auftrag und Verantwortung teilen.[23]

Natürlich war den Schöpfern der Inneren Führung klar, dass „die Jugend – und sicher auch ein Teil der Berufssoldaten – die Kasernen nicht als (bewusste) Staatsbürger betreten“[24]. Um allerdings das Bild des Staatsbürgers in Uniform fassen zu können und diesem Leitbild zu folgen „müssen sie Staatsbürger werden, um ihre soldatische Aufgabe recht erfüllen zu können.“[25] Der ihm übertragene Verantwortung soll der Soldat sich durch Erziehung bewusst werden[26]. Das bedeutete in der Praxis die Einrichtung eines regelmäßigen Unterrichts. Vorgesetzte sollten ihre Soldaten zum Mitdenken und verantwortungsbewusstes Handeln in jeder Rangstufe anhalten, um einen von Baudissin geforderten „kooperativen und partizipatorischen Führungsstil“ zu ermöglichen.[27] In dieser Forderung steckt auch der Wille der Gefahr des Kadavergehorsams entgegenzuwirken. Gleichzeitig sichert es die Praktikabilität des Prinzips der Auftragstaktik, welches von früheren deutschen Armeen übernommen wurde.[28] Hierbei soll der Soldat die ihm zur Verfügung stehenden Mittel und Informationen nach eigenem Ermessen einsetzen, um den ihm gegebenen Auftrag zu erfüllen.[29]

Diese Vielfalt an Aufgaben und Vorgaben, neben der zusätzlichen militärischen Fachlichkeit, erfordern als Vorgesetzter eine starke Persönlichkeit. Er insbesondere bekam mit Baudissins Konzept eine vollkommen neue Verpflichtung zugeschrieben: die Toleranz, insbesondere gegenüber politisch Andersdenkender[30]. Daneben tritt die Vorraussetzung zur Eignung als Führer und Erzieher, zur Menschenführung. Um den unterstellten Soldaten als Führer und Ausbilder, neben militärfachlicher Ausbildung auch das Postulat des „Staatsbürger in Uniform“ nahe zu bringen, wurde der demokratisch gefestigte Vorgesetzte benötigt, der das Postulat auch bemüht war vorzuleben. Dieser musste in der Lage sein, insbesondere in der politischen Bildung einen Widerspruch gelten zu lassen, ohne das Prinzip von „Befehl und Gehorsam“ gefährdet zu sehen. Aus diesem Ansatz heraus wird Baudissin bei der Erstellung seines Konzeptes im Hinblick auf die Offiziersausbildung konkret. Ziel der Ausbildung sollte es sein, „sich Grundlagen an Wissen […] anzueignen, die ihn [den Offizier, Anm. v. Autor] befähigen, seine verantwortungsvolle Aufgabe als Erzieher und Führer junger Soldaten zu erfüllen.“[31] Der Erziehungsprozess soll dabei aber nicht in eine Richtung laufen, sondern gerade im Bereich der politischen Bildung einen austauschenden Charakter haben, damit die Erziehung als kommunikativer Prozess gestaltet werden kann.[32] Ein weiteres Novum sollte es sein, dass der Vorgesetzte, im Sinne des oben beschriebenen kooperativen Führungsstils, seine Anweisungen nicht nur zu geben, sondern auch rational zu begründen hatte.

[...]


[1] Immisch 1995: S. 260

[2] Buchbender 2000: S. 35

[3] Ebenda: S. 319

[4] Ebenda: S. 276

[5] von Bredow 1991:S. 320

[6] Weißbuch 1970: S. 121

[7] Linnenkamp/Lutz 1995: S. 27f

[8] Im weiteren BRD genannt

[9] Linnenkamp/Lutz 1995: S.22

[10] Kister/Klein 1989: 15

[11] Ebenda: S.15

[12] Linnenkamp/Lutz 1995: S. 44

[13] Heinemann: Die Denkschrift Abschnitt V

[14] Ebenda: Die Denkschrift Abschnitt V

[15] Wegweiser Traditionspflege 4.3

[16] Meyer 1993: S. 975

[17] von Bredow 1991: S. 321

[18] Linnenkamp/Lutz 1995: 13

[19] von Baudissin 1982: S. 166

[20] Ilsemann 1971: S. 23

[21] Ebenda: S. 23

[22] von Baudissin 1969: S. 25

[23] Ebenda: S. 206

[24] Linnenkamp/Lutz 1995: 37

[25] Ebenda: S. 37

[26] ZDv 10/1: Punkt 215

[27] von Baudissin 1982: S. 166

[28] ZDv 10/1: Punkt 203

[29] Georgi 2003: S. 34f.

[30] Kister/Klein 1989: 24

[31] Kistner/ Klein 1989: 28

[32] Ebenda: S. 31

Ende der Leseprobe aus 28 Seiten

Details

Titel
Citizen Soldier und Staatsbürger in Uniform - ein Vergleich soldatischer Leitbilder für Demokratien
Hochschule
Philipps-Universität Marburg
Note
1,8
Autor
Jahr
2004
Seiten
28
Katalognummer
V55562
ISBN (eBook)
9783638504751
ISBN (Buch)
9783656787129
Dateigröße
495 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Citizen, Soldier, Staatsbürger, Uniform, Vergleich, Leitbilder, Demokratien
Arbeit zitieren
Kristof Trier (Autor:in), 2004, Citizen Soldier und Staatsbürger in Uniform - ein Vergleich soldatischer Leitbilder für Demokratien, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/55562

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