Das prähistorische Gräberfeld von Niederkaina, östlich von Bautzen


Hausarbeit (Hauptseminar), 2006

56 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Forschungsgeschichte und Topographie

III. Das Gräberfeld – ein Überblick

IV. Bestattungsform und -ritus der nachgewiesenen Kulturstufen in Niederkaina

V. Aussagen zur Chronologie

VI. Aussagen zur Soziologie
a) Aussagen über anthropologische Aspekte im archäologischen Kontext

VII. Aussagen zur Demographie und zur Kontinuität in der Benutzung des Bestattungsplatzes

VIII. Verteilung der Gräber auf die Zeitstufen (Übersicht)

IX. Exkurs zu Chronologie, soziologischen und demographischen Aussagen nach B u c k (1988)

X. Literatur

XI. Abbildungen

XII. Abbildungsverzeichnis

I. Einleitung

Im Rahmen eines Hauptseminars am Institut für Ur- & Frühgeschichte an der Friedrich-Schiller-Universität zu Jena stand die Untersuchung einiger ausgewählter Gräberfelder der Eisenzeit auf dem Gebiet Mitteleuropas im Mittelpunkt der Betrachtung. Im Zentrum der wissenschaftlichen Darstellung sollte dabei die Auswertbarkeit hinsichtlich möglicher Aussagen über Chronologie, Soziologie und Demographie geprüft und abschließend in einem Referat und einer umfangreichen Hausarbeit erörtert werden. Die Grundlage für eine ausführliche Analyse bildete die erschöpfende Literatur und die bereitstehenden Grabungspublikationen. Eine kritische Betrachtung konnte letztlich – auch aus Gründen der recht knapp bemessenen Zeit – nur aus dem zur Verfügung stehenden schriftlichen Material der Ausgräber und Bearbeiter selbst, also ohne eigene Einsicht in das Fund- und Befundmaterial, gewonnen werden. Je nach den unterschiedlichen Methoden der Ausgräber und der Bearbeiter – die sicher auch durch die spezifischen Nöte der Zeit geprägt waren – gelang es unterschiedliche, teils nur recht unbefriedigende Aussagen zu machen. Die Schwierigkeiten lagen vor allem darin, dass gerade die wichtige anthropologische Bestimmung der Bestattungen, durch den recht unterschiedlichen Erhaltungsgrad, größten Teils unmöglich war oder die naturwissenschaftlichen Untersuchungsmöglichkeiten in Abhängigkeit des technischen Fortschrittes der Zeit noch keine zufriedenstellenden Resultate ergeben konnten. Ein essentielles Manko also, auf der Jagd nach Klärungsversuchen um die demographische Zusammensetzung damalig bestandener Populationen. Hinzu tritt der vieldiskutierte Unsicherheitsfaktor, der sich aus dem Fehlen bestimmter Bevölkerungsteile auf verschiedenen Gräberfeldern immer wieder augenfällig herausstellt. Häufig sind es gerade Kinderbestattungen die sich nicht oder nur schwerlich nachweisen lassen, obwohl die Geburten- bzw. Kindersterblichkeitsrate für die vorgeschichtlichen Epochen in der Literatur nicht selten mit einem hohen Prozentsatz von bis zu 35% angegeben wird. Da dieser Prozentwert allerdings ein recht unscharfer Filter für die Erzielung demographischer Ergebnisse ist und häufig einer zusätzlichen subjektiven Manipulation in der Anwendung unterliegt, sollte die wissenschaftliche Untersuchung der Gräberfelder vorerst darauf abzielen, das real v o r h a n d e Datenmaterial zusammenzutragen, um eine aussagefähige Sterbetafel zu erstellen. In dieser Sterbetafel gelingt es letztlich, das w i r k l i c h auswertbare Material überblicksmäßig zu veranschaulichen, Sterbewahrscheinlich- und Sterbehäufigkeit für die Intervallzeiträume wiederzugeben und die Anzahl „gleichzeitig“ Lebender im Intervallzeitraum anzugeben. Den Populationsanteil, der sich schlussendlich nicht aus dem Gräberfeldbefund herauskristallisieren lässt – den es aber in der Realität sicherlich gegeben haben mag, muss man konsequent ausblenden. Wissen wir doch, dass es z.B. im Kerngebiet der Jastorfkultur Gräberfelder gab, die eine geschlechterspezifische Belegung klar und deutlich aufzeigen und damit einen Bevölkerungsteil komplett aus der Quelle „Gräberfeld“ verbannt. So sind zum Beispiel Bestattungen weiblicher Individuen innerhalb der so genannten „germanischen Waffengräber“ nicht, geschweige denn selten nachgewiesen.

Ein ähnliches Problem besteht für die Gräberfelder hinsichtlich der Auswertung einer sozialen Differenzierung. Auf vielen hallstatt- bzw. latènezeitlichen Nekropolen gelingt die Herausstellung einer vielschichtigen Bestattungsweise mit gut differenzierbarem Beigabenbrauchtum, wohingegen die fast schon monoton anmutende Homogenität der jastorfzeitlichen Brandbestattungen im diametralem Gegensatz dazu stehen, und hier nur selten eine soziale Differenzierung anhand von Beigaben innerhalb der bestattenden Gemeinschaft gelingt.

Anders verhält es sich mit der relativ-chronologischen Auswertung des aus den Grabungen gewonnenen Fundus. Je nach Fundlage und -gattung lassen sich Metall- und Keramikfunde gut in bestehende Chronologieschemata einhängen und im günstigsten Fall horizontalstratigraphisch interpretieren. Aus einer solchen Interpretation ließen sich schließlich die Struktur und die Belegung prähistorischer Nekropolen ableiten. Systematisch angelegte bzw. genutzte Belegungsareale auf den Gräberfeldern der Eisenzeit lassen darüber hinaus häufig „Gruppen“ erkennen, die von einem wie auch immer sozial gearteten Verband immer wieder aufgesucht worden sind. Nicht selten ließen sich Belegungskontinuitäten auf einigen Friedhöfen nachweisen, die teilweise vom Neolithikum bis zur frühen Eisenzeit reichen und mit Unterbrechung später wieder-/weiterbenutzt wurden. Eben eine solche Kontinuität steht als Nachweis für eine traditionsbewusste Bestattungsgemeinschaft, die wenn wir sie nicht ethnisch deuten, doch im Kontext eines damalig bestandenen Kulturkreises zu verstehen ist.

In nachfolgenden Ausführungen sei nun der Versuch unternommen, mit Hilfe der angegebenen Publikationen den derzeitigen Forschungsstand zur prähistorischen Niederkainaer Nekropole vom Schafberg zu beurteilen und hinsichtlich der erwähnten Problemstellungen auszuwerten.

II. Forschungsgeschichte und Topographie(Abb. 1, Nr. 25-26)

Das Gräberfeld von Niederkaina (Lkr. Bautzen) liegt unmittelbar südlich des eponymen Ortes, auf der Kuppe des so genannten „Schafberges“, welche auf 201,6 m über NN liegt und die Oberlausitzer Gefilde östlich von Bautzen dominiert. Der Schafberg (Abb. 2 und 3) besteht aus fluvialem Sand und Kies und erstreckt sich etwa 1 km von Niederkaina bis zum südlich davon gelegenen Örtchen Nadelwitz und beläuft sich auf eine von Südwest-Nordost ziehende Fläche von 2,5 x 1,5 km. Durch die geologischen Bedingungen ist eine Beschreitung dieser Höhe – trockenen Fußes – nur über einen 700 m breiten Korridor vom Südosten her möglich.

Erste Fundbergungen wurden schon seit 1820 dokumentiert. Zwischen 1948 und 1950 fanden erste Rettungsgrabungen durch das Bautzener Museum in der Nähe des Gräberfeldes statt; es waren hier vor allem die in den letzten Kriegsjahren ausgehobenen Schützengräben,[1] die „hervorragend erhaltene“[2] Gräber in den Äckern nördlich der Sandgrube Nadelwitz/Niederkaina erbrachten. Die Ausdehnung des laufenden Sandgrubenabbaus bedrohte letztlich das Gräberfeld und lieferte den Anlass für systematische Rettungsgrabungen durch E. Schmidt und W. Coblenz seit 1950 bis 1970; dabei wurden etwa 2000 Grabkomplexe auf einer ca. 2000 qm großen Fläche erschlossen. Eine Vielzahl der ausgemachten Gräber war allerdings gestört und teilweise älter beraubt.[3]

III. Das Gräberfeld – ein Überblick

Insgesamt wurden während den Grabungskampagnen mehr als 2000 Bestattungen und ein Hauptbelegungszeitraum von ~1000 Jahren nachgewiesen.[4] Der Besiedlungsbeginn in der Oberlausitz setzt im Mesolithikum ein (~7000 – 6000 v. u. Z.). Der Beginn der Belegung des Schafberges als Bestattungsplatz ist durch ein mesolithisches Körpergrab gekennzeichnet, gefolgt von etwa 25 teilweise überhügelten schnurkeramischen Gräbern, die sich wiederum in kleine Gruppen von Nord nach Süd entlang des 1 km langen Bergscheitels aufgliedern (Abb. 2). Für die frühe Bronzezeit sind es 2 Aunjetitzer Bestattungen, die eine Weiterbelegung anzeigen. Als etwas jünger wird sodann die Niederlegung von 3 Randleistenbeilen und 3 Lanzenspitzen am Südrand des Schafberges, am Ufer des Albrechtsbaches, angesprochen (Depot). Ein in der Nähe befindlicher Findling mit eingeschabten Dellen, konnte bislang nicht zugeordnet werden. Gräber der älteren mittleren Bronzezeit sind bislang nicht nachgewiesen. Sodann existieren nur wenige Nachweise für eine Belegung im Verlauf des Endes der mittleren Bronzezeit. Erst am Übergang zur frühen Urnenfelderzeit setzt eine Verdichtung der Belege für die Anlage einer Brandgräbernekropole ein, „die von einer Bestattungsgemeinschaft bis in die späte Hallstattzeit kontinuierlich genutzt wurde“[5]. Diese Gräber streuen von der Kuppe des Schafberges zu beiden Seiten etwa 100 m über das östliche und westliche Areal und mindestens 400 m nach Süden. Die Begrenzung dieses Bestattungsraumes war in etwa mit der 195-m-Höhenlinie umrissen.

Cairca 1500 Gräber sind für die Billendorfer Stufe (Früheisenzeit) als die umfangreichste und zugleich fundreichste Belegungsphase kennzeichnend; so genannte hallstattzeitliche Kammergräber überlagern dabei häufig urnenfelderzeitliche Gräber.

Um 500 v. u. Z. etwa kommt es für mehrere Jahrhunderte zu einem Besiedlungsabbruch in der gesamten Oberlausitz, auch der Schafberg verliert nun seine Bedeutung (Ende der Belegung in Hallstattzeit D, eventuell noch bis Latènezeit A).[6]

Generell werden in der Region langlebige Gräberfelder auf beherrschenden Stellen angelegt; so wird in der Jungbronzezeit – neben dem Niederkainaer Schafberg – auch auf anderen Gräberfeldern (z.B. Burker Berg[7] ) und in der Hallstattzeit im Bautzener Südosten bestattet (Abb. 1).[8]

Hinweise auf spätbronze- bis früheisenzeitliche Siedlungen sind in der Bautzener Umgebung dürftig.[9] Nachweise für eine Siedlungskammerbildung fallen grundsätzlich aus. Zum einen ist dies durch den Forschungsstand bedingt aber auch auf Fehlen größerer, kompakter dörflicher Strukturen in der bronze- und früheisenzeitlichen Kulturlandschaft zurückzuführen.

Als wichtige alte Verkehrswege lassen sich der „Bautzener Steig“ und die „Hohe Straße“ bzw. „Via regia“ (Hauptader des Ost-West-Verkehrs in Mitteldeutschland) anführen, welche den Bach an Nord- und Südspitze des Schafberges passieren. Ebenfalls an der südlichen Bergspitze biegt die Löbauer Straße über eine Talverengung ein, die letztlich über die Gebirgspässe ins böhmische Schlesien hinüberführt.

Die Lage des Gräberfeldes, die Reihhaltigkeit an Gräbern und Funden (mehr als 20.000 Fundstücke), heben die Bedeutung des Platzes hervor. Die Niederkainaer Nekropole ist eines der größten und am längsten genutzten prähistorischen Gräberfelder. Besonders für das Verständnis über die Lausitzer Kultur[10] mit seiner länderübergreifenden Verbreitung (Ostdeutschland, Polen, Tschechien, Slowakei) ist diese Nekropole von herausragender Bedeutung.[11]

Derzeitiger Publikationsstand[12]

Bd. 1-7 Veröffentlichung eines beträchtlichen Teiles der

Grabkomplexe der Billendorfer Stufe, vor allem

der Früh- und Spätphase

Bd. 8 Veröffentlichungen eines Großteils der bronzezeitlichen

Inventare

weitere 4 Bd. befinden sich derzeit in Arbeit:

Bd. 10 Veröffentlichung des jung- und jüngstbronzezeitlichen

Fundmaterials

Bd. 9, 11, 12 Veröffentlichung eines Großteiles der Funde

der entwickelten Billendorfer Stufe, als Bindeglied zwischen den frühen Billendorfer Funden (Bd. 1 – 6) und denen der Billendorfer Spätphase (Bd. 7)

IV. Bestattungsform und –ritus der nachgewiesenen Kulturstufen in Niederkaina

Um Aussagen über Chronologie, Soziologie und Demographie länger belegter prähistorischer Gräberfelder treffen zu können, ist es notwendig den Eigentümlichkeiten in der Bestattungs- und Beigabensitte für die jeweiligen Perioden auf den Grund zu gehen. Aus einer solchen Betrachtung gelingt es letztlich eine Differenzierung innerhalb der Grablegen vorzunehmen, die eine annähernde Vorstellung über die Zusammensetzung und über eine eventuell bestandene Kontinuität im Aufsuchen der Friedhöfe durch die bestattende Gemeinschaft geben kann. Im Folgenden werde ich mit den ältesten Gräbern beginnen. Betrachtet sollen allerdings nur die Grablegen aus jenen Perioden werden, deren Anzahl mindesten 2 Gräber pro Zeitstufe betragen, was heißt, dass ich auf die singuläre mesolithische Bestattung nicht und auf zwei frühbronzezeitliche Gräber nur kurz eingehen werde.

Zu Beginn einer voranschreitenden Belegung auf dem Schafberges stehen Bestattungen des Endneolithikums. Nach der Ausstattung und des Inventars der Gräber zu urteilen, gehört das Niederkainaer Gräberfeld in dieser letzten Phase des Neolithikums zum Formkreis der Schnurkeramik. Die geläufigste Bestattungsform während der Schnurkeramik sind Körperbestattungen in Seitenlage, wobei die Hockstellung dominiert. Die Ausrichtung der Toten auf dem Gebiet Mitteldeutschlands zeigen vornehmlich eine (Süd-) Ost / (Nord-) West-Orientierung mit Blickrichtung gen Süden. Bei weiblichen Individuen liegt der Kopf im Osten und bei männlichen im Westen.[13] Die Anlage des Grabbaues erfolgte überwiegend ebenerdig bzw. wenig in den Boden eingetieft. Seltener wurden Bestattungen mit Tiefen bis zu 100 cm ausgemacht. Die Ausdehnung des eigentlichen Grabbaues variiert in den Flächen bis zu einer Größe von 270 cm. Häufig ließen sich Stein-, seltener Holzeinbauten nachweisen. Als Besonderheit im Rahmen der Beisetzungssitte lässt sich eine singuläre Baumsargbestattung erwähnen.[14] Darüber hinaus erfolgte die Ausrichtung der schnurkeramischen Bestattungen auf dem Schafberg, in der für die Lausitzer Regionalgruppe typischen Nord-Süd Orientierung (z.B. Grab 4 in Quartier II und Grab 31 in Quartier I; Abb. 4), wobei Abweichungen in ost- bis westliche Richtung möglich sind.

Zu den Grabbeigaben zählen überwiegend feucht verstrichene Keramik, ohne Glättung oder Engobe, mit den typischen Schnureindrücken als Verzierung. Ein Becher und eine Amphore gehören sozusagen zur Grundausstattung einer jeden Bestattung (Abb. 4). Da sich keinerlei menschliche Skelettreste aus diesem Zeitabschnitt auf der Nekropole erhielten, sollte eine geschlechterspezifische Unterscheidung unter den Grablegen am ehesten über die Beigaben möglich sein.[15] So sind es wohl Muscheln und Ketten aus Canidenzähnen, die weiblichen und Streitäxte, Knochennadeln und Eberhaueranhänger, die männlichen Bestattungen zugeschrieben werden dürfen. Überdies fanden sich selten Flintartefakte, Tonlöffel und sehr wenig Kupfer (z.B. Grab 4 in Quartier II); auch fand sich spärlicher Nachweis für Rötelstreuungen.

Für das Niederkainaer Gräberfeld lassen sich mindestens 25 schnurkeramische Bestattungen erfassen, von denen wohl die überwiegende Zahl mit einem schlichten Grabhügel versehen war. Diese Gräber lagen augenfällig entlang der Scheitellinie des Schafberges[16] und lassen kleinere Gruppen erkennen, die in zeitlichem Verlauf von Nord nach Süd angelegt worden sein dürften. Diese Annahme der Belegungsrichtung wird durch die Anlage von 2 frühbronzezeitlichen Gräbern der „klassischen“ Aunjetitzer Stufe in der südlichen Peripherie der Nekropole bestätigt (Abb. 3). Allgemein hin wird angenommen, dass sich hinter den wenigen nachgewiesenen schnurkeramischen Bestattungen eine herausgehobene Schicht verbirgt. Wo letztlich die Vielzahl derer bestattet worden ist, die zur gleichen Zeit gelebt haben mag, ist unklar. Schlussendlich bleibt für dieses Phänomen die Frage bestehen, ob einem Großteil der „gleichzeitig“ Lebenden, während dieser frühen Phase der Belegung des Gräberfeldes, nicht ganz und gar ein Bestattungszeremoniell verwehrt geblieben ist.[17]

Zu den beiden Bestattungen aus der frühen Bronzezeit (Grab I und II) lässt sich folgendes kurz zusammenfassen. Es handelt sich um 2 Körperflachgräber in Nord-Süd-Ausrichtung, die wenige Beigaben, wie Keramik und sonderlich eine bronzene fischgrätenverzierte Ösenkopfnadel erbrachten.

Für die anschließende Zeitstufe der älteren mittleren Bronzezeit stehen bisher keine Nachweise für Bestattungen zur Verfügung. Ob dieses Phänomen mit Beobachtungen im böhmischen Raum korreliert, kann bisher durch die Diskussion von B o u z e k (1969) vermutet werden. Er nämlich nimmt an, dass dieser zeitliche Hiatus, der sich ebenso im Zurückgehen des böhmischen Fundus während der mittleren Bronzezeit augenscheinlich herausstellt, mit klimatischen Veränderungen in Relation gebracht werden kann (Abb. 5).[18]

Ein Wiedereinsetzen in der Belegung zeichnet sich sodann im Übergang zur späten mittleren Bronzezeit ab. Es handelt sich nun um einige Brandbestattungen, bei welchen die Verbrennung des Verstorbenen auf einem Scheiterhaufen erfolgte, der Leichenbrand anschließend aus den Verbrennungsrückständen ausgelesen und letztlich in die Urne oder in eine ausgehobene Grabgrube verbracht worden ist.[19] Die Urne schließlich wurde in eine ebensolche geringfügig in den Boden eingetiefte Grabgrube eingelassen und seltener mit einem umfangreichen Steinschutz (auch Steinkisten) oder Steinboden versehen. Die Beigaben sind noch recht dürftig und bestehen überwiegend aus einfacher, teilweise auch sekundär gebrannter Keramik. Hierzu zählen Amphoren und die mit den typischen Hofbuckeln verzierten Gefäße mit Zylinderhals (z.B. Grab 46 in Quartier I und Grab 46 in Quartier II; Abb. 6). Zu den erwähnenswerten Besonderheiten während dieser frühen Phase der kontinuierlichen Belegung des Gräberfeldes gehört die Beobachtung von einzelnen Funden (frühurnenfelderzeitliche Gefäße), die im Kontext ritueller Niederlegung außerhalb von Grabkomplexen zu stehen scheinen. So wurden etwa grabähnliche Gefäßniederlegungen in „Grab 48“ identifiziert, die sonderlich neben den gleichzeitigen Gräbern 47, 50 und 52 (alle Quartier II) deponiert worden waren. Soziale Unterschiede lassen sich innerhalb dieser frühen Gräber anhand des Aufbaus und der Beigaben nicht herausstellen. Eine geschlechter-spezifische Unterscheidung in den Grablegen gelingt hier nur durch die anthropologische Untersuchung der aufgefundenen Leichenbrandrückstände, die im speziellen Fall der Bearbeitung der Gräber von Niederkaina – mithin durch die schlechten Erhaltungsbedingungen – ungenügend erscheint.

Für die Spätbronzezeit verdichten sich die Belege einer fortschreitenden kontinuierlichen Belegung des Gräberfeldareals. Aus dem Ende der Mittelbronzezeit generiert sich im Übergang von der Vorlausitzer zur Lausitzer Kultur die Anlage der großen und für den Lausitzer Kulturkreis typischen Urnengräberfelder. Wie in vorangegangener Zeit handelt es sich ausschließlich um Brandbestattungen, die vornehmlich in Urnen und seltener als Brandschüttungen in das geringfügig eingetiefte Erdreich vorgenommen worden sind. Bemerkenswert ist das allmähliche Aufkommen einer regelhaften Sitte, die in die Grabgruben abgestellten Urnen mit einer Deckschale zu verschließen. Überdies treten nun Gräber hervor, die separate Kammern erkennen lassen, die in die geringfügig eingeerdeten größeren Grabgruben vermutlich durch Holzverschalungen errichtet worden sind (z.B. Grab 30 in Quartier I; Abb. 7). Ein Steinschutz um die Gräber scheint allmählich zur Regel zu werden. Hin und wieder wurde der Grabboden mit einem regelrechten Steinpflaster versehen.[20] Insgesamt wirken die Grabanlagen, gerade der Kammergräber, erhabener als in der vorangegangenen Zeitstufe. Auch in der Beigabensitte lassen sich Veränderungen feststellen, die die Tendenz hin zu einem vielschichtigen Niederlegungsbrauchtum erkennen lassen und schließlich das diversifizierte Beigabenœuvre der Hallstattzeit vorweggreifen. Zu nächst handelt es sich nur um ein bis zwei Beigabengefäße, die später auf verschiedene kleinere keramische Beigabenensembles – die auch sekundär gebrannt worden sein konnten –[21] erweitert werden. Die Erhaltung der Keramik ist recht unterschiedlich und lässt nicht immer eindeutig erkennen, ob eine Beschädigung intentionell oder später durch Bodenbewirtschaftung oder Beraubung verursacht worden ist. Die Metallarmut in den Gräbern jedenfalls, scheint wohl vor allem auch auf letzteren Vorgang zurückzuführen sein. Für die Lausitzer Kultur des großen Komplexes der Urnenfelderzeit sind es die bronzenen Nadel- und vereinzelte Pfeilspitzenfunde (z.B. Grab 30 in Quartier I; Abb. 7, Nr. 3), die bestehende Unsicherheiten in der chronologischen Zuordnung der Gräber beseitigen helfen. Darüber hinaus tauchen sporadisch Knochenanhänger und seltener Glasperlen in den Gräbern auf. Nadeln mit so genanntem profiliertem Kugelkopf (Var. Mostkovice nach Říhovský; Abb. 8 unten rechts) und Nadeln mit turbanähnlichem Kopf (Var. Drhovice-Beckern nach Říhovský; Abb. 8, oben rechts) liefern den Beweis für die Zugehörigkeit der Gräber in die ältere Urnenfelderzeit. Die Stellung der ältesten Gräber der Spätbronzezeit mit frühen Nadeln wird überdies durch die Vergesellschaftung mit keramischen Gefäßformen unterstrichen, die noch Hofbuckel und einen hohen Zylinderhals besitzen (z.B. Grab 68 in Quartier I). Etwas jünger sind dagegen Gräber mit Grabgefäßen denen ein doppolkonischer Charakter innewohnt und auf dem Bauch-Schulter-Umbruch Verzierungen aus einfachen umlaufenden Tupfleisten zeigen. Nicht selten kommen solche Doppelkoni zusammen mit bandförmig gehenkelten Krügen vor, die einen hohen Hals mit weiter Öffnung tragen und die für die Hallstatt-A-Stufe typischen schrägen Kanneluren auf der Gefäßschulter besitzen (z.B. Grab 30 in Quartier I; Abb. 7). Neben Gräbern m i t Beigaben kommen auch solche o h n e vor (z.B. Grab 65 in Quartier II). Für die wenigen Gräber der frühen und älteren Urnenfelderzeit lässt sich das für die ausgehende Mittelbronzezeit gesagte auch hier feststellen: Rückschlüsse auf eine soziale Differenzierung über die wenigen Beigaben sind kaum möglich.[22] Lediglich eine eingehende anthropologische Analyse kann Klarheit über den sozialen „Status“ (wie Alter, Geschlecht oder Krankheiten) der Bestatteten verschaffen.[23]

Die „frühesten“ Gräber – bezogen auf die Geschlossenheit in der Kontinuität – der Nierderkainaer Nekropole (Bronzezeit D und Hallstatt A1) liegen im mittleren westlichen Randbereich und streuen von da unmittelbar gen Süden. Nach Norden und Westen separieren sich nur einige wenige Gräber durch einen dazwischen liegenden Freiraum. Überhaupt kann man für die frühen Gräber vereinzelte Gruppenbildungen nachweisen, die wohl im familiären Kontext zu stehen scheinen (Abb. 9). Diese Hypothese allerdings, ließe sich nur durch eine aussagefähige Leichenbrandanalyse bestätigen, die mit dem derzeitigen Publikationsstand noch nicht in hinreichender Weise vorliegt.

Spätestens seit der jüngeren Urnenfelderzeit gehört das Gräberfeld von Niederkaina nach B u c k (1988) zur Oberspree-Untergruppe der Lausitzer Gruppe (Abb. 10). Nun treten vermehrt graphitierte Gefäße in den Gräbern auf. Der vereinzelte Versuch im älteren Abschnitt der Urnenfelderzeit, die Gräber mit Kammern zu versehen, gestaltet sich im jüngeren Stadium peu à peu zum Usus, die Grabanlagen regelhaft in Ost-West ausgerichtete Langkammern anzulegen, die nun mit einem massiven Steinschutz versehen worden sein können (z.B. Grab 61 in Quartier II; Abb. 11). Die Beigabenvielfalt nimmt zu. Das Spektrum der keramischen Gefäße offenbart mit doppelkonischen Formen eine Affinität zum Traditionsbewusstsein in der Gestaltung. Ebenso sind Schalen (allmählich mit einziehendem Mundsaum, der vielfach eingedreht worden ist), spätestens seit dem sie als Deckschalen verwandt worden sind, ein immanenter Beigabenbestandteil. Hin und wieder treten auch einfach verzierte Exemplare in Erscheinung. Als typisches Verzierungselement der Hallstatt-B-Stufe sind das Flechtbandornament und die rudimentären „Hofbuckel“ zu nennen. Letztere treten bei weitbauchigen Gefäßen im Schulterbereich auf. Der Hals solcher Gefäße ist meist kegelförmig und verweist mit einer neuen Verzierungsvariante auf der Schulter – den horizontalen Riefen bzw. Rillen – in den folgenden jüngsten Abschnitt der Urnenfelderzeit. Eine ebensolche Verzierung findet sich nicht selten auf gehenkelten Krügen, die mit fortschreitender Zeit immer kleiner werden. Des Weiteren finden sich im Beigabensatz einfacher Gräber auch Tonlöffel und Schöpfer. So in Grab 47 des Quartiers I. Hier wurde in einem schlichten Brandschüttungsgrab ein Topf über den Leichbrand gestülpt und Tonlöffel, Schöpfer und eine Schale ganz eng an die Bestattung herangelegt. Wie Vielfältig sich in dieser Stufe die Komposition des keramischen Inventars erarten kann, beweist das Grab 54 in Quartier I (Abb. 12). In diesem Brandkammergrab mit massiven Steinschutz wurde mehrfachbestattet – ob zeitgleich ist fraglich. Die Niederlegung der n i c h t sekundär gebrannten Beigabengefäße jedenfalls erfolgte auf mehreren Ebenen. Interessant ist in diesem Grab das Aufkommen doppeltgehenkelter mäßig modellierter kleinerer Töpfe mit gerauter Oberfläche (so genannte „Rautöpfchen“; Abb. 12, Nr. 9 und 14). Rautöpfe gehören erst in der folgenden Früheisenzeit zum regelhaften Bestandteil des Beigabengefäßsatzes. Will man die frühe Stellung des Grabes mit den „jungen“ Elementen des Inventars nicht als gleichzeitig niedergelegt verstehen, ist man zwangsläufig geneigt, dieses Grab als Familiengrab anzusprechen, welches über mehrere Generationen hinweg benutzt und dabei immer wieder geöffnet und verschlossen worden ist. Allerdings bleibt eine solche Aussage ebenso hypothetisch, wie noch keine neuen Ergebnisse bezüglich der Untersuchung der Leichenbrände vorliegen. Eine ähnliche Situation ergibt sich für das mit bronzenen Metallbeigaben verhältnismäßig reich ausgestattete Grab 8 in Quartier IIIa. Bei dieser Dreifachbestattung konnte eine Bestattung – auch aufgrund des kleineren Leichbrandgefäßes, einem Kind zugewiesen werden. Ob diese Mehrfachbestattung jedoch gleichzeitig oder als Familiengrab mehrfach zu unterschiedlichen Zeiten aufgesucht worden ist, kann nicht geklärt werden.

[...]


[1] K a i s e r (2003), S. 40, der Niederkainaer Schafberg war besonders in den letzten Kriegstagen des II. Weltkrieges schwer umkämpft: „Soldaten berichteten von Schützengräben, MG-Nestern und zahlreichen Granateinschlägen.“

[2] C o b l e n z / N e b e l s i c k (1997), S. 11.

[3] C o b l e n z / N e b e l s i c k (1997), S. 11, die ist besonders für den urnenfelderzeitlichen Kern des Friedhofs zu beobachten, da dieser Teil auf der erhöhten Kuppe gelegen, der Beackerung, der Erosion und der seit 1826 stattfindenden Beraubung zum Opfer fiel.

[4] Damit ist das Gräberfeld eine der wichtigsten archäologischen und größten Fundstellen Deutschlands.

[5] C o b l e n z / N e b e l s i c k (1997), S. 13.

[6] H e y d (1998), S. 40; K a i s e r (2003), S. 23 ff., zu Schwierigkeiten und Unsicherheiten in der chronologischen Interpretation des Fundus am Ende der Billendorfer Stufe.

[7] C o b l e n z / N e b e l s i c k (1997), S. 12, Abb. 1, Nr. 15 – 17.

[8] C o b l e n z / N e b e l s i c k (1997), S. 12, Abb. 1, Nr. 19, 21, 27.

[9] C o b l e n z / N e b e l s i c k (1997), S. 12, „bis auf das in einem Ablösungsverhältnis stehende Bautzener Höhensiedlungspaar“; hierzu die Abb. 1, mit Nr. 8, 11 u. 12.

[10] B u c k 1988, S. 59, der Terminus „Lausitzer Kultur“ umfasst offenbar zwei bis drei untereinander engverwandte archäologische Kulturen. „Sie stellt jedoch keine einheitliche archäologische Kultur und schon gar keine politische Einheit dar.“ Die Lausitzer Kultur gehört zum Komplex der Urnenfelderkultur.

[11] Verfasser.

[12] Aufgeführte Bände entsprechen denen der Literaturliste.

[13] H e y d (2000), S. 36, die Anlage der Gräber erfolgte augenfällig in exponierter Lage entlang der Nord-Süd verlaufenden Scheitellinie des Schafberges.

[14] H e y d (2000), S. 37, i. b. Abb. 16.

[15] H e y d (2002), S. 19, die schlechte Erhaltung von Skelett- und Leichenbrandresten ist sicher auch durch den relativ sauren, sandig/kiesigen Schafbergboden bedingt.

[16] An dieser Scheitellinie verlief offenbar eine alte Nord/Süd-Verbindung, die sich wohl in dem heute noch bestehendem Weg von Niederkaina nach Nadelwitz widerspiegelt.

[17] Spuren der Jahrtausende, S. 133.

[18] B o u z e k, J., S. 25 f., i. b. Abb. 1, zur mittelbronzezeitlichen „Fundlücke“ (so i. b. für die Böhmens; Bouzek prägte nicht umsonst die Beziehung im Terminus: „Sachsen, die Lausitzer Enklave Nordwestböhmens“) weist er doch auf Wanderungsbewegungen hin, die aufgrund klimatischer Veränderungen stattgefunden haben können und somit zur Dislozierung in der Quellenlage des besprochnen Raumes führen; festzustellen bleibt, dass sich in der mitteleuropäischen Mittelbronzezeit ungünstiges kälteres Klima über Nordmitteleuropa ausbreitete, dagegen gleichzeitig im Mittelmeerraum günstiges niederschlagreiches Wetter vorherrschte. Dies änderte sich in der Urnenfelderzeit, nun war es im Süden zu heiß, im nördlichen Mitteleuropa dagegen milder und günstiger.

[19] H e y d (2000), S. 18, Ustrinen sind für das Gräberfeld auf dem Niederkainaer Schafberg bislang nicht nachgewiesen.

[20] H e y d (2000), S. 16, so genannte „Steinflächengräber“, die sich allerdings nach meiner Meinung – bei genauerer Betrachtung – häufig als gestörte Kammergräber herausstellen.

[21] Z.B. Quart. I, Grab 30.

[22] Eventuell deuten kleinere Urnengefäße auf Kinderbestattungen hin.

[23] Verfasser. Fragwürdig bleibt auch hier der Denkansatz, dass materieller Besitz in prähistorischen Kulturen, einen entsprechenden sozialen Status widerspiegelt.

Ende der Leseprobe aus 56 Seiten

Details

Titel
Das prähistorische Gräberfeld von Niederkaina, östlich von Bautzen
Hochschule
Friedrich-Schiller-Universität Jena  (UFG)
Veranstaltung
Gräberfelder Mitteleuropas
Note
1,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
56
Katalognummer
V55546
ISBN (eBook)
9783638504638
ISBN (Buch)
9783638688352
Dateigröße
6029 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Arbeit beschäftigt sich neben der ausführlichen Erörterung über Bestattungsformen und -riten auf der Nekropole mit der eingehenden Analyse hinsichtlich der chronologischen, demographischen und soziologischen Auswertbarkeit der Funde und Befunde.
Schlagworte
Gräberfeld, Niederkaina, Bautzen, Gräberfelder, Mitteleuropas
Arbeit zitieren
Silvester Tamas (Autor:in), 2006, Das prähistorische Gräberfeld von Niederkaina, östlich von Bautzen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/55546

Kommentare

  • Gast am 18.12.2006

    unwissenschaftlich.

    unmögliche Sache

Blick ins Buch
Titel: Das prähistorische Gräberfeld von Niederkaina, östlich von Bautzen



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