Wandel des Lutherbildes in der DDR - eine Suche nach Motiven


Hausarbeit, 2006

15 Seiten, Note: 2,2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1. Quellenlage
1.2. Forschungsstand

2. Der frühe Luther in der DDR

3. Die Situation in den fünfziger Jahren

4. Das Lutherbild nach dem Mauerbau

5. Luther im Bild der sozialistischen Gesellschaft

6. Schlussbetrachtungen

7. Quellen- und Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„… Am 10. November 1983 jährt sich zum 500. Male der Tag, an dem Martin Luther, einer der größten Söhne des deutschen Volkes, geboren wurde. …“[1] Vermutlich würde man diesen Satz aus dem Jahr 1980 einem westdeutschen Politiker in den Mund legen oder der westdeutschen Geschichtswissenschaft zuschreiben. Grund mag das lange anhaltende negative Lutherbild der DDR sein. Umso staunender muss allerdings zur Kenntnis genommen werden, dass es kein Geringerer war, als der damalige Staatsratsvorsitzende Erich Honecker, der mit jenen Worten die konstituierende Sitzung des Martin – Luther – Komitees einleitete. Es muss ein Prozess des Umdenkens stattgefunden haben, wenn man die Aussagen der frühen DDR Histografie und des Jahres 1980 vergleicht. So verurteilte Friedrich Engels den Reformator Luther noch als Verräter. Nach seiner Meinung waren es zu aller Zeit die linken Kräfte, welche den progressiven Fortschrittsgedanken trugen. Dem Reformator sprach er wegen seiner negativen Rolle als Fürstenknecht diese Gedanken ab. In dieser Linie standen die Arbeiten der Wissenschaft der DDR – zumindest für einen langen Zeitraum. Was war geschehen, dass das Bild Martin Luthers in das marxistische – leninistische Weltbild passte und Erich Honecker scheinbar anderer Meinung war als Friedrich Engels?

1.1. Quellenlage

Eine Vielzahl von Quellen stände zur Verfügung, jedoch muss eine Auswahl getroffen werden, um nicht den Rahmen dieser Arbeit zu sprengen und um eine möglichst zufriedenstellende Antwort geben zu können. Die wichtigsten Historiker und Meinungen in der DDR werden zur Beantwortung herangezogen, da diese ein repräsentatives Bild abgeben. An den gewählten Quellen wird am deutlichsten, welches Bild vertreten wurde und wieso der Wandel eintrat. Provozierend stellt sich natürlich sofort die Frage nach der Wissenschaftlichkeit dieser Quellen. Verlieren sie nicht durch eine gewisse Systemnähe ihren wissenschaftlichen Wert? Ist somit eine objektive Beantwortung der Frage mithilfe dieser Quellen überhaupt möglich? Es ständen natürlich kirchliche Quellen zur Verfügung. Aus ihnen geht ein anderes Lutherbild hervor. Dass Luthers Persönlichkeit und sein Werk eine umfassende Bedeutung hatte, darüber waren sich Staat und Kirche einig. Die Interpretation über die Wirkung ist jedoch völlig konträr. Nach Meinung der Theologen handelte Luther in allem zur Ehre Gottes. Da sie als Quellen durch die Ideologen der DDR jedoch an den Rand gedrängt wurden und keine wirkliche Beachtung fanden, wird auch in dieser Arbeit nicht weiter auf sie eingegangen. Somit bleiben diese, sicherlich politisch gefärbten Quellen, wichtige Zeitzeugen für den Veränderungsprozess des Bildes über Martin Luther in der DDR. Martin Roy verweist auch auf die Annahme, dass es in der DDR keine wirkliche Trennung zwischen Staat und Wissenschaft gab. Die Sekundärliteratur, welche in dieser Hausarbeit verwendet wird, beruft sich aufgrund derselben Argumentation auf diese Quellen.

1.2. Forschungsstand

Glaubt man den Worten von Martin Roy, sind seit dem Mauerfall 1989 keine wesentlichen neuen Erkenntnisse durch die Forschung geliefert worden. Der Forschungsstand beruft sich somit weitestgehend auf Literatur vor 1989. In zahlreicher Forschungsliteratur wird deutlich, dass die Quellen sofort unter den Generalverdacht der Systemnähe fallen und als Absichtserklärung für politisches Handeln der SED gesehen werden. Die Erklärungen, welche dann für den Wandel gegeben werden, hängen demnach stark von dem Bild des jeweiligen Autors über die DDR und den Marxismus ab. Die Forschung scheint somit auf dem Stand vor 1989 stehen geblieben zu sein, da sich heute westdeutsche Historiker mit diesem Thema nicht beschäftigten und die Historiker der ehemaligen DDR sich der Meinung ihrer Kollegen vor 1989 anschließen.[2] Glaubt man den Ausführungen von Martin Roy, so ist eine abschließende Beantwortung der Frage nach den Motiven für einen Wandel nicht möglich, da keine neu zugänglichen Quellen herangezogen werden und eine Auseinandersetzung mit dem Thema nicht stattfindet.

Trotzdem soll der Versuch unternommen werden, den Bogen zu spannen von Friedrich Engels und seinem Lutherbild bis hin zu jenen Worten des Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker im Jahr 1980. Denn auch wenn es vielleicht abschließend keine endgültige Antwort geben kann, so werden in der Forschung vor 1989 Motive deutlich, welche Honecker jene Worte für den Reformator fand. Diese gilt es zu aufzuzeigen, um daraus eine Antwort abzuleiten. Da die Literatur sich auf die Jahre vor 1989 bezieht, kann eine vollständige Analyse nicht gelingen.

2. Der frühe Luther in der DDR

Als 1945 nach zwölf Jahren der nationalsozialistische Spuk endete, wollte sich das Gefühl der Erleichterung nur zögerlich einstellen. Dieses Zögern wurde auch bei den Feierlichkeiten zum 400.Todestag Luthers im Jahr 1946 deutlich. Weniger die Würdigungen der deutschen Theologen prägten die Festlichkeiten, sondern die Frage nach Luthers Mitverantwortung an der deutschen Misere, die mit der Nazidiktatur ihren Höhepunkt fand. Unteranderem spielte Luthers Meinung zur Judenfrage bei diesen Diskussionen sicherlich eine wesentliche Rolle. Man versuchte zwar ganz schnell dem Bild vom „deutschen Luther“ etwas entgegenzusetzen, jedoch wurde in unterschiedlichen Kreisen die Meinung vertreten, dass Martin Luther als eine der geistigen Wurzeln des Nationalsozialismus zu sehen sei. Er habe, so der Vorwurf, geholfen die Strukturen wie Obrigkeitshörigkeit und Staatsbesessenheit zu fördern. So bezeichnete ihn Thomas Mann als Freiheitsheld, der von Freiheit nichts verstand. Der Vater der Bekennenden Kirche, Karl Barth, erklärte dazu, dass das deutsche Volk an der Erbschaft des größten christlichen Deutschen leide. Die Miseretheorie wurde in ganz Deutschland vertreten, ganz besonders auch in der Sowjetischen Besatzungszone. Denn die Ideologen der Sowjetunion vertraten die Meinung, dass allein in ihrer Zone begonnen wurde, ein besseres Deutschland zu schaffen. Die Persönlichkeit Martin Luthers passte danach nicht in das neu entstehende Geschichtsbild. Sehr schnell wurde somit die unterschiedliche politische Ausrichtung zur Gestaltung der Zukunft deutlich. Einigend war das negative Lutherbild. In der SBZ waren diese negativen Äußerungen unweigerlich mit dem Namen Alexander Abusch verbunden. Der spätere DDR Minister für Kultur stand mit seinem Buch „Der Irrweg der Nation“[3] fast gesetzgebend für die Misere – Theorie und dem damit verbundenen Lutherbild. … Die Niederlage der deutschen Freiheit im großen Bauernkrieg hüllte drei Jahrhunderte der deutschen Geschichte in die Finsternis der Reaktion.[4] Grundlage dafür bildete auch für Abusch die Bauernkriegsschrift[5] von Friedrichs Engels. Auch er sah, wie sehr viele andere auch, einen Wendepunkt zu Beginn des 16. Jahrhundert. … Zu Beginn des 16. Jahrhunderts stand Deutschland an einer Wende seine Geschichte. Die deutschen Zustände waren überlebt. In ihnen hatten sich bereits die Elemente entwickelt, die berufen waren, die Geburtshelfer des Neuen zu sein. […] Deutschland ging schweren Erschütterungen entgegen.[6] Aus diesem Grund ist es nicht verwunderlich, dass Alexander Abusch sich bei der Frage nach dem Beginn der deutschen Misere, sehr schnell dem 16. Jahrhundert zu wandte. Er beschrieb die Reformation in den ersten Friedensjahren nach der Diktatur als Teil und Auftakt eines großen Ganzen, nämlich einer Revolution. Aus der Quelle geht jedoch nicht hervor, welche Aufgaben die Reformation dabei übernehmen sollte. Klar war nur, dass die revolutionäre Veränderung dem Ruf nach einer freien deutschen Nation eine umstürzende Kraft verleihen sollte. Der bäuerliche – städtische Sieg wäre zum Geburtshelfer der Nationenwerdung Deutschlands geworden; er hätte Leibeigenschaft und Erbuntertänigkeit dreihundert Jahre früher in Deutschland zerstört. […][7] Eine moderne wirtschaftliche Entwicklung wäre möglich gewesen. Das sozialistische Wertesystem schien für Abusch bei der Lutherdarstellung, wegweisend gewesen zu sein. Fortschritt und Gleichheit werden als etwas Gemeinsames gesehen. Diese Gleichheit propagierte die DDR in späteren Jahren für sich. Um die genannten Ziele zu erreichen, hätten sich nach Meinung von Alexander Abusch Bauern, Bürger und Rittschaft zusammenschließen müssen. …Nur das Bündnis aus Bauern, die Mehrheit der Städtebürger […] hätte dem Ruf eine umstürzende Kraft verleihen können.[8] Eine Teilschuld am Misserfolg trug nach seiner Meinung die Reformation. Sie begann zwar als revolutionäre Fanfare, endete jedoch bald in Luthers Ruf zum Totschlag wider die räuberischen und mörderischen Rottern der Bauern.[9] Genauso wie Engels sah Abusch Luthers persönliche Schuld darin, dass er mit seinem Thesenanschlag den Wünschen einer breiten Masse entsprach, sich jedoch sehr schnell auf die Seite der Fürsten stellte. Außerdem verhinderte er ein Bündnis zwischen Bauern und Bürgern. Das geglückte Gegenbeispiel, welches immer wieder gerne von Vertretern der Misere – Theorie genannt wird, ist das der Reformation im Nachbarland Frankreich. Calvin sei im Vergleich zu Luther der wahre Reformator. Martin Roy ist der Meinung, dass diese These keiner wissenschaftlichen Prüfung standhält. Trotzdem entsprach diese Sicht im Wesentlichen der Position der meisten antifaschistischen Publizisten und Politiker. Die Persönlichkeit Luther wurde in der Arbeiterbewegung der Nachkriegszeit immer als Kontrahent zu Thomas Müntzer und als Gegner der Bauern gesehen. Die inhaltlichen Lehrern Luthers wurden nicht beachtet. Allein seine revolutionstaktische Wirkung war ausschlaggebend. … Luther leistete seinen zur deutschen „Verinnerlichung“ unter der wirklichen Allmacht der Fürsten[10]. … Das Urteil über Luther wurde auch nicht durch die Anerkennung der Bibelübersetzung und der damit verbundenen Förderung der deutschen Sprache entscheidend gemildert. Trotz heftiger Kritik gab es in 40er Jahren bereits marxistische Stimmen, wie Clara Zetkin und Johannes R. Becher, die Luther nicht nur aufgrund seiner Bibelübersetzung als historische Größe anerkannten. Besonders Johannes R. Becher bemühte sich um eine differenziertere Sichtweise in der Diskussion. Gegen Ende der vierziger Jahre standen Reformation und Bauernkrieg aber immer noch unter dem Leitgedanken „Beginn der deutschen Misere“. Es trat jedoch auch eine andere Betrachtungsweise vorsichtig ans Tageslicht. Aus Luthers Verhalten in Worms zeichnete sich der beginnende Widerstand gegen die Fürstenmacht und den Gewissenszwang ab. So wird deutlich, dass bereits Ende der 1940 Jahre das Bild über Martin Luther nicht nur schwarz war, wie es beim Lesen von Alexander Abusch`s Darstellung schien.

[...]


[1] Martin – Luther – Komitee: Martin Luther und unsere Zeit, Konstituierung des Martin – Luther – Komitees der DDR am 13.Juni 1980 in Berlin, Berlin, Weimar, 1980.

[2] Roy, Martin, Luther in der DDR, Zum Wandel des Lutherbildes in der DDR Geschichtsschreibung, Bochum 2000, S. 64f.

[3] Abusch, Alexander, Der Irrweg der Nation, Ein Beitrag zum Verständnis deutscher Geschichte, Berlin 1946.

[4] Ebd., S. 29.

[5] Marx, Engels, ausgewählte Werke, Elektronische Ressource, Berlin, 2004.

[6] Abusch, Alexander, S. 7.

[7] Ebd., S.24.

[8] Ebd., S.24.

[9] Bräuer, Siegfried, Martin Luther in marxistischer Sicht von 1945 bis zum Beginn der achtziger Jahre, Berlin 1983, S.5.

[10] Abusch, Alexander, S. 28.

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Wandel des Lutherbildes in der DDR - eine Suche nach Motiven
Hochschule
Universität Münster
Note
2,2
Autor
Jahr
2006
Seiten
15
Katalognummer
V55526
ISBN (eBook)
9783638504485
ISBN (Buch)
9783638752138
Dateigröße
505 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Wandel, Lutherbildes, Suche, Motiven
Arbeit zitieren
Knut Kasche (Autor:in), 2006, Wandel des Lutherbildes in der DDR - eine Suche nach Motiven, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/55526

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Wandel des Lutherbildes in der DDR - eine Suche nach Motiven



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden