Nominalkomposition im heutigen Französisch


Hausarbeit, 2005

18 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Begriffsdefinition - Was ist ein Kompositum?

2. Klassifikation der Nominalkomposita
2.1. Kopulativkomposita
2.2. Determinativkomposita
2.3. Einteilung nach syntaktischer Funktion
2.3.1. Subjekt - Attribut
2.3.2. Subjekt - mediales Objekt
2.3.3. Verb - Subjekt
2.3.4. Subjekt - direktes Objekt
2.3.5. Verb - direktes Subjekt
2.3.6. Subjekt - adverbiale Ergänzung
2.3.7. direktes Objekt - adverbiale Ergänzung
2.4. Präpositionslose Nominalkomposita

3. Bedeutung und Produktivität der Nominalkomposita im heutigen Französisch

Literaturverzeichnis

1. Begriffsdefinition - Was ist ein Kompositum?

Bei dem Phänomen der Komposition, auch Zusammensetzung genannt, lässt sich nicht die eine richtige und erschöpfende Definition nennen. In der Literatur sind zahlreiche Definitions- versuche verschiedener Autoren zu finden, die untereinander stets Bezug aufeinander neh- men. Eine geläufige Definition liefert hierbei Annegret Bollée, die das Kompositum als ein Wortbildungsverfahren beschreibt, „bei dem mindestens zwei Lexeme zusammengefügt“ werden (1995:64).

Die größte Produktivität besitzt dieses Verfahren bei der Bildung von Substantiven. Auch Adjektive und Verben können zusammengesetzt werden. Jedoch spielt die Komposition bei Ersteren (etwa sourd-muet, aigre-doux) lediglich eine untergeordnete Rolle. Zusammenset- zungen von Verben wurden in der Vergangenheit nach heute nicht mehr produktiven Mus- tern gebildet (z.B. maintenir, bouleverser). Bollée meint, dass heute einzig folgendes Muster produktiv sei: avoir faim, prendre froid, tenir tête, faire face, faire grève, faire escale. Aller- dings ist nicht eindeutig klar, ob diese Form überhaupt als Zusammensetzung anzusehen ist. Des Weiteren weist sie darauf hin, dass sich bei der Nominalkomposition primär das Prob- lem der Unterscheidung zwischen Komposita (Wortbildungsprodukten) und freien syntakti- schen Fügungen (oder Kollokationen) stellt. Um zu klären, welche Verbindungen von zwei oder mehr Lexemen zu den Komposita gerechnet werden sollen und welche nicht, führt sie folgende Bildungen als potentielle Kandidaten mit Beispielwörtern an:

A. Substantiv + Substantiv: cigarette-filtre, bar-restaurant.
B. Verblexem + Substantiv: garde-robe, porte-monnaie, tire-bouchon.
C. Bildungen aus gelehrten Konstituenten1: télégramme, orthographe, démocrate, ethnologue.
D. Adjektiv + Substantiv oder Substantiv + Adjektiv: grand-mère, basse-cour, mauvaises herbes; film muet, table ronde, marée basse, dessin animé.
E. Substantiv + Präposition + Substantiv : pomme de terre, chemin de fer, brosse à dents ; eventuell mit Binnenartikel robe du soir, vent du nord.

Zur Überprüfung der vorangehend aufgeführten möglichen Kompositaformen verwendet Bollée die von Barbara Wolf in deren Dissertation „Nominalkomposition im Deutschen und Französischen“ (1990:28f.) aus der vorhandenen Literatur zusammengetragenen Definitionskriterien. Dies sind die folgenden:

(1) Komposita bestehen aus mindestens zwei Lexemen.

Dieses Kriterium ist auch für Rohrer (1977) das ausschlaggebende. Er rechnet zu- dem „nur solche Syntagmen zur Wortzusammensetzung, deren unmittelbare Konsti- tuenten autonome Formen sind“ (1977:21). Diese Anforderung können Bildungen aus gelehrten Konstituenten wie z.B. télégramme oder orthographe nicht erfüllen, da die Konstituenten hier keine freien Lexeme sind. Bollée spricht sich allerdings dennoch dafür aus, die auf diese Weise entstandenen Bildungen zu den Komposita zu zählen und nennt dafür semantische Gründe. „Sie bestehen eben aus zwei Lexemen, die ei- ne größere semantische Intension und eine geringere Extension haben als die Morpheme.“ (Bollée 1995:65).

(2) Die Elemente weisen inhaltlich eine determinative Struktur auf.

Unter einer determinativen Struktur ist zu verstehen, dass ein Kompositionsglied das andere determiniert, z.B. cigarette-filtre versus la cigarette sans filtre oder auch der Gegensatz von marée basse und marée haute. Zu beachten sei in diesem Falle, dass die Reihenfolge im Französischen (Determinatum-Determinans) sowie auch in ande- ren romanischen Sprachen sich von der im Deutschen und Englischen (Determinans- Determinatum) unterscheidet. Jedoch liegt nicht bei allen Komposita ein Determinati- onsverhältnis vor. Nicht vorhanden ist dieses z.B. bei Substantiv-Substantiv- Komposita wie bar-restaurant und porte-fenêtre und nach Ansicht von Bollée ebenso wenig bei Verblexem-Substantiv-Komposita wie tire-bouchon und gratte-ciel.

(3) Die begriffliche Einheit ist gewahrt.

Dieses Kriterium ist laut Bollée das problematischste. Was ist unter einer ‚begriffli- chen Einheit’ zu verstehen? Vor allem zur Bestimmung der in der Forschungsdiskus- sion umstrittenen Adjektiv-Substantiv- bzw. Substantiv-Adjektiv-Komposita sowie bei der Zusammensetzung der Form Substantiv-Präposition-Substantiv wird das Kriteri- um der ‚begrifflichen Einheit’ herangezogen. Schwarze (1988) klammert Bildungen des Typs Substantiv-Präposition-Substantiv (z.B. pomme de terre) aus der Wortbil- dung aus, da seiner Meinung nach Komposita nur Gebilde sind, „die durch die Syntax nicht erzeugt werden“. Ein Gebilde wie pomme de terre ist demzufolge auszuklam- mern, „weil [dessen] formale Struktur in der Syntax definiert ist“. (Schwarze 1988:530). Gelten lässt Schwarze Adjektiv-Substantiv- bzw. Substantiv-Adjektiv- Komposita in solchen Fällen, in denen eine ‚Verschmelzung’ zwischen Adjektiv und Substantiv eingetreten ist (z.B. ital. mezzanotte2 ). Eine weitere Sichtweise bringt Rainer (1993) in diese Diskussion ein. Bildungen des Typs D und E (s.o.) bezeichnet er als besondere Kategorie von Komposita, so genannte ‚syntagmatische Komposita’.

Seine Sichtweise drückt Bollée vereinfacht wie folgt aus: „Komposita sind neue‚ Beg- riffe’, die sich nicht aus der einfachen syntaktischen Kollokation3 der Bestandteile ergeben“4 (Bollée 1995:65).

Die Problematik des semantischen (begrifflichen) Kriteriums zeigt auch Rohrer (1977) sehr ausführlich auf. In der Literatur, z.B. bei Grevisse, wird oft der Terminus ‚idée unique’ zur Umschreibung der Bedeutung von Komposita herangezogen:

„Un mot quoique formé d’éléments graphiquement indépendants, est composé dès le moment où il évoque dans l’esprit, non les images distinctes répondant à chacun des mots composants, mais une image unique“ (zit. nach Wolf 1990:33).

Dies betreffend ist Rohrers Meinung allerdings vollkommen konträr, „die Definition des Kompositums als inhaltliche Einheit [sei] […] abzulehnen“ (1977:25). Zudem besteht seiner Ansicht nach ein völliger Widerspruch zwischen der Definition des Kompositums als inhaltliche Einheit einerseits und der Definition der Wortzusammensetzung als produktives Verfahren andererseits. Ein Wortbildungsmuster könne nur dann produktiv sein, wenn die nach diesem Muster geprägten Wörter auch materiell und inhaltlich analysiert werden können. Eine Bildung, die hingegen in verschiedene Einheiten zerlegbar ist, könne nicht gleichzeitig eine unauflösbare Einheit bilden (vgl. Roher 1977:26).

(4) Funktional reagiert das Kompositum im Satz wie ein Simplex.

Wolfs Kriterium, das Kompositum könne im Satz durch ein Simplex substituiert werden, hält Bollée für nicht trennscharf, da das selbe für freie syntaktische Fügun- gen, z.B. petit-pain versus grand pain, gelte.

(5) Das Kompositum ist der syntaktischen Gruppe gegenüber eindeutig abgegrenzt. s.o. (3).

(6) Bei Determinativkomposita5 wie auch bei Kopulativkomposita6 sind die Glieder nicht umkehrbar, ohne dass sich der Sinn verändert. z.B. procès-verbal, nicht *verbal-procès. Ausnahmen dieses Kriteriums bilden wenige Kopulativkomposita wie z.B. bracelet-montre = montre-bracelet (vgl. Thiele 1993:25).

(7) Die Konstituenten können einzeln nicht erweitert werden.

Dieses Kriterium wurde in der Literatur oft bemüht und ist sicher das zuverlässigste. Dort wird es auch als „Kriterium der Untrennbarkeit“ oder der „globalen Modifizierbar- keit“ bezeichnet. Letztere Formulierung führt Rohrer an, wenn er schreibt, man könne versuchsweise untrennbar nicht im rein materiellen Sinn, als ‚keine Einschübe dul- dend’, auslegen. Er schlägt folgende Definition vor: „Komposita sind Verbindungen von zwei oder mehreren Monemen, die nur global modifiziert werden können.“ (Roh- rer 1977:32)

Demzufolge können auch trennbare Komposita7 zugelassen werden, allerdings nur solche, bei denen ein eingeschobenes Element nicht nur eine der Konstituenten des „festen“ Kompositums modifiziert8.

Als weiteres mögliches Kriterium fügt Bollée noch hinzu:

(8) Das Kompositum ist lexikalisiert.

In ihren genaueren Betrachtungen weist Bollée darauf hin, dass dieses Kriterium e- benso unbrauchbar sei wie das der Orthographie (s.u.). Unter Lexikalisierung ist zu verstehen, dass Komposita üblich geworden sind und darum ihren Platz in Wörterbü- cher gefunden haben. Da es aber gerade in letzter Zeit eine sehr große Zahl von Neubildungen, ins besondere in Fachwortschätzen, sowie zahlreiche Ad-hoc- Bildungen in der Zeitungssprache gibt, die man intuitiv zu den Komposita rechnen würde, diese aber nicht oder noch nicht in Wörterbücher aufgenommen wurden, ist das Kriterium der Lexikalisierung zu Definitionszwecken ungeeignet.

Das Kriterium der Orthographie wurde von Wolf bewusst nicht mit angeführt, da dieses im Französischen nicht aussagekräftig ist (vgl. Thiele 1993). Bei Substantiv-Substantiv- Komposita, ebenso bei Adjektiv-Substantiv-Komposita, ist in manchen Fällen ein Bindestrich vorhanden, in anderen wiederum nicht. Zusammenschreibung wie im Deutschen kommt sehr selten vor, lediglich bei sehr alten und in der Regel nicht mehr durchsichtigen Bildungen (etwa printemps, malheur, malaise oder gentilhomme) ist diese noch vorzufinden (vgl. Bollée 1995).

Zu den bereits aufgeführten sind bei Thiele noch zwei weitere Kriterien zu finden:

(9) Es ist unmöglich, die adjektivische Konstituente zu steigern oder durch ein quantifizierendes Adverb zu determinieren.

z.B. sang-froid sang *extrêmement froid, chaise longue chaise très longue

(10) Eine Konstituente kann nicht durch eine andere ausgetauscht werden.

classe de neige z camp de neige.

2. Klassifikation der Nominalkomposita

Bei der Nominalkomposition im Französischen lassen sich verschiedene Klassifikationen vornehmen. Dies ist zunächst die Unterscheidung zwischen Kompositionen des Typs Sub- stantiv + Substantiv bzw. Nomen + Nomen (N + N) auf der einen und Kompositionen ohne grammatische Bindeglieder, so genannte asyndetische (‚reihende’) Komposita auf der ande- ren Seite.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Eines der Hauptziele der Dissertation von9 Christian Rohrer (1967, 1977) ist eine umfassende Klassifikation der Nominalkomposita (N+N-Komposita). Da er die von ihm aufgestellte Klassi- fikation bei der Neuauflage seiner Arbeit im Jahre 1977 selbst überholt hielt, sei sie an dieser Stelle lediglich erwähnt, soll jedoch keine ausführliche Behandlung erfahren. Auch Ulrich Wandruszka (1976) ist der Ansicht, dass eine „vollständige Klassifikation […] nach rein se- mantischen Kriterien“ (1976:92, zit. nach Bollée 1995:68) aufgrund der unüberschaubaren Zahl möglicher semantischer Relationen zwischen den Kompositionsgliedern utopisch sei. Hinzu kommt die Tatsache, dass zahlreiche Einzelfälle einen gewissen Interpretationsspiel- raum zulassen. Darum bringt Rohrers methodischer Ansatz, die Komposita auf zugrunde liegende Sätze zurückzuführen, keine Lösung, er verlagert das Problem der semantischen Vielfalt nur auf eine andere Ebene. Zudem lassen sich viele Komposita auf ganz unter- schiedliche Sätze zurückführen. Wandruszka (1976:93) bringt hierfür das Beispiel des deut- schen Wortes Ausländeruniversität mit den folgenden Beschreibungssätzen:

- Universität, die von Ausländern besucht wird,
- Universität, an der Ausländer studieren,
- Universität, die Ausländer ausbildet.

Dieses Beispiel bzw. dessen Erklärung mag zunächst ein wenig verwirren, da die drei Sätze vermeintlich das Selbe ausdrücken. Dies ist in der Tat so, sie drücken inhaltlich einen identischen Sachverhalt aus, jedoch ist die Form des Ausdrückens jeweils eine unterschiedliche. Mit anderen Worten und das ist es, was Wandruszka meiner Ansicht nach beabsichtigt, zum Ausdruck zu bringen: ein Wort, genauer ein Nominalkompositum, lässt sich nicht auf den einen, einzig möglichen Satz zurückführen. Viele Komposita lassen sich mit zahlreichen unterschiedlichen Sätzen erklären, ohne dass ihre Bedeutung verändert wird.

[...]


1 Von Höfler (1972) „neulateinische Kompositionsweise“, von Schwarze (1988) „terminologische Kombinatorik“ genannt

2 Mitternacht

3 Fügung

4 Rainers Beispiel für den Typ E ist span. casco azul, franz. casque bleu ‚Blauhelm’, was eben nicht einen ‚blauen Helm’ bezeichnet, sondern einen ‚Uno-Soldaten’. Allerdings ist in vielen Fällen die Abgrenzung längst nicht so klar.

5 Hierauf wird in den Abschnitten 2.2. und 2.3. genauer eingegangen.

6 dito

7 z.B. dt. der Boxer schlug seinen Gegner zusammen (Bollée 1995:67)

8 z.B. une chaise longue *une chaise très longue, une pomme de terre *une pomme blanche de terre, niveau de travail *niveau bas de travail (vgl. Thiele 1993 :26)

9 Beispiele aus Sokol 2001:93

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Nominalkomposition im heutigen Französisch
Hochschule
Friedrich-Schiller-Universität Jena  (Institut für Romanistik )
Veranstaltung
Wortbildung im heutigen Französisch
Note
2,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
18
Katalognummer
V55351
ISBN (eBook)
9783638503303
ISBN (Buch)
9783638916233
Dateigröße
442 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Nominalkomposition, Französisch, Wortbildung, Französisch
Arbeit zitieren
Nicole Fleischmann (Autor:in), 2005, Nominalkomposition im heutigen Französisch, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/55351

Kommentare

  • Gast am 2.8.2006

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