Der Fall Metallgesellschaft und die Lehren daraus


Seminararbeit, 2006

28 Seiten, Note: Sehr gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Falldarstellung

3. Risiken einer Unternehmung aus Festpreislieferverpflichtungen und deren Absicherung
3.1 Risiken aus Festpreislieferverpflichtungen
3.2 Risiken aus Absicherungsgeschäften von Festpreisliefergeschäften

4. Die Festpreislieferverträge und die hiermit verfolgte Geschäftsstrategie der MGRM
4.1 Die Geschäftsstrategie
4.2 Die Festpreislieferverträge

5. Die Risikostrategie der MGRM
5.1 Darstellung der Risikostrategie der MGRM
5.2 Cashflowproblematik und Liquiditätskrise
5.3 War das Risikomanagement der MGRM angemessen oder spekulativ?
5.3.1 Gibt es eine Antwort auf die Schuldfrage?
5.3.2 Rechnerisches Fünfperiodenbeispiel zur Absicherungsstrategie der MGRM
5.3.3 Mögliche Antworten auf die Schuldfrage

6. Fazit - Die Lehren aus dem Fall Metallgesellschaft

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Mit dem Einsatz von derivativen Instrumenten machten in der Vergangenheit immer wieder Firmen durch immense Verluste oder sogar Insolvenzen (negative) Schlagzeilen. Äußerst prominente Fälle stellen die des Bankhauses Barings, der Landkreis Orange County, Procter & Gamble sowie der Metallgesellschaft AG (MG) dar. Hierbei stand grundlegend die Qualität der internen Kontrollmechanismen zur Überwachung der Derivate-Transaktionen in der Kritik.[1] Im speziellen Fall der MG rückte zudem die angewandte Absicherungs­strategie und die daraus resultierende Cashflowproblematik in den Mittelpunkt wissenschaftlicher Diskussionen.[2] Diese Absicherungsstrategie war Teil der Geschäftsstrategie eines Tochter­unternehmens der MG, nämlich der us-amerikanischen[3] Tochtergesellschaft namens Refining and Marketing Inc. (MGRM). Die MGRM war ein auf den amerikanischen Energie­markt spezialisiertes Unternehmen, dass schon seit einigen Jahren versuchte Marktanteile auf dem amerikanischen Energiemarkt[4] zu gewinnen. Um sich besser auf diesem Markt zu etablieren, wurden spezielle Lieferverträge für Öl offeriert. Durch diese Verträge entstanden für die MGRM Risiken, welche durch eine spezielle Absicherungsstrategie verhindert werden sollten. Durch die in dieser Strategie genutzten Termingeschäfte entstanden am Ende des Jahres 1993 und zu Beginn des Jahres 1994 allerdings Verluste. Diese waren so erheblich, dass die Mutter­gesellschaft MG in existenzbedrohende Zahlungsschwierigkeiten versetzt wurde. Dem­ent­sprechend musste die MG durch eine beachtliche (wie auch gleichzeitig umstrittene Rettungs­aktion) eines Bankenkonsortiums vor dem drohenden Konkurs bewahrt werden. Der Fall MG wirft folglich eine zentrale Frage auf: Weshalb entstanden solche immensen Verluste, wenn doch strategisch abgesichert wurde - hatte die MGRM spekuliert?

Die hier vorliegende Arbeit greift diese Frage auf und versucht, in Grundzügen einen Ansatz zur Beantwortung dieser Frage zu entwickeln, zumindest aber eine grobe und verständliche Skizze des „Falls MG“ zu bieten. Denn der Fall MG erweist sich als sehr geeignet, Risiken, welchen sich ein Unternehmen durch den Einsatz von derivativen Instrumenten im Risiko­management aussetzt, darzustellen. Hierzu wird zunächst der Fall MG näher erläutert (Punkt 2), danach werden die für eine Unternehmung aus Festpreis­lieferverträgen entstehenden Risi­ken und mö­gli­che Absicherungssysteme be­sprochen (Punkt 3). Nachstehend folgt eine Dar­stellung der Cha­rakter­istik der Geschäftsstrategie und der angebotenen Festpreisliefer­verträge (Punkt 4). Sodann wird die Risikostrategie der MGRM behandelt, wobei die bei der MGRM entstandene Liquiditätskrise und zuletzt die Fragestellung, ob im Fall der MGRM spekulativ gehandelt wurde beziehungsweise die Frage, wo sich die Grenzen zwischen Risikoab­sicherung und Spekulation befinden, im Mittelpunkt der Ausführungen stehen (Punkt 5).

Am Ende der Arbeit sollte es gelungen sein, den Fall MG anhand zentraler Aspekte illustriert und kritisch hinterfragt beziehungsweise zum weiteren kritischen Nachdenken angeregt zu haben: Welche Lehren können andere Unternehmen aus dem Fall MG gewinnen?(Punkt 6)

2. Falldarstellung

Bevor der Fall[5] MG ausführlich skizziert wird, folgen zunächst einige „Eckdaten“ zur MG: Die MG wurde 1881 von Wilhelm Merton ge­gründet. Bis zum ersten Weltkrieg entwickelte sich der Konzern zu einem Spezialisten für Bergbau und Rohstoffhandel. In den Folgejahren veränderte sich die MG durch die von starkem Wachstum geprägten Metall- und Chemiemärkten zu einer horizontal und vertikal integrierten Unternehmensgruppe die über ein weltweites Netz von Standorten verfügt.[6] Im Jahr 2005 wurde das Unternehmen in die GEA AG[7] (Global Engineering Alliance) umbe­nannt und der Hauptsitz von Frankfurt am Main nach Bochum verlegt. Heute ist das Unternehmen ein international tätiger Konzern, der sich auf Handel, Chemie, Anlagenbau und Bautechnik konzentriert. Die Gea Group erwirtschaftete im Geschäftsjahr 2004 mit rund 17.000 Mitarbeitern einen Konzernumsatz von 4,1 Milliarden Euro.[8]

Zum Fall MG: Die Metallgesellschaft AG erlitt Ende des Jahres 1993 Verluste in Milliarden­höhe. Diese wurden durch ihre amerikanische Tochtergesellschaft MGRM verursacht. MGRM hatte die Absicht, sich auf dem US-amerikanischen Öl-Markt als neuer Ölversorger zu etablieren. Um dieses Vorhaben zu ermöglichen verwendete MGRM ab dem Jahr 1991 eine spezielle Marketingstrategie. Diese offerierte den Kunden verschiedene langfristige Öllieferverträge zu Festpreiskonditionen. Das hierdurch für MGRM entstehende Risiko von Ölpreisveränderungen sollte durch Termingeschäfte reduziert beziehungsweise eliminiert werden. Diese Absicherungsstrategie verursachte allerdings aufgrund der zum Jahresende 1993 fallenden Ölpreise erhebliche Verluste. Hierdurch entwickelte sich für den gesamten Mutterkonzern eine existenzbedrohende Liquiditätskrise. Im Geschäftsjahr vom 1. Oktober 1992 bis zum 30. September 1993 sowie im ersten Quartal 1993/94 musste die MG einen Verlust von 2,3 Mrd. DM verzeichnen. Im Dezember 1993 waren alle Dispositionsspielräume der MG voll ausgeschöpft; ohne neue finanzielle Mittel stand der traditionsreiche Konzern vor einem drohenden Konkurs. Nachdem das Ausmaß und Verlustpotential der durch die MGRM getätigten Ölgeschäfte deutlich wurde, übten die Hausbanken der MG über ihre Aufsichtsratsvertreter starken Einfluss auf das Unternehmen aus. Am 17. Dezember 1993 wurde durch den Aufsichtsrat fast das komplette Führungsteam der MG entlassen und ein neuer Vorstand bestimmt. Dieser leitete ein umfangreiches Sanierungskonzept sowie Strategien zur Bereinigung der Ölgeschäfte ein. Der erforderliche Finanzbedarf wurde durch umfassende finanzielle Sanierungskonzepte bereitgestellt. Die Umsetzung erfolgte im We­sentli­chen durch außergerichtliche Vereinbarungen - dem sogenannten „Workout“.[9]

Es stellt sich nun die Frage, wie es zu solch einer Notsituation der Metallgesellschaft kommen konnte. Hierfür werden im folgenden Kapitel die aus Festpreislieferverpflichtungen resul­tieren­den Risiken einer Unternehmung näher untersucht.

3. Risiken einer Unternehmung aus Festpreislieferverpflichtungen und deren Absicherung

3.1 Risiken aus Festpreislieferverpflichtungen

Schließt ein Unternehmen mit seinen Kunden Festpreislieferverträge, so entstehen hierdurch Risiken für beide Vertragsparteien.[10] In Berücksichtigung des Falls Metallgesellschaft werden in diesem Kapitel nur die Risiken für die sich verpflichtende Partei dargestellt nicht die des Abnehmers. Unter Risiko einer Unternehmung versteht man ein Ereignis, das einerseits unsicher ist und andererseits Auswirkungen auf den Unternehmenserfolg darstellt.[11] Im Bezug zur Metallgesellschaft ist unter Festpreislieferverpflichtung die folgende Verpflichtung zu verstehen: Dem Kunden wird ein vereinbartes Ölprodukt zu dem bei Vertragsabschluss ver­ein­barten Festpreis auf einen Zeitraum von bis zu zehn Jahren geliefert. Anders formuliert, die Unternehmung geht eine „Short-Position“ ein. Darunter versteht man die Verpflichtung, eine bestimmte Menge eines bestimmten Wertes zu einem im Voraus festgelegten Preis zu einem bestimmten Zeitpunkt zu liefern. Die entgegengerichtete Position des Vertragspartners hingegen wird als „Long-Position“ bezeichnet. Durch die Einnahme dieser Short-Stellung entsteht ein Risiko, das sogenannte Marktrisiko beziehungsweise Preisänderungsrisiko. Das Marktrisiko bezeichnet das Risiko von Handelspositionsverlusten, bei ungünstiger (uner­warteter) Preisänderung. Dieses kann sich bei steigenden Öl-Kursen als Problem entwickeln. Hierzu ein Beispiel: Eine Firma schließt mit ihrem Kunden einen Festpreis­liefervertrag über ein bestimmtes Produkt (Basiswert), der mit einem Kunden im Vertrag vereinbarte Bezugs­preis für das Produkt liegt bei 20 US$, der Tageskurs des Underlyings (des zugrunde liegenden Wertes) am Fälligkeitstag bei 25 US$. Macht der Kunde nun Gebrauch von seiner Möglichkeit, den Basiswert zu 20 US$ zu beziehen, so muss das Unternehmen die durch das Marktrisiko entstandene Differenz von 5 US$ tragen.[12] Da dieser den Basiswert zu 25US$ am Markt kaufen und zu 20 US$ weiterverkaufen muss. Es stellt sich die Frage, wie eine Unternehmung das Preisänderungsrisiko hedgen (abgeleitet von dem englischen Begriff "to hedge", sich gegen Risiken absichern) kann. Eine Möglichkeit wäre es, das jeweilige Produkt "auf Lager zu halten". Dies bedeutet, dass der Lieferant bereits bei Vertragsabschluss sich mit der zu einem späteren Zeitpunkt zu liefernden Produktmenge eindeckt und dieses bis zur Auslieferung einlagert. Mit der Strategie, das Produkt auf Lager zu halten, treffen den Verkäufer unerwartete Preisänderungen in der Regel nicht mehr – vorausgesetzt, es kommen nicht ständig neue Verträge hinzu, wodurch das Lager immer wieder neu eingedeckt werden müsste. Diese Strategie erfordert allerdings bei bestimmten Produkten, wie beispielsweise Rohstoffen immense Lagerkosten. Zudem bindet die Lager­haltung die Liquidität des Verkäufers, da dieser die Ware vorab kaufen muss. Eine andere Möglichkeit der Absicherung ist der Einsatz von Instrumenten des Terminmarktes beziehungsweise der Terminbörse. Hier sind im Wesentlichen zwei Instrumente zu unterscheiden:[13] Einerseits die an den Börsen gehandelten Finanzinstrumente wie Futures[14] und Optionen[15], andererseits die außerhalb der Börse gehandelten „Over-the-Counter“-Termin­geschäfte[16] (OTC). Der Sicherheitssuchende geht mit einem solchen Produkt ein Gegengeschäft ein. Nimmt man das zuvor genannte Beispiel, so würde ein Hedgegeschäft mit Futures wie folgt aussehen: Die Preiszusage an den Kunden liegt bei 20 US$, als Liefertag des Underlyings wird der 20. Oktober 2006 vereinbart. Möchte der Verkäufer nun das Markt­risiko eliminieren, so handelt er wie folgt: Neben dem Geschäft mit dem Kunden wird zudem ein Future auf den vereinbarten Basiswert mit Fälligkeit am 20. Oktober 2006 gekauft. Es muss sich hierbei um einen Long Future mit der Basis 20 US$ handeln, der den Bezug auf ein Stück des Basiswertes beinhaltet. Ein Long Future beinhaltet das Recht, den Basiswert zu einem vereinbarten Preis am Fälligkeitstag zu beziehen. Hierdurch wird nun ein Gegen­geschäft aufgebaut. Bei dieser Strategie betritt der Sicherheitssuchende somit mindestens zwei Märkte. Einerseits die Verpflichtung den Basiswert zu 20 US$ zu liefern (Vertrags­vereinbarung mit Kunden), andererseits das Recht diesen zu 20 US$ zu beziehen (Future). Steigt nun bis zum Lieferzeitpunkt der Kurs des Underlyings auf 25 US$, so ist die Preis­differenz von 5 US$ für das Unternehmen nicht länger relevant. Schließlich kann durch den Future der Basiswert zu 20US$ bezogen werden und gleichzeitig an den Kunden für 20 US$ verkauft werden. Ergänzend ist zu erwähnen, dass der Future normalerweise eine Prämie beziehungsweise Agio (Aufschlag) beinhalten würde. Das Unternehmen hätte den Future somit teurer als zu 20 US$ erworben. Dies ist jedoch nicht als Risiko zu sehen, da der Preis des Futures dem Unternehmen bekannt ist. Das Agio kann somit dem Preis des Fest­preisliefervertrages hinzugerechnet werden, und vom Kunden getragen werden. Das Markt­risiko ist auch bei dieser Möglichkeit vollständig gehedgt. Entscheidet sich die Unternehmung für eine dieser Hedgestrategien, so ergibt sich jedoch eine neue Ausgangslage. Zwar ist das Marktrisiko nun eliminiert, doch die Hedge-Strategie setzt das Unternehmen neuen Risiken aus. Diese können von großer Bedeutung sein, und werden deshalb im folgenden Kapitel näher dargestellt.

[...]


[1] Vgl. Herbeck (1997)

[2] siehe bspw. Culp/Miller (1994,1995), Edwards/Canter (1995), Hilliard (1995), Mello/Parsons (1995), Pirrong (1997), Ross (1995), Herbeck (1997), und Wahrenburg (1996)

[3] Im folgenden wird der Begriff "amerikanisch" verwendet, dieser bezieht sich auf us-amerikanisch

[4] Der Begriff "Energiemarkt" bezieht sich in dieser Arbeit auf den Markt der Verarbeitung von Rohölprodukten und deren Vermarktung.

[5] Die Ausführungen dieses Kapitels beziehen sich auf Herbeck (1997), Frankel/Palmer (1996)

[6] Vgl. Goller (1999), Jahresabschluss 1988/89, Mai 1990, S. 2296-2305.

[7] Da sich der Fall auf die Jahre 1993/1994 bezieht, wird in dieser Arbeit die damalige Unternehmensbezeichnung "Metallgesellschaft AG" (MG) verwendet.

[8] Vgl. hierzu GEA Group im Internet: http://www.geagroup.com

[9] Vgl. Goller (1999)

[10] Vgl. hierzu und im Folgenden auch Herbeck (1997)

[11] Vgl. Romeike/Finke (2003)

[12] In diesem Beispiel wird vorausgesetzt, dass der Verkäufer bei Vertragsvereinbarung nicht in physischem Besitz des zu liefernden Wertes war. Er hat den Basiswert sozusagen "leer" verkauft.

[13] Vgl. Romeike/Finke (2003)

[14] Ein Future bezeichnet einen verbindlichen Vertrag (Kontrakt) zwischen zwei Parteien. Dieser ist ein börsengehandeltes Termingeschäft. Vgl.: Hull (1998)

[15] Option ist ein zeitlich begrenztes Recht (keine Pflicht), ein vom Vertragspartner festgelegtes Kauf- oder Verkaufsangebot wahrzunehmen oder abzulehnen. Vgl. hierzu Mandelbrot (2005)

[16] Over the counter (OTC) ist die Bezeichnung für Wertpapiere, die nicht im offiziellen Börsenhandel notiert, sondern sozusagen "über den Tresen" gereicht werden. Im Derivatehandel bezeichnet dieser Begriff Handelsaufträge, die nicht über die Börsen platziert werden, also den so genannten "außerbörslichen Handel". Vgl. hierzu Mandelbrot (2005)

Ende der Leseprobe aus 28 Seiten

Details

Titel
Der Fall Metallgesellschaft und die Lehren daraus
Hochschule
Universität Basel  (Abteilung Corporate Finance)
Veranstaltung
Accounting / Corporate Finance / Investments
Note
Sehr gut
Autor
Jahr
2006
Seiten
28
Katalognummer
V55333
ISBN (eBook)
9783638503211
Dateigröße
646 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Aktuelle Seminararbeit einer Schweizer Universität mit der Note sehr gut. Arbeit ist unter anderem durch wertvolle Anregungen von Herrn Prof. Christopher L. Culp (Prof. an der Universität Chicago und eine führende Person in der wissenschaftlichen Diskussion über den Fall MG) entstanden
Schlagworte
Fall, Metallgesellschaft, Lehren, Accounting, Corporate, Finance, Investments
Arbeit zitieren
Peter Weber (Autor:in), 2006, Der Fall Metallgesellschaft und die Lehren daraus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/55333

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