Umgangsformen: Die Deutschen und der gute Ton


Seminararbeit, 2005

19 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Umgangsformen – Eine historische Einführung
2.1 Das Leben des Freiherrn von Knigge
2.2 „Über den Umgang mit Menschen“ – Inhalt und Aufbau
2.3 Definitorischer Abriss

3. Der gute Ton in Deutschland
3.1 Der gute Ton zwischen Muttersprachlern und Nicht-Muttersprachlern
3.2 Kommunikative Probleme für Nicht-Muttersprachler
3.2.1 Die „richtige“ Anrede: Du oder Sie
3.2.2 Der gute Ton der (non-)verbalen Kommunikation

4. Fazit

5. Quellenverzeichnis
5.1 Literatur
5.2 Internet

6. Abbildungsverzeichnis

1. Einleitung

In den Medien heißt es „Benimm ist wieder in“, doch war es jemals „out“? Höflichkeit war und ist zu jeder Zeit ein elementarer Teil des menschlichen Zusammenlebens. Was jedoch unter „gutem Benimm“ zu verstehen ist, wie es definiert wird, ist abhängig von Kulturkreis und Zeitgeist.

Die vorliegende Hausarbeit beschäftigt sich mit dem Thema „Umgangsformen – Der gute Ton in Deutschland“.

In diesem Kontext fällt häufig der Begriff „Knigge“[1]. Aufgrund dessen gehe ich einleitend auf die Biografie der Person Adolph Freiherr von Knigge ein. Desweiteren werde ich sein wohl bekanntestes Werk „Über den Umgang mit Menschen“ vorstellen, wobei sich zeigt, dass sein Gedankengut noch heute auf das Verständnis von Höflichkeit in Deutschland nachwirkt. Um dies zu verdeutlichen stelle ich einen intertemporären Vergleich synonym verwendeter Begriffe für „gutes Benehmen“ auf.

Anschließend wird im Schwerpunkt dieser Arbeit die heutige Bedeutung von gesellschaftlichen Umgangsformen erörtert. Die Komplexität des zu behandelnden Themas erfordert eine Eingrenzung auf einige, meines Erachtens, aussagekräftige Aspekte.

Insbesondere gehe ich auf den gegenwärtigen „guten Ton“ zwischen Muttersprachlern und Nicht-Muttersprachlern in der Bundesrepublik Deutschland ein, was gerade im Bereich der interkulturellen Germanistik ein zentrales Thema ist. Dabei greife ich Verhaltensweisen auf, die als „typisch deutsch“ betitelt werden und stelle anhand von Beispielen einen Vergleich zu anderen europäischen Ländern auf.

Zudem gehe ich auf die vermeintlich „richtige“ Anredeform als ein besonders beachtetes Charakteristikum von Höflichkeit ein. So wird beispielsweise der Verwendung des pronominalen „Sie“ große Beachtung geschenkt. Dabei ergeben sich hier, vor allem für Nicht-Muttersprachler, Probleme.

Durch die 68er-Bewegung ergaben sich deutliche, gesellschaftliche Veränderungen, wovon ich einige in meiner Ausarbeitung noch näher behandele. Die kontrovers geführte Diskussion zwischen Konservativen und Anhängern der 68er-Generation, ob durch die anti-autoritären Erziehungsmethoden tatsächlich ein Werteverfall innerhalb Deutschlands eingetreten ist, werde ich nicht thematisieren.

2. Umgangsformen – Eine historische Einführung

Jedem ist der „Knigge“ als Handbuch für gutes Benehmen geläufig. Doch dass Adolph Freiherr von Knigge 1788 mit seinem Werk „Über den Umgang mit Menschen“[2] dafür den Grundstein legte, ist nur den wenigsten bekannt. Im Folgenden gehe ich daher näher auf seinen Lebenslauf ein.

Dieser Freiherr […] war ein unruhiger Kopf, ein kritischer Geist, dessen Interesse als Mensch und Schriftsteller dem aktuellen Geschehen, dem politischen und sozialen Leben seiner Zeit galt.“

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Brockhaus – Enzyklopädie,

1990, S. 112.

Abb. 1: A. F. von Knigge

2.1 Das Leben des Freiherrn von Knigge

Adolph Franz Friedrich Ludwig Freiherr von Knigge wurde am 16. Oktober 1752 in Bredenbeck bei Hannover als einziger Sohn von Philipp Carl Freiherr von Knigge und Louise Wilhelmine, geb. Freiin Knigge, geboren. Schon früh war sein Leben von Rückschlägen geprägt. Zwar verkehrte er bereits als Kind in den besten Kreisen, hatte Privatlehrer, doch im Alter von 13 Jahren wurde Adolph von Knigge Vollwaise. Da sein Vater ihm einen hohen Schuldenberg hinterließ, musste er jährlich mit 500 Reichstalern auskommen. Dies reichte gerade zum Überleben.

Knapp drei Jahre später immatrikulierte sich der junge Knigge an der Universität Göttingen, um dort Jura und Kameralwissenschaften zu studieren. Das Studium brach er allerdings nach drei Jahren ab und war in der Folgezeit für den Landgrafen von Hessen-Kassel als Hofjunker und Kammerassessor tätig. Ebenda lernte er die Hofdame Henriette von Baumbach kennen und heiratete sie 1773, kurze Zeit später wurde seine Tochter Philippine geboren. 1776 zog es ihn nach Weimar, wo er zwar von Herzog Carl August von Sachsen-Weimar auf Anraten Goethes zum Kammerherrn ernannt wurde, jedoch keine entsprechende Anstellung am Hofe erhielt.[3]

Ein Jahr später diente Knigge für einige Jahre am Hofe zu Hanau-Philippsthal als Leiter des Hoftheaters. Doch auch dort, wie schon bereits am Hessischen Hofe zu Kassel, kam es zu Konflikten zwischen dem Freiherrn und Angestellten, so dass er 1780 mit seiner Familie nach Frankfurt am Main zog.

Neben seinen Tätigkeiten an verschiedenen Theatern und Höfen, wurde das Leben des Freiherrn von Knigge auch „von seiner Ordenstätigkeit entscheidend geprägt und bestimmt“[4]. Seit seiner Studienzeit war er Mitglied in zahlreichen Logen bis er im Januar 1780 dem Illuminatenorden beitrat; dort habe er „sein ideales Betätigungsfeld gefunden“[5].

Gründer des Illuminatenordens war 1776 Professor Adam Weishaupt, dessen Ziel es war, die Moralität und guten Sitten der Menschen aufrechtzuerhalten, denn „dadurch könne […] die Reform vom Staat, Kirche und Gesellschaft […] erreicht werden“[6]. Die Ideen der Aufklärung sollten also durch Sittlichkeit verwirklicht werden, was genau Knigges Interessen entsprach. Von Knigge avancierte zum eifrigen Ordensbruder, so warb er im Norden des Deutschen Reiches neue Mitglieder und arbeitete konkrete Zielvorstellungen des Ordens heraus. Es kam jedoch zwischen Weishaupt und Knigge zunehmend zu Diskrepanzen, so dass sich Knigge 1784 von dem Illuminatenorden distanzierte und „seitdem als entschiedener Gegner aller geheimen Verbindungen auftrat“[7].

Da er in Frankfurt keine Anstellung fand, veröffentlichte er in dieser Zeit seine ersten Romane.[8] Hierin stellt er hauptsächlich den Sittenverfall an den Höfen dem tugendhaften Landleben gegenüber, wobei eindeutig autobiographische Erlebnisse einfließen.

„Ich liefere größtentheils Skizzen von dem Gewebe meiner eigenen
Empfindungen und herrschenden Leidenschaften, Geschichte meines
eigenen, oft irregführten Herzens – nicht, dass ich in meinem unruhigen
Leben in alle diese Labyrinthe des Verstandes und Herzens gerathen
wäre, durch welche ich den Held meiner Geschichte führe; aber doch in
viele derselben […].“[9]

Besonders auffällig an seiner Biografie ist, dass sein Umfeld häufig schnell Gefallen an ihm und seinen Tätigkeiten fand, doch ebenso schnell war dieses Interesse auch wieder Vergangenheit.[10] Möglicherweise hat er aufgrund seiner äußeren Lebensumstände versucht, sein eigenes Dasein in besonders geordneten Bahnen zu führen.

„Knigges Tagebücher sind mit peinlicher Gewissenhaftigkeit, außerordentlichen Kleinigkeitsgeist und höchst pedantischer Ordnungsliebe geführt“[11]. Er hat jeglichen Schriftverkehr protokolliert. Seine Briefe hat er sorgsam unterteilt in „empfangene“ und „geschriebene Briefe“. Gleiches galt bei Besuchen, er notierte hierfür „empfangene Besuche“, „gegebene Besuche“ und sogar „abgesagte und vermiedene Besuche“. Sämtliche Texte, die er jemals gelesen hatte, wurden genauestens aufgeschrieben.[12]

Auch wenn seine Handlungen, wie es scheint, durchaus kontrolliert wirken, war er ein leicht erregbarer Charakter:

„…an allem, was Gutes und Böses an mir ist; an allem, was ich Nützliches und Schädliches je gethan habe, ist die Beschaffenheit meines Temperaments schuld, dessen Wärme, Lebhaftigkeit und rastlose Thätigkeit von Jugend auf mich, trotz der Stimme der kälteren Vernunft, fortgestoßen hat.“[13]

Nach weiteren Umzügen ließ sich Knigge in seiner Heimatstadt Hannover nieder. Er spürte seinen körperlichen Verfall und wollte zur Absicherung seiner Tochter die Güter seines verstorbenen Vaters zurückerlangen.

1788, ein Jahr vor dem Ausbruch der französischen Revolution, brachte er sein bekanntestes Werk „Über den Umgang mit Menschen“ heraus. Seine letzten Jahre verlebte Knigge in der Reichsstadt Bremen, wo er in einer Anstellung als Oberhauptmann das Gebiet, welches dem Kurfürsten von Hannover gehörte, verwaltet hat. Nach schwerer Krankheit starb

Adolph Freiherr von Knigge am 6.Mai 1796 in Bremen.[14]

2.2 „Über den Umgang mit Menschen“ – Inhalt und Aufbau

Im März 1788 wurde der „Umgang“ in Hannover veröffentlicht. Aufgrund der hohen Nachfrage wurde noch im selben Jahr eine zweite Auflage gedruckt. Knigges Schriften über den Umgang waren zudem auch bald im Ausland zu lesen. Bereits im 19. Jahrhundert war die Bezeichnung „Knigge“ vielmehr das Synonym für ein Buch des guten Benehmens, als für den – wie der Autor sich selber nannte – „freien Herrn Knigge“. Der Mensch hinter dem Werk geriet zunehmend in Vergessenheit.

Um seine Ansichten besser zu verstehen, darf man vor allem den historischen Kontext nicht außer Acht lassen: Die territoriale Zersplitterung des Deutschen Reiches und starre Ständeklausel waren prägende Elemente jener Zeit.

„In keinem Lande in Europa ist es vielleicht so schwer, im Umgange mit Menschen aus allen Klassen, […] allgemeinen Beifall einzuernten […], als in unserm deutschen Vaterlande; denn nirgends vielleicht herrscht zu gleicher Zeit eine so große Mannigfaltigkeit des Konversationstons, der Erziehungsart, […], eine so große Verschiedenheit der Gegenstände, welche die Aufmerksamkeit der einzelnen Volksklassen in den einzelnen Provinzen beschäftigen.[15]

Parallel vollzogen sich weitreichende Veränderungen zu dieser Zeit. Im politischen und gesellschaftlichen Umbruch wurden neue Möglichkeiten gesehen, wie Staat und Gesellschaft anders organisiert werden konnten, ohne wieder in das System des Feudalabsolutismus zu verfallen. Von zentraler Bedeutung bei der Neuordnung waren Gewaltenteilung, Rechte und Mitbestimmungsansprüche der einzelnen Staatsbürger. Vor der Französischen Revolution wandte sich Knigge hauptsächlich den moralphilosophischen Fragestellungen zu, d.h. eine sittliche Erneuerung der Menschheit stand für ihn im Vordergrund.

Zu erwähnen ist hierbei auch, dass sich in der Epoche der Spätaufklärung zeitgleich ein Gegengewicht zur Vernunft unter den Literaten entwickelt hat: Die Zeit der Empfindsamkeit.

Die Bedeutung des Tagebuch- und Briefeschreibens stieg, die Selbstreflexion galt als tugendhaft. Denn nur, „wer die moralischen Werte selbst empfunden und verinnerlicht hat“[16], erlangte auch die „Beförderung der individuellen Glückseligkeit“[17] und diente damit gleichzeitig auch dem Gemeinwohl.

„Der Mensch in dieser Welt sucht Glückseligkeit[…], wenn er mit andern Menschen in Verbindung tritt; allein fühlt er sich hülflos und unbehaglich; um die Summe seiner Glückseligkeit zu vermehren, schließt er sich an seines Gleichen an.“[18]

Erst nach 1789 wurde Knigges politisches Denken über Liberalität und Demokratie in seinen Büchern deutlich. Seine Texte erlangten in ganz Deutschland einen hohen Beliebtheitsgrad, womit er vielen Revolutionären einen Schritt voraus war, denn deren Schriften wurden meist nur in einem eng begrenzten Raum veröffentlicht. Ein weiterer Punkt, der zur Popularität der Knigge-Bücher beigetragen hat, ist die Festlegung einer einheitlich deutschen Schriftsprache, um die sich der Sprachreformer Johann Christoph Gottsched im 18. Jahrhundert intensiv bemühte.

Der „Umgang“ wurde nicht gezielt für den Adel, wie es noch bei den Komplimentierbüchern im späten 16. und dem 17. Jahrhundert der Fall war, geschrieben, sondern für alle Schichten. Für Knigge waren weniger der durch Geburt bestimmte Stand als vielmehr „persönlicher Verdienst und persönliche Qualität“[19] von Bedeutung. Dies war ein Zeichen von „Anerkennung der Gleichheit und Gleichwertigkeit aller Menschen“[20] und entspricht dem Gedankengut der Aufklärung. Quell der Inspiration für den „Umgang“ waren ausschließlich seine eigenen Erfahrungen mit den unterschiedlichen „Gemütern“ verschiedener Gesellschaftsstände, er bezog sich nicht auf bereits geschriebene Texte.[21]

„Der Umgang mit Menschen“ umfasst drei Teile. Der erste Teil beschäftigt sich mit „allgemeinen Bemerkungen und Vorschriften über den Umgang mit Menschen“, „über den Umgang mit sich selbst“ und „über den Umgang mit Leuten von verschiedenen Gemütsarten, Temperamenten und Stimmungen des Geistes und Herzens“. Hier ist Knigges Denken gegen die Stände-Regelung klar und deutlich zu erkennen, jeder Mensch soll mit seinen Mitmenschen umgehen können, unabhängig davon, welcher Gesellschaftsschicht der andere zugehörig ist. Die Charaktereigenschaften stehen im Vordergrund, also der Mensch an sich, nicht seine soziale Herkunft. Vor allem der erste Teil könnte aus heutiger Sicht nicht nur Benimmfibel, sondern auch Motivationshandbuch sein:

[...]


[1] Als allgemeiner Begriff für die heutige Anstandsliteratur zu verstehen.

[2] Zum besseren Verständnis in der vorliegenden Arbeit „Umgang“ genannt.

[3] Vgl. Bethmann, Anke/ Dongowski, Gerhard: Adolph Freiherr Knigge an der Schwelle zur Moderne, S. 41-43.

[4] Ebd. S.4.

[5] Ebd. S. 4f.

[6] Ebd. S. 5.

[7] Ebd. S. 5.

[8] Freiherr Knigge, Adolph: Der Roman meines Lebens in Briefen herausgegeben. Der erste und zweite Teil erschienen 1781, der dritte und vierte Teil folgten 1782/ 83.

[9] Freiherr Knigge, Adolph: Die Verirrungen des Philosophen. Erster Teil, S.X.

[10] Vgl. Freiherr Knigge, A.: Der Umgang mit Menschen, S. 428.

[11] Vgl. das Kapitel „Knigges Nachlaß“ in: Zwischen Moral und Weltklugheit, S.29.

[12] Ebd.

[13] Freiherr Knigge, A.: Über den Umgang mit Menschen, S. 426.

[14] Vgl. Mitralexi, K., S. 4.

[15] Ebd. S. 24.

[16] Freund, Winfried: Deutsche Literatur. Schnellkurs, S. 60f.

[17] Bethmann, A./ Dongowski, G.: „Verhältnis von Moral und Politik“. In: Zwischen Moral und Weltklugheit, S.34.

[18] Ebd. S.36

[19] Ebd. S. 10f.

[20] Mitralexi, Katherina: Über den Umgang mit Knigge, S.10.

[21] Vgl. Ebd. S. 44.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Umgangsformen: Die Deutschen und der gute Ton
Hochschule
Universität Bayreuth
Note
1,7
Autor
Jahr
2005
Seiten
19
Katalognummer
V55262
ISBN (eBook)
9783638502634
ISBN (Buch)
9783638792165
Dateigröße
564 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Schwerpunkte dieser Arbeit liegen auf dem Wirken des Freiherrn von Knigge auf gesellschaftliche Umgangsformen und dem "guten Ton" zwischen Muttersprachlern (deutsch) und Nicht-Muttersprachlern. Dichter Text - einzeiliger Zeilenabstand
Schlagworte
Umgangsformen, Deutschen
Arbeit zitieren
Julia Kietzmann (Autor:in), 2005, Umgangsformen: Die Deutschen und der gute Ton, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/55262

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