Analyse der Kerkerszene in Wolfgang Johann von Goethes Faust I. Eine Tragödie.


Hausarbeit (Hauptseminar), 2003

26 Seiten, Note: 2,5


Leseprobe


Gliederung:

1 Einleitung

2 Hintergründe zur „Kerkerszene“
2.1 Vergleich zum „Urfaust“
2.2 Susanna Margaretha Brandt
2.3 Das Machandelboom-Märchen

3 Inhalt der „Kerkerszene“

4 Interpretatorische Analyse
4.1 Äußere Form
4.2 Innere Form
4.2.1 Eingangsmonologe der Hauptcharaktere der Szene
4.2.2 Hauptteil der Szene
4.2.3 Schluss der Szene

5 Schlussgedanke

6 Bibliographie
6.1 Primärliteratur
6.2 Sekundärliteratur
6.3 Internetseiten

1 Einleitung

In Johann Wolfgang von Goethes „Faust. Der Tragödie erster Teil“ geht es hauptsächlich um Doktor Faust, welcher mit Mephistopheles, dem Teufel, eine Wette abschließt. Mephisto soll ihm einen Moment des irdischen Lebens zeigen, welcher Faust zu der Äußerung: „Verweile doch! du bist so schön!“ (V1700)[1] veranlasst. Falls Mephisto dies schaffen sollte, gehöre Faust ihm: „Dann magst du mich [= Faust] in Fesseln schlagen“ (V1701). Sollte Mephisto diese nicht gelingen, wird dieser auf Fausts Seele verzichten müssen. Auf der „Weltfahrt“ mit Mephisto erlebt Faust seine Verjüngung in der Hexenküche und Konfrontationen gesellschaftlicher und politischer Probleme seiner Zeit. Unter anderem lernt er Margarete (Gretchen) kennen, in die er sich „verliebt“. Gretchen ist ein wohlerzogenes, „braves“, junges Mädchen niederen Standes, welches Faust schnell verfällt. Zwischen beiden kommt es zur so genannten „Gretchen-Tragödie“: Sie bringt aus Versehen ihre Mutter durch ein vermeintliches Schlafmittel um, welches sie auf Anraten Mephistos bekommt; sie fühlt sich verantwortlich für den Mord an ihrem Bruder, Valentin, durch Faust mit der Hilfe Mephistos und ertränkt schließlich ihr und Fausts gemeinsames Kind.

Die Gretchen-Tragödie findet in der letzten Szene, der „Kerkerszene“ ihren Höhepunkt, ihr irdisches Ende, ihre Erlösung.

Die Schluss-Szene ist höchst interessant zu analysieren, da sich gegen Ende, vor allem eines Dramas oder, wie hier, einer Tragödie, die Handlung zuspitzt und am spannungsreichsten beziehungsweise tragischsten wird. Auch so in dieser: Die „Kerkerszene enthält das Höchstmaß an Dramatik, das im ‚Faust’ überhaupt möglich ist“[2]. Sie ist „etwas, zu dem es keinen Vergleich im ganzen Werk gab“[3]. Sie wird als „die mächtigste […] Szene“[4] der ganzen Tragödie bezeichnet. Darum reizt es mich besonders mich mit dieser letzten zu beschäftigen.

Bei der „Kerkerszene“ ist zu betonen, dass vor allem die letzten paar Verse, welche jeweils nur einen kurzen Ausruf einer Figur darstellen, nicht nur beim genauen Betrachten viele Bedeutungsmöglichkeiten zulassen, sondern auch den Bezug zum Mikro- und Makrokosmos darstellen, sowie eine Brücke zu allem Vergangenen im ersten Teil der Faust-Tragödie schlagen.

Vorerst werde ich einige Hintergründe zu der Szene zu erklären versuchen. Danach werde ich einen Überblick über den Inhalt der Szene geben, so dass der Teil der interpretatorischen Analyse möglich ist, welcher den Hauptteil der Arbeit ausmachen soll.

2 Hintergründe zur „Kerkerszene“

Bevor die besagte Szene also interpretatorisch analysiert wird, sollten einige Hintergründe aufgeführt und besprochen werden. Ich werde mich hier zu nur drei wichtigen Aspekten äußern; auf alle einzugehen würde den Rahmen dieser Arbeit womöglich sprengen.

2.1 Vergleich zum „Urfaust“

Der so genannte „Urfaust“, etwa 1774 in Frankfurt niedergeschrieben, war das erste Schriftstück über den Fauststoff, welches Goethe mit nach Weimar brachte: „Es waren noch Teile ohne einen ideellen inneren Zusammenhang“[5]. Dieser unterschied sich natürlich noch an vielen unterschiedlichen Stellen; nicht nur, dass einige wichtige Schlüsselszenen noch nicht vorhanden waren, beispielsweise die Wette zwischen Faust und Mephisto, auch sind die Versform und Wortwahl in einigen Szenen völlig anders.

Der größte Unterschied zwischen den zwei Fassungen zeigt sich in der „Kerkerszene“.

Im Urfaust ist sie in Prosa geschrieben und findet nur gelegentlich zum Reim zurück, was der Szene, im Vergleich zur letzten Fassung, viel mehr Leben, Spannung und Dramatik beziehungsweise Tragik gibt: „Die Fassung des »Urfaust« [ist] durch ihre Stärke und Natürlichkeit doch […] eindrucksvoller und ausdrucksvoller […]“[6] , als die des „Faust I“.

Einer der Gründe, weshalb Goethe diese Szene vorerst in Prosa geschrieben hat, könnte sein, dass er sich hierbei an Shakespeare hielt, bei dem die Prosa das Absinken des sozialen und menschlichen Niveaus unterstreicht[7]. Goethe orientierte sich oft und in vielen seiner Werke an Shakespeare, welcher einer seiner größten Vorbilder darstellte.

Ein weiterer Grund ist womöglich, dass Goethe diese Form in der „Kerkerszene“ auch dazu verwenden wollte, um Tragik und Spannung zu erzeugen. Dies ist ihm eindeutig gelungen, aber in einem Brief an Schiller am 5. Mai 1798 schrieb er:

„Ein sonderbarer Fall erscheint [...]: Einige tragische Szenen waren in Prosa geschrieben, sie sind durch ihre Natürlichkeit und Stärke in Verhältnis gegen das andere ganz unerträglich. Ich suche sie deswegen gegenwärtig in Reime zu bringen, da denn die Idee wie durch einen Flor durchscheint, die unmittelbare Wirkung des ungeheuern Stoffes aber gedämpft wird.“[8].

Obwohl dies sogar für Goethe eine nicht leicht zu bewältigende Aufgabe darstellte, meisterte er sie doch auf erstaunlich gute Weise: Er schuf die Szene nicht komplett neu, sondern behielt so viel wie möglich vom Urfaust-Text bei, wobei folgernd festzustellen ist, dass es sich bei der Umformung von Prosa zu Madrigalvers eher um eine formale, als um eine inhaltliche Veränderung handelt. Trotz allem stellt die veränderte „Kerkerszene“ ein Meisterwerk Goethes dar: „Es ist wirklich einzigartig, wie es Goethe gelang, in der endgültigen Gestalt die Gewalt der Form zum Triumph zu bringen“[9].

2.2 Susanna Margaretha Brandt

Da Gretchen in der letzten Szene den Fokus eindeutig auf sich zieht (im Verhältnis zum Rest der Tragödie spricht sie in dieser Szene den meisten Text, wobei dieser den Charakter eines Monologs hat), sollte kurz auf die Beeinflussung der 27-jährigen Dienstmagd Susanna Margaretha Brandt, welche im August des Jahres 1771 wegen Kindmord in Frankfurt zum Tode durch das Schwert verurteilt wurde, auf Goethes Gretchen, bezüglich der Kindstötung als Verzweiflungstat, eingegangen werden.

Goethe lebte zu dieser Zeit in Frankfurt und verfolgte die Verhandlungen der Kindsmörderin, sowie die Hinrichtung der jungen Frau. Goethe war damals eng befreundet mit dem Verteidiger der Angeklagten, Marcus Christoph Scharf, und erhielt durch ihn Einsicht in die Akten der Verhandlung: Susanna Margaretha Brandt wuchs in einer intakten Soldatenfamilie auf und arbeitete als Magd im Gasthaus „Zum Einhorn“. Dort wurde sie von einem der Gäste, der durch sein Aussehen und Auftreten in der Gemeinde unter den jungen Frauen beliebt und berüchtigt war, geschwängert und sodann von ihm verlassen. Vor Verwirrung und Hilflosigkeit tötete sie ihr Neugeborenes und flüchtete aus ihrer gewohnten Umgebung. Durch ein hohes Kopfgeld und den Verrat ihrer eigenen Schwester wurde Susanna Margaretha Brandt schnell von den Justizbehörden gefasst.

Margarethas Geständnisse erleichterten die Arbeit des Gerichts bezüglich der Verhandlungen, weswegen sie nicht - wie sonst üblich - im Fluss ertränkt, sondern auf dem Frankfurter Marktplatz vor allen Bürgern und Bürgerinnen öffentlich geköpft wurde.

Obwohl man weiß, dass Kindsmorde wegen dem hohen Druck der Gesellschaft auf unverheiratete Schwangere früher häufig vorkamen, machten sie in Frankfurt überraschenderweise nur zwei Prozent der kriminellen Delikte aus.

Die Parallelen zwischen Susanna Margaretha und Goethes Gretchen sind deutlich zu erkennen: Gretchen stammt auch aus einfachen Verhältnissen, sie verfällt Faust schnell und bekommt ein Kind von ihm. Jetzt, da sie seine Unterstützung und seinen gesellschaftlichen Beistand am meisten braucht, ist er verschwunden und steht somit nicht zu ihr. Sie fühlt sich so nicht nur von ihm alleingelassen, sondern auch hilflos, verzweifelt und in ihrer misslichen Lage der Unbarmherzigkeit und Verständnislosigkeit der Gesellschaft ausgeliefert.

[...]


[1] Johann Wolfgang von Goethe: Faust. Der Tragödie erster Teil. Lübeck: -A- Lektüre Verlag 1996. V 1700.

[2] Streicher, Wolfgang: Die dramatische Einheit von Goethes ‚Faust’. Betrachtet unter den Kategorien Substantialität und Funktionalität. Tübingen: Max Niemeyer Verlag 1966. S. 151.

[3] Arens, Hans: Kommentar zu Goethes Faust I. Heidelberg: Carl Winter Universitätsverlag 1982. S. 448.

[4] Daur, Albert: Faust und der Teufel. Eine Darstellung nach Goethes Dichterischem Wort. Heidelberg: Carl Winter Universitätsverlag 1950. S. 126.

[5] Strich, Fritz: Zu >Faust I< o. J. In: Schillemeit, Jost (Hg.): Interpretationen: Deutsche Dramen von Gryphius bis Brecht. Band II. Frankfurt am Main: Fischer Bücherei 1979. S. 76.

[6] Ebd. S. 82.

[7] Requadt, Paul: Goethes «Faust I». Leitmotivik und Architektur. München: Wilhelm Fink Verlag 1972. S.324.

[8] Hamburger Ausgabe: Goethes Werke. Band III Dramatische Dichtungen I. Textkritisch durchgesehen und kommentiert von Erich Trunz. München: C. H. Beck’sche Verlagsbuchhandlung 161996. S. 430.

[9] Strich, Fritz S. 81.

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Analyse der Kerkerszene in Wolfgang Johann von Goethes Faust I. Eine Tragödie.
Hochschule
Bayerische Julius-Maximilians-Universität Würzburg  (Institut für Deutsche Sprache und Literaturwissenschaft)
Veranstaltung
Faust I
Note
2,5
Autor
Jahr
2003
Seiten
26
Katalognummer
V55220
ISBN (eBook)
9783638502337
ISBN (Buch)
9783638774987
Dateigröße
536 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Analyse, Kerkerszene, Wolfgang, Johann, Goethes, Faust, Eine, Tragödie, Faust
Arbeit zitieren
Nina Bergner (Autor:in), 2003, Analyse der Kerkerszene in Wolfgang Johann von Goethes Faust I. Eine Tragödie., München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/55220

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