Ungarn - Vom Volksaufstand 1956 bis zur "samtenen Revolution" 1989


Seminararbeit, 2006

26 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1) Der Volksaufstand 1956 und die ersten Jahre des Kádár-Regimes (Frühkádárismus)

2) Epoche der Konsolidierung und Reformen - das „Goldene Zeitalter“ (~1962 bis 1975)

3) Spätkádárismus I – die späten 70er-Jahre

4) Gesellschaft im Kádárismus

5) Spätkádárismus II – der Niedergang des Systems in den 80er-Jahren

6) Die „samtene Revolution“ 1988/89

7) Die wirtschaftliche Krise Osteuropas in den 70er und 80er-Jahren.

8)Literaturverzeichnis.

1) Der Volksaufstand 1956 und die ersten Jahre des Kádár-Regimes ( Frühkádárismus)

Um die über 30 Jahre lange Regierungszeit János Kádárs in Ungarn entsprechend verstehen zu können, ist es unumgänglich, beim Jahr 1956 zu beginnen. Es wurde hier nicht nur der Grundstein für die doch recht eigene Entwicklung Ungarns in den folgenden Jahrzehnten gelegt, auch des Ende des Kommunismus in Ungarn ist unweigerlich mit den Geschehnissen im Herbst 1956 verbunden.

Nachdem der Altstalinist Mátyás Rákosi 1953 zuerst als Ministerpräsident und 1956 schließlich auch als ZK-Sekretär abgelöst und Imre Nagy 1953 zum Ministerpräsidenten ernannt worden war, kam es ob des von Nagy eingeschlagenen politischen Kurses zu immer stärkeren Spannungen mit der UdSSR und zu innenpolitischen Wirren. Aus einer Demonstration entwickelte sich ein Volksaufstand[1], der am 23. Oktober von sowjetischen Panzern niedergeschlagen wurde. Nagy, der ein Ausscheiden Ungarns aus dem Warschauer Pakt und eine Neutralitätspolitik in Aussicht gestellt hatte, veranlasste die sowjetische Führung zu einer neuerlichen militärischen Intervention, die schließlich vom 4. bis zum 11. November dauerte und die endgültige Niederwerfung des Aufstandes bedeutete. Die abtrünnige ungarische Führung wurde inhaftiert und das kommunistische System durch Militärgewalt stabilisiert. Auch wenn der Volksaufstand niedergeschlagen wurde, so kann man doch auch in gewisser Weise vom „Sieg einer Niederlage“ sprechen. „Der Aufstand hatte den Wert einer Selbstbestätigung und verschaffte den Ungarn moralisches Kapital, wenngleich ohne Zinsen.“ Die „erste antitotalitäre Revolution“ wurde erst 1989 beendet.[2]

Am 7. November wurde János Kádár[3], Erster Sekretär der praktisch nur auf dem Papier existierenden USAP (= Ungarische Sozialistische Arbeiterpartei) und einst selbst Opfer Rákosis, von den Sowjets nach Budapest gebracht und sollte für die Rettung des Sozialismus in Ungarn sorgen. Zuerst musste natürlich ein funktionstüchtiger Verwaltungsapparat und eine neue Parteiorganisation aufgebaut werden. Parallel dazu kam es mit Hilfe sowjetischer Berater und der Besatzungsarmee zu einer gezielten Verfolgung der politischen Gegner. Man verbat jegliche politische Betätigung außerhalb der USAP und schuf eine neue Staatssicherheitsabteilung, die erbarmungslos und hart in allen Bevölkerungsschichten durchgriff.[4] Die neuen Machthaber wandten eine geschickte „Chamäleontaktik“ an. „Sie stellten sich als die Fortsetzer der Revolution dar, die nur eben zur Behebung ihrer Fehler gekommen seien.“[5] Die ersten Jahre nach dem Volksaufstand 1956 waren trotzdem von einer tiefen Kluft zwischen der neuen Führung und der Bevölkerung gekennzeichnet. János Kádár versuchte aber zusehends, „eine die nationalen Belange stärker berücksichtigende ‚zentristische’ Konzeption zu vertreten. Dieser ‚Zentrismus’ blieb gekennzeichnet von Eklektizismus und Pragmatismus.“[6] Kádár leitete den Abbau ideologischer Zwänge ein, entpolitisierte verschiedene Verwaltungseinrichtungen und versuchte durch eine ausgewogene gesamtwirtschaftliche Entwicklung den Lebensstandard zu erhöhen. Die anfängliche Ablehnung des Regimes führte so zu einer zunehmenden Akzeptanz bzw. Duldung durch die ungarische Bevölkerung. Kádár, der sich das sowjetische Wohlwollen gesichert hatte, konnte sich innenpolitisch gegen Dogmatiker durchsetzen und seinen doch recht eigenwilligen Kurs weitgehend umsetzen.

Allerdings konnte er nicht die im Herbst 1957 durchgeführte ‚Anti-Revisionismus-Kampagne’ und Säuberungswelle verhindern, die schließlich auch zur Hinrichtung von Imre Nagy führte. Entgegen anderslautender Zusagen wurde dem ehemaligen Ministerpräsident der Prozess gemacht und seine Hinrichtung am 16. Juni 1958 vollzogen. „Mit der Hinrichtung Nagys wurde ein Märtyrer geschaffen, das Symbol der gemeuchelten Revolution, die keine anderen Ziele verfolgt hatte als die Wiederherstellung der nationalen Selbstbestimmung, eine genuine Demokratisierung der Gesellschaft und die Beteiligung aller Bürger an politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsprozessen.“[7] Das zunehmende Vertrauen der Bevölkerung wurde dadurch natürlich erheblich erschüttert, doch die eingeschüchterten Ungarn wagten keinen Protest und verhielten sich größtenteils vollkommen passiv.[8]

Durch die bedingungslose Unterstützung der sowjetischen Außenpolitik gelang es Kádár sehr bald auch die letzten Altstalinisten und Dogmatiker aus der USAP zu entfernen. 1962/63 setzte er mit der Entlassung und Rehabilitierung von verschiedenen Gefangenen und der Amnestie für die so genannten „Konterrevolutionäre“, aber auch für die Rechtsbrecher der Rakosi-Ära, eine versöhnliche Geste. Man kann mit diesem Gnadenakt vom Abschluss der Repressionsperiode und Anfang der Konsolidierungsetappe sprechen.[9] Der Aufbau des ungarischen Sozialismus ging größtenteils sehr zufriedenstellend voran, insbesondere weil man darauf achtete, ein möglichst breites Spektrum der Bevölkerung und damit einen „gesamtnationalen Konsens“[10] zu erreichen: Ende 1956 hatte die KP 37 800, 1966 die USAP eine halbe Million Mitglieder. Kádárs Ausspruch „Wer nicht gegen uns ist, der ist mit uns und uns willkommen!“ (1962) wurde zur Maxime erkoren und zeigt ganz deutlich die bewusste Abgrenzung vom Kommunismus der 40er- und 50er-Jahre („Wer nicht für uns ist, ist gegen uns!“). Die Parteilosen sollten in der Massenorganisation „Patriotische Volksfront“ das Regime mittragen. Die Wirtschaft war 1956 an einem Tiefstpunkt angelangt und hätte einer grundlegenden Reform bedurft. Schon 1961 war die fast vollständige Rekollektivierung der Landwirtschaft unter russischer Leitung abgeschlossen worden, was natürlich nicht zu einer Besserung der Gesamtlage beitrug, aber zumindest die Lebensmittelversorgung sicherte.[11] Die ungarische Parteiführung erkannte zwar die Probleme, konnte oder wollte aber die notwendigen Schritte nicht setzten. Noch immer wurde vorrangig die Schwerindustrie gefördert, auch wenn man die planwirtschaftlichen Ziele herunterschraubte und den Betrieben eine (wenn auch geringfügig) größere Entscheidungsfreiheit zugestand. Spätestens am VIII. Parteitag der USAP (1962) kam man aber zur Einsicht, dass die ungarische Volkswirtschaft eine weitreichende Sanierung und Reform benötigte, auch wenn 1960 das Pro-Kopf-Einkommen um 20-25 Prozent höher als 1956 war.[12]

2) Epoche der Konsolidierung und Reformen - das „Goldene Zeitalter“ (~1962 bis 1975)

Insgesamt kann man in den 60er-Jahren eine Liberalisierung in der Gesellschaftspolitik feststellen. Kádár war intelligent genug, um zu wissen, dass es auf Dauer nicht möglich war „mit Feuer und Schwert gegen die Massen zu regieren“[13]. Die sogenannte „sozialistische Erneuerung“ brachte für die Ungarn beachtliche individuelle und geistige Freiräume und sorgte auch bald für einen zunehmenden Wohlstand. Man versuchte durch die Gewährung persönlicher Anreize den Arbeitseifer und damit die Produktivität zu steigern. Natürlich regte sich ob eines solchen liberalen Kurses Misstrauen in Moskau. Der neue Vorsitzende der KPdSU Leonid Breschnew befürchtete, die liberalen Tendenzen könnten – verbunden mit dem unterschwellig vorhandenen ungarischen Nationalismus – den Auf- und Ausbau des Sozialismus gefährden. Darüber hinaus missfiel der sowjetischen Führung Kádárs Bereitschaft, diplomatische und auch wirtschaftliche Beziehungen zu allen Staaten zu unterhalten. Mehrfach musste Kádár seinen eigenwilligen (innen)politischen Kurs gegenüber dem Kreml verteidigen, konnte sich aber in diesen ideologischen Auseinandersetzungen geschickt behaupten. In den relevanten außenpolitischen Entscheidungen stand er treu an der Seite der UdSSR und konnte sich so das nötige Vertrauen in Moskau erarbeiten, das im einen größeren innen- und wirtschaftspolitischen Spielraum bescherte.

Im Mai 1966 beschloss man daher, mit dem 1. Jänner 1968 einen Neuen Ökonomischen Mechanismus (NEM) einzuführen. Diese Wirtschaftsreform, die natürlich nie als eine solche bezeichnet wurde,[14] sollte einen „beschränkten Marktmechanismus“ und eine „sozialistische Marktwirtschaft“ zulassen. Man wollte weitgehend auf zentralisierte Entscheidungen, detaillierte Richtlinien und unerfüllbare Planvorgaben verzichten. Löhne und Gehälter sollten nach der Ertragslage der Unternehmen festgesetzt werden und die Arbeiter sollten verstärkt in innerbetriebliche Entscheidungen miteinbezogen werden. Der NEM sah auch eine überwiegend freie Preisbildung und eine größere Selbstständigkeit im Agrarsektor vor.[15] Es ging also vereinfacht dargestellt um den Übergang zu einer rentablen und wettbewerbsfähigen Wirtschaft. Widerstand gegen diese Reform kam – und das war für die Umsetzung des NEM in der Praxis wohl die größte Hürde – aus der Wirtschaft selbst. Die so genannten „roten Barone“, also die Direktoren der 50 größten Staatsbetriebe, die rund 80 Prozent der Industrieproduktion kontrollierten und gleichzeitig oftmals hohe Parteiämter innehatten, wehrten sich teilweise erfolgreich gegen eine weitgehende Umsetzung der Reform.[16]

Zeitgleich mit dem Beschluss über diese Wirtschaftsreform kam es auch zur „Weiterentwicklung der sozialistischen Demokratie“ in Ungarn. Man gewährleistete eine Mitbestimmung der Arbeiter im Betrieb, sicherte bestimmte Rechte von lokalen Organen ab und erweiterte den politischen Aktivitätsrahmen der Nationalversammlung. Außerdem wurde 1966 auch ein neues (liberaleres) Wahlgesetz beschlossen, das 1967 erstmals zur Anwendung kam. Trotzdem gehörten vier von fünf Abgeordneten der USAP an, was sehr deutlich die tiefe gesellschaftliche Durchdringung durch die ungarischen Kommunisten widerspiegelt. Mit der Besetzung des Vorsitzenden des Präsidialrates und des Ministerpräsidenten durch zwei enge Vertraute Kádárs erweiterte sich seine politische Macht erneut. Als 1967/68 die UdSSR zuerst mit China und dann schließlich mit der ČSSR im Konflikt lag, bewies Ungarn mit Kádár seine Blocktreue und stellte sich dezidiert auf die sowjetische Seite. Zwar bemühte sich Kádár lange als Vermittler zwischen Prag und Moskau, doch schickte dann auch er im August 1968 zwei Divisionen zur Niederschlagung des Prager Frühlings in die ČSSR. Man war zwar nicht ganz mit dem harten Durchgreifen einverstanden und sprach von einer begrenzten Souveränität der Mitglieder des sozialistischen Lagers, trotzdem wagte man es nicht, entschlossen zu widersprechen.

Der „Lohn“ für das Schweigen zur militärischen Intervention in Prag war die Möglichkeit der Weiterführung des NEM. Wenn die Wirtschaftsreform auch bescheiden anlief, konnte man dennoch 1969 erstmals wieder ein Ansteigen der Wachstumsrate des Nationaleinkommens und des Außenhandelvolumens sowie des Realeinkommens pro Einwohner verzeichnen. Der wirtschaftliche Aufschwung beruhte auch auf der Landwirtschaft, die häufig als „Erfolgsbranche“ präsentiert wurde. In der Tat konnte sich Ungarn in den Folgejahren nicht nur selbst ernähren, sondern wurde zu einem Exporteur großer Mengen von Agrarerzeugnissen.[17] Der Kreml beobachtete natürlich ständig die Geschehnisse in Ungarn und meldete auch immer wieder seine Bedenken gegenüber einer allzu weitreichenden Liberalisierung der Wirtschaft an. Kádár musste oftmals die Sorgen der kommunistischen Parteiführer zerstreuen und garantieren, dass die ungarische Reformeuphorie nicht tschechoslowakische Ausmaße annimmt. „Da Kádár, inzwischen getragen vom Vertrauen breiter Bevölkerungskreise und ohne einen politisch auch nur annähernd gleichwertigen Rivalen, der einzige Garant für den ‚Ausbau des Sozialismus’ in Ungarn war, tolerierten die sowjetischen Genossen vorerst den als ‚Kádárismus’ verspotteten ungarischen Sonderweg.“[18]

Am X. Parteitag der USAP gab Kádár auch öffentlich ein Treuebekenntnis zur UdSSR ab, worauf Breschnew dem ungarischen Reformprogramm grundsätzlich seinen Segen erteilte. Auf diesem Parteitag wurde auch eine Verfassungsänderung konzipiert, die schließlich 1972 in Kraft trat. Die Novellierung hielt sich zwar streng an die sowjetischen Vorgaben, beinhaltete aber ebenfalls Passagen, die die Reformansätze der 60er-Jahre gesetzesmäßig absichern sollten. Die Volksrepublik Ungarn wurde als „sozialistischer Staat“ definiert, in dem die kommunistische Partei – zumindest offiziell – nur mehr das Führungsmonopol in der Gesellschaftsentwicklung, nicht mehr aber im staatlichen Bereich beanspruchte (§3: „Die marxistisch-leninistische Partei der Arbeiterklasse ist die führende Kraft der Gesellschaft.“). „Kádár schuf eine Lage, in der die Kommunistische Partei ihr Machtmonopol nicht aufgab, das Machtmonopol indes mehr in ‚freiwilliger’ als in absolutistischer Weise ausübte.“[19] Verschiedene staatliche Organe wurden leicht umstrukturiert und die örtlichen Räte aufgewertet. Bedeutender waren hingegen die Änderungen im Gesetzes- und Prozesswesen, die dem Wunsch der Bürger nach erhöhter Rechtssicherheit und einem geordneten Instanzenweg entsprachen. Außerdem wurde das Verhältnis zur katholischen Kirche verbessert und der Reiseverkehr liberalisiert. Die USAP-Führung war sich einig, den begonnen Reformweg sowohl im gesellschaftlichen als auch im wirtschaftlichen Bereich im Rahmen der sowjetischen Vorgaben fortzusetzen.

1972 musste man jedoch aus mehreren Gründen das Reformtempo verringern: So wuchs das Außenhandelsdefizit mit den westlichen Industriestaaten rasch an, Rohstofflieferungen aus der UdSSR wurden verspätet bereitgestellt und das Wirtschaftswachstum wurde durch das Anwachsen der Lebenserhaltungskosten verlangsamt. Diese Probleme bei der Durchführung des NEM versuchte man mit erneuten Anpassungen und Abänderung in der Wirtschaftsstrategie zu beseitigen, eine zufriedenstellende Lösung konnte aber nicht erreicht werden. Im Zuge dieser doch recht liberalen Bestrebungen kam es auch zu einem stärkeren Auflehnen des konservativen und dogmatischen Flügels innerhalb der kommunistischen Partei. Man sprach von einer drohenden Revolution und von Putschversuchen und verstärkte so den sowjetischen Argwohn erneut. Bei einem Rapport im Kreml vermochte es Kádár nun nicht mehr das weitgehend uneingeschränkte Vertrauen der sowjetischen Führung zu erhalten. Sehr deutlich macht ihm Breschnew klar, dass der Kreml keine Entwicklung dulden würde, die die führende Rolle der USAP und/oder den Hegemonieanspruch Moskaus untergraben würde. Um die sowjetischen Rohstofflieferungen langfristig zu sichern, musste Kádár Moskau auf ganzer Linie entgegenkommen. Die für Ungarn so wichtigen Importe waren an eine engere Verknüpfung in den Bereichen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft gebunden. In den bis Ende 1973 laufenden Verhandlungen konnten die Sowjets ihre Positionen weitgehend durchsetzen. Besonders die durch den Jom-Kippur-Krieg ausgelöste Ölkrise verdeutlichte die ungarische Abhängigkeit von den russischen Rohstofflieferungen, zeigte aber auch, dass der Ostblock nicht vor den Auswirkungen einer solchen Krise gefeit war. „Die sprunghafte Verteuerung der Energieträger wurde als eine historische Zäsur und ein Warnzeichen in Moskaus Hegemoniebereich verkannt.“[20] Es war ein umfassendes Entgegenkommen der Ungarn notwendig, um Moskau gnädig zu stimmen. Wichtige Teilbereiche des NEM mussten suspendiert und die frühere Plan-Kommando-Wirtschaft wieder in Kraft gesetzt werden. Bezeichnend dafür wurde 1973 auch wieder ein staatliches Planungskomitee eingerichtet, das künftig zentral die Entscheidungen über Preise, Investitionen und Einkommen traf. Damit einhergehend kam es zu einer Verteuerung der Grundnahrungsmittel, der Mieten und der Fahrpreise, was zu einer wachsenden Beunruhigung in der Bevölkerung führte. Diese Verunsicherung konnte auch nicht durch geringfügige Lohnerhöhungen und der Preissenkung von einigen wenigen Konsumgütern zerstreut werden. Neben diesen wirtschaftlichen Änderungen kam es auch zu einigen Umbesetzungen in politischen Ämtern. Wichtige Posten (z. B. Politbüro für Wirtschaftsfragen) wurden von allzu liberalen Politikern „befreit“ und mit sowjetischen Vertrauensmännern besetzt. Weitere Umbesetzungen im ZK-Sekretariat und in der Regierung schienen ein Ende des „Kádárismus“ zu bedeuten.

[...]


[1] GOTTAS 1995, S. 148, spricht sich im Gegensatz zu anderen Publikationen dezidiert für den Begriff „Revolution“ aus. Er begründet seine Ansicht damit, „daß Teile sowohl der Intelligenz [...] als auch dann der Arbeiterschaft die Veränderung der bestehenden Verhältnisse anstrebten. Aus der offenen Feindschaft gegen das System resultierte der Wunsch nach Umwälzung, Umgestaltung, Wandel, ja bis hin zum gewaltsamen Umsturz. Das Revolutionäre [...] manifestiert sich in dem Bestreben, nicht nur mit der politischen Ordnung zu brechen, sondern auch mit dem Wirtschaftssystem.“

[2] MOLNár 1999, S. 445.

[3] Zur Person János Kádár siehe zusammenfassend OPLATKA 1990, S. 107-110, und MOLNár 1999, S. 454f. KISS 1993, S. 121, bezeichnet ihn als einen „populären Kommunist, der auch aus den freien Wahlen [in den 60er, 70er und 80er-Jahren] siegreich hervorgegangen wäre“ und als einen „konservativen Reformer oder konservativen Innovator, der [in der Spätphase seiner Regierungszeit] unfähig war, mit der Zeit Schritt zu halten und von der Macht Abschied zu nehmen“.

[4] Nach OPLATKA 1990, S. 109, standen rund 30 000 Menschen vor Sondergerichten. Von den rund 800 gefällten Todesurteilen wurden ca. 500 tatsächlich vollstreckt.

[5] MOLNár 1999, S. 446.

[6] HOENSCH 1991, S. 137.

[7] Ebd., S. 139.

[8] Vgl. OPLATKA 1990, S. 126.

[9] Vgl. MOLNár 1999, S. 449f.

[10] Lázár 1990, S. 222.

[11] 1956 waren 60 Prozent der Kolchosen aufgelassen worden und nur mehr 10 Prozent des Ackerbodens waren dem sozialistischen Sektor verblieben (vgl. BOGYAY 1990, S. 145).

[12] Vgl. ebd., S. 146, der allerdings nicht betont, dass 1956 die Wirtschaft völlig am Boden war und der oben genannte Anstieg auf keine großartige Leistung der neuen Führung zurückzuführen ist. Nach MOLNár 1999, S. 451, war die Kaufkraft in den späten 50er-Jahren geringer als vor der Einführung des kommunistischen Systems.

[13] OPLATKA 1990, S. 112.

[14] Im Gegensatz zu den tschechoslowakischen Reformern hütete sich Kádár davor, den NEM als neues „Modell“ anzupreisen (OPLATKA 1990, S. 114).

[15] Vgl. HOENSCH 1991, S. 145f. Zur ungarischen Agrarreform siehe detailliert CSIKÓS-NAGY 1988, S. 10-12.

[16] Vgl. MOLNár 1999, S. 452.

[17] OPLATKA 1990, S. 123f.

[18] HOENSCH 1991, S. 148. Zur Begriffsbestimmung des Kádárismus vgl. KISS 1993, S. 121, der die diversesten Varianten ohne Wertung anführt: „moderierter Staatssozialismus“, „sanfter Etatismus“, „Feudo-sozialismus“, „gemütliche, paternalistisch eingerichtete nicht-totalitäre Diktatur“, „Einparteienpluralismus“ oder „latenter Pluralismus“.

[19] KISS 1993, S. 123.

[20] OPLATKA 1990, S. 116. CSIKÓS-NAGY 1983, S. 189, behauptete noch 1983, dass „Ende der siebziger und Anfang der achtziger Jahre Ungarn die Verluste der ersten Ölpreisexplosion von 1973 aufholen konnte“, was aber in Anbetracht der folgenden Jahre mehr als fragwürdig erscheint (vgl. dazu BEREND 1996, S. 230).

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Ungarn - Vom Volksaufstand 1956 bis zur "samtenen Revolution" 1989
Hochschule
Universität Salzburg  (Fachbereich Geschichts- und Politikwissenschaft)
Veranstaltung
Nachkriegsgesellschaften im Ost-West-Vergleich
Note
1
Autor
Jahr
2006
Seiten
26
Katalognummer
V55115
ISBN (eBook)
9783638501569
ISBN (Buch)
9783638663748
Dateigröße
612 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Ungarn, Volksaufstand, Revolution, Nachkriegsgesellschaften, Ost-West-Vergleich
Arbeit zitieren
Mag. Elmar Mattle (Autor:in), 2006, Ungarn - Vom Volksaufstand 1956 bis zur "samtenen Revolution" 1989, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/55115

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