Modelle der Sinn- und Heimatsuche in Heinrich Heines 'Die Harzreise'


Hausarbeit, 2005

20 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsangabe

1.0 Einleitung

2.0. Individualität und Freiheitsverständnis
2.1. Subjektive Erzählperspektive
2.2 Flucht und Sehnsucht
2.3. Handlungs- und Persönlichkeitsfreiheit auf der Reise

3.0 Die beseelte Natur
3.1 Die assoziative Naturbeschreibung
3.2. Natur als Spiegel der seelischen Verfassung
3.3. Die Grenzen der romantischen Naturauffassung

4.0. Lebenskonzepte zwischen Gefühl und Verstand
4.1. Kulturkritik der Vernunft
4.1.1. Rationalität und Gefühl
4.1.2. Faszination des Fremden
4.1.3. Philister auf dem Weg
4.2. Verlust der Naivität
4.3. Rückzug und Heimlichkeit
4.3.1. Die Gemeinschaft und Kultur der Bergleute
4.3.2. Der Ausbruch aus der Realität
4.4. Angekommen

5.0. Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis
Primärliteratur
Sekundärliteratur

1.0 Einleitung

In der Hausarbeit wird Heines „Harzreise“[1] als die Identitätssuche des Ich-Erzählers gelesen. Das Motiv der Reise liegt nicht beim Erreichen eines Ziels, sondern dient der Selbstreflexion. Der Protagonist verbindet die Identitätssuche mit seinem schöpferischen Prozess als Dichter. Die Natur übernimmt eine Schlüsselfunktion auf der Reise. Er sucht in der Natur nach einem überwältigenden Erlebnis, das ihm aus der Krise hilft. Das Lebensmodell der Freiheit und Individualität stellt er dem deutschen Philistertum, was er scharf kritisiert, entgegen. Besonders ausgeprägt ist der Widerspruch zwischen Gefühl und Verstand sowie dem Philistertum und dem Freiheitswillen des Protagonisten. Ein entsprechendes Lebenskonzept findet er bei den Bergarbeitern.

Ein Streitpunkt in der Heine-Forschung ist, wie groß der Einfluss der Romantik auf Heines Werk ist.[2] Aufgrund des Umfangs der Hausarbeit kann dieser Diskurs nicht tiefer gehend verfolgt werden. Die Hausarbeit sieht in der „Harzreise“ ein Werk an der Grenze zwischen Romantik und Restauration.[3] Heine hat romantische Vorbilder, aber er geht sehr kritisch mit ihren Idealen und Vorstellungen um. Bei der Interpretation wird dieser Widerspruch berücksichtigt.

Die Prosa wie die Lyrik werden gleichermaßen behandelt. Die Hausarbeit stützt sich bei den Interpretationen und den Thesen als Schwerpunkt auf den Text. Ziel der Hausarbeit ist Heines Techniken bei der Assoziation und bei der Darstellung eines Naturbildes zu entschlüsseln. Außerdem wird seine Philisterkritik erläutert und mit den Lebensmodellen der Freiheit und der Gemeinschaft der Bergarbeiter verglichen. Aufgrund der zahlreichen Textbeispiele, ist der Seitenumfang etwas größer geworden

2.0. Individualität und Freiheitsverständnis

2.1. Subjektive Erzählperspektive

Der Ich-Erzähler steht im Mittelpunkt des Reiseberichts. Aus seiner Perspektive werden die Reisebekanntschaften und die Natur beschrieben. Da der Ich-Erzähler Parallelen zu Heines Leben besitzt, fließen autobiographische Erlebnisse mit ein. 1824 unternahm Heinrich Heine eine Wanderung durch den Harz.[4]

„Ich will viel reisen und viel sehen. Dieses befördert auch meine Poeterey“, hatte Heine nach Abschluss seines Studiums gesagt.[5] Heine befand sich in einer Krise, weil sich ihm keine Möglichkeit für einen bürgerlichen Beruf als jüdischer Gelehrter eröffnete. Heine sah sich gezwungen, seine persönlichen Wünsche dem gesellschaftlichen Druck unterzuordnen. Allerdings ist es schwer zu erkennen, wie viel Realität bzw. wirklich Erlebtes in den Reisebildern steckt, weswegen in der Harzreise der reale Heine vom literarischen Ich-Erzähler differenziert werden muss. Auf der Reise schlüpft der Ich-Erzähler in verschiedene Rollen; meistens bleibt er aber der distanzierte Beobachter. Der Ich-Erzähler besitzt eine individualisierte Sicht auf die Personen, Natur und Geschehnisse. Reisen in der romantischen Literatur ist von einer unbestimmten Sehnsucht nach einem Lebenssinn und nach der Fremde motiviert.[6]

Nach der Besteigung des Ilsensteins bricht der Reisebericht ab. Im Abschluss bezieht Heine Stellung über seinen Reisebericht. Er nimmt eine übergeordnete Perspektive ein, indem er über die Harzreise spricht:

„Am Ende kommt es auch auf eins heraus, wann und wo man etwas ausgesprochen hat, wenn man es nur überhaupt einmal ausspricht. Mögen die eizelnen Werke immerhin Fragmente bleiben, wenn sie nur in ihrer Vereinigung ein Ganzes bilden.“[7]

Heine möchte somit, dass das Werk mit seiner realen Person identifiziert wird.

2.2 Flucht und Sehnsucht

Der Protagonist beginnt die Harzreise mit einer Abrechnung Göttingens, wo er Jura studierte. Die Göttinger Gesellschaft vertritt das Philistertum, gegen das sich Heines Spott wendet.[8] Sie halten sich an ihrer konservativen Wertevorstellung fest aus Angst vor der individuellen Freiheit und Außenseitern wie dem Ich-Erzähler. Mit einem ironischen Blick versucht er Distanz zur Stadt und seinem damit verbundenen alten Leben zu gewinnen:

„Die Stadt an sich ist schön, und gefällt einem am besten, wenn man sie mit den Rücken ansieht. Sie muß schon sehr lange stehen; denn ich erinnere mich, als ich vor fünf Jahren dort immatrikuliert und bald darauf konsiliiert wurde, hatte sie schon dasselbe graue, altkluge Ansehen, und war schon vollständig eingerichtet mit Schnuren, Pudeln, Dissertationen […] und anderen Faxen.“[9]

Heine erzeugt mit den Gegensätzen im Stil und dem Inhalt die Ironie. Zu Beginn redet er von einer Stadt, die eigentlich Vorzüge hat. Im gleichen Satz folgt die ironische Brechung: Die Stadt ist eigentlich nur schön, wenn man ihr den Rücken kehrt, also wenn man sie hinter sich läßt.

Die Bewohner Göttingens werden von Heine grotesk beschrieben. Mit der Überzeichnung versucht er ihre Fortschrittsfeindlichkeit und Gefühllosigkeit zu entlarven. So bleiben „die alten Professoren in dieser allgemeinen Bewegung unerschütterlich fest, gleich den Pyramiden Ägyptens – nur daß in diesen Universitätspyramiden keine Weisheit verborgen ist.“[10] Und über zwei „hoffnungsvolle Jünglinge“[11] berichtet der Autor, die singend die Stadt verlassen und nachdem sie einer Dirne den Hintern auspeitschten nun ihre Pferde mit Schlägen antrieben. „Nirgends wird die Pferdeschinderei stärker getrieben als in Göttingen“[12] kommentiert der Erzähler ihr Verhalten. Die groteske Wahrnehmung nimmt den Personen ihre Individualität. Sie werden auf ihre Schwächen als Karikatur reduziert. Hinter der scharfen Ironie verbirgt sich eine Unzufriedenheit und Bitterkeit über das eigene Leben. Er wollte Teil der Göttinger Gesellschaft werden, aber dem Außenseiter wurde die Anerkennung verweigert.

In der dritten Strophe des einleitenden Gedichts beschreibt er die Hoffnung, dass ein Wegzug aus der Stadt ihn seelisch und geistig befreien würde:

„Auf die Berge will ich steigen,

Wo die frommen Hütten stehen,

Wo die Brust sich frei erschließet,

Und die freien Lüfte wehen.“[13]

An die Reise knüpft der Ich-Erzähler große Hoffnungen. In der fünften Strophe symbolisiert die Ersteigung des Berges die neu gewonnene Erkenntnis, die der Erzähler sich auf der Reise als Befreiung aus seiner Krise erwünscht:

„Lebet wohl, ihr glatten Säle,

Glatte Herren! Glatte Frauen!

Auf die Berge will ich steigen,

Lachend auf Euch niederschauen.“[14]

Was Heine im ersten Gedicht beschreibt, ist eine Erwartungshaltung und das Ziel seiner Reise. Das einleitende Gedicht vermittelt das romantische Ideal vom freien und mit der Natur verbundenen Leben.[15] Sein Ziel ist es ein solches Lebensmuster außerhalb der Philisterwelt zu finden.

2.3. Handlungs- und Persönlichkeitsfreiheit auf der Reise

Auf der Reise sind die Beziehungen unverbindlich, jeder ist aus seinem gewohnten sozialen Umfeld gerissen. Das Reisen ist der psychische Zustand des Suchens und der Orientierung. Es ermöglicht dem Protagonisten viele Freiheiten, weil niemand seinen persönlichen Hintergrund kennt, was ihn in Göttingen zum Außenseiter machte.

Z.B. begegnet der Ich-Erzähler in Goslar ein „wunderschönes Lockenköpfchen“[16], das ihn bei seiner Ankunft aus dem Fenster anlächelt. Am Abend steht sie vor der Haustür:

“Ich kam -näherte mich- sie zieht sich langsam zurück in den dunklen Hausflur –ich fasse sie bei der Hand und sage: ich bin ein Liebhaber von schönen Blumen und Küssen, und was man mir nicht freiwillig gibt, das stehle ich – und ich küßte sie rasch […]“[17]

Der Reiz dieser Romanze liegt in ihrer Flüchtigkeit. Denn der Erzähler versucht die Zuneigung des Mädchens zu gewinnen, indem er ihr offenbart, dass er schon am nächsten Tag wieder abreist und nicht mehr wiederkommt.[18] Das Liebesabenteuer bleibt einmalig. Und doch scheint sich dieses Muster oft zu wiederholen:

„Ja, ich muß lachen, wenn ich bedenke, daß ich unbewußt jene Zauberformel ausgesprochen, wodurch unsere Rot- und Blauröcke, öfter als durch ihre schnurrbärtige Liebenswürdigkeit, die Herzen der Frauen bezwingen: ‚Ich reise morgen fort und komme wohl nie wieder!’“[19]

Die unverbindliche Liebschaft ist eine geheime Erwartung von jedem Reisenden. Der Versuchung ist im Ausnahmezustand der Reise leichter nachzugehen als im alltäglichen Umfeld. Heine bedient die Erwartungshaltung des Lesers, indem er die Begegnung mit dem Mädchen und die erotische Spannung bis zum ersten Kuss detailliert schildert. Der Erzähler geht im Charakter des leichtlebigen Verführers auf.

Die Romanze ist Ausdruck seiner neu gewonnen, aber planlosen Freiheit. Der Ich-Erzähler lässt sich von seinen Instinkten und flüchtigen Sinneseindrücke treiben. Sein Leben besitzt keine Einheitlichkeit und Perspektive. Sein Charakter ist nicht greifbar, da er selbst in verschiedene Rollen schlüpft. Er bezieht keinen Standpunkt, sondern entzieht sich allem.[20]

[...]


[1] Anm.: Im Mai 1826 erschien der erste Band der Reisebilder, die die Harzreise und die 88 Gedichte der Heimkehr und der ersten Abteilung der Nordsee enthielt. In: Jan-Christoph Hausschild; Michael Werner: „Der Zweck des Lebens ist das Leben selbst“. Heinrich Heine. eine Biographie, Kiepenheuer & Witsch, Köln 1997. S. 117.

[2] Vgl. Christian Liedtke: „Mondglanz“ und „Rittermantel“. Heinrich Heines romantische Masken und Kulissen. In: Romantik und Vormärz. Zur Archäologie literarischer Kommunikation in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Wolfgang Bunzel; Peter Stein; Florian Vaßen (Hrsg.), Aisthesis Verlag, Bielefeld 2003, S.238.

[3] Vgl. Renate Möhrmann: Ein Vergleich von Eichendorffs „Taugenichts“ und Heines „Harzreise“. Der naive und der sentimentalische Reisende. In: Heine Jahrbuch 1971 10. Jahrgang. Heinrich – Heine – Institut {Düsseldorf}(Hrsg.), Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 1971, S.5.

[4] Vgl. Hausschild; Werner; „Der Zweck des Lebens ist das Leben selbst“, S.117f.

[5] Vgl. ebda., S. 116.

[6] Vgl. Regina Hartmann: Selbst- und Fremdbild von Deutschland. Heinrich Heines Harzreise (1826) und Hans Christian Andersens Schattenbilder von einer Reise in den Harz […] (1831). In Wirkendes Wort . Deutsche Sprache und Literatur in Forschung und Lehre, 51. Jahrgang 2001, Heinz Rölleke (Hrsg.), Wissenschaftlicher Verlag Trier, S.184.

[7] Zitat aus Heinrich Heine: Die Harzreise. In: Ders.: Sämtliche Schriften, 2. Band, Klaus Briegleb (Hrsg.), Carl Hanser Verlag, München 1976², S.162.

[8] Vgl. Jürgen Brummack (Hrsg.): Heinrich Heine. Epoche, Werk und Wirkung, Beck, München 1980, S.126.

[9] Zitat aus der Harzreise, S. 103f.

[10] Zitat aus ebda., S. 106.

[11] Zitat aus ebda.

[12] Zitat auf ebda., S. 107.

[13] Zitat aus ebenda., S.103.

[14] Zitat aus ebenda.

[15] Anm.: Richter schrieb über die romantische Malerei, was sich auch sehr gut auf die Literatur übertragen läßt: Der Künstler kann, indem er aus seiner reinen Beobachterperspektive löst und sich mit der Natur vereint, sinnlich die verborgene Wahrheit aufspüren. Dies führt ihn näher zu sich selbst und seiner eigenen Welt. Die Landschaft muss sich einem erschließen, man muss sie erkennen können. Sie spricht nicht immer zu einem. Vgl.: Gottfried Richter: Ideen zur Kunstgeschichte, Urachhaus, 8. Auflage, Stuttgart 1995.

[16] Zitat aus Heinrich Heine: Die Harzreise, S.124.

[17] Zitat aus ebenda.

[18] Vgl. ebenda.

[19] Zitat aus ebenda, S.125.

[20] Vgl. Norbert Altenhofer: Harzreise in die Zeit. Zum Funktionszusammenhang von Traum, Witz und Zensur in Heines früher Prosa. In: Ders.: Die verlorene Augensprache. Über Heinrich Heine. Volker Bohn (Hrsg.), Insel Verlag, Frankfurt am Main und Leipzig 1993, S.11.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Modelle der Sinn- und Heimatsuche in Heinrich Heines 'Die Harzreise'
Hochschule
Christian-Albrechts-Universität Kiel
Note
1,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
20
Katalognummer
V55107
ISBN (eBook)
9783638501484
ISBN (Buch)
9783638598583
Dateigröße
569 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Modelle, Sinn-, Heimatsuche, Heinrich, Heines, Harzreise
Arbeit zitieren
Melanie Kaacksteen (Autor:in), 2005, Modelle der Sinn- und Heimatsuche in Heinrich Heines 'Die Harzreise', München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/55107

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