Parasoziale Beziehungen in der Kontinuität der Meyrowitz'schen Medientheorie


Seminararbeit, 2005

13 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Gliederung

1. Einleitung

2. Parasoziale Beziehungen
2.1. Parasoziale Interaktion
2.2. Unterschiede und Gemeinsamkeiten orthosozialer und parasozialer Interaktion
2.3. Rezipientengratifikationen durch parasoziale Beziehungen
2.4. Entstehung parasozialer Beziehungen
2.5. Extreme parasoziale Beziehungen -ein pathologisches Phänomen

3. Die meyrowitz’sche Medientheorie
3.1. Basisannahmen/Rahmenbedingungen
3.2. Öffentliche Bereiche vermischen sich

3.3. Öffentliches und privates Verhalten vermischen sich
3.4. Sozialer und physischer Ort werden getrennt

4. Parasoziale Beziehungen in der meyrowitz’schen Medientheorie

5. Beispiele prominenter parasozialer Interaktion

6. Fazit

7. Quellenangabe

1. Einleitung

Tom Cruise in Steven Spielbergs „Krieg der Welten“ , Tony Leung Chiu Wai in Wong Kar Wais „2046“ oder doch lieber Christian Bale in Christopher Nolans „Batman Begins“? Auf Grund der thematischen Unterschiede der Filme eine eher undenkbare Alternativenaufzählung würde man denken. Doch ist es wirklich nur das Genre oder eine eventuelle Werbekampagne, welche die Entscheidung maßgeblich beeinflusst oder steckt mehr dahinter? Individuelle Gratifikationen etwa oder Sympathien den Schauspielern gegenüber?

Parasoziale Beziehungen liefern hier die Antwort. Wie können solche antiorthosoziale, quasisozialen Beziehungen entstehen? Und welche Auswirkungen haben sie auf unsere orthosozialen Beziehungen? Sind sie psychologische Extremfälle oder postmoderner Bestandteil unseres Daseins? Auf diese und weitere Fragen wird im Nachfolgenden eingegangen.

Der erste Teil der Arbeit beschäftigt sich mit der grundlegenden Wesensbestimmung parasozialer Interaktion in Abgrenzung zu Interaktionen orthosozialen Charakters und die daraus resultierende Entstehung parasozialer Beziehungen. Darüber hinaus wird im Hauptteil der Arbeit die meyrowitz’sche Medientheorie wichtige Erkenntnisse zur Erklärung der Entstehung parasozialer Beziehungen liefern, weshalb zuerst auf die Medientheorien Meyrowitz’ und anschließend auf die jeweilige Bedeutung für die Entstehung parasozialer Beziehungen eingegangen wird. Zur Verdeutlichung der auf parasoziale Interaktion ausgerichteten Moderationsweise und Darstellung von Menschen im Fernsehen wird vor dem am Schluss stehenden Fazit mit Beispielen aus dem Fernsehalltag eingegangen.

2. Parasoziale Beziehungen

2.1. Parasoziale Interaktion

Parasoziale Interaktionen sind solche, die dem Wortsinn nach „neben“ (von para-) der als für „normal“ bezeichneten Interaktion stehen.

Wie das Wort „neben“ schon verdeutlicht ist die Bezeichnung nicht normativ, sondern beschreibt lediglich eine Sonderform der Kommunikation. Dieser Fakt ist bereits entscheidend bei der Einstufung parasozialer Beziehungen in die Klassifizierung eines pathologischen Phänomens oder einer transgesellschaftlichen Erscheinung.

Doch was sind parasoziale Beziehungen überhaupt? Horton und Wohl, die 1956 in ihrem Aufsatz „Mass Communication and parasocial interaction: Observation on intimacy at a distance“ die Beziehungen von Fernsehrezipienten zu Personen im Fernsehen, von Moderatoren bis hin zu Seriencharakteren und deren Darstellern, untersuchten, haben eine Bestandsaufnahme der beobachteten Phänomene verfasst.[1]

Nach Uli Gleich lassen sich die wesentlichen Gedanken der Autoren in den folgenden Feststellungen zusammenfassen:[2]

Durch die Illusion eines Face-to-Face Kontaktes mit den Fernsehakteuren vollzieht sich die Fernsehrezeption auch als Interaktion, der parasozialen Interaktion. Darunter versteht man „das gegenseitige „Aufeinander-Bezugnehmen“ im Rahmen eines medial vermittelten Kommunikationsprozesses“. Diese Interaktion ist vergleichbar mit dem sozialen Handeln in realen interpersonalen Interaktionssituationen und orientiert sich auf Grund der Einseitigkeit der Interaktion an den Vorgaben des Kommunikators. Der Zuschauer bleibt dabei jedoch eigenständig und besitzt zu jeder Zeit ein hohes Maß an Handlungsfreiheit. Dieses Handeln ist nicht pathologisch sondern Inhalt des Alltagshandelns und bietet darüber hinaus keinen Ansatz der Identifikationsübernahme, da der Zuschauer durch seine hohe Handlungsfreiheit seine Eigenständigkeit und somit seine Identität bewahrt.

2.2. Unterschiede und Gemeinsamkeiten orthosozialer und parasozialer Interaktion

Interaktion im sozialen Umfeld, also orthosoziale Interaktion, zeichnet sich durch eine „wechselseitige Wahrnehmung, gegenseitiges Agieren und Reagieren, wechselseitiges Verstehen der beteiligten Interaktionspartner und als Kontrolle und Anpassung der eigenen Handlungen aufgrund der wahrgenommenen Handlungen des anderen“ und der „physische[n] Präsenz der anderen Person als Voraussetzung“ aus.[3]

Unterschiede dieser vom Wesen her sehr unterschiedlichen Interaktionsweisen zeigen sich in der fehlenden Reziprozität der Perspektiven, welche sich aus der einseitigen Natur der parasozialen Interaktion ergibt. Die parasoziale Interaktion ist dominant und im Gegensatz zur multiperspektivisch entwickelten orthosozialen Interaktion gekennzeichnet durch einen sehr geringen Aufwand für den Rezipienten, da dieser nicht aktiv im Sinne von physischer, sondern lediglich im Sinne psychischer, Beteiligung am Interaktionsprozess teilnimmt.

Zwar verspricht die parasoziale Interaktion eine sanktionslose und jederzeit durchführbare Kündigung der parasozialen Beziehung, aber dennoch lässt sich in der zumindest auf die Dauer der Show begrenzten Einlassung auf gewisse gegebene Regeln, zum Beispiel den Spielregeln einer Gameshow, ein Vergleich zur von gesellschaftlichen Konventionen geleiteten orthosozialen Interaktion feststellen.

2.3. Rezipientengratifikationen durch parasoziale Beziehungen

Die wohl am primär wichtigsten erscheinende Gratifikation für den Rezipienten parasozialer Interaktion ist die sozial gesehen sanktionslose „Erfahrung von neuen Rollen“, welche eine Weiterentwicklung oder Veränderung des menschlichen Charakters ermöglicht. Jeder Mensch kann sich so ohne den Zwang des individuellen konsistenten Verhaltens a priori eine sympathisierte Rolle aussuchen und ausprobieren um bei eventueller Überdenkung dieser wieder sanktionslos zu seiner alten Rolle zurückkehren.[4]

Darüber hinaus bieten parasoziale Interaktionspartner ein geradezu gesellschaftsideales Bild eines Freundes – reliabel und konsistent im Verhalten.[5]

2.4. Entstehung parasozialer Beziehungen

Wie das abgebildete Kreis-Prozess-Modell parasozialer Beziehungen verdeutlicht, resultiert aus einer „Initialzündung“, der parasozialen Interaktion mit einem Fernsehakteur, eine gewisse Bindung an diese, eine parasoziale Beziehung. Diese parasoziale Beziehung kann sich mit zunehmender Zeit verfestigen, verändern oder ganz verschwinden. Das Modell wurde analog zu dem sozialer Beziehungen bzw. sozialer Interaktion entwickelt und ist eine reine Annahme. Auf Grund der Verwandtschaft beider Interaktionsweisen wurde dieses Modell auch für parasoziale Beziehungen antizipiert.[6]

2.5. Extreme parasoziale Beziehungen - ein pathologisches Phänomen

Wie weiter oben bereits erläutert sind parasoziale Beziehungen ein fester Bestandteil des Alltagslebens und nicht pathologisch, allerdings stellen extreme parasoziale Beziehungen, die im Volksmund oft fälschlicherweise als die eigentlichen parasozialen Beziehungen verstanden werden, eine Ausnahme dar.[7]

Während parasoziale Beziehungen keinen Ersatz für soziale Beziehungen bieten stellen extreme parasoziale Beziehungen genau diesen funktionalen Ersatz für defizitäre soziale Beziehungen dar.

Diese extremen pathologischen Phänomene sind bei Menschen in besonderen Lebensumständen vorzufinden. Parasoziale Beziehungen als Ersatz für soziale Beziehungen sind besonders bei gesellschaftlich wenig involvierten oder komplett isolierten Menschen zu finden.

3. Die meyrowitz’sche Medientheorie

3.1. Basisannahmen/Rahmenbedingungen

Joshua Meyrowitz definiert das Wesen des Fernsehens und seine konstitutiven Differenzen der Sprache sowie den auf Sprache aufbauenden Printmedien gegenüber in mehreren Punkten.[8]

In Abgrenzung zur digitalisierten, d.h. durch Codes abstrahierte, Sprache ist Fernsehen analog, es werden keine Codes benutzt, die eine Entschlüsselung durch den Rezipienten erforderlich machen würden.

Auf Grund der besonderen Valenz des Fernsehens, die visuelle Darstellung von Sachverhalten, ist es möglich komplexes Wissen aus Büchern in einer einfacher verständlichen Form zu vermitteln. Während für die Produktion von schriftlichen Erzeugnissen der Produzent eine Ausbildung genossen haben muss, die Fähigkeit zu schreiben ist auf Grund des digitalen Wesens der Sprache und somit auch der Schrift nicht angeboren, ist das Erstellen von Fernsehbeiträgen theoretisch von jedem machbar. Deutlich wird dies am Bild eines kleinen Kindes mit einem Stift in der Hand oder eben einer Fernsehkamera. Es wird ihm nicht möglich sein einen Text mit dem Stift zu verfassen, aber das Festhalten von Bildern dagegen, wenn auch nicht messbar an normalen Qualitätskriterien, wird dem Kind gelingen.

Durch diese Tatsache, Lesen als zu erlernendes Privileg, hat sich ein gewisses elitäres Denken eingestellt, was die Bildung von privat-öffentlichen, sozusagen pseudo-öffentlichen/quasi-privaten sozialen Räumen zur Folge hatte. In diese durch Codes selbstgeschützte und abgegrenzte Gemeinschaft zu gelangen erfordert wiederum einen Lernprozess. Meyrowitz attestiert dem Fernsehen die Unterminierung dieser elitären Gemeinschaften durch die genannte Fähigkeit komplexes Wissen auf eine allgemeinverständliche Darstellungsform herunterzubrechen und somit dieses Wissen einem erheblich größeren Publikum zugänglich zu machen.

[...]


[1] nach Ines Vogel „Parasoziale Interaktion jugendlicher Rezipienten von Fernsehserien“, S. 18

[2] nach Uli Gleich „Sind Fernsehpersonen die “Freunde” des Zuschauers? Ein Vergleich zwischen parasozialen und realen sozialen Beziehungen“, Aufsatz in Peter Vorderer „Fernsehen als „Beziehungskiste“ – Parasoziale Beziehungen und Interaktionen mit TV-Personen“, S. 116

[3] nach Ines Vogel „Parasoziale Interaktion jugendlicher Rezipienten von Fernsehserien“, S. 12ff

[4] nach Ines Vogel „Parasoziale Interaktion jugendlicher Rezipienten von Fernsehserien“, S. 10

[5] nach Ines Vogel „Parasoziale Interaktion jugendlicher Rezipienten von Fernsehserien“, S. 14

[6] nach Uli Gleich „Sind Fernsehpersonen die “Freunde” des Zuschauers? Ein Vergleich zwischen parasozialen und realen sozialen Beziehungen“, Aufsatz S. 8

[7] nach Horton & Wohl „Mass communication and parasocial interaction: Observation on intimacy at a distance”, S. 223

[8] Kapitel 3 nach: Joshua Meyrowitz „Die Fernsehgesellschaft I – Überall und nirgends dabei“

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Parasoziale Beziehungen in der Kontinuität der Meyrowitz'schen Medientheorie
Hochschule
Universität Mannheim
Veranstaltung
Proseminar: Medien wirken - aber wie?
Note
1,7
Autor
Jahr
2005
Seiten
13
Katalognummer
V55093
ISBN (eBook)
9783638501354
ISBN (Buch)
9783656784890
Dateigröße
522 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Parasoziale, Beziehungen, Kontinuität, Meyrowitz, Medientheorie, Proseminar, Medien
Arbeit zitieren
Matthias Kistler (Autor:in), 2005, Parasoziale Beziehungen in der Kontinuität der Meyrowitz'schen Medientheorie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/55093

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