Karl May. Die Darstellung des Orients in dem Roman 'Durchs wilde Kurdistan.'


Hausarbeit, 2004

16 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1. Begriffsklärungen

2. Zum behandelten Roman
2.1 Inhalt „Durchs wilde Kurdistan“

3. Rezeptionshintergrund
3.1 Historische Einordnung

4. Orientdarstellung: Die Figur des Kara Ben Nemsi
4.1 Der Kolonisator
4.2 Überlegenheit des Abendlandes

5. Darstellung der Religionen
5.1 Missionierung
5.2 Das Christentum der Tat
5.3 Der Weltenprediger

6. Biographischer Hintergrund

7. Fazit: Wertung von Mays Orientdarstellung

Literatur

Karl May

Die Orientdarstellung in „Durchs wilde Kurdistan“

1. Einleitung

Karl May (1842-1912) gilt als der meistgelesene deutsche Unterhaltungsschriftsteller, seine Geschichten von Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef Omar im Orient und natürlich seine Wild-West-Romane mit Winnetou und Old Shatterhand sind Klassiker geworden. Die Auflage seiner Bücher im deutschen Sprachraum beträgt an die 80 Millionen, sie wurden in 30 Sprachen übersetzt und bringen es so auf weltweit fast 200 Millionen Leser.[1]

„In allem seinem Verhalten verhält sich der Mensch zugleich auch zu sich selbst. Er kann sich kein Bild von seiner Welt machen, in das nicht ein Bild von ihm selbst eingezeichnet ist.“[2] Es steckt also immer auch etwas Eigenes im Fremden, das dem Bild des Anderen seinen Stempel aufdrückt. Dies gilt im Besonderen für Karl Mays Darstellung des Orients in „Durchs wilde Kurdistan“. Sie entspricht einer Projektion eigener Wünsche, Träume und Sehnsüchte in die exotische Phantasiewelt des Orients. Aber auch zeitgenössische Strömungen lassen sich in seinem Werk wiederfinden. Die vorliegende Arbeit soll nun diese These anhand des historischen Hintergrunds, biografischer Daten und einer näheren Beleuchtung der Figur des Kara Ben Nemsi mit Textbeispielen erläutern. Dabei gehe ich sowohl auf die Art der Orientdarstellung und ihre Charakteristika ein, sowie gesondert auf die Darstellung der Religionen.

Literatur zum Thema Karl May ist reichlich vorhanden, vor allem Biographien und Bücher, die „Leben und Werk“ des Autors betrachten. Fachliteratur zu den hier behandelten Fragestellungen ist schon seltener zu finden, das oben erwähnte Buch Nina Bermans liefert die umfassendste und fundierteste Arbeit zum Thema „Orientalismus bei Karl May“, die mir zur Verfügung stand. Sie betont besonders die Wechselbeziehung zwischen Mays Werken und dem zeitgenössischen Denken und historischem Kontext. Zwei von der Karl-May-Gesellschaft herausgegebene Sonderhefte, „Herrgottsengel, Rebell und Missionar“ von Rainer Jengel und „Christliche Religion und Weltreligionen in Karl Mays Leben und Werk“ beschäftigen sich näher mit der Rolle der Religion in Mays Texten. Ein eher allgemeines Buch über Leben und Werk Mays ist „Das grosse Karl May Buch“ von Jörg Kastner, dass in kompakter Form alle für diese Arbeit relevanten Fakten zum Leben des Autors enthält. Als Zusatzlektüre für die Recherche des historischen Hintergrunds diente mir das Buch „Schlaglichter der deutschen Geschichte“ von der Bundeszentrale für politische Bildung. Einen großen Teil meines Aufsatzes macht die konkrete Arbeit mit Textbeispielen aus der Primärliteratur aus.

1.1 Begriffsklärungen

Ich werde nun zunächst umreißen, was ich unter den für diese Arbeit grundlegenden Begriffen „Orient“ und „Orientalismus“ verstehe: Der Begriff „Orient“ steht hier für den geografischen und kulturellen Raum „Naher Osten“, womit im allgemeinen der Raum des ehemaligen Osmanischen Reiches, also der arabischsprachige Raum, die Türkei und Persien gemeint sind.[3] Die Bezeichnung „Orient“ ist historisch wandelbar und ein ideologisches Konstrukt, das der kulturellen wie geografischen Abgrenzung zwischen „Morgenland“ (=Orient) und „Abendland“ (=Okzident; europäischer, westlicher Kulturkreis) dient.[4] Diese Bezeichnungen verdeutlichen bereits die westliche Perspektive, unter der sie entstanden. Hinzu kommt die ideologische Komponente, mit der der Begriff besetzt ist, der Orient galt zur Zeit Karl Mays als exotisch, märchenhaft und prunkvoll; in gewisser Weise gefährlich, abenteuerlich, erotisch und dekadent, eine Projektionsfläche für westliche Phantasien, geprägt auch durch das Orientbild vermittelt durch die Märchensammlung „1001 Nacht“.

Das eurozentrische Überlegenheitsdenken führte zu bisweilen rassistischen, stereotypen Darstellungen des Orients, was Edward Said in seinem wegweisenden Werk „Orientalism“ als „Orientalismus“ bezeichnete.[5] Gemeint ist also eine vorurteilsvolle, rassistische, von imperialistischen Motiven geleitete und von einem Überlegenheitsgefühl der westlichen Zivilisation gegenüber der als barbarisch und archaisch gezeichneten Welt des Orients ausgehende, herabwürdigende Darstellung. Daraus leitet sich auch das konträre Begriffspaar „orientalistisch“ und „orientalisch“ ab. Während ersterer Begriff eine Darstellung im zuvor dargelegtem Sinne Saids bezeichnet, steht der Begriff „orientalisch“ für durch wissenschaftliche Erkenntnisse hergeleitete, vorurteilsfreie Beschreibungen des orientalischen Kulturkreises, obwohl ein solcher in einheitlicher Form natürlich schwer zu finden sein dürfte.

2. Zum behandelten Roman

„Durchs wilde Kurdistan“ ist der zweite Band des sechsteiligen Orientzyklus „Im Schatten des Großherrn“, der in den Jahren 1881 bis 1888 entstand und 1892 nach Veröffentlichungen in Zeitschriften erstmals in Buchform erschien.[6] Kara Ben Nemsi ist der Ich-Erzähler und Held dieser „Reiseerzählungen“ und trat erstmals 1881 im ersten Teil „Durch die Wüste“ auf. Es folgten „Durchs wilde Kurdistan“, „Von Bagdad nach Stambul“, „In den Schluchten des Balkan“, „Durch das Land der Skipetaren“ und „Der Schut“.

Der Protagonist zieht mit seinem treuen Diener Hadschi Halef Omar und wechselnden Gefährten durch Orient und Balkan, um dort Land und Leute kennenzulernen und, auf der Suche nach einer im großen Stil agierenden Verbrecherorganisation unter Führung des geheimnisvollen „Schut“, zahlreiche Abenteuer zu bestehen.[7]

2.1 Inhalt „Durchs wilde Kurdistan“

Der Deutsche Kara Ben Nemsi ist mit seinem arabischen Diener Hadschi Halef Omar und dem Emir Mohammed Emin auf dem Weg nach Amadije, um dessen Sohn aus dem Gefängnis zu befreien. Dies gelingt schließlich auch, es folgen mehrere Scharmützel mit Türken, Kurden, Arabern und Christen, doch Kara Ben Nemsi gelingt es immer wieder durch geschicktes Taktieren und profunde Kenntnisse der Sprachen und der örtlichen Sitten und Gebräuche die Gefahren zu bannen und sich als Sieger durchzusetzen. Hervorzuheben ist noch der geheimnisvolle „Geist der Höhle“, er genießt Autorität bei den in Kriegsvorbereitungen stehenden Gruppen der Chaldäer, einer christlichen Sekte, und der Kurden, die beide seinen Rat achten. Der Geist entpuppt sich als die alte Christin Marah Durimeh, der Kara Ben Nemsi schon einmal im Laufe des Romans begegnete. Zusammen gelingt es ihnen, den Konflikt zwischen den verfeindeten Völkern beizulegen.

3. Rezeptionshintergrund

Karl May verkaufte die Geschichten um Kara Ben Nemsi und Old Shatterhand als selbst erlebte Abenteuer, der angestrebte Realismus wird erzeugt durch die Ich-Perspektive und detaillierte geografische und kulturelle Beschreibungen der Schauplätze.

Hinzu kommen häufige, in Fußnoten übersetzte Einschübe fremdsprachiger Anreden, Titel und Redewendungen. Der Name seines Protagonisten „Kara Ben Nemsi Effendi“ könnte mit „Herr Karl, Sohn Deutschlands“ übersetzt werden.[8]

Nach Edward Said gibt es drei Typen von „Orient-Autoren“:

1. Der professionelle Orientalist, der den Orient bereist hat und dort sein Material für seine Forschungen sucht.
2. Der Autor, der zwar auch aus wissenschaftlichen Gründen am Orient interessiert ist, aber seinen eigenen, subjektiven Stil beibehält.
3. Der Dichter, dessen eingebildete oder tatsächliche Reise in den Orient die Erfüllung eines tief empfundenen und eindringlichen Wunsches darstellt.[9]

Aus eigener Erfahrung konnte Karl May nicht schöpfen, denn der Autor aus Radebeul war zum Zeitpunkt der Entstehung seines Orientzyklus noch nie im Orient gewesen. Karl May ist demnach der dritten Gruppe zuzuordnen, seine Geschichten entstammen der Recherche und vor allem der Phantasie. Es lassen sich sowohl persönliche Charaktermerkmale zur Erläuterung der Orientdarstellung heranziehen, als auch zeitgenössische Strömungen (Kolonialismus, Eurozentrismus) wiederentdecken.

Karl Mays Orientzyklus war im Deutschland des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts äußerst beliebt. Er steht dabei in einer längeren Tradition von orientalischer und, zunächst überwiegend, orientalistischer Literatur.

War die Orientdarstellung im Mittelalter noch geprägt durch islamfeindliche, christliche Propagandaliteratur,[10] führte die Furcht vor den Türken durch das expandierende Osmanische Reich (Belagerung Wiens 1529 und 1683) zur Schaffung von Stereotypen, die Osmanen wurden als grausame Barbaren dargestellt.[11] Wichtig hierbei ist die Akzentverlagerung von Vorbehalten gegenüber der anderen Religion hin zu kulturellen Vorurteilen.[12] Die negative, von rassistischen und kolonialistischen Motiven geprägte Bedeutung des Wortes „Orientalismus“ nahm also hier ihre Anfänge und setzte sich im 17. Jahrhundert fort. Im 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts schließlich wurde zwischenzeitlich ein „positiveres“ Orientbild gezeichnet (Bsp.: Der West-Östliche Divan“ von Goethe aus dem Jahre 1819).[13]

3.1 Historische Einordnung

Karl May schließlich schrieb und veröffentlichte seinen Orientzyklus in der Epoche des Imperialismus (letztes Drittel des 19. Jahrhunderts bis 1914), während der Regentschaft von Kaiser Wilhelm I. (1871-1888) und Wilhelm II.(König von Preußen, Deutscher Kaiser von 1888-1918), unter dem das Deutsche Reich zu einer Hochburg des Militarismus wurde.[14] Es herrschte also eine Überbewertung des militärischen Denkens auch in nicht-militärischen, zivilen Lebensbereichen, und eine Vorherrschaft des Militärs im Staatswesen. Im Zuge des Kolonialismus wurden Gebiete Nordafrikas und des Nahen Ostens von den europäischen Großmächten, maßgeblich Großbritannien und Frankreich, zu Kolonien gemacht.[15] Das Vorgehen wurde durch pseudowissenschaftliche Thesen untermauert (der Sozialdarwinismus propagierte das Recht des Stärkeren), dieses eurozentrische Weltbild fand seinen Niederschlag auch in Schriften, die eine Herrschaft Europas über die kolonisierten Gebiete rechtfertigen wollten.[16]

Diese Phase ist also gekennzeichnet durch die Macht Europas über den Orient und die damit verbundene Abwertung des Islam und der orientalischen Völker, der Orientalismus diente fortan, nach einer These Edward Saids, als „Instrument europäischer Kulturen, mittels dessen die politische und ökonomische Kontrolle des Orients angestrebt wird.“[17]

Die Informationsquellen, die Karl May zur Verfügung standen, weisen fast alle eine rassistische, kolonialistische, zumindest aber eine die abendländische Überlegenheit voraussetzende Tendenz auf.[18] Dieses Gedankengut findet man im Werk Karl Mays wieder. Er schlägt aber auch fast pazifistische Töne an, die zwar eine Überlegenheit der europäischen Zivilisation nie in Frage stellen, aber seine Figur des Kara Ben Nemsi ist aufgeschlossen und neugierig gegenüber der anderen Kultur, betont die Gastfreundschaft, den Mut und die Loyalität seiner orientalischen Gefährten.

Er gibt sich Mühe, die regionalen Höflichkeitsformeln zu beachten. Doch gibt es da auch eine gänzlich andere Seite KBNs: Zuweilen gleicht sein Auftreten dem eines Kolonialherrn.

[...]


[1] Jörg Kastner: Das grosse Karl May Buch. Sein Leben. Seine Bücher. Die Filme. Bergisch Gladbach 1992. S.21.

[2] Zitiert nach: Dieter Heinrich: Selbstverhätnisse. Gedanken und Auslegungen zu den Grundlagen der klassischen deutschen Philosophie, Stuttgart 1982. S.3. In: Nina Berman: Orientalismus, Kolonialismus, Moderne. Zum Bild des Orients in der deutschsprachigen Kultur um 1900. Stuttgart 1996. Fußnote S.12

[3] Berman: Orientalismus. S.15/16.

[4] Berman: Orientalismus S.16/17.

[5] Edward Said: Orientalism. New York 1978.

[6] Kastner: Das grosse Karl May Buch. S.43.

[7] Berman: Orientalismus. S.61.

[8] Berman: Orientalismus. S.62.

[9] Andrea Fuchs-Sumiyoshi: Orientalismus in der deutschen Literatur. S.13.

[10] Berman: Orientalismus. S.21.

[11] Berman: Orientalismus. S.24/25.

[12] Berman: Orientalismus. S.26.

[13] Berman: Orientalismus. S.30.

[14] Helmut Müller: Schlaglichter der deutschen Geschichte, Bonn 1996. S.200.

[15] Müller: Schlaglichter. S.202ff.

[16] Berman: Orientalismus. S.30/31.

[17] Berman: Orientalismus. S.36.

[18] Berman: Orientalismus. S.99ff.

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Karl May. Die Darstellung des Orients in dem Roman 'Durchs wilde Kurdistan.'
Hochschule
Universität Karlsruhe (TH)  (Institut für Literaturwissenschaften)
Veranstaltung
Interkulturelle Germanistik II / Orientalismus
Note
1,0
Autor
Jahr
2004
Seiten
16
Katalognummer
V55051
ISBN (eBook)
9783638501002
ISBN (Buch)
9783656798606
Dateigröße
537 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Karl, Darstellung, Orients, Roman, Durchs, Kurdistan, Interkulturelle, Germanistik, Orientalismus
Arbeit zitieren
Jan Wirschal (Autor:in), 2004, Karl May. Die Darstellung des Orients in dem Roman 'Durchs wilde Kurdistan.', München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/55051

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