Die Verbreitung der Imago Pietatis im Abendland


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

22 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


I. Gliederung

II. Einleitung

III. Allgemeines
1. Das Andachtsbild
2. Die Aussage des Schmerzensmannes
3. Unterschiede zu anderen Darstellungen Christi
4. Bezeichnungen und Funktion

IV. Das Ikone in S. Croce in Gerusalemme in Rom
1. Zu S. Croce in Gerusalemme, Rom
2. Beschreibung der Ikone
3. Ikone und Ablass

V. Entstehungsgeschichte und Kult

VI. Diskussion über die Bedeutung des „Urbildes“

VII. Weitere Darstellungstypen

VIII. Die Gregorsmesse

IX. Schlussbetrachtung

X. Literaturverzeichnis

II. Einleitung

In dieser Hausarbeit möchte ich die Entwicklung von der als Urbild geltenden Imago pietatis, die sich in der Kirche Santa Croce in Gerusalemme in Rom befindet, beschreiben. Ich werde versuchen darzustellen, unter welchen Bedingungen und Voraussetzungen sich das Brustbild Christi ausgehend von dieser Ikone verbreitet hat. Dazu werde ich die historischen Hintergründe betrachten.

Wenige ikonographische Themen wurden so intensiv betrachtet wie die Imago pietatis und bleiben dennoch so kontrovers in ihrer Deutung und Bedeutung, wie aber auch in ihrer Entstehungsgeschichte. Strittig ist in der Literatur, welche Rolle diese Ikone spielt. Ist sie wirklich das viel berufene „Urbild“, auf das alle westlichen Darstellungen sich beziehen? Wann erreicht dieses Bild den Westen und wann wird es bekannt?

Aus der Frage der Rezeptionsgeschichte resultiert die Frage, wie viel Einfluss die Ikone auf spätere Darstellungen des Schmerzensmannes hat. Dazu bedarf es ausführlicher Bildbetrachtung, die ich in dieser Arbeit nicht leisten kann. Es wird mir nur darum gehen, wie die Voraussetzungen für eine Verbreitung des Bildes waren und warum dieses Darstellungsform Christi ein so bekanntes eucharistisches Motiv wurde.

III. Allgemeines

1. Das Andachtsbild

Einer der Wege, in der Passionszeit das Leiden und das Opfer Christi nachzuempfinden, ist die Meditation über Andachtsbilder mit der Darstellung des Schmerzensmannes, eine andere Methode ist die Versenkung in Darstellungen der Arma Christi.

Ein Andachtsbild zeichnet sich in seinem weit gefassten Sinne dadurch aus, dass es eine Gefühlsbeziehung anregt.[1] Dazu werden häufig aus dem Bildprogramm historischer biblischer Szenen einzelne Figuren oder Figurengruppen herausgelöst, die so verselbständigt eine Summe von Bedeutungen verkörpern und dem Gläubigen eine direktere Begegnung ermöglichen. Dies sind neben dem Schmerzensmann beispielsweise Maria im Wochenbett, die Pietà und die Christus-Johannes-Gruppe.[2] Sie sollen eine unmittelbare Beziehung des Gläubigen mit den dargestellten heiligen Personen herstellen, zu der es keines Priesters oder sonstigen Mittlers bedarf und bestimmte Aspekte des christlichen Glaubens betonen. Die Identifikation mit einem persönlichen Gegenüber und Versenkung, Reflektion und Meditation spielen eine entscheidende Rolle.

Zusammengefasst lässt sich die Definition des Andachtsbildes – die rein funktional bleibt – so ausdrücken: „Eine Darstellung erhält den Charakter eines Andachtsbildes durch seine Verbindung mit der Andacht“.[3]

2. Die Aussage des Schmerzensmannes

Als überhistorisches Bild Christi hat der Schmerzensmann keine historische biblische Entsprechung, obwohl der Prophet Jesaja ihn als „vir dolorum“ voraussagt.[4] Dennoch gibt es Bibelstellen, die auf die Bedeutung der Leiden und des Opfers Christi hinweisen und in Worten das aussprechen, was die Imago pietatis im Bild zu sagen versucht. „Sind wir aber Kinder, so sind wir auch Erben, nämlich Gottes Erben und Miterben Christi, wenn wir denn mit ihm leiden, damit wir auch mit zur Herrlichkeit erhoben werden.“[5] Dies kann als eine Aufforderung zur compassio, zum Mit-leiden gedeutet werden. „Und er ist darum für alle gestorben, damit, die da leben, hinfort nicht sich selbst leben, sondern dem, der für sie gestorben und auferstanden ist“[6] Die Konsequenzen aus seinem Opfer sind ein Leben für Christus, ohne dessen Tod der Mensch nicht erlöst werden würde. Fast ausdrücklich für das Nacherleben der Passion durch Meditation spricht diese Stelle:: „Ihn möchte ich erkennen und die Kraft seiner Auferstehung und die Gemeinschaft seiner Leiden und so seinem Tode gleichgestaltet werden damit ich gelange zur Auferstehung von den Toten“[7] Die Gnade, die Christus mit seinem Tod dem Gläubigen schenkt, wird deutlich gemacht: „der unsre Sünde selbst hinaufgetragen hat an seinem Leibe auf das Holz, damit wir, der Sünde abgestorben, der Gerechtigkeit leben. Durch seine Wunden seid ihr heil geworden.“[8] Das Opfer war aber ein einmaliges, wenn Christus ein zweites mal erscheint, dann um diejenigen zu belohnen, die ein Leben in seinem Sinne geführt haben: „So ist auch Christus einmal geopfert worden, die Sünden vieler wegzunehmen; zum zweiten Mal wird er nicht der Sünde wegen erscheinen, sondern denen, die auf ihn warten zum Heil“[9] In diesen wenigen Bibelstellen wird meines Erachtens deutlich, was das Bild des Schmerzensmannes ausdrücken möchte.

Das Schmerzensmannbild zeigt Christus, wie er gleichermaßen an Leben und Tod Anteil hat.[10] Obwohl die Passion abgeschlossen ist, wie die Todeswunden und der Lanzenstich, der Christus erst nach seinem Tode zugefügt wurde, zeigen, bleibt der Aspekt des lebendigen Leidens beim Schmerzensmann in vollem Umfang enthalten. Zwar stirbt er als Mensch, gleichzeitig ist er aber als Gott siegreich. In dieser Hinsicht, in der Vereinigung vom lebenden und zugleich sterbenden Gott in einem Wesen, liegt eine Parallele zu der Darstellungen des Gotteslammes, das lebt, und doch die Todeswunde trägt.[11]

Ein völlig neuer Aspekt der Imago pietatis ist jedoch, dass er wie keine eucharistische Darstellung zuvor sich sehr direkt dem Betrachter hinwendet. Christus als Schmerzensmann erscheint real, bedrängend und hilfreich. Er verkörpert Nähe, Erbarmen, Mahnen und Fürbitte.[12] Der sich der Menschen durch seinen Sohn erbarmende Gott bittet selbst um Erbarmen. Kaum eine andere Darstellungsform Christi wendet sich so direkt an seinen Betrachter und löst eine so unmittelbar Bindung aus. Er verkörpert die ganze Passion und die Wiederholung des Opfers in der Feier des Abendmahles und erinnert an die Verpflichtungen, die sich daraus für den Christen ergeben, aber auch an die Versprechungen, die an das Opfer geknüpft sind. Anders als die Darstellungen des Weltenrichters stellt der Schmerzensmann das gegenseitige Verhältnis zwischen Erlöser und Mensch dar: „Das litt ich für dich – das leide ich für dich – was tust du für mich“.[13]

Die Wunden Christi sind das aussagekräftigste Element in Darstellungen der Imago pietatis: Sie verdeutlichen, dass wir den Erlöser lebend und sterbend zugleich sehen. Dies weist auf die zwei Naturen Christi hin: Er ist als Mensch gestorben und zeigt uns dieses menschliche Leiden eindrücklich. Gleichzeitig ist er aber als Gott siegreich. Sein Sterben verdeutlicht das Opfer, dass er für unsere Sünden auf sich nimmt und mahnt uns zur Buße. Gleichzeitig verdeutlicht er aber auch durch seine Lebendigkeit das übernatürliche Leiden, das ihm täglich durch die Sünden zugefügt wird. Er erinnert uns an unsere Sünden, mit denen wir ihm Leid zufügen, aber er verspricht mit dem Zeigen seiner Wunden auch die große Gnade, die den Menschen zu teil wird, erinnert den Betrachter an das Opfer und verspricht die damit verbundene Fürbitte vor Gott.

Die Verehrung der Wunden, insbesondere der Seitenwunde, ist im 14. und 15. Jahrhundert populär, daraus entsteht später der Kult des heiligen Blutes.[14]

3. Unterschiede zu anderen Darstellungen Christi

Teilweise ist es schwierig, überhistorische Darstellungen Christi von anderen Themen abzugrenzen, wie zum Beispiel von Passionsszenen, die besonders im Mittelalter Ähnlichkeiten zum Andachtsbild haben. Auch grenzen Abbildungen des toten, liegenden Christus an Schmerzensmanndarstellungen.

Doch spiegelt das Schmerzensmannmotiv keine biblische Begebenheit wider, sie ist raum- und zeitlos. Hierin liegt auch der bedeutendste Unterschied zu anderen Passionsdarstellungen, die Christus in einem Zeit- und Ortsgebundenen Zusammenhang seines Leidensweges zeigen, wie etwa als Kreuzesträger, Christus an der Geißelsäule, Herrgottsruh, Ecce homo, Christus im Elend oder als beweinter Leichnam. Zwar gibt es einige ikonographische Übereinstimmungen zu anderen, historischen Darstellungen Christi, jedoch treten die dargestellten Elemente oft in einem völlig anderen Zusammenhang auf. So trägt der Schmerzensmann, ähnlich wie bei Darstellungen des Auferstandenen und des Weltenrichters, die Wundmale, aber im Unterschied zum Auferstandenen trägt er zusätzlich die Dornenkrone und wird häufig in Verbindung mit den Arma Christi dargestellt. Im Unterschied zum Weltenrichter, der häufig auch mit den Leidenswerkzeugen, die zugleich Zeichen des Sieges und doch todbringend sind, dargestellt wird, thront der Schmerzensmann nie. Und anders als auf Darstellungen des toten Christus, der auch Wundmale und Dornenkrone trägt, zeigt sich der Schmerzensmann in der Haltung und mit Gesten des Lebenden, er steht, sitzt oder kniet, er hat, vor allem in Darstellungen aus Deutschland, offene Augen und oft in schmerzhafter Verkrampfung gekrümmte Finger.

Typologisches Vorbild des Schmerzensmannes im Alten Testament ist die Darstellung des leidenden Hiob.[15] Die Haltung des Kopfes ist die des Kruzifixus, die Haltung der gekreuzten Arme ist von Darstellungen des gebetteten Leichnams übernommen, das Motiv des Wundenweisens scheint in der Idee der Intercessio Christi zu gründen und Darstellungen des Weltenrichters entlehnt zu sein.[16] Auch Geißelungsszenen werden formal beispielhaft gewesen sein.

Der Schmerzensmann vereinigt alle genannten Christusgestalten in sich, indem er einerseits das menschliche Leiden zur Schau trägt und andererseits das übernatürliche Leiden, das ihm täglich durch den Sünder zugefügt wird, darstellt. Er erscheint dem Gläubigen als geopferter, aber zugleich lebender und gegenwärtiger Gott.

4. Bezeichnungen und Funktion

Im Mittelalter wird die Darstellung von Christus als Schmerzensmann imago pietatis[17] genannt, was zu Deutsch „Bild der hingegebenen Gottesliebe“[18] heißt und die liebende Vereinigung mit Christus verdeutlicht.[19] Die daneben existierenden Begriffe „Erbärmdebild“ und Misericordia domini weisen einerseits auf das aufopfernde Erbarmen des Erlösers mit den Menschen und andererseits zugleich auf das durch dieses Bild hervorgerufene Erbarmen der Menschen mit dem um ihrer Sünden willen leidenden Gott.[20]

Der Schmerzensmann wir vor allem dann dargestellt, wenn Bezug auf die Eucharistie genommen wird. Er findet sich häufig auf dem Altargesprenge oder der Predella, auf Tabernakeltüren oder eucharistischen Geräten und in spätbyzantinischer Zeit in der Prothesis, wo die umfangreiche Zeremonie der Vorbereitung der Opfergaben stattfindet.[21] Aber in seiner Funktion als Mittler besonderer Gnaden und auf Grund seiner Ablassfunktion ist er auch auf Epiatphien und Friedhöfen dargestellt.[22]

[...]


[1] Vgl. Berliner 1956, S. 197 und 199, Anm. 13.

[2] Vgl. Westfehling 1982, S. 70.

[3] Berliner 1956, S 119, (Anm. 13).

[4] Jesaja 53, 3 - 5: Er war der Allerverachtetste und Unwerteste, voller Schmerzen und Krankheit. Er war so verachtet, dass man das Angesicht vor ihm verbarg; darum haben wir ihn für nichts geachtet. Fürwahr, er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen. Wir aber hielten auf ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre. Aber er ist um unsrer Missetat willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt.

[5] Römer 8, 17.

[6] 2. Korinther 5, 15.

[7] Philipper 3, 10-11.

[8] 1. Petrus 2, 24.

[9] Hebräer 9, 28

[10] Vgl. Schiller 1968, S. 211 / 12.

[11] Vgl. Schiller 1968, S. 211 / 12.

[12] Vgl. Schiller 1968, S. 212.

[13] Berliner 1956, S. 195.

[14] Vgl. Panofsky 1927, S. 284.

[15] Vgl. LCI, S. 88.

[16] Vgl. Panofsky 1927, S. 284, 286.

[17] Osten verwendet die Begriffe „Schmerzensmann“ und „Imago pietatis“ nicht synonym, sondern bezeichnet mit ersterem nur den sich im 14. Jahrhundert in Deutschland entwickelnden Typus. Als „Imago pietatis“ versteht er nur diejenigen Darstellungen, die sich direkt auf das byzantinische Urbild zurückführen lassen. Ich werde dieser Einteilung nicht folgen und die Begriffe synonym verwenden.

Vgl. Osten 1935, S. 6 / 7.

[18] Schiller 1968, S. 211.

[19] Vgl. LCI, S. 88.

[20] Vgl. Schiller 1968, S. 211.

[21] Vgl. Bauerreiß 1960, S. 24.

[22] Vgl. Osten 1935, S. 27.

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Die Verbreitung der Imago Pietatis im Abendland
Hochschule
Georg-August-Universität Göttingen  (Kunsthistorisches Seminar)
Note
1,5
Autor
Jahr
2005
Seiten
22
Katalognummer
V55015
ISBN (eBook)
9783638500746
ISBN (Buch)
9783656789130
Dateigröße
526 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Bei dieser Arbeit handelt es sich um eine übersichtliche Darstellung der Entstehung und Verbreitung von Darstellungen Christi als Schmerzensmann
Schlagworte
Verbreitung, Imago, Pietatis, Abendland
Arbeit zitieren
Marie von Massow (Autor:in), 2005, Die Verbreitung der Imago Pietatis im Abendland, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/55015

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