Skandal im Skandal. Der Polizeieinsatz von Bad Kleinen


Hausarbeit (Hauptseminar), 2006

20 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einführung

2 Der Sachverhalt
2.1 Vorgeschichte
2.2 Der Einsatz am 27. Juni 1993
2.3 Die Ermittlungen und Reaktionen der Öffentlichkeit

3 Analyse des Skandals
3.1 Die Rolle der Medien
3.2 Strukturelle Defizite

4 Schlussbetrachtungen

Literaturverzeichnis

1) Einführung

Der Name „Bad Kleinen“ steht nicht nur für einen tragischen Polizeieinsatz, sondern auch für die mutmaßliche Verschleierung der Hintergründe seitens der Ver- antwortlichen und eine damit verbundene Krise des Rechtsstaats. Doch was davon ist im Nachhinein Realität, was Konstruktion, Manipulation und Legende?

Am 27. Juni 1993 wurden während eines gemeinsamen Einsatzes von BKA und GSG 9 auf dem Bahnhof von Bad Kleinen der RAF-Terrorist Wolfgang Grams und der BGS-Beamte Michael Newrzella getötet, was sich in der Folge zu einem Polizei- und Politikskandal entwickelte und schließlich in einem Medienskandal kulminierte.[1]

So wie der Einsatz von Mogadischu zum Symbol für die gelungene „Feuertaufe“ der deutschen Spezialeinheit geworden ist und damit den Mythos GSG 9 begründet hat, so stellte Bad Kleinen – zumindest eine Zeit lang – gewissermaßen den Kontrapunkt dar. Pannen während des Einsatzes, Fehler und Ungereimtheiten während der anschließenden Ermittlungen und schließlich die Theorie einer möglichen Hinrichtung Grams rückten Polizei, Justiz und Politik in ein zweifelhaftes Licht.

Wie zweifelhaft dieses Licht wirklich war, welche Rolle die Medien spielten und welche Intentionen Teile der Presse dabei verfolgten, soll im Folgenden ergründet und vor dem Hintergrund der soziologischen Funktion des Skandals eingeordnet werden.

In linksextremen Kreisen liefert der Einsatz von Bad Kleinen bis heute Nährboden für komplexe Verschwörungstheorien. Recherchiert man im Internet zu diesem Thema, stößt man auf Unmengen an Thesen, die stets eine gemeinsame Kernüber- zeugung eint: Für die Sympathisanten der RAF ist klar, dass Wolfgang Grams ein „Opfer“ der Staatsmacht wurde. Aber auch in politisch gemäßigteren Kreisen scheint es nach wie vor sicher, dass die genauen Umstände ungeklärt seien, unbestreitbar aber, dass die Verantwortlichen das Recht gebeugt und die Öffentlichkeit belogen hätten.

Ich möchte hingegen versuchen, diesen Skandal jenseits von politisch motivierten Spekulationen in einem bislang weniger beachteten Sinne zu analysieren, den der Rechtsanwalt und ZDF-Journalist Butz Peters folgendermaßen ausgedrückt hat: <Bei diesem in der deutschen Geschichte einmaligen Polizei-Desaster ist nichts ungeklärt. Es war kein Staats-Mord, allerdings ein einzigartiges Versagen renommierter bundesdeutscher Medien.>[2]

2) Der Sachverhalt

Aus der Perspektive der Sicherheitsbehörden begann alles optimal: Zu Beginn der 1990er Jahre konnte zum ersten Mal ein V-Mann des Verfassungsschutzes an die so genannte Kommandoebene der Roten Armee Fraktion (RAF) herangeführt werden und damit nach einer langen Phase der Informations- und Erfolglosigkeit von Verfassungsschutz und Polizei einen entscheidenden Schlag gegen die RAF ermöglichen.

Nach den spektakulären terroristischen Aktionen im Jahr 1977 - die Entführung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer und die Entführung der Lufthansa- maschine „Landshut“ durch ein palästinensisches Terrorkommando - wurde es zunächst ruhig um die RAF, im Verborgenen formierte sich jedoch die so genannte 3. Generation, die mit den ersten beiden nur sehr lose Verbindungen hatte.[3] Die Fahndungserfolge zwischen 1984 und 1990 blieben marginal, auch weil viele RAF-Mitglieder mithilfe des MfS in der DDR untertauchen konnten (RAF-Stasi-Connection).[4]

Klaus Steinmetz, ein Aktivist der autonomen Szene im Rhein-Main-Gebiet, war seit 1984 als Verbindungsmann (V-Mann) für das rheinland-pfälzische Landesamt für Verfassungsschutz tätig. 1992 geriet Steinmetz zum ersten Mal in Kontakt mit der Führungsebene der RAF, was dem Verfassungsschutz sensationelle Perspektiven einräumte[5] und den V-Mann auch mit einer der Protagonisten von Bad Kleinen, Birgit Hogefeld, zusammenbrachte.

Sämtliche Hintergründe der komplexen Ereignisse darzulegen, würde hier den Rahmen sprengen. Zum Verständnis müssen aber die Begebenheiten, die unmittelbar im Zusammenhang mit den Vorgängen in Bad Kleinen stehen, präzise geschildert werden, da die Summe vieler kleiner Details letztendlich den Schlüssel zur Bewertung der Ereignisse liefert. Die folgende Darstellung orientiert sich im Wesentlichen an der umfassenden Rekonstruktion durch den ARD-Redakteur Holger Lösch.

2.1) Die Vorgeschichte

Am Morgen des 27. März 1993 sprengte das RAF-Kommando „Katharina Hammerschmidt“ den bezugsfertigen Gefängnisneubau im hessischen Weitersheim in die Luft. Beteiligt daran waren Birgit Hogefeld, Wolfgang Grams und möglicherweise auch V-Mann Klaus Steinmetz. Grams und Hogefeld schlossen sich 1983/84 der RAF an, lernten sich kurz darauf kennen, wurden ein Paar und gingen nach einem Fahndungsaufruf 1987 gemeinsam in den Untergrund. Grams war u.a. an den Mordanschlägen auf Alfred Herrhausen und Gerold von Braunmühl beteiligt. Erst 2001 wurde durch die DNA-Analyse eines Haares aufgedeckt, dass Grams auch für den Mord an Detlev Karsten Rohwedder im Jahr 1991 verantwortlich war.[6]

Nach der gescheiterten Observation eines Treffens von Grams, Hogefeld und Steinmetz in Bernkastel-Kues (Rheinland-Pfalz) informierte Klaus Steinmetz seine Kontaktleute vom Verfassungsschutz über ein geplantes weiteres Treffen am 24. Juni 1993 in Bad Kleinen.[7]

Dem rheinland-pfälzischen Innenminister Zuber wurde der Fall daraufhin zu heikel, und informierte die Parlamentarische Kontrollkommission des Landtags. Kurz darauf wurden das Bundeskriminalamt (BKA), das Bundesamt für Verfassungs- schutz und der Generalbundesanwalt Alexander von Stahl über die Vorgänge in Kenntnis gesetzt. Am 5. Mai 1993 ging die alleinige Verantwortung auf den Generalbundesanwalt über und das BKA erhielt den Auftrag, die Fest- nahme der Terroristen vorzubereiten. Um den Einsatz in der mecklenburgischen Kleinstadt Bad Kleinen zu planen, erkundete der Verfassungsschutz den dortigen Bahnhof - der als Treffpunkt von Hogefeld und Steinmetz feststand - und dessen Umgebung. Nach Ansicht der Beamten wäre dieser für einen Zugriff denkbar unge- eignet. Am 14. Mai 1993 forderte das BKA die Grenzschutzgruppe 9 (GSG 9) an und beauftragte sie, ebenfalls das Bahnhofsgelände auszukundschaften. Die BGS-Beamten bestätigten das vorherige Urteil der Verfassungsschützer und erklärten den Bahnhof bezüglich eines Zugriffs zur Tabuzone. Daraus resultierte, dass Bad Kleinen nie als Zugriffsort geplant war, lediglich die Observation Hogefelds und möglicher weiterer RAF-Terroristen sollte hier beginnen.[8]

Am 3. Juni 1993 begann die BKA-Operation „Weinprobe“, dessen juristische Verantwort Generalbundesanwalt von Stahl innehatte. Folgende Probleme wurden im Vorfeld diskutiert: Birgit Hogefeld allein erschien nicht als ausreichend lohneswertes Ziel, man wollte an eine möglichst große Zahl von RAF-Mitgliedern herankommen. Darüber hinaus sollte der V-Mann Steinmetz unbedingt geschützt werden, denn trotz zweifelhafter Motivation und gelegentlicher Unzuverlässigkeit war er für Polizei und Nachrichtendienste enorm wertvoll.

Geleitet und koordiniert wurde Operation „Weinlese“ aus der Einsatz- und Lagezentrale des BKA in Wiesbaden. Im Einsatz vor Ort operierten die Einsatz- abschnitte „Weinlese“ und „Ort“ (später SOKO Schwerin). Dies sah im Einzelnen wie folgt aus: <Ort war eine Gruppe von 23 BKA-Spezialisten, die nach dem erfolgten Zugriff aus eventuell gefundenen Spuren und Materialien Anschluss- fahndungen nach weiteren RAF-Mitgliedern einleiten sollten. […] „Weinlese“ war die eigentliche Zugriffseinheit, 97 Personen stark. 38 kamen vom BKA und waren Mitglieder der Eliteeinheit MEK […] Ihre Aufgabe war es, Steinmetz auf den Spuren zu bleiben. […] 59 Bundesgrenzschützer bildeten den Rest der Einheit „Weinlese“ […] 37 GSG 9-Leute (davon zwei Techniker) bildeten den eigentlichen Kern der Truppe.>[9] Am 21. Juni 1993 rückten die Spezialeinsatztrupps (SET) der GSG 9 in den Einsatzraum ein.

Klaus Steinmetz (Deckname „Anton“) reiste vom 22. bis 24. Juni 1993, ausgestattet mit einem Peilsender und einem Personenschutzsender (Wanze) - von dem er nach eigenen Angaben keine Kenntnis hatte - überwacht von Verfassungsschutz und BKA, quer durch Deutschland. Am 24. Juni erreichte er Bad Kleinen und traf am Bahnhof auf Birgit Hogefeld. Von dort fuhren sie kurz darauf weiter in eine angemietete Ferienwohnung in Wismar-Wendorf. Dies war das geplante Zielobjekt, welches von der GSG 9 gestürmt werden sollte. Die Polizei hoffte, hier weitere RAF-Angehörige anzutreffen. Dies war allerdings bis zum 27. Juni nicht der Fall, die Abreise stand kurz bevor. Aus Wiesbaden kam die Anweisung „die Festnahme so lange hinauszuzögern, wie die Zielperson (Hogefeld) ohne Risiko gehalten werden könne.“[10] Hogefeld sollte schließlich in Abwesenheit von Steinmetz durch drei SETs vom Auto aus überrumpelt werden, wobei man ihrerseits keinen Waffen- gebrauch erwartete. Der Zugriff wurde jedoch kurzfristig abgebrochen, da man über die Wanze mitbekommen hatte, dass Hogefeld sich noch am selben Tag mit „Freunden“ treffen wollte. Ab diesem Zeitpunkt musste massiv improvisiert werden.

[...]


[1] In Bezug auf den Umgang der Medien mit

[2] Peters, Butz: Wer erschoß Wolfgang Grams? Das Desaster von Bad Kleinen. Klappentext

[3] Vgl. Lösch, Holger: Bad Kleinen. S. 28

[4] Vgl. Ebd., S. 30-31

[5] Vgl. Ebd., S. 38

[6] Vgl. Teske, Knut: Täter Grams starb auf einem Provinzbahnhof. Die Welt vom 17.5.01

[7] Vgl. Lösch, Holger: Bad Kleinen. Frankfurt 1994, S. 44

[8] Vgl. Ebd., S. 46-48

[9] Lösch, Holger: Bad Kleinen. S. 55-56

[10] Ebd., S. 64

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Skandal im Skandal. Der Polizeieinsatz von Bad Kleinen
Hochschule
Universität Münster  (Institut für Soziologie)
Veranstaltung
Hpt Sem "Normen, Werte und Skandale"
Note
1,3
Autor
Jahr
2006
Seiten
20
Katalognummer
V54984
ISBN (eBook)
9783638500470
ISBN (Buch)
9783656789628
Dateigröße
528 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Skandal, Polizeieinsatz, Kleinen, Normen, Werte, Skandale
Arbeit zitieren
Christian Hesse (Autor:in), 2006, Skandal im Skandal. Der Polizeieinsatz von Bad Kleinen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/54984

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