Leidenschaften und Vernunft in Lessings 'Emilia Galotti' auf Figuren- und Textebene


Hausarbeit, 2005

24 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Teil 1: Vernunft und Leidenschaft im Fokus der Aufklärungsphilosophie
1 Das Zeitalter der Aufklärung
2 Christian Wolff
2.1 Der Frühaufklärer Christian Wolff
2.2 Wolffs Philosophie
3 Lessing und Wolff
4 Vernunft und Leidenschaften bei Wolff und Lessing
4.1 Wolffs Begriff von Leidenschaften
4.2 Lessings weiterführendes Denken über Vernunft und Leidenschaften

2. Teil: Vernunft und Leidenschaften bei Emilia Galotti
1 Der leidenschaftliche Prinz Hettore Gonzaga
2 Der tugendhafte Odoardo Galotti
3 Emilia zwischen Vernunft und Leidenschaft

Literaturverzeichnis

Leidenschaften und Vernunft in Lessings Emilia Galotti auf der Figuren- und Textebene

Einleitung

Lessing beschäftigte sich ungefähr 15 Jahre mit der Idee dieses Werkes Emilia Galotti. Zunächst sollte eine antityrannische Tragödie namens Das befreite Rom entstehen, doch lässt er diese Idee später fallen und verarbeitet den Virginia- Stoff zu einer ethisch-privaten Tragödie. (Sanna, 1988: 7)

In der Zeitspanne, vom Beginn der Entwicklung des Werkes bis zur Fertigstellung der Emilia Galotti, stand Lessing unter dem Einfluss verschiedener philosophischer Strömungen, die die Aufklärung von ihren Anfängen bis hin zur Spätaufklärung umfassen. Lessings Denken, vor allem in Bezug auf Vernunft und Leidenschaften, welche zentrale Begriffe dieser Zeit sind, blieb davon nicht unbeeinflusst. Unter diesen beiden Gesichtspunkten soll Lessings Werk betrachtet werden. Dazu scheint es notwendig, die Leitgedanken der Aufklärung zu erörtern und die Ursprünge des Lessingschen Denkens herauszuarbeiten. Anschließend soll die Weiterentwicklung der Lessingschen Gedanken in Bezug auf die genannten zentralen Aspekte Vernunft und Leidenschaften betrachtet werden.

Im zweiten Teil werden darauf aufbauend anhand drei zentraler Figuren die Begriffe Vernunft und Leidenschaft untersucht werden, dadurch soll Lessings philosophische Position und Entwicklung im Rahmen der Aufklärung deutlich gemacht werden.

Teil 1: Vernunft und Leidenschaft im Fokus der Aufklärungsphilosophie

1 Das Zeitalter der Aufklärung

Das 18. Jahrhundert steht in dem Zeichen der wachsenden ökonomischen Macht des Bürgertums und dem damit einhergehenden wachsendem politischen Machtanspruch der Bürger, der sich sowohl gegen feudale als auch gegen absolutistische Machtpositionen richtet. Das Bürgertum brach, nach und nach, immer weiter aus seinen politisch bestimmten Grenzen aus. (Rilla, 1958: 11f) Es strebte nach ökonomischer, sozialer und geistiger Emanzipation um sowohl individuelle als auch gesellschaftliche Selbstverwirklichung zu erreichen. Jegliche scholastische Vorurteile, ob weltlich oder geistlich, sollten keinerlei Einfluss mehr auf das Denken haben. Das Denken sollte ausschließlich von der Vernunft gelenkt sein, sich nicht mehr auf den Glauben beziehen. So sollte die Vernunft als einziger Maßstab des gesellschaftlichen Denkens und Handelns gelten. (Rieck, 1971: 19)

Es entstand ein neuartiges Denken, dass das alte dogmatische und religiöse Weltbild mit den wissenschaftlichen Methoden und naturwissenschaftlichen Erkenntnissen der jungen Denker des Bürgertums zu zerstören suchte.

Aufgeklärt wurde das Bürgertum durch revolutionäre Aufrufe, Flugblätter, aber auch durch philosophische Abhandlungen, Gedichte und Bühnenwerke. Durch diese Formen des Unterrichtens des Bürgertums in ihrer Sprache wurde die Grenze zwischen gelehrt und ungelehrt durchbrochen, wodurch allen Menschen der Gesellschaft ein Mitspracherecht auf sozialer und geistiger Ebene ermöglicht wurde.

Im Gegensatz zu England und Frankreich entwickelte sich in Deutschland die Aufklärung nicht einheitlich, was durch eine sozial bedingte Differenzierung in den bürgerlichen Schichten zu begründen ist. Es entstanden einzelne Gruppierungen und Fraktionen, die sich teilweise an illusorischen Reformversuchen des feudalen Herrschaftssystems, teilweise auch an den Kräften des Reformadels orientierten. (Rieck, 1971: 19)

Erst durch das Werk Lessings und seiner Nachfolger konnte eine geschlossene geistige Formierung des Bürgertums und eine bürgerlich-humanistische Gesellschaftskonzeption erreicht werden.

Dieses Zeitalter der Revolutionen und Denkumbrüche ist das Zeitalter der Aufklärung.

Auf die Frage, was Aufklärung sei, antwortet Kant mit dem viel zitierten Satz: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit [...] Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen.“ (Kant, 1784: 53)

Kant gilt als der bekannteste Vertreter der Aufklärung. In seinem Aufsatz „Was heißt Aufklärung?“ hat er zusammengetragen, wie sich das Bürgertum gegen die feudalen und absolutistischen Machtpositionen verhalten soll und warum es seine Gedanken gegenüber dem bisherigen System befreien soll. (Kant, 1784: 55)

Lessing war von den Schriften Kants noch unbeeinflusst, denn erste Veröffentlichungen erschienen erst 1781. In diesem Jahr starb Lessing. Jedoch war das Gedankengut der Aufklärung schon zuvor geprägt durch die Werke der Frühaufklärer.

Lessing selbst stand unter dem Einfluss Christian Wolffs.

2 Christian Wolff

2.1 Der Frühaufklärer Christian Wolff

Christian Wolff hat anknüpfend an Descartes und Leibniz versucht, sämtliche Wissensgebiete, wie Logik, Theologie, Physik, Psychologie und Ethik, durch die Vernunft zu erschließen und zu begründen. Sein Ziel war es, den Menschen durch logisch nachvollziehbare Schritte zu rationalem Denken anzuleiten und sich nicht einfach nur auf den Glauben zu verlassen.

Wolff war einer der ersten Wissenschaftler, der seine Schriften und Vorlesungen in deutscher Sprache anbot. Hierdurch weckte er nicht nur bei der Bevölkerung breites Interesse, sondern er hat zur Bildung einer deutschen philosophischen Fachsprache beigetragen und Termini wie Begriff, Bewusstsein und Vorstellung geprägt. (Hügli/ Lübcke, 2000)

Seine Philosophie beschäftigt sich vornehmlich mit dem rationalen Denken, dem Gebrauch der Vernunft und mit der Anleitung dazu.[1] Stützend auf Leibnitzsche Grundlagen und durch die Umformung dieses Denkgebäudes entwickelt er einen eigenen, einheitlichen, zentralen und universalen Denkansatz.

Jedoch ist der Frühaufklärer noch nicht bereit mit seiner Philosophie und seiner rationalen Argumentationsstruktur gegen die Theologie, beziehungsweise gegen den Deismus anzutreten, vielmehr stützt er durch seine Philosophie die christlichen Glaubenssätze der geoffenbarten Religion.

Wolffs Verbindung von religiöser Offenbarung und Vernunft wird vom späten Lessing stark kritisiert. (Rieck, 1971: 58)

Trotz aller Kritik, die im Laufe der Zeit geübt wird, muss Wolff dennoch als der Frühaufklärer erkannt werden, dessen Philosophie den Weg für die deutsche Aufklärung bereitete.

2.2 Wolffs Philosophie

Wolffs Bestreben war es, die Theologie in dem Maße neu zu begründen, dass sie keinen Widerspruch mehr in sich birgt. Motiviert war er durch den Widerstreit zwischen Katholiken und Lutheranern um ihre wahre Rechtmäßigkeit. Am Zweckmäßigsten, für eine Neubegründung einer widerspruchsfreien Theologie, schien ihm die Mathematik.

Mit seinen Schriften über Logik, Metaphysik, Ethik, Gesellschaftstheorie, Physik, Teleologie und Biologie will Wolff beweisen, dass die Welt vernünftig eingerichtet ist, es keine Wunder gibt, alles rational erklärbar ist.

Fick formuliert das Konstrukt seiner Philosophie wie folgt: „Widerspruchsfreiheit, lückenloser Zusammenhang, Kausalität, die Verknüpfung aller Dinge nach dem Satz vom zureichenden Grund, Vollkommenheit, die er als Übereinstimmung des Mannigfaltigen zu einem Ganzen definiert, Regelmäßigkeit, Ordnung, Zweckmäßigkeit, Vollständigkeit, Harmonie.“ Wolff stellt Regeln auf, nach denen das Denken, also die Vernunft, die Gegenstände der Erfahrung verknüpft. (Fick, 2000: 36)

Wolff versucht sich das Wissen sämtlicher Wissenschaften durch die Leistung seiner Vernunft anzueignen, um die Einheit der Wissenschaften und die Einzelwissenschaften philosophisch zu begründen. Er schafft sich ein System, dass sich nicht mehr an den Vorgaben der Theologie, sondern an denen der Realwissenschaften orientiert. (Weber, 1989: S.823f)

Weber schreibt: „Wolff erwartete optimistisch, daß eine aufgeklärte, von Vorurteilen gereinigte Vernunft unweigerlich zum Fundament allgemeiner Toleranz und vernünftigen Lebensgenusses werden müsse.“ (Weber, 1989: S.825f)

Die Bemühungen Wolffs eine rationalistische Philosophie zu etablieren, stießen auf heftige Gegner. Einige Jahre später jedoch wurde dem Frühaufklärer alle Ehre zu Teil und seine Schriften wurden international anerkannt.

Gottsched schreibt über Wolffs Philosophie: „Nirgends habe ich jene Ordnung und Gründlichkeit gefunden und nirgends habe ich mich mehr befriedigen können, als in Herrn Wolffs Schriften.“ (Gottsched. In: Weber, 1989: S.825f)

3 Lessing und Wolff

Lessing greift Wolffs Philosophie in Form des deistischen Glaubensansatzes wieder auf. Das heißt, Lessing geht ebenso wie Wolff von einer Existenz Gottes aus. Beide, Wolff und Lessing, gehen aber auch davon aus, dass Gott die Welt lediglich geschaffen hat und nicht mehr in den Verlauf der Welt eingreift. Diese Form der Gottesvorstellung nennt man Deismus.

Diese Glaubenslehre ist prägnant für das Zeitalter der Aufklärung, da hier versucht wird, die Religion einerseits und die Selbstbestimmung durch Vernunft andererseits miteinander zu vereinbaren.

Belegen lässt sich die von Wolff beeinflusste Weltanschauung durch die von Lessing herausgegebenen „Fragmente eines Ungenannten“[2], in denen er zum einen darauf verweist, dass sie unter Wolffianischem Einfluss stehen und die zum anderen von deistischen Zügen geprägt sind. (Pütz, 1991: 36)

Festzuhalten ist, dass „aufgeklärt sein“ in diesem relativ frühen Stadium der Aufklärung nicht heißt, nicht an Gott zu glauben. Diese Ebene kann erst durch verschiedene Stufen, die vom Theismus bis hin zum Atheismus / Pantheismus durchlaufen werden, erreicht werden. Der Deismus ist ebenso eine Stufe.

Was „aufgeklärt sein“ zu dieser Zeit heißt, findet man in folgenden Worten Lessing wieder. Er sagt, dass jemand, der sich der Diskussion über seinen Glauben verschließt, „kann ein sehr frommer Christ sein, aber ein sehr aufgeklärter ist er gewiss nicht“ (Lessing. In: Pütz, 1991: 37). Lessing ist davon überzeugt, dass Aufklärung nicht die Verneinung des Glaubens, sondern die Prüfung des Glaubens bedeutet. (Pütz, 1991: 37)

4 Vernunft und Leidenschaften bei Wolff und Lessing

4.1 Wolffs Begriff von Leidenschaften

In Wolffs Philosophie lassen sich die Leidenschaften im Bereich der Vorstellungen ansiedeln. Das heißt, Leidenschaften lassen sich den Wahrnehmungen und Sinnesempfindungen zuordnen und daraus setzen sich Vorstellungen zusammen. Wolff nimmt an, dass die Vorstellungen im Bewusstsein analysiert werden, woraus er die Existenz einer Seele ableitet, die die Trägerin des Bewusstseins ist. (Fick, 2000: 36)

Leidenschaften und Affekte lassen sich als Vorstellungen zergliedern und somit wird davon ausgegangen, dass sie rational durchschaubar sind.

Die Seele ist ständig auf der Suche nach neuen Vorstellungen, motiviert durch einen Vollkommenheitsanspruch einerseits und durch Lust andererseits, die die Seele bei einer Vorstellung empfindet. Für alles, was zur Vollkommenheit der Seele beitragen kann, wird eine Lust entwickelt und dies wird dann von der Seele für gut befunden. Diese Vorstellung entwickelt sich zum Willen und wird von Wolff als sinnliche Begierde definiert. Sie kann sich nun entweder zur Leidenschaft steigern oder sich in einem vernünftigen Willen manifestieren. Eine Leidenschaft zeichnet sich dadurch aus, dass sehr viele undeutliche Vorstellungen des Guten zusammen wirken und die Seele aufwühlen. Strebt die Seele aber nicht durch Lust angetrieben, sondern strebt sie nach Vervollkommnung, wird sie vom bewussten Willen bestimmt. (Fick, 2000: 37)

Vernünftiger Wille und Leidenschaften sind jedoch nicht immer klar voneinander zu trennen, aber auf Dauer, so analysiert Fick, „werde die vernünftige Freude den Sieg über die sinnliche Lust davontragen“. (Fick, 2000: 37)

4.2 Lessings weiterführendes Denken über Vernunft und Leidenschaften

Wie oben kurz erläutert und wie auch Fick feststellt, knüpft Lessings Verständnis von Aufklärung an Wolffs Philosophie an, vor allem in Betrachtung des Vernunftaspekts.

Wolff gilt in vielen Philosophiegeschichten als letzter großer Repräsentant des Rationalismus. Rationalisten wie Wolff betrachten die Vernunft als einzige Quelle sicheren Wissens. Sie ziehen all ihre Erkenntnis aus erfahrungsunabhängigen Wissenschaften, die allein durch die Denkfähigkeit erschlossen werden können, wie eben die Mathematik, mit welcher Wolff versucht, eine vernünftige, rationalistische Philosophie zu begründen.

Lessing selbst lässt sich jedoch nicht mehr entweder den Rationalisten oder den Empiristen zuordnen.

Lessing bleibt nicht in den Schranken, die mit dem Rationalismus einhergehen. Er geht über die Denkweise Wolffs hinaus, distanziert sich teilweise von Wolffs Ansichten, teilweise bildet er sie weiter. Er leitet aus dem Wolffschen Denkmodell Theorien des Materialismus, Atheismus und Fatalismus ab. (Kondylis, 1986: 597) Der Begriff der „Lebendigkeit“ und des „Lebens“ erlangt für ihn außerordentliche Wichtigkeit. (Fick, 2000: 38) Den Wolffschen Vernunftbegriff stellt er somit teilweise in Frage.

[...]


[1] Hierzu seien einige seiner 7 Werke erwähnt, die alle mit dem Obertitel „Vernünftige Gedanken von ...“

überschrieben werden:

Vernünfftige Gedancken von den Kräften des menschlichen Verstandes (1712)

Vernünfftige Gedancken von der Menschen Tun und Lassen (1720)

Vernünfftige Gedancken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen (1720)

[2] Reimarus Schrift: „Apologie oder Schutzschrift für die vernünftigen Verehrer Gottes“ von 1745 wurde 1774

von Lessing als „Fragmente des Ungenannten“ herausgebracht. Dazu schreibt Lessing eine Einleitung und

verweist auf die deistischen Einflüsse Wolffs. (Pütz, 1991: 36)

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Leidenschaften und Vernunft in Lessings 'Emilia Galotti' auf Figuren- und Textebene
Hochschule
Universität Leipzig  (Germanistik)
Veranstaltung
Lessings Dramen
Note
2
Autor
Jahr
2005
Seiten
24
Katalognummer
V54883
ISBN (eBook)
9783638499873
ISBN (Buch)
9783640868162
Dateigröße
534 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Leidenschaften, Vernunft, Lessings, Emilia, Galotti, Figuren-, Textebene, Lessings, Dramen, Thema Emilia Galotti
Arbeit zitieren
Cornelia Clauss (Autor:in), 2005, Leidenschaften und Vernunft in Lessings 'Emilia Galotti' auf Figuren- und Textebene, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/54883

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