Ovids "tristia"-Ventil des Schmerzes?


Hausarbeit (Hauptseminar), 2006

18 Seiten, Note: 1,75


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Ovids Situation
a) Neue Heimat Tomis und Sehnsucht nach Rom
b) Ovid in seiner neuen Situation

3. Trost im Schreiben
a) Wilfried Stroh: Tröstende Musen
b) Trost beim Schreiben: Sinn und Funktion eines Tagebuchs

4. „Tristia“ als Ventil des Schmerzes?

5. Fazit

6. Literaturverzeichnis
a) Quellen
b) Darstellungen

1. Einleitung

Ovids „Tristia“ lassen sich gut mit der Phrase „sich etwas von der Seele schreiben“ verbinden, auch wenn in der Forschung kein Konsens darüber besteht: Die Einen sehen die „Tristien“ als „Jammerpoesie eines Jammerlappens“[1], andere behaupten sogar, Ovid sei niemals im Exil gewesen. So wird in der Forschung als wichtiger Aspekt vor allem die Funktion der „Tristia“ für Ovid immer wieder erörtert.

Auch diese Arbeit befasst sich damit, die Funktion der „Tristien“ für Ovid herauszuarbeiten und zu beurteilen. Der Schwerpunkt liegt in der Frage, ob die Trauerlieder des Ovid als Ventil gelten können, also ob Ovid hauptsächlich schreibt, um seinen aus der Verbannung resultierenden Kummer zu verarbeiten.

Hierzu ist es unerlässlich, zunächst einmal darzustellen, was Ovid denn genau Kummer bereitet hat, weshalb seine Situation in der neuen Heimat Tomis dargestellt wird. Im Anschluss daran wird Wilfried Strohs Arbeit „Tröstende Musen“ vorgestellt, die sich als erste sehr ausführlich mit den „Tristia“ unter dem Aspekt der Tröstung durch die Musen beschäftigt hat und dadurch einen Einbezug in diese Arbeit rechtfertigt. Wilfried Stroh beschreibt den Topos der Selbstaussprache in der Dichtung und stellt die These auf, dass Ovids Dichtung als Ventildichtung angesehen werden kann.

Nach einem kurzen Exkurs über das Phänomen des Tagebuchschreibens, bei dem durchaus Parallelen zu Ovid und seinen „Tristia“ zu finden sind, soll dann Wilfried Strohs These „Dichtung als Ventil?“ erörtert werden. Hierzu werden auch Forschungsmeinungen vorgestellt, die von Strohs These abweichen, um im Anschluss ein Fazit ziehen zu können.

2. Ovids Situation

a) Neue Heimat Tomis und Sehnsucht nach Rom

Die Kritikpunkte Ovids an seiner neuen Heimat Tomis sind unzählig: hier kritisiert er die Sprachbarriere, dort die Menschen, die den Barbaren gleichen. Das Klima tut ihm gar nicht gut und nicht einmal landschaftlich hat seine neue Heimat etwas zu bieten.

Rudolf Kettemann[2], der sich eingehend mit der Frage beschäftigt hat, ob Tomis als locus horribilis zu gelten habe, erklärt, dass Ovid bei der Schilderung seiner neuen Heimat vor allem das tradierte Skythenbild ausschöpft. Dabei geht es vor allem um die „Theorie vom Verhältnis zwischen der Eigenart einer Landschaft und ihrer Bewohner“[3], die eine weit zurückreichende Tradition hat und sich vor allem an den eben erwähnten Skythen offenbar immer wieder gut demonstrieren ließ. Die Skythen werden so im Laufe der Literaturgeschichte durch feste Stereotypen hinsichtlich der Charakterisierung zum „Sammelbegriff für die nordöstlichen Barbaren, für alle Nordländer schlechthin“[4]. Dieses Skythenbild überträgt Ovid nun auf seine neue Heimat Tomis und versucht durch die Darstellung seines Ausgestoßenseins aus der zivilisierten Welt Mitgefühl bei seinem Leserkreis in Rom, vor allem aber seine Rückberufung zu erwirken.

Bei seinen Ausführungen muss man allerdings zwei Dinge voneinander trennen, nämlich die Konstanten Fiktion und Realität: Kettemann weist nach, dass Tomis eine blühende Handelsstadt war, die nicht zuletzt durch ihre selbständige Münzprägung eine privilegierte Stellung innehatte[5]. Auch die klimatischen Bedingungen waren nicht so schlecht, wie von Ovid dargestellt: auf der gleichen Höhe wie das heutige Rimini gelegen[6], ist es nahezu absurd zu berichten, dass es so kalt ist, dass der Wein in Stücken gegessen werden muss oder dass die Donau zugefroren ist:

Ergo ubi delicuit nondum prior, altera uenit,

et solet in multis bima manere locis; (...)

Pellibus et sutis arcent mala frigora bracis,

oraque de toto corpore sola patent.

Saepe sonant moti glacie pendente capilli,

et nitet inducto candida barba gelu;

nudaque consistunt, formam seruantia testae,

uina, nec hausta meri, sed data frusta bibunt.

(Trist. 3,10, 15-24 in Auszügen)

Aus der Schilderung der klimatischen Verhältnisse ergibt sich, dass nach oben angesprochener Theorie des Zusammenhangs von Klima und Wesensart der Bewohner die Tomiten als „wild, aggressiv und kriegerisch“ gelten und sich „alle nur auf Plünderung, Verwüstung und Blutvergießen“[7] verstehen. Hiermit verbindet sich für Ovid eine unerträgliche Angst, die von der permanenten Kriegsgefahr ausgeht:

Sarmaticae maior Geticaeque frequentia gentis

per medias in equis itque reditque uias.

In quibus est nemo, qui non coryton et arcum

telaque uipereo lurida felle gerat.

(Trist. 5, 7a, 13-16)

Kettemann erklärt, dass das Griechische offizielle Sprache war . Es folgt an dieser Stelle die Schilderung Ovids:

(…) nesciaque est uocis quod barbara lingua Latinae,

Graecaque quod Getico uicta loquela sono est, (…)

(Trist. 5, 2b, 23f)

Nach seiner Beschreibung spricht also niemand Latein und das Getische dominiert stark. Das Griechische ist nur in verschliffener Form erhalten; dies alles trägt maßgeblich zu seiner Isolation bei, denn Ovid ist nun derjenige, der sich nicht verständigen kann, weil er nicht verstanden wird, weshalb er sich als Barbar ansieht:

Barbarus hic ego sum, qui non intellegor ulli,

et rident stolidi uerba Latina Getae;

meque palam de me tuto mala saepe loquuntur,

forsitan obiciunt exiliumque mihi, (...)

(Trist. 5, 10, 37-40)

Bereits in Gedicht 3, 3 deutet Ovid an, dass seine neue Heimat ihn krank macht und er sich eigentlich nur noch den Tod wünscht. Es ist das Gedicht, in dem er sogar seine eigene Grabinschrift verfasst. Seine Klagen über die Menschen, das Klima, die Umstände der neuen Situation und seine Leiden finden dann in Gedicht 3,8 ihren Höhepunkt im ersehnten Tod:

cumque locum moresque hominum cultusque sonumque

cernimus, et, qui sim qui fuerimque, subit,

tantus amor necis est, querar ut cum Caesaris ira,

quod non offensas uindicet ense suas.

(Trist. 3, 8, 37-40)

Aufgrund seinen Ausführungen über seine neue Heimat kann es nur ein Fazit geben, nämlich, dass es auf dieser Erde keinen schrecklicheren Ort gäbe, als das ihm zugewiesene Tomis.

Durch die gezielte Vortäuschung falscher Tatsachen versucht er durch einen „kanonisierten Bilderschatz (...), den die Literatur der Griechen und Römer in ihren Nordlandschilderungen im allgemeinen und in der Skythenoptik im besonderen bereitgestellt hat“[8], das Mitgefühl Roms und seine Rückberufung zu erwirken.

Aus der Schilderung der angeblichen Verhältnisse in Tomis ergibt sich auf der anderen Seite eine ziemlich große Sehnsucht nach der alten Heimat Rom:

(...) ut tenera nostris cedente uolatibus aura

aspicerem patriae dulce repente solum,

desertaeque domus uultus, memoresque sodales,

caraque praecipue coniugis ora meae.

(Trist. 3, 8, 7-10)

Die Verse verdeutlichen durch die imaginäre Flucht aus Tomis seine Sehnsucht nach Rom: Die Überzeichnung seiner Exilschilderung im Ganzen bewirkt eine „übersteigerte Erinnerung des Verbannten“[9] an die Heimat. Wie Rudolf Kettemann erklärt, erscheint Rom durch die negative Schilderung der neuen Heimat Tomis als „Großstadt (...) im Lichte eines locus amoenus[10], was dem antiken Leser die Leiden Ovids ziemlich gut vor Augen geführt haben dürfte.

b) Ovid in seiner neuen Situation

Ovid begegnen in seiner neuen Situation viele exiltypische Probleme, von denen einige schon angesprochen worden sind. Von großer Wichtigkeit sind für den Dichter allerdings die exiltypischen Schaffensprobleme, also die sprachliche Isolation und, damit verbunden, das fehlende Publikum:

[...]


[1] Zitat aus Schanz-Hosius (S.248), gefunden bei: Ehlers, Widu-Wolfgang: Poet und Exil. Zum Verständnis der Exildichtung Ovids. A&A 34, 1988.S.152.

[2] Vgl.: Kettemann, Rudolf: Ovids Verbannungsort- ein locus horribilis? In : Schubert, Werner: Ovid, Werk und Wirkung. Festgabe für Michael von Albrecht zum 65. Geburtstag. Frankfurt 1999. S.717.

[3] Kettemann, S.718.

[4] Kettemann, S.720.

[5] Vgl.: Kettemann, S.730.

[6] Vgl.: Kettemann, S.731.

[7] Kettemann, S.724.

[8] Kettemann, S. 733.

[9] Doblhofer , Ernst: Exil und Emigration - zum Erlebnis d. Heimatferne in d. römischen Literatur. Darmstadt 1987. S.143.

[10] Kettemann, S.735.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Ovids "tristia"-Ventil des Schmerzes?
Hochschule
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Veranstaltung
Exilliteartur - Seminar für Klassische Philologie - Hauptseminar: 'Ovid-Tristia'
Note
1,75
Autor
Jahr
2006
Seiten
18
Katalognummer
V54835
ISBN (eBook)
9783638499453
Dateigröße
490 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Ovids, Schmerzes, Exilliteartur, Seminar, Klassische, Philologie, Hauptseminar
Arbeit zitieren
Steffi Rothmund (Autor:in), 2006, Ovids "tristia"-Ventil des Schmerzes?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/54835

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